„Statistiken führen wir darüber nicht“, sagt Christian Hallerberg, Pressereferent des Bundesverbands Solarwirtschaft. „Leiharbeit gibt es in der Solarwirtschaft, selbstverständlich – der Umfang ist uns aber nicht bekannt.“ Es folgt eine wortreiche Entschuldigung. Die Branche sei bekanntlich noch jung, auch stehe die größte Messe der Solarbranche bevor, man habe andere Sorgen. Das Lieblingsthema des Pressereferenten ist es offenbar nicht. Dabei gibt es nicht nur negative Beispiele. Es hängt vom Umgang mit dem heiklen Thema ab, wie man es zu bewerten hat.
Trotzdem weiß auch der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) nicht Bescheid. In der mehr als 2.000 Unternehmen umfassenden Mitgliederliste findet sich erstaunlicherweise nur eine Firma, von der der Verband sicher sagen kann, dass sie sich speziell damit befasst: die Bitterfelder SolarZeit. Das Leiharbeitsunternehmen weist immerhin aus, 500 Mitarbeiter zu beschäftigen. Der Anruf der photovoltaikläuft allerdings ins Leere: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Der Bundesverband Zeitarbeit ist überfragt. Auch eine E-Mail geht ins Nichts. Der Rechercheur fühlt sich wie auf den Spuren Marcel Prousts: Auf der Suche nach der verlorenen SolarZeit …
Damit überlassen sie die Information den Gewerkschaften, die der Zeitarbeit bekanntermaßen kritisch gegenüberstehen. „Wir haben auch keinen genauen Überblick“, sagt Martina Winkelmann vom Bundesvorstand der IG Metall. „Aber unter den Herstellern in der Photovoltaik sind Betriebe, die wahrscheinlich sogar 50 Prozent ihres Personals als Leiharbeiter beschäftigen.“ Das könnte zum Beispiel für die Conergy AG in Frankfurt (Oder) gelten. „Etwa die Hälfte der Mitarbeiter, die Conergy hier hat, sind Leiharbeiter,“ stellt Peter Ernsdorf von der IG Metall Ostbrandenburg fest.
Das Unternehmen selbst macht jedoch Angaben, die darunter liegen. Von den rund 700 am Standort arbeitenden Menschen seien 450 fest angestellt. Aufgrund der hohen Nachfrage nach den Solarmodulen, so teilt Conergy mit, konnten in Frankfurt gerade etwa 100 Zeitarbeiter in eine Festanstellung übernommen werden. Mit einem Leiharbeiteranteil von 36 Prozent an diesem Standort zählt der Betrieb aber immer noch zu den sogenannten Intensivnutzern der Leiharbeit. Als Intensivnutzer bezeichnen Experten jene Unternehmen, in denen der Leiharbeiteranteil an den Mitarbeitern über 20 Prozent beträgt.
Bei anderen Unternehmen der Branche ist diese Zahl deutlich geringer, etwa bei der Frankfurter Odersun AG, wo es nicht einmal eine Handvoll Zeitarbeiter gibt. Oder bei dem Berliner Solarmodulhersteller Solon SE, dessen Leiharbeitsquote um fünf Prozent liegen soll. Bei der Oldenburger Aleo Solar AG wiederum schwankt die bundesweite Leiharbeitsquote zwischen zehn und 15 Prozent.
Etwas darunter dürfte bald die Freiburger Solar-Fabrik AG liegen. „Wir haben jetzt 380 Mitarbeiter“, sagt Andrea Ocker, Public Relations Manager der Solar-Fabrik. Zu denen kämen momentan zwar noch 65 Zeitarbeiter. „Davon sollen jedoch“, wie Ocker nicht ohne Stolz hinzufügt, „31 demnächst in eine Festanstellung übernommen werden“. Sie verweist in diesem Zusammenhang gern auf den Nachhaltigkeitsanspruch des baden-württembergischen Unternehmens, der sich auch in seiner Personalpolitik ausdrücke.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Für die Kasseler SMA Solar Technology AG hat die Zeitarbeit in quantitativer Hinsicht noch einmal eine andere Dimension. „Die Zahl der Beschäftigten in der SMA-Gruppe“, heißt es in ihrem letzten Quartalsfinanzbericht, „betrug zum Stichtag 31. März 2010 insgesamt 4.867 Mitarbeiter, davon 1.577 Zeitarbeitskräfte“. Beim Wechselrichterhersteller SMA beträgt der Leiharbeiteranteil also 32 Prozent. Bisher Tendenz steigend. Denn ein Jahr zuvor beschäftigte das Unternehmen insgesamt 2.684 Mitarbeiter, worunter sich nur 346 Zeitarbeitskräfte befanden.
