Im vergangenen Jahr stand vor allem die Photovoltaik am Pranger, nachdem die Übertragungsnetzbetreiber einen Umlagesprung um 70 Prozent angekündigt hatten. Dieses Jahr kam der Paukenschlag am 14. Oktober. Nach umfangreichen Prognosen und in Rücksprache mit der Bundesnetzagentur verkünden die Übertragungsnetzbetreiber, dass die EEG-Umlage im kommenden Jahr bei 3,592 Cent je Kilowattstunde liegen wird. Dies sind gerade einmal 0,062 Cent je Kilowattstunde oder gut 1,75 Prozent mehr als in diesem Jahr, die Teil des Strompreises werden. Alles Säbelrasseln im Vorfeld scheint damit ad absurdum geführt.
Dabei begann Anfang Oktober das Ritual zunächst so, wie es vorhersehbar war. So erwartete Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur, einen deutlichen Anstieg der Umlage auf 3,8Cent je Kilowattstunde. Dies führte er in einem Zeitungsinterview primär auf den weiteren starken Ausbau der Erneuerbaren hierzulande zurück. CDU-Wirtschaftspolitiker Thomas Bareiß etwa nutzte die Zeit der Ungewissheit, um „mehr Markt und mehr Wettbewerb“ bei den Erneuerbaren zu fordern.
Doch nicht nur Kritiker eines zügigen Solaraustromausbaus positionierten sich, sondern auch Befürworter. Der Bundesverband Solarwirtschaft verwies schon im Vorfeld auf neue Berechnungen, die belegten, dass ab 2012 jedes installierte Gigawatt Photovoltaikleistung die EEG-Umlage nur noch um 0,03 Cent je Kilowattstunde erhöhe. Die Solarenergie sei damit nicht länger als „Buhmann für steigende Strompreise“ geeignet.
Damit lag der Bundesverband Solarwirtschaft ziemlich richtig, wie die Zahlen vom 14. Oktober zeigen. Aber istdamit die Diskussion wirklich beendet? Mitnichten – das zeigen die Reaktionen auf die Verkündung der neuen Umlage.
Die Frontlinien verlaufen sogar quer durch die Regierung, wie die Äußerungen von Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU und seinem FDP-Wirtschaftskollegen Philipp Rösler zeigen. Der Brüderle-Nachfolger erkennt zwar an, dass es sich in diesem Jahr um eine moderate Steigerung handelt, doch sein Fokus ist auf die künftige Entwicklung gerichtet. Röslers Credo lautet mit Blick auf die Strompreise für Unternehmen und Haushalte: „Weitere Steigerungen müssen vermieden werden.“ Auf Nachfrage verweist das Ministerium auf eine Erklärung der Bundesregierung vom Juni, in der steht: „Es gilt, bestehende Kostensenkungspotenziale auszuschöpfen, so dass die Größenordnung der EEG-Umlage von derzeit3,5 Cent je Kilowattstunde nicht überschritten wird.“ Daher wolle das Wirtschaftsministerium die Entwicklung der EEG-Umlage „sehr genau“ beobachten. Außer Acht gelassen wird dabei, dass einzig die Stromtarife für die privaten Haushalte in den vergangenen Jahren konstant gestiegen sind, während die Kosten für die Industrie weitgehend stabil blieben (siehe Grafik Seite 18).
Umweltminister Röttgen sieht hingegen in der „kaum veränderten Umlage“ bereits einen Erfolg der ergriffenen Maßnahmen. Noch mehr – er spricht aus, was hinter den Zahlen steht. Nicht der Ausbau der Erneuerbaren, die im ersten Halbjahr erstmals mehr als 20 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland decken konnten, haben die Kosten weiter steigen lassen, sondern die sogenannte Liquiditätsreserve. „Ohne diesen Sonderposten läge die Umlage 2012 sogar unter dem derzeitigen Niveau von 3,53 Cent pro Kilowattstunde“, erklärt Röttgen.
