„Hi, we are here“

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Wenn die Vorstellungen von Carsten Stöcker Realität werden, werden sich die Geschäftsmodelle vieler großer und kleiner Unternehmen noch drastischer ändern als vielfach erwartet. „Meine Mission ist, Blockchain in die reale Welt zu bringen“, erklärte er Anfang April in London auf einem sogenannten Ethereum-Meet-up. Er arbeitet für den RWE Innovation Hub. Disruption ist das Stichwort, und in diesem Fall hat die Technologie wirklich das Potenzial dazu, insbesondere für den Handel, da sie die Grenzkosten senken soll. „Blockchain ist das perfekte Werkzeug für die Sharing Economy“, sagt er, „um Batterien mit Nachbarn zu teilen, genauso wie Photovoltaikanlagen, autonome Autos und mehr“. Man könne alles miteinander teilen und daher beschäftigten sie sich intensiv mit den Möglichkeiten der Technologie. Die Frage ist allerdings, wer dann damit Geld verdient.
Außerhalb des Energiesektors lässt sich konkreter erahnen, wie sich Verbraucher oder Prosumer damit selbstständig machen können. Man stelle sich ein alternatives Airbnb vor, an dem die Plattform nicht von jeder Buchung 10 bis 15 Prozent Gebühren kassiert. Das Internet hat die Plattformen hervorgebracht, die nötig sind, um online Vertrauen herzustellen und sich dies bezahlen lassen. Auch den „Uber-Killer“ gibt es schon. „Wenn wir zwei Milliarden US-Dollar Umsatz erreichen, wird es nicht in die Taschen von Investoren oder einer Unternehmenshierarchie gehen“, sagt Christopher David, Gründer von Arcade City, in einem Interview im Cointelegraph.
Irgendjemand wird natürlich trotzdem zahlen müssen. Die Frage ist hier, wer und wie viel.
Die Blockchain-Technologie ist nicht neu. Doch neu ist, wie sie abseits der Krypto-Währung Bitcoin, die auch damit funktioniert, in andere Branchen kommt. Noch letztes Jahr habe er davon in der Energiebranche gesprochen und sei angeschaut worden „wie ein Turnschuh“, sagt Tobias Federico, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsinstituts Energy Brainpool im Interview mit pv magazine zu den Implikationen für die Energiewirtschaft (Seite 36). Der Blockchain-Tag der Solarpraxis Neue Energiewelt habe sehr viel Bewegung reingebracht. „Ich war sehr erstaunt, wie viele von meinen Bestandskunden sich schon einmal mit diesem Thema beschäftigt haben.“
Anwendung Ladesäule
„Hi, we are Blockcharge“ – damit beginnt das Video, mit dem sich ein Projekt vorstellt, das das Laden von Elektroautos revolutionieren soll. Es gehört zu Carsten Stöckers Universum, über das bisher wenig nach außen dringt. Es gibt ein Foto einer Ladesäule im Labor, die von außen aussieht wie viele, die es inzwischen im Straßenbild gibt. Aus dem offenen Gehäuse hängen einige Kabel und sie ist so modifiziert, dass sie ohne direkten Vertrag autorisiert und automatisiert per Blockchain Zahlung und Beladung abwickeln kann. „Das ist unser funktionierender Prototyp, und erste Ladetransaktionen werden über die Blockchain abgewickelt“, sagt Stöcker.
Die avisierte Entwicklungskurve ist steil. Die Idee ist, dass das in Zukunft an beliebigen, leicht zu installierenden Blockcharge-Steckdosen oder Ladestationen geht, in fernerer Zukunft sogar automatisiert über Induktionsschleifen, wenn das Auto an einer Ampel hält. „Wir glauben, wir können eine hochwertige Endkunden-Erfahrung schaffen“, sagt Stöcker auf dem Londoner Ethereum-Meet-up im April.
