„Wenn jemand zu mir kommt und eine Photovoltaikanlage auf seinem Asbestzementdach haben möchte, lehne ich konsequent ab“, sagt Thomas Häussel, Projektmanager bei PMS Solartechnik. Denn nach seiner Auffassung halten die meisten Asbestdächer keine 30 Jahre mehr ohne Schäden durch. Darauf noch eine funkelnagelneue Solaranlage anzubringen, mache keinen Sinn, und das müsse man dem Kunden auch ehrlich sagen. Eine Ausnahmegenehmigung würde er deshalb nie beantragen.
Würde er es jedoch versuchen, müsste er viele Nachweise erbringen, denn eigentlich ist es verboten, ein Photovol taiksystem auf einem Asbestzementdach anzubringen. Der Grund: Solange ein Asbestzementdach in Ruhe gelassen wird, sind die krebserregenden Asbestfasern im Zement fest eingeschlossen und damit ungefährlich.
Studien ergaben, dass auch bei starker Verwitterung der Dachoberfläche keine Fasern in die Luft gelangen. Asbestzement muss daher im Gegensatz zu ungebundenem Spritzasbest auch nicht entfernt werden. Doch jegliches Bohren, Fräsen oder Schleifen an der Dachhaut ist strengstens verboten, selbst das Reinigen mit einem Hochdruckstrahler. Denn dann würden sich die nur wenige Mikrometer dünnen Fasern aus dem Asbestzement lösen und in die Atemwege gelangen.
Eine ungesunde Ausnahme
Doch zu jedem Verbot gibt es auch eine Ausnahme. In diesem Falle ist es Paragraf 20 der Gefahrstoffverordnung. Er erlaubt den Bau eines Montagegestells auf Asbestzementdächern, wenn das Verbot eine „unverhältnismäßige Härte“ für den Dachbesitzer darstellt. Diese liegt vor, wenn die Solaranlage für den Eigentümer von wirtschaftlichem Nutzen ist, also Gewinne abwerfen würde. Zudem darf es keinen alternativen Standort für die Solaranlage geben. Das Dach und das Gebäude müssen zudem in einem guten Zustand sein und mindestens noch 30 weitere Jahre standhalten, was der Lebenszeit einer Photovoltaikanlage entspricht. Wichtig ist auch, dass sich das Gebäude in der Hauptnutzung befindet. Damit soll verhindert werden, dass Sanierungsruinen als Ständer für Solaranlagen herhalten.
Doch trotz der Ausnahmeregelung sind die Arbeiten am Asbestzementdach immer noch gesundheitsschädlich und müssen von geschulten Monteuren durchgeführt werden, die den Sachkundenachweis TRGS 519 vorweisen können. Die Fachkräfte rücken dann mit Atemmaske, Schutzanzug und speziellen Müllsäcken für Gefahrgut an, um das Montagegestell für die Solaranlage auf dem Dach zu befestigen.
Eternit, Fulgurit, Baufanit
„Vor allem im ländlichen Bereich ist die Nachfrage sehr hoch, denn da gibt es viele Asbestzementdächer“, sagt Zimmermeister Jens Nordmann. Nach 20 Jahren hätten viele Landwirte ihren Stall abbezahlt und seien wieder ausreichend liquide, um in ein Photovoltaiksystem zu investieren, beschreibt Nordmann die momentane Situation. Auch bei Firmengebäuden, Garagen und Privathäusern wurden vor allem in den 70er und 80er Jahren Asbestplatten beim Dachbau eingesetzt.
Bekannt sind vor allem die Wellplatten namens Eternit und Fulgurit, in der ehemaligen DDR hieß die unverwüstliche Dacheindeckung Baufanit. Damals galt Asbest als Wunderbaustoff, da es beständig gegen Säuren, Laugen und Korrosion ist, zudem flexibel und nicht brennbar. Erst später wurde die Gesundheitsgefahr erkannt und die Herstellung von Asbestzement und anderen asbesthaltigen Materialien verboten.
