Pedro Leitão sitzt viele hundert Kilometer von seinen Kommilitonen entfernt vor seinem Rechner im portugiesischen Viseu, mitten im stillen Durcheinander eines virtuellen Hörsaals. „Wenn die Audioübertragung bei euch klappt, klickt auf den Melde-dich-Button“, hat jemand in eine schmale Chatleiste geschrieben. Rund um den Globus fliegen daraufhin Finger über Tastaturen. Die Antworten blinken in nervösem Stakkato auf Pedros Bildschirm auf. „Hört ihr mich alle?“, hakt eine Frauenstimme nach, die aus Pedros Rechner dringt. „Perfekt“, antwortet Kareem aus Jordanien, bei dem es14 Uhr ist. „Ja“, stimmt Paola aus den USA ein. Bei ihr ist es gerade einmal 7 Uhr morgens. „Bis jetzt höre ich dich nicht, aber ich arbeite dran – ja, jetzt höre ich dich“, kommt von Anna aus Deutschland. In Portugal ist es 13 Uhr, als Pedro klackend einen kollektiven digitalen Händedruck durchs World Wide Web an seine Kommilitonen tippt: „Hallo, alle zusammen“, erscheint auf dem Bildschirm. Die Einführungsvorlesung des MBA Renewables kann beginnen.
Nur wenige Wochen sind vergangen, seit Pedro Leitão begonnen hat, wieder die Hörsaalbank zu drücken. Der Juristgehört zu den ersten Studenten des interaktiven Fernstudienganges „Master of Business Administration – MBA Renewables“ der Beuth-Hochschule für Technik Berlin und der Renewables Academy (Renac), der im Oktober startete. Leitão arbeitet seit Jahren in der Photovoltaikindustrie. Gerade hat er mit weiteren Experten aus der Branche sein eigenes Solarunternehmen in Portugal gegründet: RED – Renewable Energy Developments. Dort ist er für die Geschäftsentwicklung verantwortlich. Insgesamt 12.500 Euro lässt er sich den MBA kosten, 100 Euro pro Semester für die Einschreibung sowie zusätzliche Prüfungsgebühren nicht inbegriffen. Das Geld soll sich lohnen, Leitão verspricht sich viel vom MBA. „Das Management-Know-how kombiniert mit dem Wissen über die Branche, das wir im Studium lernen sollen, werden ein starker Wettbewerbsvorteil auf dem Markt sein.“ Er will das Erneuerbare-Energien-Geschäft weltweit als Ganzes verstehen lernen – ohne aus dem Job auszusteigen.
Hohe Erwartungen
Die Erwartungen an den neuen MBA sind also hoch. Die Stärke des internationalen, akkreditierten Fernstudiengangs ist laut den Organisatoren die Verbindung eines betriebswirtschaftlichen Master of Business Administration mit Fachwissen zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Und die Weiterbildung soll noch sehr viel mehr Bereiche vereinen, versprechen die Verantwortlichen bei der Renac und der Beuth-Hochschule.
So richtet sich der Studiengang zum Beispiel anders als viele Angebote zu erneuerbaren Energien nicht nur an Naturwissenschaftler. Studienkoordinatorin Silja Krösche von der betreuenden Beuth-Fachhochschule erklärt: „Wir wollen Experten aus der Erneuerbaren-Energien-Branche ohne technischen Hintergrund genauso ansprechen wie Ingenieure.“ Erstere sollen vor allem von den Modulen zu Technik, letztere besonders von denen zu Managementwissen profitieren. Deshalb brauchen die Bewerber neben einem erfolgreich abgeschlossenen Studium in erster Linie gute Englischkenntnisse. Sie müssen mit einem Sprachtest belegen, dass sie die Studiensprache beherrschen. Einen Numerus clausus, der den Zugang nach Noten beschränkt, gibt es derzeit noch nicht.