Solarstrom an Nachbarn liefern
Für Solaranlagenbesitzer sind die Konzepte noch nicht ganz so visionär, doch sie gehen in eine ähnliche Richtung. Andreas Szinovatz und Martin Berger eruieren, wie Solaranlagenbetreiber und Stromverbraucher zusammenkommen können. Sie arbeiten für itp, einem Beratungsinstitut für Banken, und beschäftigen sich daher schon länger mit Blockchain. Mit der Technologie kann es möglich werden, dass sie über eine weitere Plattform zusammenkommen und dann einen Smart Contract schließen. Danach spielt sich das Vertragsverhältnis in der Blockchain ab. In einer einfachen Variante probieren sie bereits ein solches Programm im Ethereum-Testnetz. In mittlerer Zukunft könnten Zahlungen an die Smart Meter gekoppelt werden, sodass sie dann automatisiert ausgelöst werden, wenn der Erzeuger in dem Moment produziert, in dem der Verbraucher verbraucht – ganz ohne, dass ein Vertrieb dazwischen sitzt und mitverdient. So wie es aufgesetzt ist, wäre das ohne physikalischen Effekt und ist eine reine Spende für die, die in der Nachbarschaft Solarstrom produzieren. „Doch wenn sich der Strommarkt öffnet, kann es einen Peer-to-peer-Stromhandel geben“, sagt Senior Consultant Martin Berger. Ein solcher hat allem Anschein nach auch schon stattgefunden. In Brooklyn meldete das Start-up Transactive Grid im Frühjahr eine solche Aktion.
Der Guerilla-Faktor
Man mag sich fragen, was an den Vorhaben besonders sein soll. Gibt es doch bereits unzählbar viele Plattformen, auf denen Akteure Geld gegen Produkte oder Dienstleistungen handeln können. Doch diese haben einen zentralen Akteur, und die Sicherheit der Transaktionen hängt von dessen Vertrauenswürdigkeit ab. Blockchain soll vertrauenswürdigen Handel möglich machen, ohne dass es einen dieser Aufpasser braucht.
Welchen Effekt das haben kann, zeigt zum Beispiel Bitcoin. Die Krypto-Währung basiert auf einer Blockchain. Eine Währung lebt von ihrer Vertrauenswürdigkeit. Es wird nicht von einer Zentralbank oder anderen zentralen Institution festgelegt, wie neue Bitcoins erzeugt werden, sondern ist durch Regeln fixiert, die mit wenigen Ausnahmen unveränderlich sind. Das soll einen Betrug ausschließen, bei dem Überweisungen getätigt werden, ohne dass die Überweisenden einverstanden sind. Inzwischen sind alle existierenden Bitcoins 9,6 Milliarden US-Dollar wert, wenn man mit dem an den speziellen Bitcoin-Börsen derzeit gültigen Umtauschkurs von 605 US-Dollar pro Bitcoin rechnet.
Die Revolution wird klarer, wenn man sich ihre Konsequenzen vor die Augen führt: Keine Zentralbank kann entscheiden, wie viel neue Einheiten ausgegeben werden. Es kann auch nicht lokalisiert werden, wo die Bitcoins sind. Denn in der Blockchain sind zwar alle Transaktionen gespeichert, aber verschlüsselt. Daher auch der Guerilla-Charakter. Im Prinzip bekommt es niemand mit, wenn man sich gegenseitig Solarstrom verkauft – nur dann, wenn dieser durch das Stromnetz geleitet wird. Das ist übrigens einer der großen Unterschiede der Anwendungen in der Energiewirtschaft zu anderen Anwendungen: Die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit müssen gewährleistet sein, was den Guerilla-Faktor wieder einschränkt. In der Energiewirtschaft gibt es auch keinen Parallelbetrieb – man kann nicht einfach mal ein zweites System im gleichen Stromnetz etablieren und langsam wachsen lassen, wie etwa Bitcoin im Vergleich zu Euro oder Dollar.
Ethereum geht weiter als Bitcoin
Bitcoin ist nur die wohl bekannteste von etlichen Blockchain-Anwendungen. Eine Stufe weiter als Bitcoin geht Ethereum und das darauf aufgesetzte DAO. Ethereum ging vor rund einem Jahr im Oktober an den Start. Es verknüpft seine Krypto-Währung „Ether“ mit sogenannten „Smart Contracts“. Diese Verträge sind in der Blockchain hinterlegt und fixieren, unter welchen Umständen Transaktionen ablaufen – so wie etwa bei Blockcharge und bei Transactive Grid. Das ist wie gemacht für neue Geschäftsmodelle. „Ether gibt es schon im Wert von über 970 Millionen Euro“, sagt Simon Göß, Consultant bei Energy Brainpool.