Spezialeinsatztruppe Asbest
Daher dürfen nur Fachkräfte die Arbeiten übernehmen; auch Privatpersonen machen sich strafbar, wenn sie im Alleingang am Asbestdach herumschrauben. Wer ohne Sachkundenachweis und Erlaubnis am Asbestdach eine Photovoltaikanlage anbringt, kann mit einer Strafe von bis zu 50.000 Euro rechnen. Und: Eine ungenehmigte Baustelle wird vom Gewerbeaufsichtsamt sofort dicht gemacht.
Das Umweltinstitut Offenbach bietet deswegen einen zweitägigen Lehrgang an, bei dem Monteure und Privatpersonen für eine Kursgebühr von 650 Euro lernen können, was sie bei der Montage einer Solaranlage auf einem Asbestdach beachten müssen. „Durch die Baukrise ist die Nachfrage am Lehrgang enorm gestiegen. Es wird weniger neu gebaut, stattdessen mehr saniert“, sagt Herbert Pfaff-Schley, Geschäftsführer des Umweltinstituts Offenbach. Beim staatlich anerkannten Lehrgang wird den Teilnehmern beigebracht, woran sie Asbestdächer erkennen, welche Schutzmaßnahmen sie treffen müssen und wie sie die Asbestplatten unzerstört ausbauen und entsorgen. Am Ende winkt der Sachkundenachweis TRGS 519, Anlage 4.
Ein Unternehmen muss den Sachkundenachweis besitzen, will es eine Ausnahmegenehmigung beim Gewerbe aufsichtsamt erwirken. Aufdachsysteme, die nur mit Gewichten stabilisiert werden und damit nicht die Dachhaut durchdringen, sind ebenfalls keine Möglichkeit, die Vorschrift zu umgehen. Sie sind nicht zulässig, da die Asbestzementplatten nicht abgedeckt werden dürfen. Zudem wurden die asbesthaltigen Wellplatten nur bei Schrägdächern verbaut.
Gute Erfahrungen
Zimmermeister Nordmann hat mit den Anträgen für die Ausnahmeregelung bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Nach zehn Tagen war der Bescheid meist da. „Das ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich“, so der Niedersachse. Andere Monteure berichten von sechs bis acht Wochen Wartezeit. Pfaff-Schley empfiehlt daher, den Antrag immer direkt mit allen notwendigen Nachweisen einzureichen und sich dabei auf die Ausnahmeregelung nach Paragraf 20 der Gefahrenstoffverordnung zu beziehen (siehe Infokasten).
Wichtig ist auch, dass der Ausnahmeantrag vom beauftragten Fachbetrieb beim Gewerbeaufsichtsamt eingereicht wird und nicht vom Hausbesitzer selbst. Der muss im Vorfeld allerdings Kosten von ungefähr 1.200 Euro einplanen, damit die notwendigen Nachweise, wie Statikbericht und Gutachten, erstellt werden können. Dazu kommen noch mal rund 200 Euro Bearbeitungsgebühr beim Gewerbeaufsichtsamt.
Die Montage der Unterkonstruktion auf einem Asbestdach ist übrigens wesentlich komplizierter als bei einem herkömmlichen Dach. Im Schnitt dauert sie doppelt so lang, da zum Beispiel erst trittfeste Laufstege auf dem Dach angelegt werden müssen, damit keine Asbestplatte unter den Füßen der Monteure zerbrechen kann. „Die Vorbereitungen sind sehr aufwändig“, sagt Nordmann und empfiehlt seinen Kunden lieber gleich eine komplette Dachsanierung. Die sei zwar nicht weniger aufwändig, aber dann sei das belastete Material ein für alle Mal vom Dach.
Tobias Knoblach von Werner Folger Industrietechnik schließt sich dieser Meinung an. „Auf einem 40 Jahre alten Asbestdach würde ich keine Investition im fünf- bis sechsstelligen Bereich montieren“, sagt er. Denn irgendwann hole einen das Asbestproblem doch wieder ein. Spätestens wenn es Reparaturen am Dach gebe, müsse wieder eine Spezialmannschaft ausrücken und den schädlichen Baustoff erneut anpacken. Und auch Thomas Häussel sagt bereits jetzt voraus: „Die Entsorgungskosten von Asbestplatten werden in Zukunft um das Fünf- bis Zehnfache steigen.“ Zurzeit liegen die Entsorgungskosten für einen Quadratmeter asbesthaltigen Baustoff inklusive Demontage und Verpackung bei 13 bis 19 Euro. Doch schon heute schwankt dieser Preis stark von Unternehmen zu Unternehmen.
