Man kann nun wirklich nicht sagen, dass es keine neuen Lösungen gebe. Das zeigt allein schon der Blick auf den pv magazine award. Florian Meyer-Delpho hilft zum Beispiel mit Greenergetics Stadtwerken, ihre Vertriebswege zu revolutionieren und die der Photovoltaik gleich mit (Seite 6). Holger Laudeley saniert ein 70er-Jahre-Haus energetisch, installiert Photovoltaik und KWK und implementiert Mieterstrom. Die Mieten bleiben konstant, und der Strom wird billiger – das ist eine Beteiligung der Menschen ohne eigene Dachflächen an der Energiewende, was von vielen seit Jahren gefordert wird (Seite 4). Ähnliches schafft die Energiegenossenschaft Egis. Sie baut immer noch Anlagen und lässt Bürger an den Entscheidungen und am Gewinn teilhaben.
Das sind nur die letzten drei Preisträger des pv magazine awards. Bei vielen geht es um Beteiligung, sei es von Mietern, Bürgern oder Stadtwerken, die in Zeiten der Energiewende dringend neue Erlösmodelle brauchen und ein Standbein mit erneuerbaren Energien aufbauen müssen.
Es gibt natürlich noch viel mehr Innovationen, so viele, dass es schwerfällt zu entscheiden, welche davon zu Lösungen für die Energiewende werden sollten und welche nicht (die Preisträger des pv magazine award finden Sie übrigens unter www.pv-magazine.de/award).
Die Energiewende zerstört zunehmend die alten Strukturen und Geschäftsmodelle. Das gilt nicht nur für die alte Energiewirtschaft, sondern auch für die Solarunternehmen, wie der darniederliegende Markt zeigt. Holger Krawinkel, Leiter des Bereichs Customer Experience und Innovation bei MVV, sieht das als disruptive Entwicklung, für die es einen bekannten Verlauf gibt. Zunächst funktionieren die alten Geschäftsmodelle noch, doch die Gewinne sinken. Wenn die Unternehmen nicht aufpassen, verpassen sie den Absprung in die neue Zeit.
Inken Braunschmidt, Leiterin des RWE Innovation Hub wurde vom energypost.eu per Twitter gar zitiert mit: „Wir wollen das Uber für Energie sein.“ Sie meint damit, dass sie auf der Suche nach ähnlich disruptiven digitalen Businessmodellen ist. Dabei ändern sich auch die Kooperationsmodelle des Energiegiganten. „Früher wollten wir immer, dass es unser IP ist“, erklärt Braunschmidt auf einer Konferenz von Kic InnoEnergy im September in Berlin. Heute seien sie offen für alle Arten der Zusammenarbeit. Über sie könnten junge Unternehmen Zugang zu den 23 Millionen Stromkunden des Unternehmens bekommen, sie könnten in Lizenzierungsmodellen kooperieren oder es gebe auch direkte Investments. So kooperiere RWE zum Beispiel mit Bidgeley aus Kalifornien, das Analysetools für Verbrauchsdaten von Privatkunden entwickelt, und Nest, das durch den Einstieg von Google weltbekannt wurde.
Technologieentwicklung ist die Basis
Auch wenn Geschäftsmodelle gerade besonders gefragte Innovationen sind, stehen dahinter anspruchsvolle technologische Entwicklungen. Getrieben wird der Wandel zum Teil von der rasanten Kostenreduktion bei Photovoltaik und Speichern (siehe Roundtable Speicher, Seite 42) oder zum Beispiel von den Möglichkeiten der Digitalisierung. Die Geschäftsmodelle mögen teilweise einfach aussehen. Doch dahinter stehen hochkomplexe Daten-Infrastrukturen und -Analysemethoden. Mögliche Schaufensterregionen machen sich gerade startreif, zu zeigen, was in der neuen Energiewelt alles möglich ist. Und zwar unabhängig von dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung, der auf viel Kritik stößt (Seite 35). Wie wichtig die Technologie ist, zeigt auch die Diskussion um die Haltbarkeit von Photovoltaikanlagen, die das Thema des zweiten Schwerpunkts dieser Ausgabe ist (Seite 52).
Es ist alles andere als klar, wie genau die neue Energiewelt aussehen wird. Die Erzeugung wird zwar dezentraler sein als heute. Aber wie dezentral, das ist die Frage. Eine viel beachtete Studie zum zellularen Ansatz ist eher der Startpunkt einer Betrachtung als der Endpunkt. Sie listet akribisch für verschieden große Einheiten beginnend mit einem einzelnen Haus auf, wie sie mit Strom, Gas oder einer Kombination versorgt werden können (pv magazine September 2015, Seite 26).
Hier wird dann deutlich, dass auch die Politik mitzureden hat. Die neuen Geschäftsmodelle hängen nicht nur von den technologischen Entwicklungen ab, sondern auch von den regulatorischen Rahmenbedingungen. Das gilt besonders beim Eigenverbrauch oder, etwas weiter gefasst, in Bezug auf den weitgehenden Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch auf lokaler Ebene, sei diese das Haus, die Straße oder die Stadt.
