Masse mit Klasse

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Alle 35 Sekunden schwenkt der Roboterarm zum Glasvorrat und bringt die Sauggreifer in Position – senkrecht zur Glasscheibe. Die greifen zu und sichern ihre schwere Fracht mit Hilfe des Vakuums, das sie zwischen sich und dem Glas aufbauen. Ein kaum merklicher Ruck, die Scheibe schwebt durch die Luft Richtung Waschanlage. Kurz davor wird sie vorsichtig abgesetzt. Die Greifer lassen los. Und während die Scheibe in der Anlage verschwindet, schwenkt der Roboterarm zurück zum Glasstapel. Schräg nebenan – fast am Ende der Produktionslinie – ein ähnliches Spiel. Dort saugen sich die Greifer eines weiteren Knickarm-Roboters am fast fertigen Solarmodul fest, um es für die Rahmenstation rundum mit Klebeband versehen zu lassen. Hier wie für die gesamte Linie gilt allerdings ein 70-Sekunden-Takt.
„Es ist notwendig, dass die Glaswaschanlage schneller läuft als die gesamte Modullinie“, erklärt Andreas Blochel, Leiter Fertigungs- und Prozesstechnologie der Freiburger Solar-Fabrik. Andernfalls würden am Lay-up Glasscheiben fehlen, da drei Stringer parallel die Solarzellen miteinander verschalten. Zuvor machen die Scheiben noch an der Folienschneidanlage Halt, um sich per Roboter die erste Folie aus Ethylenvinylacetat (EVA) auflegen zu lassen. Nach dem Lay-up geht es ohne Verzug weiter im Takt. Fast ausnahmslos automatisch und relativ flott: Vom Einschleusen der Solarzellen in den Stringer bis zum Verpacken der fertigen Module dauert es keine Dreiviertelstunde.
Mit der jetzt realisierten ersten Ausbaustufe im Werk III erhöht der Solarkonzern seine Produktionskapazität um 60 Megawatt. Der neue Standort verdoppelt nicht ganz den bisherigen Output der beiden anderen Werke, die zusammen 70 Megawatt erreichen. Doch in der 15.000 Quadratmeter großen Halle im Freiburger Industriegebiet Hochdorf ist leicht zu erkennen, dass das nicht das Ende der Ausbaustrategie sein kann: Der jetzt noch freie Raum nimmt ohne Probleme zwei weitere Modullinien auf. Die Pläne dafür liegen bereits in der Schublade. Im nächsten Jahr soll es weitergehen, und am Ende könnten bis zu 200 Megawatt jährlich vom Stapel laufen.