Ingenieure und Quereinsteiger
Trotz der breiten Ausrichtung des MBA arbeiten die meisten der 50 Erstsemester aus 20 Ländern wie Leitão bereits im Bereich der Regenerativen. Bei der Beuth-Hochschule war die Idee zu einem solchen Studiengang denn auch durch eine Untersuchung im Bereich erneuerbarer Energien entstanden. In der Entwicklungsarbeit zu sauberem Strom und grüner Wärme gab es demnach Bedarf nach einem international ausgerichteten Studiengang, der politische, wirtschaftliche und technische Aspekte des Sektors einschließt. Auch beim Bildungspartner Renac häuften sich Anfragen nach einer universitären Weiterbildung zu den Regenerativen, deren Schwerpunkt nicht auf dem technischen, sondern auf betriebswirtschaftlichem Fachwissen liegt.
Profiteure der spezifischen Management-Ausrichtung sind Branchenquereinsteiger wie Hamzeh Buqaei. Der gebürtige Jordanier ist Software-Spezialist und arbeitet seit zwei Jahren in der Schweiz für denSolaranlagenhersteller Oerlikon Solar. Er programmiert dort Kontrollsoftware. Als sein Arbeitgeber ihm vorschlug, seine Managementfähigkeiten mit einem Studium weiter auszubauen, war er entschlossen, dies mit mehr Wissen über seine neue Branche zu kombinieren. „Ich möchte unbedingt mehr über politische Rahmenbedingungen, den internationalen Markt und die Technik erfahren“, sagt er enthusiastisch.
Fachlicher Spagat
Wegen der breiten Zielgruppe muss der Studiengang einen fachlichen Spagat meistern: Die Studieninhalte müssen Bewerbern mit unterschiedlichem Wissensstand aus verschiedenen Ländern gerecht werden. Gleichzeitig soll eine Spezialisierung auf bestimmte Technologien und Märkte möglich sein. Viele der für den MBA eingeschriebenen Studenten sind ausschließlich in einer bestimmten Branche tätig, so steht etwa für Leitão und Buqaei die Photovoltaik im Mittelpunkt.
Tina Völker ist bei der Renac für den MBA zuständig und sich der Herausforderung bewusst. Ihre Bildungseinrichtung war bei der Konzeption beim Thema erneuerbare Energien federführend. „Wir lösen das Problem in erster Linie dadurch, dass Studenten sich in Essays auf spezielle Technologien und Länder spezialisieren können, außerdem haben sie Wahlmöglichkeiten zwischen Modulen“, erklärt sie.
So können die Studenten zwei Technikmodule belegen und als zusätzliche Veranstaltung das Modul Qualitäts- und Supply-Chain-Management wählen. Wer wie der Software-Experte Buqaei praktisches Wissen zu den Technologien erwerben möchte, hat die Möglichkeit, das in einem zweiwöchigen Training bei der Renac in Berlin zu tun. Buqaei wird in diesem Kurs rund ein Viertel der Zeit damit verbringen, mehr über Photovoltaik zu lernen. Daneben wird er im Grund- und Fortgeschrittenenmodul zu Erneuerbare-Energie-Systemen und Energieeffizienz insgesamt 45 Stunden mit Solarstromanlagen zu tun haben.
Insgesamt sind für jedes Modul 150 Stunden eingeplant, um zu pauken, Essays zu schreiben und den Vorlesungen zuzuhören. Wenn Buqaei alle Technikmodule absolviert hat, wird er zum Beispiel wissen, wie er Kennlinien von verschiedenen Modul- und Verschaltungstypen misst und Photovoltaiksysteme dimensioniert.
Buqaei und seine Kommilitonen aus aller Welt sollen sich auch in Betriebswirtschaft, Recht und Politik ihrer Branche und ihren nationalen Zielmärkten spezialisieren können – und trotzdem den internationalen Markt kennenlernen. „Wir arbeiten dazu mit übergreifenden Konstrukten, die dann jeder auf seinen Beispielfall herunterbrechen kann“, erklärt Tina Völker von der Renac. Konkret bedeutet das: Wenn es um die politische Förderung von Regenerativen geht, lernen die Studierenden nicht speziell das deutsche oder das italienische System kennen, sondern die Modelle Einspeisevergütung und Quotenregelung. „Die Theorie wenden die Studenten danach in Case-Studies an“, erklärt Völker. In diesen Hausaufgaben, in Gruppenarbeiten und Aufsätzen sollen sich die Teilnehmer dann auf ihre jeweilige Branche, Technik und das gewünschte Land spezialisieren können.