Aber nicht allein die Zahlen, auch die Formulierung zeigt es an – SMA ist eines der wenigen großen Unternehmen der Solarwirtschaft, das tatsächlich offensiv mit der Zeitarbeit umgeht. Denn während die meisten Unternehmen, wenn überhaupt, die Anzahl der bei ihnen beschäftigten Leiharbeiter nur auf gelegentlich mehrfache Nachfrage verraten, rechnet SMA die Zeitarbeitskräfte auch in den veröffentlichten Geschäftsberichten deutlich erkennbar zu seinen Mitarbeitern.
Der Schlüssel für diese Offenheit liegt sicher vor allem in dem außergewöhnlichen Modell der Bezahlung. „Für uns ist es selbstverständlich“, so SMA-Sprecher Volker Wasgindt, „dass wir unseren Zeitarbeitskräften den gleichen Stundenlohn bezahlen wie unseren festangestellten Mitarbeitern. Schließlich verrichten sie ja auch die gleiche Arbeit.“ Zudem werden nicht nur die Festangestellten, sondern auch die Zeitarbeitskräfte mit Bonuszahlungen am Unternehmenserfolg beteiligt. Dies sei übrigens auch mit ein Grund dafür, dass SMA im letzten Jahr mit dem „Great Place to Work Fairness Award“ für faire Vergütung ausgezeichnet wurde.
Vergleichsweise offen geht man mit der Zeitarbeit in der Solarwirtschaft aber nicht nur bei SMA um, sondern auch in manchen mittelständischen Unternehmen. Zunächst stutzt Patrick Kasper zwar. Kasper ist der Personalmanager der Green Solar AG, eines mittelständischen Unternehmens im bayerischen Winhöring, das seinen Schwerpunkt in der Projektierung von Aufdachanlagen hat. „Ob es ein Foto von unseren Mitarbeitern auf der Homepage gibt?“ Kurze Pause, er klickt sich durch. Ja, aber das Bild zeigt nur die Festangestellten. „Es muss ein älteres Foto sein. Wir arbeiten noch nicht lange mit Zeitarbeitsfirmen zusammen“, erklärt er dann. Die Firma verstecke ihre Leiharbeiter nicht. Dass man ihm gern glaubt, liegt nicht nur an dem sympathisch bodenständigen Eindruck, den die Firma im Ganzen macht.
Oft falsche Vorstellungen
Patrick Kasper erteilt auch über die Leiharbeit in seinem Unternehmen ohne Umstände Auskunft. Unter den derzeit 70 Mitarbeitern der Firma seien 24 Leiharbeiter. Übernahmen in den Kreis der Festangestellten kämen schon vor, aber nicht allzu viele, zwei oder drei. Unter den Leiharbeitern gebe es jedoch eine recht hohe Fluktuation. „Man macht sich manchmal falsche Vorstellungen von der Arbeit in der Photovoltaikbranche“, sagt Kasper. Sie sei oft körperlich schwer und auch nicht zu jeder Jahreszeit angenehm. „Die Zeitarbeiter sind ja überwiegend jung, im Alter unter 30 Jahren, und sehen sich dann auch schon nach anderen Arbeiten um.“
Der Personalmanager kommentiert die erwähnten Schwierigkeiten, auf den Bereich Photovoltaik spezialisierte Leiharbeitsunternehmen zu finden, so: „Wir in Bayern sind da weiter.“ Green Solar arbeitet mit mehreren Zeitarbeitsfirmen in der nächsten Umgebung zusammen. Folgt man Kasper, dann liegen zumin dest bei Green Solar die Probleme im Zusammenhang mit der Leiharbeit weder bei der Zurücksetzung der Zeitarbeiter als „Beschäftigte zweiter Klasse“ noch in der Bezahlung.