Nur mit Konzept

Aufgrund der weltweiten Produktionsengpässe in den letzten Jahren war die Entscheidung für einen Ausbau unerlässlich. Doch selbst in der momentanen ruhigeren Phase erweist sie sich als richtiger Schritt. Denn mit dem Entschluss stand auch fest, dass nur hochautomatisierte Modullinien im neuen Standort einziehen sollten. Den dafür erforderlichen Investitionskosten stehen die Einsparungen auf der Personalseite gegenüber.
Nur halb so viele Mitarbeiter an der Linie wie in den anderen Werken: Das rechnet sich – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Damit die Rechnung tatsächlich aufgeht, bedarf es allerdings eines durchdachten Automatisierungskonzepts. Es muss unter anderem Folgendes festlegen: das grundsätzliche Layout der Linie einschließlich der notwendigen Kontroll-, Hand- und Nacharbeitsplätze, den Takt der einzelnen Stationen und die Anzahl der dazu erforderlichen Maschinen, das Zusammenspiel von Robotern mit Transport-, Produktions- und Überwachungssystemen sowie Position und Art der automatischen Prüf- und Kontrollsysteme. Auch die Anzahl und Position der Pufferstationen spielt beim Automatisieren eine wichtige Rolle. Gezielt platziert, sorgen sie dafür, dass kleinere Störungen den Betrieb nicht nachhaltig blockieren können.
„Wir haben hier zum ersten Mal im großen Maß automatisiert“, sagt Blochel. „Bei den neuen Automatisierungsaufgaben wie Querverlöten und Dosensetzen wussten wir zwar, worauf es hinsichtlich Prozesssicherheit und Qualität ankommt.“ Um das in einer automatischen Linie umzusetzen, dafür fehlte aber die Erfahrung. „Daher haben wir uns einen Projektpartner gesucht, der mit Beispielen sein Know-how in der Prozessautomatisierung belegen konnte.“ Das konnte er. Denn als vor eineinhalb Jahren Reis Robotics den Zuschlag erhielt, hatte der Systemlieferant aus Obernburg bereits eine Vielzahl von Automatisierungslösungen in der Modulproduktion realisiert.
Allerdings sollte Reis Robotics nicht als Generalanbieter agieren. Bei den Kernprozessen – Stringen, Laminieren und Flashen – wollte die Freiburger Solar-Fabrik ihr langjähriges Prozess-Know-how einbringen. „Für die Wirtschaftlichkeit der Linie sind die Kernprozesse ganz entscheidend“, weiß der Technologieexperte des badischen Modulproduzenten. „Wir kennen die Maschinen, die wir für das neue Werk ausgewählt und bestellt haben und sind von ihrer Qualität und Leistungsfähigkeit überzeugt.“ Reis Robotics oblag es, die Maschinen elektronisch, software- und datentechnisch sinnvoll in das Anlagenkonzept einzubinden. Für Steffen Günther, während des Projekts Hauptansprechpartner von Blochel und Leiter Vertrieb Solar beim Roboter- und Anlagenbauer, war das „eine ganz normale Herausforderung“. Zum einen, weil diese Art von Projekt schon öfters auf der Agenda des Automatisierers stand – jedoch teilweise mit niedrigerem Automatisierungsgrad. Zum zweiten kennen er und seine Kollegen die Besonderheiten der Maschinen. Schließlich zählen deren Hersteller zu den Unternehmen, mit denen sie in anderen Projekten regelmäßig zusammenarbeiten.
Die neuen Stringer beispielsweise lieferte der zur Schweizer 3S-Gruppe gehörende Maschinenbauer Somont aus Umkirch. „Für unsere Kunden steht eine niedrige Bruchrate ganz oben auf der Anforderungsliste“, sagt Gregor Reddemann, der im Unternehmen das neue Service- und Technologiezentrum in Freiburg leitet. „Das berücksichtigen wir beim Maschinendesign. Es muss gewährleistet sein, dass Bruch- und Fehlerrate so klein wie nur möglich ausfallen.“ Dass das gelungen ist, zeigt der Vergleich von Alt zu Neu beim Freiburger Kunden: Die Zellbruchrate hat sich im neuen Werk erheblich reduziert.
Verantwortlich für geringeren Bruch ist zum einen das automatisierte Lötsystem, in dem ein spezieller Lötkopf arbeitet. Es ermöglicht, selbst 160 Mikrometer dünne Solarzellen zuverlässig und ohne hohen Temperaturstress zum String zu verlöten. Dazu werden die Zellen plus Lötbändchen über mehrere computergesteuerte Heizzonen hinweg aufgeheizt und nach dem Löten ebenso kontrolliert abgekühlt. Das reduziert die gefährliche thermische Belastung. Sie bleibt während des gesamten Lötvorgangs minimal. Die Bruchrate sinkt zudem, weil die Entwickler das Aufnehmen und Platzieren der empfindlichen Zellen auf ein Minimum reduziert haben. Nachdem die Zellen automatisch eingeschleust, vereinzelt und gereinigt sind, positioniert sie ein Roboter auf den vorbereiteten Lötbändchen. Er wird von einem mit Kamera ausgestatteten Vision-System gesteuert, das auch das millimetergenaue Ausrichten der Zellen überwacht. Auf dem Weg hin zum Lötkopf und nach dem Löten bleiben sie unbewegt. Denn ein Förderband bringt diese von Station zu Station.