Kampf um den Eigenverbrauch
Der Eigenverbrauch steht nämlich nicht nur unter Beschuss, sondern er wird auch immer wieder infrage gestellt. Im Eckpunktepapier für das EEG, das nächstes Jahr novelliert wird, dürfen Anlagen mit Eigenverbrauch nicht an den Ausschreibungen teilnehmen. Derzeit liegt die Grenze, ab der Anlagen ausgeschrieben werden sollen, bei über einem Megawatt. „Doch es besteht die Gefahr, dass diese Grenze im parlamentarischen Verfahren gesenkt wird“, sagt Carsten Pfeiffer, Leiter für Politik beim Bundesverband Erneuerbare Energie.
Auch der Entwurf des Leitfadens zur Eigenversorgung der Bundesnetzagentur ist geeignet, weiter Unsicherheit zu verbreiten. Sie interpretiert das EEG so, dass die anteilige EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch bei Photovoltaikanlagen über zehn Kilowatt doppelt zu entrichten sei – einmal beim Einspeichern, einmal beim Ausspeichern. Das wäre der zweite Schlag innerhalb von einem Jahr, nachdem damit begonnen wurde, die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch bei den Anlagen über zehn Kilowatt einmal zu entrichten. Immerhin tut sich da noch etwas: „Wir sind zuversichtlich, eine Lösung mit dem BMWi zu finden, da diese Doppelbelastung auch vom Gesetzgeber nicht vorgesehen war“, sagt der Pressesprecher des Bundesverbandes Solarwirtschaft.
Es ist schwer abzuschätzen, was sich bei den Gesetzen auf dem Weg durch Kabinett, Bundestag und Bundesrat noch tun wird. Ein Großteil derjenigen, die sich früher gegen den Eigenverbrauch und kleine Anlagen äußerten, hat die Seiten gewechselt: zum Beispiel die Energievertriebe der EVU, die ja zunehmend Photovoltaik und Speicher verkaufen wollen. Auf dem Roundtable Speicher war der Tenor, dass die Heimspeicher, deren Geschäftskonzept Eigenverbrauch ist, keine Gegner haben (Seite 42).
Ein starkes Argument, den Eigenverbrauch nicht zu behindern, ist im übrigen, dass die Menschen den Strom sonst schwarz produzieren und verbrauchen, was auch keiner will. Dann gäbe es nämlich keine Daten darüber. Das wird eher hinter vorgehaltener Hand geäußert. Insgesamt herrscht in der Branche doch der Tenor vor, dass die Menschen Prosumer werden wollen und man sie nicht zu sehr einschränken könne.
Finanzierung des Netzausbaus
Eng mit der Frage des Eigenverbrauchs verbunden ist, wie das Netz und die Aufgaben finanziert werden, die mit Umlagen und Abgaben auf den Strompreis finanziert werden. Holger Krawinkel von MVV sieht das größte Problem im Moment darin, dass viele Entwicklungen nicht wirklich abgeschätzt werden können. Die Investitionsentscheidungen für Windkraft Offshore und Onshore im Norden würden einen starken Netzausbau verlangen. Doch er ist sich sicher, dass der Marktdurchbruch für die Speicher kommen wird, da sie weiter günstiger und ein Konsumgut würden. „Die Speicher sind, was die Netzanforderungen angeht, ein Game Changer“, sagt er. „Wenn sich die Heimspeicher durchsetzen, bekommen wir innerhalb weniger Jahre ein völlig anderes Versorgungssystem und ganz andere Anforderungen an das Netz.“
In der Diskussion ist seit Längerem, die Netzentgelte stärker an die Anschlussleistung zu koppeln. Das hat aber den Effekt, dass Mehrfamilienhäuser einen Vorteil haben und eine, so Krawinkel, spiralförmige Entwicklung einsetzt. „Das würde dann wieder dazu führen, dass Speicher in Kombination mit Photovoltaikanlagen und dezentrale KWK wiederum attraktiver werden“, sagt er. Langfristig könne die Entwicklung dazu führen, dass ähnlich wie im Schienenverkehr das Netz öffentlich finanziert oder pauschal abgerechnet werden muss.
Von der Art, wie die Netze finanziert werden, wird zu einem guten Teil abhängen, welche technischen Lösungen sich durchsetzen. Photovoltaik dürfte immer dabei sein, infrage steht nur der Mix aus Groß- und Kleinanlagen und die Geschwindigkeit des Zubaus.
Ein Beispiel, wie Solarstromanlagen ohne Eigenverbrauch finanziert werden können und der Netzausbau gleich mit, zeigt das Verbundkraftwerk. Dort plant der Projektierer eine Art „Entsorgungsnetz“, das den Strom von einer Reihe erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen ins Höchstspannungsnetz transportiert und sie nach außen wie ein Kraftwerk erscheinen lässt (Seite 31).