Auf dem Foto aus Stöckers Labor liegt vor der Ladesäule Simon Jentzsch. Er ist Gründer und CTO von Slockit, einem Start-up aus Mittweida, das mit RWE zusammenarbeitet. Er hat mit seinen Kollegen das Geschäftsmodell für neue Geschäftsmodelle entwickelt, die DAO, die digitale autonome Organisation. Sie hat das Potenzial, die Disruptoren im Silicon Valley zu „disrupten“, schrieb die Zeit dazu. Sie hat Ether in Höhe von rund 150 Millionen Dollar von etwa 11.000 Investoren akquiriert. Es entscheiden nicht Verantwortliche von VC-Firmen darüber, wer das Geld bekommen soll, sondern diejenigen, die in der DAO ihr Geld angelegt haben. Im Smart Contract ist hinterlegt, wie die Geldgeber abstimmen, in welche Unternehmen und Projekte das Geld investiert wird.
Von Mineuren und dem Wettkampf um die Entlohnung
Von selber funktioniert allerdings auch die Blockchain nicht. Sie ist eine Kette von Blöcken, in denen sämtliche Transaktionen und im Falle von Ethereum auch die Regeln abgelegt sind. Jeder folgende Block enthält eine Prüfsumme für den vorangehenden Block – damit fliegen etwaige Manipulationen sofort auf. Diese Blockchain ist bei den Mineuren gespeichert. In vielen Fällen stehen dort allerdings keine Privatpersonen, sondern professionelle Mining-Pools mit speziell ausgelegter Hardware dahinter. So vereinen die sechs größten Mining-Pools schon beinahe 80 Prozent der gesamten Rechenleistung aller Bitcoin-Mineure, sagt Energy-Brainpool-Experte Göß
Die Namenswahl, „Mineure“ bedeutet auf Deutsch „Schürfer“, assoziiert an Goldgräber. Die Mineure können mit der Blockchain nämlich Geld verdienen. Umgekehrt sind sie nötig, damit die Blockchain überhaupt funktioniert.
Die Mineure sammeln die Transaktionen und verifizieren, dass in der Blockchain nichts gespeichert wird, was nicht den Regeln entspricht (siehe Artikel Seite 34). In bestimmten Abständen verschlüsseln sie die neu hinzugekommenen Transaktionen zu einem neuen Block und hängen diesen an die vorhergehenden Blöcke an. Damit es nicht zu einfach ist, sondern den Anreiz zu einem Wettkampf liefert, gibt es Vorgaben, wie der sogenannte Hash-Wert, eine Prüfsumme, am Ende aussehen muss. Wer es als Erster schafft, wird in der jeweiligen Währung, also Ether, Bitcoin oder wie sie heißen, entlohnt. Dieser Anreiz muss so hoch sein, dass genügend Mineure mitmachen. Inzwischen hat sich dafür ein Markt entwickelt. Anfangs arbeiteten die Mineure mit normalen PCs, jetzt kann man spezielle Hardware kaufen, um mithalten zu können.
Experten sehen Ethereum daher auch als Art verteiltes Betriebssystem für die Smart Contracts. Mit diesen Smart Contracts werden automatisierte Transaktionen in einer Maschine-zu-Maschine-Ökonomie ermöglicht. In Verbindung mit dem Internet der Dinge können dann physische Leistungen erbracht, Daten generiert oder Assets geteilt werden. Im Gegenzug wird für diese Leistung mit Crypto-Token, wie Ether oder Bitcoin, bezahlt.
Der Clou dabei ist: Es zählt immer die längste zurückverfolgbare Blockchain. Wenn jemand versucht, die Blockchain zu manipulieren, so kommt es auf die anderen Mineure an, mit der nicht manipulierten Blockchain weiterzuarbeiten. So geschah es etwa, als bei einem Software-Update im März 2013 ein ungültiger Bitcoin-Block erzeugt wurde. Dadurch, dass die Mineure zurückgegangen sind auf einen gültigen Block und auf diesen weiter aufgesetzt haben, wurde das Problem gelöst.