Mensch plus Maschine

Von einer Rollenbahn schiebt sich eine mit EVA-Folie und Strings bestückte Glasscheibe auf den Arbeitstisch einer Werkerin. Die nimmt das Ganze in Augenschein und überprüft die Abstände der Strings sowie die Kanten der Zellen. Sie hat nichts zu beanstanden. Deshalb schiebt sie die Scheibe weiter: auf die Rollenbahn, zum Querverlöten. Üblicherweise findet das an Handarbeitsplätzen statt – in Freiburg wären dazu vier bis fünf Mitarbeiter beschäftigt. Stattdessen steht hier eine übermannshohe graue Kabine. Ein gelb-schwarzer Aufkleber warnt: „Vorsicht Laser“. Vom darin stattfindenden Lötvorgang ist nichts zu sehen. Zwei Bildschirme an der Seite signalisieren: Hier wird gearbeitet. Und: Hier wird der Prozess automatisch überwacht.
„Damit der Laser den Kreuzungspunkt von Busbars und Querverbindern genau trifft, haben wir ein Vision-System integriert“, erläutert Günther das, was auf den Bildschirmen aufleuchtet. Darüber hinaus überwacht und dokumentiert eine in die Anlagensteuerung integrierte Prozesskontrolle jeden einzelnen Lötpunkt. Die exakte Temperatur ist dabei von besonderem Interesse. Schließlich soll das eigens dafür entwickelte Laser-Lötsystem nicht nur die Produktionszeit verkürzen. „Wir konnten damit auch den Ausschuss und die manuelle Nacharbeit reduzieren.“ Eventuell vorkommende Fehllötung erkennt die Prozesskontrolle und zeigt sie auf einem Monitor direkt an. Der befindet sich an einem nachgeschalteten Kontroll- und Handarbeitsplatz, wo unverzüglich nachgelötet werden kann.
Im Anschluss an das Querverlöten und das Auflegen der zweiten EVA- und der Deckfolie sind mehrere Handarbeitsplätze positioniert. Hier fädeln Mitarbeiter die Kontaktbändchen durch die Schlitze der Folienlagen. Zwar ließe sich diese Arbeit ebenfalls automatisieren. Doch die Systeme dafür kommen erst jetzt auf den Markt. Deshalb blieb es bei der Handarbeit. Neben dem Arbeiten im Takt sind hier Konzentration und Präzision ganz besonders gefragt. Denn schlecht positionierte Kontakte könnten den Roboter beim Dosensetzen irritieren. Gesteuert von einem Vision-System biegt er die Kontakte nach oben, setzt dann die Dose auf die vorgesehene Position und wechselt das Werkzeug, um zu schweißen. Schweißt er nur ungenau, so signalisiert ein Kontrollsystem: Schweißfehler. Und bis zum Beheben der Störung bleibt die Anlage stehen. Vermeiden lässt sich das nur mit einer guten Zusammenarbeit von Mensch und Maschine.