Zusatzkosten durch Liquiditätsreserve
Die Übertragungsnetzbetreiber haben diesen Liquiditätspuffer, der verhindern soll, dass das EEG-Konto durch die Auszahlungen der Vergütung ins Minus rutscht, erstmals mit eingerechnet. Dabei ist zweifelhaft, ob dies überhaupt rechtmäßig ist. Denn erst die zum Jahreswechsel in Kraft tretende EEG-Novelle und der damit verbundene Ausgleichsmechanismus sieht diesen neuen Passus vor. Die Übertragungsnetzbetreiber haben dazu eigens ein Rechtsgutachten anfertigen lassen. Ein Umstand, der nicht nur die Erneuerbaren-Branche umtreibt. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) und der Bund der Energieverbraucher beziffern die Zusatzkosten durch die Liquiditätsreserve bei der EEG-Umlage 2012 auf 0,1 Cent je Kilowattstunde. Mehr als 390 Millionen Euro haben sich die Übertragungsnetzbetreiber dafür eingerechnet, etwa drei Prozent der prognostizierten Deckungslücke für das kommende Jahr. Der Gesetzgeber gesteht bis zu zehn Prozent zu.
Die Übertragungsnetzbetreiber berufen sich darauf, dass allein die Verkündung der EEG-Umlage 2012 in diesem Jahr erfolgt, die Einrechnung der Liquiditätsreserve aber rechtmäßig sei, weil diese im kommenden Jahr eine geltende Vorschrift sei und damit angewendet werden müsse. Zudem reduziere sich damit der Kreditbedarf, was sich wiederum langfristig positiv für die Zahler der Umlage auswirke. Wann dies allerdings zu erwarten ist, bleibt ungewiss. Der Bund der Energieverbraucher geht spricht dagegen von einer „rechtswidrigen Einpreisung“, die zu Lasten der Endverbraucher gehe. Der Verband hatsogar die Einleitung eines Missbrauchsverfahrens gegen die Übertragungsnetzbetreiber bei den zuständigen Behörden angekündigt.
Doch nicht allein dieser Aspekt lohnt einen genauen Blick auf das Prognosekonzept und die Berechnung der Übertragungsnetzbetreiber. Dort finden sich weitere Zahlen verborgen, die Aufschluss über die Gründe für den Anstieg geben. Denn nicht der weitere Ausbau der Erneuerbaren hat die Kosten erhöht, sondern dass die Lasten auf immer weniger Schultern verteilt werden. Mehr und mehr Unternehmen verabschieden sich aus der Gruppe der Umlagezahler.
So haben viele Unternehmen die Übergangsregelung beim Grünstromprivileg genutzt. Diese erlaubt ihnen, eine um zwei Cent je Kilowattstunde reduzierte EEG-Umlage zu zahlen. Der Prognose zufolge wird das rund 6,3 Terawattstunden betreffen. Allerdings ist nach BEE-Angaben bislang relativ unklar, wie viele Unternehmen die bis zum Jahresende geltende Regelung in Anspruch nehmen werden. Hinzu kommen noch die 84,7 Terawattstunden, die nach der Prognose der Übertragungsnetzbetreiber 2012 unter den privilegierten Letztverbrauch fallen werden. Dies betrifft den Verbrauch der etwa 650 energieintensiven Unternehmen in Deutschland, die weitgehend von der Umlage befreit sind und lediglich 0,05 Cent je Kilowattstunde zahlen.
Diese Unternehmen profitieren sogar noch doppelt, wie eine Studie des Instituts für Zukunftsenergiesysteme(IZES) im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zeigt. Demnach drücken Wind-, aber vor allem Photovoltaikanlagen massiv die Spotmarktpreise an der Strombörse. Damit würden die energieintensiven Unternehmen, die dort ihren Strom kauften, nochmals „quersubventioniert“. „Die über die EEG-Umlage aber jammernde stromintensive Industrie ist in Wirklichkeit sogar der große Gewinner der EEG-Umlage“, konstatiert Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell angesichts der Studienergebnisse.
