Energiewende: Wie aus Autobahnen Solarkraftwerke werden

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Wind und Sonne statt Kohle: Im Rheinischen Revier ist die Energiewende mit Händen zu greifen. Windräder und Solarmodule lösen hier die klimaschädliche Braunkohle ab, deren Abbau in den vergangenen Jahrzehnten große Löcher in die Landschaft geschlagen hat. Gelingt hier der Strukturwandel, kann das viel Innovationskraft entfalten – auch weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. „Im dicht besiedelten Deutschland stoßen Infrastrukturprojekte auf Widerstände“, weiß Volker Mielchen, Geschäftsführer des Zweckverbands Landfolge Garzweiler. Bürgerinitiativen protestieren gegen Windparks oder den Bau von Stromtrassen, um viele Flächen tobt ein regelrechter Kampf um die künftige Nutzung.

Gute Lösung für den Kampf um Flächen

Einen Lösungsansatz hat der 2017 gegründete Zweckverband für die Zeit nach der Braunkohleverstromung mit dem vor Ort geplanten Innovationspark Erneuerbare Energien auf den Tisch gelegt: Solarautobahnen. Das Versprechen: Für den gewünschten Sonnenstrom müssen nicht nur die begrenzten Dachflächen oder die grüne Wiese geopfert werden. Stattdessen werden konkurrierende Nutzungsansprüche in Einklang gebracht. „Die Trassen und Infrastrukturen von Autobahnen bieten teilweise gute Voraussetzungen, bisher ungenutzte Flächen für die Erzeugung regenerativer Energien auf Solarbasis zu verwenden. Dabei können Synergien zu Wind- und Lärmschutz entstehen“, sagt Mielchen.

Deshalb sind im Rahmen eines Teilprojektes im Rahmen des Strukturwandelprojektes Innovationspark Erneuerbare Energien Solaranlagen an Böschungen entlang der Autobahn A44n und auf Lärmschutzwänden an der A46 vorgesehen. Auch auf einer Windschutzwand können PV-Module montiert werden – in diesem Fall vertikal.

Studie von Drees & Sommer unterstreicht technische und wirtschaftliche Machbarkeit 

Dass sich das 24-Megawatt-Projekt auf der insgesamt 30 Kilometer langen Strecke in rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht realisieren lässt, hat Drees & Sommer mit einer im August 2024 fertiggestellten Machbarkeitsstudie untersucht. Analysiert hatten die Fachleute unter anderem Fragen der Technologieauswahl, Umsetzungsfähigkeit und Rentabilität sowie mögliche Betreibermodelle und benötigte Zeithorizonte.

„Unsere Untersuchungen haben gezeigt, was für ein großes Potenzial Solarautobahnen für den Ausbau einer nachhaltigen Infrastruktur darstellen“, sagt Alexander Vorkoeper, Senior Consultant bei Drees & Sommer. Natürlich eigne sich nicht jeder Fernstraßenabschnitt per se für die Produktion von Solarstrom, so Vorkoeper. Ähnlich wie bei Freiflächenprojekten müssen auch hier Anlagen geplant, Netzanschlüsse hergestellt, Genehmigungen beantragt werden – und so weiter. Aber: Das Know-how ist da, das Konzept der Garzweiler Solarautobahn lässt sich bundesweit ausrollen. „Mit 13.200 Kilometern hat Deutschland das viertlängste Autobahn-Netz der Welt“, unterstreicht Wirtschaftsingenieur Vorkoeper.

Fünf Prozent der Landesfläche entfallen in Deutschland auf Verkehrswege, was nicht nur Autobahnen umfasst, sondern auch Parkplätze und Lärmschutzwände, kalkuliert das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Darin stecke ein Potenzial von 300 Gigawatt zusätzlicher PV-Leistung. Zur Einordnung: Im April 2024 waren auf deutschen Dächern und Grundstücken Photovoltaikanlagen mit insgesamt 81,5 Gigawatt installiert.

Testanlage an der Autobahn A81

Die Zahlen zeigen, wie vielversprechend es ist, Autobahnen zur Energiegewinnung zu nutzen. Nicht nur im Rheinischen Revier sitzt man deshalb in den Startlöchern. In Ludwigsfelde südlich von Berlin plant die Stadtverwaltung ein Solardach über der Autobahn A10. Neben der effizienten Flächennutzung schafft dies über die Lärmreduktion und den Schutz der Fahrbahn vor Hitze und Niederschlag weitere wertvolle Synergieeffekte. Eine kleine Versuchsanlage ging im Oktober 2023 in Baden-Württemberg in Betrieb: Autos und Lkw fahren dabei unterhalb eines fünfeinhalb Meter hohen, aus Photovoltaik-Modulen bestehenden Dachs hindurch auf die Rastanlage Hegau-Ost an der Autobahn A81. Das Fraunhofer-Institut untersucht hier mit Partnern die Leistungsfähigkeit der Testanlage unter Aspekten wie Statik, Wartung, Entwässerung und Verkehrssicherheit.