Vergütung finanziert Sanierung
Den Bau einer Photovoltaikanlage sehen alle drei als die ideale Gelegenheit, ein Asbestzementdach neu einzudecken. Denn die teure Sanierung wird durch die Solaranlage für viele erst bezahlbar. Die Einnahmen durch die Einspeisevergütung würden helfen, das Bankdarlehen zu begleichen. Knoblach schlägt den Dachbesitzern außerdem vor, mit ihrer zuständigen Finanzbehörde zu sprechen. Denn zum Teil ließen sich die Austauschkosten für das Dach mit den Herstellkosten der Solaranlage verrechnen und seien dann steuerlich absetzbar.
Pfaff-Schley vom Umweltinstitut steht hinter der Ausnahmeregelung. Um diese zu bekommen, müsse schließlich ein unbeschädigtes Dach nachgewiesen werden. Am besten über einen Sachverständigen, auch wenn das grundsätzlich für den Antrag keine Pflicht sei. Bei der Ausnahmeregelung gehe es schließlich nicht darum, ein marodes Dach mit Solarmodulen zu überdecken. Stattdessen soll es Hausbesitzern, die kein Geld für eine komplette Neueindeckung haben, den Bau einer Solaranlage ermöglichen. Pfaff-Schley vermutet, dass manch ein Monteur mit dem Rat zur Neueindeckung auf ein größeres Geschäft abzielt. Denn das ist es durchaus.
Kostenfaktor Dachsanierung
In einem konkreten Fall wird deutlich, wie sich die Installation auf einem Asbestdach mit Ausnahmeregelung von einer Installation inklusive Dachsanierung finanziell unterscheidet. So bot ein Unternehmen einem Stallbesitzer an, sein asbesthaltiges Stalldach für rund 220.000 Euro mit einer 77-Kilowatt-Anlage auszustatten, den Erhalt einer Ausnahmegenehmigung vorausgesetzt. Wenn der Stallbesitzer sich jedoch entscheidet, sein Dach vorher zu sanieren und den Asbestzement entfernen zu lassen, erhöhen sich die Kosten um etwa 70.000 Euro.
Bei beiden Summen ist wahrscheinlich ein dicker Bankkredit fällig. Doch bei einer Anlagenlaufzeit von 20 Jahren könne der Stallbesitzer insgesamt etwa 530.000 Euro durch die Einspeisevergütung einnehmen. Ein über 15 Jahre laufender Bankkredit wäre also in beiden Fällen gedeckt. Und in den darauf folgenden fünf Jahren errechnete das Unternehmen sogar einen Überschuss, der ohne Dachsanierung fast 215.000 Euro beträgt. Mit Dachsanierung fällt dieser natürlich kleiner aus und liegt bei rund 125.000 Euro.
Klingt verlockend, doch bei einer vorherigen Asbestentfernung muss der
Alle Parameter beachten
Diese Rechnung ist jedoch nur ein Fallbeispiel. Man könnte die Laufzeit des Kredites auf 20 Jahre verlängern oder das Eigenkapital auf zehn Prozent erhöhen, dann sähe die Rechnung bereits wieder ganz anders aus und der Stallbesitzer würde auch bei einer Dachsanierung jedes Jahr einen Überschuss erwirtschaften. Auch die Größe der Solaranlage entscheidet, wie hoch die Einnahmen durch die Einspeisung sind. Dennoch wird klar, dass die Dachsanierung ein hoher Kostenfaktor ist.
Jeder Dachbesitzer muss zum Schluss selbst entscheiden, wo seine Prioritäten liegen. Er kann die Ausnahmeregelung nutzen und hat weniger Kosten, ein geringeres Bankdarlehen und dadurch einen größeren Gewinn. Oder er investiert mehr, hat dafür den Asbest beseitigt und seine Anlage auf ein nagelneues Dach montiert. Der Stallbesitzer im
oben genannten Fall hat sich übrigens für die Sanierung entschieden. Die Sonne wird ihm das investierte Geld wieder zurückzahlen.
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