Rund 50 Prozent des deutschen Industriestrombedarfs werden von Unternehmen unter der so genannten Bandlastregelung bezogen: Diese Vorschrift, festgeschrieben in der Stromnetzentgeltverordnung für industrielle Großverbraucher (§ 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV), zwingt Unternehmen quasi zu einem gleichmäßigen Strombezug über das gesamte Jahr. Weil dadurch die Stromsystemkosten steigen und ein flexibler Verbrauch erschwert wird, will die Bundesnetzagentur die Regulierung nun reformieren. Ein neues Impulspaper von Agora Energiewende und Agora Industrie schlägt eine Regelung vor, die Hürden für einen flexibleren Verbrauch beseitigt und Netzentgeltermäßigungen an den Systemnutzen knüpft.
Konkret fallen etwa 400 Unternehmen mit einem Strombezug von insgesamt rund 90 Terawattstunden pro Jahr unter die Bandlastregelung. Diese sieht ab einem gleichmäßigen Strombezug von 7.000 Stunden pro Jahr erhebliche Reduktionen bei den Netzentgelten vor. Das kann für einzelne Unternehmen zwar vorteilhaft sein, es belastet jedoch das Stromsystem als Ganzes und verursacht zusätzliche Kosten. Das Agora-Papier schlägt vor, die derzeitigen Vorteile für Großverbraucher schrittweise an eine flexiblere Abnahme zu koppeln.
„Die aktuelle Netzentgeltsystematik mit ihrer Förderung von konstantem Strombezug setzt die falschen Anreize: Sie hemmt die Flexibilität der großen industriellen Verbraucher, die auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem benötigt wird“, sagt Philipp Godron, Programmleiter Strom bei Agora Energiewende. „Unser Reformvorschlag ermöglicht es diesen Unternehmen, von günstigen Marktpreisen zu profitieren und das Netz optimaler auszulasten – das spart Systemkosten und hilft letztlich allen Stromverbrauchern.”
Das Impuls-Papier schlägt vor, die Benutzungsstundenregelung abzuschaffen, die einen gleichmäßig hohen Stromverbrauch fordert. Stattdessen sollen Sondernetzentgelte an ein schrittweise wachsendes Maß an Flexibilitätsbereitstellung der Unternehmen gekoppelt werden. Bei der Festlegung der Lastvariation wäre nach einem Vorbereitungsjahr 2026 im Jahr 2027 für eine Netzentgeltreduktion in Höhe von 80 Prozent beispielsweise die Forderung einer einprozentigen Lastflexibilität denkbar. Diese Anforderung könnte in den darauffolgenden Jahren jeweils um einen Prozentpunkt ansteigen. Unternehmen, die ihren Verbrauch an eine örtlich und zeitlich differenzierte Netzauslastung anpassen, werden dadurch belohnt.
Zusätzlich sollten über eine Reform von § 17 Abs. 2 StromNEV die Arbeitspreise gegenüber den starren Leistungspreisen gestärkt werden. Dieser Ansatz mindert für Unternehmen das Risiko, dass sie deutlich höhere Netzentgelte zahlen müssen, weil sie in Zeiten günstig verfügbaren Stroms ihre Last erhöhen.
„Unsere Analysen zeigen erhebliche Flexibilitätspotentiale zur zeitweisen Lastanpassung von industriellem Verbrauch“, sagt Frank Peter, Direktor von Agora Industrie. „Mit entsprechenden Anreizen kann die Last für einen Zeitraum von bis zu vier Stunden perspektivisch um bis zu 9 Gigawatt erhöht oder reduziert werden – das entspricht rund 20 Prozent der durchschnittlichen Netzlast“. Eine flexiblere Nutzung von Strom durch die Industrie biete zudem erhebliche Kostenvorteile: „Werden Unternehmen von der Bandlastregelung entbunden, können sie zu Zeiten hoher Preise, wie sie zum Beispiel kurzzeitig während einer Dunkelflaute vorkommen können, weniger Strom nutzen. Wenn hingegen viel Sonne scheint oder Wind weht, können Unternehmen ihre Last hochfahren und von den niedrigen Preisen profitieren.”
Die Studie illustriert anhand eines Papierherstellers mit Realdaten die Auswirkungen der vorgeschlagenen Reform auf eine energieintensive Branche. Dabei zeigt sich, dass der Kernproduktionsprozess zwar möglichst konstant laufen muss, die davorliegende Phase der Halbstoffproduktion jedoch erhebliches Potential zur Flexibilisierung aufweist. Damit steht das Fallbeispiel auch exemplarisch für einen großen Teil der energieintensiven Industrie.
Im konkreten Fall würden Maschinen in Zeiten günstigen Stroms mehr Papiervorprodukte aus Holz herstellen als unmittelbar benötigt werden. In Zeiten hoher Strompreise würde dieser Prozess ruhen und stattdessen würden die Lager geleert werden. Bisher stößt diese flexible Produktion jedoch an regulatorische Grenzen, da der Papierhersteller nicht riskieren kann, seine Netzentgeltreduktion von 80 Prozent zu verlieren, wenn er unter die 7.000 Benutzungsstunden fällt. Mit der vorgeschlagen Reform könnte der Betrieb je nach Auslastung im Vergleich zum Status quo Strom- und Netzentgeltkosten von 4 bis 5 Prozent einsparen, und zugleich seine CO2-Emissionen reduzieren.
Mit der Neuregelung ließe sich sowohl ein kurzfristiger Vorteil im laufenden Betrieb erzielen, als auch langfristige Planungssicherheit schaffen. Zu Beginn niedrige und schrittweise ansteigende Flexibilitätsanforderungen und ein klarer Transformationspfad geben Unternehmen Orientierung. Zudem erhalten sie so genügend zeitlichen Vorlauf, um ihren Betrieb schrittweise – zum Beispiel über die flexiblere Ausgestaltung von vor- und nachgelagerten Produktionsprozessen – anzupassen und etwaige Investitionen tätigen zu können. Die Flexibilitätsanforderungen orientieren sich dabei an den technischen Möglichkeiten der Industrie.
„Mit der vorgeschlagenen Reform erhalten Industriebetriebe wirtschaftliche Anreize, in Flexibilität zu investieren und somit den Schritt hin zu einer emissionsarmen Produktion zu gehen“, sagt Frank Peter. „Netzbetreiber profitieren von einem effizienteren Betrieb und einer besseren Planbarkeit. Stromkunden erhalten günstigere Preise. Und langfristig legt die Reform den Grundstein für ein kosteneffizientes und klimaneutrales Stromsystem.“
Das 39-seitige Impulspapier „Industrielle Energieflexibilität ermöglichen“ wurde von Agora Energiewende und Agora Industrie in Zusammenarbeit mit dem Regulatory Assistance Project und dem FIM Forschungsinstitut für Informationsmanagement, Institutsteil Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, erstellt. Die Publikation kann kostenfrei unter www.agora-industrie.de heruntergeladen werden.
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