Flexibilitäten heben
Technisch dreht sich am Ende alles darum, wie Last und Erzeugung in Einklang gebracht werden können. Befragt nach Hürden für die Energiewende nennt Lars Waldmann, Netzexperte und bis vor Kurzem Projektleiter bei Agora Energiewende, als Erstes die Aufgabe, wie der Markt für „Flexibilität“ so gestaltet wird, dass alle daran teilnehmen können. Dazu müssten die Prognosegüte für die erneuerbaren Energien erhöht und Anlagen, deren Leistungsaufnahme regelbar ist, eingebunden werden. Um den Anreiz zu geben, dass die Betreiber von Flexibilitäten diese auch nutzen, sei es wichtig, dass es ausreichend große Preissignale gebe.
Eine solche Flexibilität sind Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Laut Waldmann könnten sie aber mehr zur Stabilisierung des Stromnetzes tun. Noch orientiere sich die Betriebsführung zu wenig an der Stromproduktion.
Photovoltaik in die Innenstädte
Eine der wichtigsten Hürden der Energiewende, die wir überwinden müssen, ist laut Volker Quaschning, auch die Dachflächen der Innenstädte für Photovoltaik zu nutzen. „Dabei ist hier der Einsatz am sinnvollsten, da kaum ein Leitungsausbau nötig wird“, sagt der Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin.
Wie wenig Photovoltaik in Großstädten installiert ist, zeigt ein Blick auf die Statistiken. In Berlin sind pro Einwohner nur 33 Watt Photovoltaik registriert gegenüber 485 Watt bundesweit. Das liegt laut Quaschning an den ungünstigen Rahmenbedingungen für Mehrfamilien- und Bürohäuser. Bezogen auf die Bodenfläche sieht es zwar gar nicht so schlecht aus. Da sind es 130 Kilowatt pro Quadratmeter gegenüber 110 Kilowatt pro Quadratmeter bundesweit. Es ist aber zu erwarten, das es auf den rund 320.000 Gebäuden viele Dachflächen gibt, die genutzt werden könnten.
Eine Abhilfe können die diversen Mieterstromprojekte sein, die derzeit einen großen Aufschwung erleben (Seiten 24 und 28). Es gibt inzwischen etliche Beispiele, wie Mehrfamilienhäuser mit Photovoltaik gebaut werden können. Viele Städte entwickeln außerdem Masterpläne für den Klimaschutz. Allerdings sind deren Möglichkeiten, den Photovoltaikausbau zu beschleunigen, begrenzt. Die Rahmenbedingungen werden eben auf Bundesebene beschlossen. In Berlin wird dabei diskutiert, die landeseigenen Dachflächen mit Photovoltaik zu belegen und Informationsportale zu schaffen.
Volker Quaschning ist allerdings der Meinung, dass „Politik und Gesellschaft die Probleme der Energiewende und den Klimawandels noch nicht korrekt erfasst haben“. Die vollständig kohlendioxidfreie Energieversorgung sei bis 2040 nötig. „Technisch und finanziell wäre das kein Problem“, sagt er. Dafür bedürfe es aber eines schnellen Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung, da die Grundlastkraftwerke nicht kompatibel seien mit der fluktuierenden Solarstromerzeugung. (Michael Fuhs)
Kasten: pv magazine auf dem Forum Solarpraxis
Wege in die neue Energiewelt am 26. und 27. November in Berlin
Mehr Informationen:www.neue-energiewelt.de
Roundtable Qualität, Donnerstag 16.30 bis 18.00 Uhr, Raum Heine Diskussion von Qualitätsproblemen, die Leser und Teilnehmer im Rahmen der Aktion „Her mit den schwarzen Schafen“ einbringen (powered by Dupont, AEG, Multi-Contact und Accelios Solar). Siehe Seite 54
pv magazine award Publikumspreis, Donnerstag 17.00 bis 18.00 Uhr, Salon Humboldt Was machen die bisherigen von der Jury ausgewählten Sieger? Das Publikum wählt unter ihnen den Gewinner des pv magazine Publikumspreises.
Future PV Forum, Freitag 9.30 bis 11.00 Uhr, Salon Humboldt Das Future PV Forum beschäftigt sich mit Neuentwicklungen in Batterie- und Solarzellentechnologie (powered by Hanwha Q-Cells und Heraeus).
WEEE-Workshop, Donnerstag 12.00 bis 13.00 Uhr Im Workshop werden die wichtigsten Neuregelungen und Fristen zu Rücknahme und Recycling von Modulen und Batterien vorgestellt. Seit 24. Oktober ist das neue Elektrogesetz in Kraft. Inverkehrbringer von Modulen müssen nun reagieren (powered by PVCycle und 1cc). Moderation: Michael Fuhs (Chefredakteur pv magazine Deutschland).
Workshop Energiespeicher, Freitag 14.00 bis 15.30 Uhr Entwicklungen und Trends bei Batteriespeichern, unter anderem mit Winfried Hoffmann (ASE), Volker Wachenfeld (SMA), Andreas Piepenbrink (E3/DC), Johannes Weniger (HTW Berlin). Moderation: Michael Fuhs (Chefredakteur pv magazine Deutschland).
Was können wir von anderen Ländern lernen?, Donnerstag 14.30 bis 16.00 Uhr Ein Blick nach China, USA und Japan. Moderation: Jonathan Gifford (Chefredakteur pv magazine global).
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