Die Tendenz, dass vor allem die Haushalte und mittelständische Unternehmen die Lasten der EEG-Umlage tragen, wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. So ist für 2013 dann noch eine weitere Vergünstigung für die Unternehmen vorgesehen, die nicht ohne Effekte auf die Höhe der EEG-Umlage bleiben wird. Mit der Novelle 2012 werden die Vorgaben für die Energieintensität deutlich gesenkt. Der Mindeststromverbrauch, um in den Genuss der Umlagezahlung von lediglich 0,05 Cent je Kilowattstunde zu kommen, wird von 100 auf 10 Gigawattstunden jährlich gesenkt. Welche Zusatzkosten dies verursachen wird, ist noch nicht ganz klar. Die Schätzungen bei Politik und Verbänden bewegen sich zwischen 300 und 500 Millionen Euro Umlagekosten, die auf die nichtprivilegierten Letztverbraucher abgewälzt werden, ohne dass dafür eine neue regenerative Anlage in Betrieb gegangen ist. Die EEG-Umlage könntesich damit um weitere 0,1 Cent je Kilowattstunde erhöhen, wie eine Antwort des Umweltministeriums auf eine Frage des Grünen-Politikers Fell zeigt.
Obwohl es ein gutes Wind- und Sonnenjahr ist, wie der hohe Anteil Erneuerbarer an der Stromerzeugung zeigt, sagt BEE-Sprecher Daniel Kluge: „Eigentlich hätte die EEG-Umlage 2012 auf etwa 3,3 Cent je Kilowattstunde sinken müssen.“ Dies ist vor allem mit den unzutreffenden Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber wie beim Zubau der Photovoltaik in diesem Jahr zu begründen. Allerdings seien nicht alle Effekte eingetreten, die zu einem Sinken der EEG-Umlage führen können. So sei der Strompreis – wie von Gegnern der Energiewende gern prophezeit – nicht deutlich gestiegen, obwohl phasenweise mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke abgeschaltet waren. „Ein steigender Strompreis führt automatisch zu sinkenden Kosten bei den EEG-Vergütungszahlen“, sagt Kluge.
Für das Jahr 2012 stimmen zumindest die Erwartungen für den Zubau zwischen den großen Netzbetreibern und dem BEE weitgehend überein. Allerdings kommen dann andere Aspekte zum Tragen, deren Folgen für die weitere Entwicklung der EEG-Umlage noch nicht abschätzbar sind. So ist auch unklar, welche Auswirkungen die neue Marktprämie haben wird. „Mit dieser massiven Ausweitung der Ausnahmeregelungen steigt natürlich auch die Gefahr, dass die EEG-Umlage im kommenden Jahr weiter steigt“, warnt der BEE-Sprecher.
Das Bundeswirtschaftsministerium lässt die Frage unbeantwortet, wie die EEG-Umlage bei maximal 3,5 Cent je Kilowattstunde gehalten werden soll, wenn immer weniger Stromkunden die Lasten tragen und sich die Industrie auf breiter Front aus dem Kreis der Umlagezahler verabschiedet. Wie sich eine Umlage von höchstens 3,5 Cent je Kilowattstunde mit den postulierten Ausbauzielen der Bundesregierung für die Erneuerbaren verträgt – dazu will sich Ministeriumssprecher Tobias Pohl dann auch nicht äußern und verweist lieber an seine Kollegen aus dem Umweltressort.
Nach der Verkündung ist vor der Verkündung – nun warten alle Seiten gespannt auf den 15. November. Dann werden die Übertragungsnetzbetreiber ihre neue Mittelfristprognose für die weitere Entwicklung der EEG-Umlage vorlegen.
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