Das klingt zuerst einmal gut, aber ist das auch möglich? Hamzeh Buqaei hat bereits die ersten Aufgaben für das Modul zu Politik und Recht bekommen und sieht hier die Möglichkeit, direkt beruflich zu profitieren. „Ich möchte für solche Hausaufgaben auch mit meiner Firma Rücksprache halten und über die Märkte schreiben, die für mein Unternehmen relevant sind.“ Für die Recherche wird er sich mit den aktuellen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen der entsprechenden Länder auseinandersetzen. Mehr Realitätsnähe sei nicht möglich, lobt Buqaei.
Flexibilität und Networking
Alltagstauglich muss der MBA auch an anderer Stelle sein: Er soll Beruf und Studium so flexibel verbinden, dass keiner der beiden Bereiche auf der Strecke bleibt. Je mehr Gestaltungsfreiheit beim Lernen besteht, desto stärker wird allerdings meist der innere Schweinehund, den es nach einem harten Arbeitstag zu überwinden gilt. Um beide Herausforderungen zu meistern, haben sich Silja Krösche von der Beuth-Hochschule für Technik und ihre Kollegen bei der Renac ein ausgeklügeltes interaktives, flexibles System ausgedacht.
So können sich die Studenten das multimedial mit Videos, Grafiken und Fotos aufbereitete Lehrmaterial für ihre drei Module pro Semester im Internet herunterladen und dann bearbeiten, wenn es der Beruf zulässt. Dem inneren Schweinehund Beine macht ein Selbsttest am Ende jeder Lektion. Wer nicht gründlich gelernt hat, merkt das schon dann und nicht erst in der Klausur. Außerdem müssen die Studenten am Ende des Semesters schriftliche oder mündliche Online-Prüfungen ablegen – plus einen Test nach alter Hochschulmanier mit Papier und Stift im jeweiligen Aufenthaltsland unter Aufsicht. Auf die Finger schaut den Studenten dabei der Deutsche Akademische Austauschdienst, der weltweitKlausuraufsicht anbietet. Wer beruflich ein Semester oder ein Jahr aussetzen muss, hat auch dazu die Möglichkeit.
Interaktives Lernen
Interaktive Komponenten wie Live-Vorlesungen, bei denen Studenten teils auch mitdiskutieren, sollen zum Lernen motivieren. Auch hier ist für Flexibilität gesorgt: Die Veranstaltungen finden um 14 Uhr deutscher Zeit statt, damit auch die Teilnehmer von den Philippinen, aus China und den USA mitmachen können. Wer aus beruflichen Gründen ausfällt, hat die Möglichkeit, sich später einen Mitschnitt anzusehen. Fragen können die Nachholer jederzeit schriftlich an ihre Professoren stellen. „Wir ermutigen die Studenten stark dazu, ihre Beiträge in den jeweiligen Fachforen zu den Modulen zu veröffentlichen“, sagt Krösche. Dann profitierten alle Studenten von den Antworten der Dozenten. Ein weiteres Element sind Gruppenarbeiten, wie sie die Erstsemester gerade in Bilanzierung vorbereiten. Sie entstehen im Chat und vielleicht auch in virtuellen Hörsälen, in denen Hamzeh Buqaei, Pedro Leitão und ihre Kommilitonen direkt ihr Projekt besprechen können.
Diese Art des Lernens schafft ganz nebenbei ein internationales Netzwerk und verbindet Fachkräfte unterschiedlicher Sektoren miteinander: Chatten istjederzeit möglich, wer online ist und sich austauschen will, zeigt dies an.
„Die unterschiedlichen fachlichen und nationalen Hintergründe sind spannend und ein großer Vorteil, weil alle spezifisches Expertenwissen mitbringen, von dem wir profitieren können“, sagt Buqaei. Das sieht auch sein Kommilitone, der portugiesische Firmenmitbegründer Pedro Leitão so. „Ich hoffe, dass ich die Chance haben werde, in Projekten von Kommilitonen mitzuarbeiten und ihnen ebenso Gelegenheit zur Mitarbeit an unseren Projekten geben zu können.“ Ob das klappt, wird sich zeigen. Gut zwei Jahre liegen noch vor den Erstsemestern, in denen sie ihr Netzwerk stärken und Distanzen virtuell zusammenschrumpfen lassen werden. Auf Hörsaalgröße.
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