Daten für Produktivität

Vor dem Messen der Leistungswerte – dem Flashen – unterziehen Mitarbeiter jedes Modul einer letzten ausgiebigen Sichtkontrolle. Warum das nicht Sensoren, Kameras und Rechner übernehmen, dafür gibt es gute Gründe. Sie gelten genauso an den anderen Kontrollplätzen, an denen Augen statt Automaten prüfen. Kevin Reddig ist überzeugt: „Am menschlichen Auge als Kontrollinstanz wird sich auf absehbare Zeit selbst in hochautomatisierten Linien nichts ändern.“ Der Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, konzentriert sich auf die Automations- und Produktionstechnik in der Photovoltaik. „Untersuchungen belegen, dass Augen mehr Fehler entdecken, als jedes noch so leistungsfähige Kontrollsystem.“ Letzteres kann nur die Fehler erkennen, die es zuvor per Training gelernt hat. Das Auge ist da weitaus flexibler.
Dagegen stechen Elektronik und Software den Menschen beim Datensammeln eindeutig aus. Verwertbare Daten fallen in einer automatisierten Modullinie pro Stunde mehr als genug an. Für Reddig ist klar: „Ein Teil des Produktivitätsgewinns beim Automatisieren liegt in der Kontrolle der Prozesse.“ Im Klartext heißt das, im Interpretieren der Daten und im dann passenden Reagieren. Wenn dann noch per Barcode jeder Baustein eines Moduls gekennzeichnet ist, ein Daten-Tracking die Rückverfolgbarkeit der Teile und Arbeitsschritte gewährleistet und alle Betriebsdaten per Software in einem Leitstand verdichtet und aufbereitet werden, sorgt das für Transparenz in der Produktion.
Dann wissen die Verantwortlichen nicht nur, wo wann welche Materialcharge eingesetzt, welcher Output gefahren und welche Fehlerrate produziert wurde. Sie wissen das auch noch in beispielsweise 25 Jahren – entsprechende Archivierung vorausgesetzt.In Werk III hat sich die Solar-Fabrik nicht nur fürs Automatisieren entschieden. Auch auf das, was seit der Inbetriebnahme im März dort produziert wird, hat man sich festgelegt. In den nächsten Jahren soll hier in einer Fünf-Tage-Woche ausnahmslos der größte Modultyp SF 200 vom Band laufen. Für wirtschaftliches Automatisieren ist solch eine Einschränkung unerlässlich. Doch die Freiburger befürchten nicht, dass ihnen dadurch die bisherige Flexibilität verloren geht. Schließlich gibt es noch die beiden anderen Werke: Und die sind teilautomatisiert.

Zukunftsfest

Selbst ein Zelltypwechsel – beispielsweise hin zur Rückkontaktzelle – würde die neue Produktionslinie nicht langfristig lahmlegen. Blochel ist sich sicher: „Wir können hier auch Rückkontaktzellen verarbeiten,“ nach einem etwas größeren Umbau. Steffen Günther sieht das genauso und präzisiert: „Wenn die Umstellung effektiv sein soll, wird man wohl im Umfeld Stringer – Lay-up – Querverlöten einiges erneuern müssen.“ Wie viel, das hängt vom jeweiligen Rückkontaktierungs-Konzept ab. Für den von seinem Unternehmen gemeinsam mit dem Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH) und weiteren Partnern entwickelten Prototypen zum „Auf-Laminat-Laserlöten“, Atlas genannt, wäre allerdings ein einschneidender Schritt notwendig. Dieses Konzept benötigt keinen Stringer.
Doch kurzfristig erwarten die meisten Modulhersteller keine grundsätzlichen Änderungen beim Zelltyp und Modulaufbau. Wobei es durchaus Bedarf dafür gebe, meint Reddig, insbesondere wenn es ums Optimieren der Automatisierungslösung gehe. „Rund um Stringen, Tabben, also Kontaktieren und Lay-up, ist alles noch nicht so schön im Fluss.“ Aber jeder neue Prozess, jede Änderung am Modul muss sich zunächst in der Praxis beweisen. „Die Modulhersteller sind da verständlicherweise sehr konservativ. Schließlich müssen sie die 20- bis 25-jährige Garantie erfüllen.“ Da wollen sie sicher sein, dass die Module tatsächlich halten. Vor allem, wenn sie die in großer Stückzahl produzieren. Trotz der umfangreichen Tests lässt sich nur annähernd abschätzen, was in 20 Jahren draußen mit den Modulen passiert. Innovationen haben es in diesem Umfeld ziemlich schwer.

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