Wer in Deutschland viel auf der Autobahn unterwegs ist, hat es längst festgestellt: Parallel zu den Fernstraßen gibt es landauf, landab viele installierte Solarparks: von der A94 östlich von München über die A7 bei Hannoversch Münden oder bis zur A24 in Brandenburg. Dort, auf halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin, bilden Solaranlagen auf beiden Seiten der Fahrbahn eine glitzernde Perlenkette. Auch Bundesstraßen nehmen Planer ins Visier. So hat die Gemeinde Allensbach parallel zum vierspurigen Ausbau der B33 im Kreis Konstanz eine Anlage mit 3.400 Modulen erworben – installiert auf einem Lärmschutzwall.

Gesetzgeber erleichtert Bau von Anlagen an Fernstraßen

Der gesetzliche Rahmen ist im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abgesteckt. Flächenkorridore mit einer Entfernung bis zu 200 Metern vom Fahrbahnrand sind im EEG als privilegierte Flächen eingestuft. Zuletzt hat der Gesetzgeber auch das Verbot gelockert, innerhalb von 40 Metern Abstand zur Straße Anlagen zu errichten. Nach einer Prüfung im Einzelfall kann so der gesamte Bereich bis zu 200 Metern genutzt werden.

Neben Böschungen oder Schutzwänden haben Experten auch den Fahrbahnbelag selbst schon ins Kalkül gezogen, um mit integrierten Modulen Solarstrom zu erzeugen, allerdings nicht in Deutschland. Ein Versuch auf der Nationalstraße D5 in der Normandie scheiterte 2016 an den Schäden, die der Verkehr dem Straßenbelag zufügte – und damit auch den Solarzellen. Mehr Erfolg hatten Ingenieure, die Ende 2017 im chinesischen Jinan die weltweit erste PV-Autobahn konstruierten. Unterhalb eines transparenten Materials wurden Solarzellen verbaut, die auf 5.875 Quadratmetern jährlich eine Million Kilowattstunden Strom erzeugen, so viel wie rund 800 Haushalte täglich verbrauchen.

Randnotiz aus dem Fahrradland Niederlande: In der Nähe von Amsterdam wurde 2014 der weltweit erste, 70 Meter lange Solarradweg gebaut. Mit Erfolg: Die Fahrbahn konnte nach anfänglichen Schwierigkeiten mehr Strom erzeugen als zunächst prognostiziert.

Expertise, Erfahrung und Innovationsfreude

Zurück nach Deutschland: Zuständig für den Betrieb der deutschen Fernstraßen ist die Autobahn GmbH des Bundes. Um bei Unterhaltung und Betrieb von Autobahnen bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen, will die Autobahn GmbH die Photovoltaik-Nutzung stufenweise ausbauen. Damit liegt der Ball auf dem Elfmeterpunkt. „Unsere Studie hat gezeigt, dass Solarautobahnen wirtschaftlich sind“, betont Alexander Vorkoeper. „Der Austausch mit der Autobahn GmbH als Flächeneigentümer sollte nun fortgesetzt, um die nächsten Schritte anzugehen.“ Die nötige Expertise und Projekterfahrung ist bei Drees & Sommer inhouse gebündelt: Derzeit betreuen mehr als 6.000 Mitarbeitende weltweit etwa 6.500 Bau-, Immobilien- und Infrastrukturprojekte.

Für den Zweckverband Landfolge Garzweiler ist die Idee von der Solarautobahn eine richtungsweisende Perspektive, aber nicht die einzige. Ein integriertes Energiesystem soll ganzheitlich für die Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Nutzung des regenerativ erzeugten Stroms rund um den früheren Tagebau sorgen. „Wir wollen Energieregion bleiben, aber eben ohne die Braunkohle“, sagt Geschäftsführer Volker Mielchen.

Das Projekt des Innovationsparks Erneuerbare Energien zielt auf den Aufbau eines integrierten Energiesystems im großen Stil zur Erzeugung, Speicherung, Verteilung sowie Nutzung der erzeugten Energie in fünf Teilprojekten. Neben der Solarautobahn umfasst das System den Aufbau einer multifunktionalen Energielandschaft, das Energiekonzept für das interkommunale Industriegebiet Elsbachtal (Grevenbroich/Jüchen) sowie für den geplanten Stadtteil Jüchen-Süd und auf dem Gebiet von Titz für den „Green Energy Hub“ als Autohof der Zukunft mit dem Fokus auf der Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff. „Das zeigt doch, wie viel Innovationsfreude in uns steckt. Genau das brauchen wir in Deutschland“, so Volker Mielchen.