Eine Mehrheit, fast 70 Prozent, in Deutschland, Frankreich und Spanien befürwortet, dass die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2-Emissionen in Programme reinvestiert werden, die den Umstieg auf nachhaltige Technologien im Gebäude- und Verkehrssektor finanziell ermöglichen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage in diesen drei europäischen Ländern, die am TU-Fachgebiet Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen von Franziska Funke unter Leitung von Prof. Dr. Linus Mattauch 2023 durchgeführt worden ist.
Die zweithöchste Zustimmung erhielt die Option, mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel sowohl klimafreundliche Investitionsprogramme aufzusetzen, als auch Transfers ausschließlich an einkommensschwache Haushalte zu finanzieren. Geringeren Zuspruch bekamen die Vorschläge, die Einnahmen direkt als Bargeld pro Kopf an die Menschen entweder auf europäischer oder auf nationaler Ebene auszuzahlen.
Unterstützung für Investitionsoffensive
„Das Ergebnis ist überraschend eindeutig“, sagt die Wissenschaftlerin Franziska Funke. „Über alle sozioökonomischen Merkmale und das gesamte politische Spektrum hinweg präferieren die von uns befragten Bürger*innen mehr Investitionen in klimafreundliche Technologien und Infrastruktur. Mit dem Geld des Emissionshandels mittelfristig den kostengünstigen Umstieg auf klimafreundliche Technologien zu erleichtern, scheint den Menschen noch wichtiger, als für ihre höheren Heiz- und Fahrkosten direkt entlastet zu werden. Das zeigt auch, dass vielen Menschen bewusst ist, dass sie im Zuge der Transformation irgendwann zwangsläufig auf klimafreundliche Alternativen umsteigen müssen.“
Der Wechsel zu grünen Technologien wie zum Beispiel zu E-Autos, Wärmepumpen oder der Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr gestalte sich jedoch vor allem für bedürftige Haushalte, Menschen in ländlichen Regionen sowie für Mieter*innen in Deutschland schwierig. Wärmepumpen und E-Autos seien derzeit noch mit hohen Anschaffungskosten verbunden, so Funke und Mattauch. Zudem fehle es an einer Ladeinfrastruktur. Und der Wechsel vom privaten Auto auf den ÖPNV in ländlichen Regionen sei derzeit nur eine unzureichende Alternative, da er die Erwartungen der Menschen an Mobilität nicht erfülle. Wer zur Miete wohne, habe kaum Einfluss darauf, die Wohnung energetisch klimafreundlich zu sanieren etwa durch eine auf erneuerbaren Energien basierende Heizung. „Es gibt also Bevölkerungsschichten, die gar keine Möglichkeit haben, ihre CO2-Emissionen zu senken. Und aus wissenschaftlicher Perspektive wissen wir, dass einkommensschwache Haushalte in Relation zu ihrem Einkommen für Heizung mehr ausgeben als Haushalte mit einem höheren Einkommen“, sagt Franziska Funke.
Zum Jahresbeginn: Preisanstieg von 45 auf 55 Euro
Das erste Europäische Emissionshandelssystem (EU ETS1) war 2005 für den Energie- und Industriesektor eingeführt worden mit dem Ziel, diese zwei Sektoren zu dekarbonisieren. 2027 nun folgt das zweite Europäische Emissionshandelssystem (EU ETS2). Es wird europaweit den Gebäude- und Verkehrssektor betreffen. Auch hier ist das Ziel, die Nutzung fossiler Brennstoffe in diesen beiden Sektoren bis 2050 zu beenden. Das EU ETS2 wird dann den nationalen deutschen CO2-Preis für Gebäude und Verkehr ablösen. Derzeit liegt der Preis für eine Tonne CO2 in Deutschland bei 45 Euro. Zum 1. Januar 2025 wird er um zehn Euro auf 55 Euro angehoben.
„Wie sich die Einführung des EU ETS2 ab 2027 auf die Entwicklung der Heiz- und Transportkosten auswirken wird, ist nicht gut vorauszusagen. Aber Preisanstiege werden die Verbraucher direkter treffen als beim EU ETS1 – nämlich sobald sie die Heizung aufdrehen oder tanken“, sagt Prof. Dr. Linus Mattauch, Leiter des Fachgebiets Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen.