Geld weg und wieder da
Die Schwierigkeiten, vielleicht auch Kinderkrankheiten, zeigt wiederum die DAO. Nachdem sie in kurzer Zeit 150 Millionen Dollar eingesammelt hat, hat ein Teilnehmer 53 Millionen davon unter seine Kontrolle gebracht. Ganz legal. Es sei eine rechtmäßig ausgenutzte Code-Lücke, ließ der Hacker verlauten. Die Blockchain-Methode, dass die Mehrheit der Mineure dadurch darüber entscheidet, dass sie mit dem neuen Block oder mit alten Blöcken weiterrechen, funktionierte ebenfalls aufgrund eines Software-Fehlers nicht. Ethereum ließ stattdessen abstimmen, und die Mehrheit stimmte dafür, den Reset-Knopf zu drücken und die Transaktion ungeschehen zu machen. Unumstritten ist das nicht, da damit der Smart Contsact ausgehebelt wurde.
Im Prinzip soll die Blockchain auf eine elegante Art eine Abstimmung über die Richtigkeit von Aktionen oder Transaktionen vornehmen, ohne dass es eine zentrale Wahlbehörde gibt.
So elegant das scheint, so liegt in der Tätigkeit der Mineure auch die Limitation der Blockchain. Derzeit begrenzt deren Rechenkapazität die Anzahl der Transaktionen, die pro Sekunde möglich sind. Vor allem kostet sie Energie und damit Geld. Wer zahlt dafür? Wer zahlen soll, auf diese Publikumsfrage gibt Carsten Stöcker am Ende seines Vortrags lachend eine Antwort. „Irgendjemand muss zahlen, der Betreiber der Ladesäule oder der Kunde.“ Solange das nicht fixiert wird, zahlen jedoch alle Besitzer der jeweiligen Krypto-Währung, da für die Mineure neue Einheiten geschaffen werden. Das reduziert theoretisch den Wert aller anderen entsprechend. Das letzte Wort bezüglich der Rechenintensität ist aber noch nicht gesprochen. Die Entwickler tüfteln bereits an Verifikationsmethoden, die weniger Ressourcen verbrauchen und schneller gehen. Statt „Proof of Work“ heißt das „Proof of Stake“. Dabei werden nicht mehr unabhängige Mineure beschäftigt und bezahlt, die mithilfe die Blockchain-Methode verifizieren, sondern die Besitzer der Krypto-Währung stimmen vereinfacht ausgedrückt gewichtet nach ihren Anteilen ab.
Kaum zu stoppen
Die Investoren in Bitcoin und Ether haben jedenfalls Vertrauen. Der Ether-Kurs ist kontinuierlich gestiegen und selbst der Hackerangriff oder Betrugsfall – je nachdem, wie man es nennen will – hat dem keinen großen Abbruch getan.
Ist Blockchain nun ein Hype, der schnell wieder verpuffen wird? Auch Claus Wattendrup sieht ein „sehr großes“ Potenzial in der Technologie. Er leitet Vattenfall Europe Innovation und war Gastgeber des ersten Blockchain-Tages für die Energiewirtschaft. „Allerdings ist noch nicht klar, was daraus wird“, sagt er.
Ein Argument pro Blockchain ist, dass die Transaktionskosten im Vergleich zu Systemen mit zentralen Akteuren signifikant sinken würden. Das ist für Wattendrup aber noch nicht bewiesen. Trotzdem: Auch wenn die Blockchain-Technologie mit ihrer Dezentralität die Stellung der Elektrizitätsversorger bedrohe, sei es besser, die Entwicklung aktiv zu begleiten. „Daher kooperieren auch wir mit einem Start-up in dem Bereich“, sagt er.
Ändern wird sich die Technologie bestimmt noch. „Um sich von der reinen Krypto-Währung hin zur großflächigen Nutzung in der Energiewirtschaft auszubreiten, bedarf es noch Entwicklungen im Bereich der Hardware-Anbindungen und des benutzerfreundlichen Designs für Anwendungen“, sagt Göß. Aber man sieht, welche Faszination diese neue Technologie auf die Beteiligten ausübt, welche Anziehungskraft die Idee der Dezentralität hat, welche hohen Summen Menschen in die Krypto-Währungen investieren und welche Ideen aus den Projekten erwachsen. Kaum zu glauben, dass das Interesse an der Blockchain-Technologie und ihren Möglichkeiten einfach wieder aufhört.

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