Vor diesem Hintergrund sei es umso dringlicher, dass die Menschen sich fossilfreie, klimaneutrale Alternativen finanziell auch leisten können, so der Ökonom. „Die Anwendung des Verursacherprinzips, auf dem der europäische Emissionshandel beruht, kann von den Menschen nur dann als folgerichtig und gerecht empfunden werden, wenn sie als Verbraucher eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit haben, auf E-Autos, den ÖPNV oder auf klimafreundliche Heizungen umzusteigen.“
Wie sollen Kosten für klimafreundliche Alternativen gesenkt werden?
Diesen finanziell erschwinglichen Umstieg sehen Franziska Funke, Linus Mattauch, Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sowie Wissenschaftler der Universität Amsterdam und dem französischen Centre National de la Recherche Scientifique derzeit aber nicht gegeben. In ihrem Debattenbeitrag „Supporting carbon pricing when interest rates are higher“ skizzieren sie deshalb Anforderungen an eine Klimapolitik, die den Zugang zu grünen Technologien verbessert, damit die Menschen die CO2-Bepreisung im Gebäude- und Verkehrssektor auch mittragen. „Erstens muss die EU-Politik den Bürger*innen glaubwürdig erklären, was unternommen wird, um die Kosten für klimafreundliche Alternativen zu senken. Werden E-Autos und Wärmepumpen nicht erschwinglicher, dann verfehlt auch das Instrument der pauschalen pro-Kopf-Rückführung von CO2-Einnahmen den erhofften Effekt, die Akzeptanz für die CO2-Bepreisung zu erhöhen. Und zweitens muss die gesamte Subventionspolitik so ausgerichtet werden, dass sie den besten ökologischen Nutzen bringt“, sagt Linus Mattauch.
Doch eine solche gezielte Subventionspolitik fehle, so Mattauch. „Es gibt ja nicht nur die CO2-Bepreisung. 2035 kommt auch das sogenannte ‚Verbrenner-Verbot‘. Das heißt: Der ländliche Raum braucht dringend eine flächendeckende Lade-Infrastruktur für E-Autos, wenn in elf Jahren neuzugelassene Fahrzeuge kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Soll sich das Emissionshandelssystem nicht ad absurdum führen, braucht es erschwingliche klimafreundliche Alternativen“, so Mattauch.
Vorschlag: subventionierte einkommensabhängige Kreditprogramme
Leider sei Wirtschaftspolitik oft daran gescheitert, Förderprogramme und Subventionen zielgenau zu designen. „Es mag seine Berechtigung gehabt haben, dass der Kauf von E-Autos subventioniert worden ist, um der fossilfreien Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Profitiert davon habe der Besserverdienende. Mittlerweile aber sind wir in einer Phase, in der es fiskalisch verantwortungsvoll ist, solche Subventionen nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen“, so Mattauch. „Unser Vorschlag wäre unter anderem, subventionierte einkommensabhängige Kreditprogramme für umweltfreundliche Modernisierungen aufzustellen, um hohe Zinssätze für einkommensschwache Haushalte zu senken. Darüber hinaus wären Maßnahmen wichtig, die Vermieter wirksamer dazu bewegten, umweltfreundliche Modernisierungsmaßnahmen zu Gunsten einkommensschwacher Mieterinnen und Mieter durchzuführen“, ergänzt Franziska Funke.
Die Gruppe der einkommensschwachen Haushalte war Ausgangspunkt für Funke und Mattauch, ihren Debattenbeitrag zu schreiben, wie die CO2-Bepreisung in Zeiten von Inflation und hohen Zinsen von der Bevölkerung akzeptiert und gerecht gestaltet werden kann. „Wir möchten einen Anstoß geben, intensiver darüber nachzudenken, wie Förderung klimafreundlicher Technologien und Infrastruktur gezielt, wirksam und gerecht erfolgen kann. Denn die Verbesserung des finanziellen Zugangs zu klimafreundlichen Alternativen ist von entscheidender Bedeutung, um den Bürger*innen die Gewissheit zu geben, dass die Bepreisung von Emissionen zu einer wirksamen Emissionsminderung führt und nicht nur die Kosten für die Verbraucher erhöht“, schreiben Franziska Funke, Linus Mattauch und ihre Kollegen.
Link zum Artikel „Supporting carbon pricing when interest rates are higher“ von Franziska Funke, Linus Mattauch, Thomas Douenne, Adrien Fabre und Joseph Stiglitz: https://doi.org/10.1038/s41558-024-02040-z
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