Die Frage nach der Gerechtigkeit oder Gleichbehandlung ist eine der Kernfragen, was Leiharbeit betrifft. Und damit ist es anscheinend nicht überall so gut bestellt wie in den Beispielen. Das mag mit der Perspektive eines Personalmanagers zusammenhängen. Aber vielleicht auch mit der Art des Betriebes – oder auch mit der Region. Für Ostbrandenburg macht der IG-Metaller Peter Ernsdorf jedenfalls klar, dass hier andere Verhältnisse als etwa in Hessen oder Bayern herrschen. „Gleiche Arbeit – gleiches Geld, das wäre schon unser Anspruch“, sagt er. Die Wirklichkeit sehe aber anders aus. Leiharbeiter oder nicht: In der Uckermark beispielsweise würden die Leute auch in der Photovoltaik ganze 400 bis 500 Euro pro Monat weniger als in einigen anderen Gegenden verdienen. Aber die Leiharbeiter seien davon noch einmal besonders betroffen.
Während etwa Conergy für seine Leiharbeiter in Frankfurt (Oder) mit einer Durchschnittszahl operiert und angibt, dass sie – durchschnittlich – 8,20 Euro pro Stunde verdienen, behauptet Ernsdorf: „Mit sieben Euro Anfangsgehalt pro Stunde für angelernte, aber doch anspruchsvolle Tätigkeiten steigt man hier ein.“ Mit einem Zweijahresvertrag steige das Stundeneinkommen auf 7,30 oder 7,50 Euro. Die Zeitarbeiter liegen nach den Aussagen des Gewerkschaftlers mit 6,30 oder 6,40 Euro pro Stunde aber noch einmal deutlich darunter. Die Zahlen widersprechen den von der Firma angegebenen Durchschnittseinkommen nicht, da bestimmt nicht alle Mitarbeiter gleich wenig verdienen. Immerhin geht Conergy mit den vergleichsweise niedrigen Löhnen halbwegs offen um – auch mit 8,20 Euro ist eine Familie nahe der Armutsgrenze. Es dürfte manch andere Unternehmen geben, die auch nicht besser zahlen und nicht darüber sprechen. Man muss dabei auch berücksichtigen, dass Produzenten an Zeitarbeitsfirmen nicht das zahlen, was die Mitarbeiter von der Leiharbeitsfirma wirklich ausgezahlt bekommen. Die Flexibilität, die die Zeitarbeitsfirmen bieten, dürften sie sich vom Hersteller gut bezahlen lassen.
Das übliche Flexibilitätsargument bei der Einführung der Zeitarbeit lässt der Gewerkschafter für die großen Produzenten, die er vor allem im Auge hat, allerdings nicht recht gelten. „Darum geht es nur teilweise“, sagt er. Die Form der Zeitarbeit übe vor allem Druck aus, sie ziele – neben der minderen Bezahlung – auch auf die Ausnutzung der Motivation der Leiharbeiter.
Plädoyer für Offenheit
Die Gewerkschaften, so Ernsdorf, treten insgesamt für eine neue Kultur der industriellen Beziehungen ein. Die Auseinandersetzung mit der Leiharbeit sei ein Teil davon. „Wir wollen keine Schützengräben aufwerfen“, sagt er. Aber neben der Erfüllung der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit sollten der Zeitarbeit auch quantitative Grenzen gesetzt werden. Genau festlegen will er sich dabei nicht, nennt aber die Grenze von 20 Prozent für große Betriebe als eine mögliche Option.
Ob diese Vorstellung für die Unternehmen der Photovoltaik realistisch ist, wird sich zeigen. Die Branche sieht sich ja stark von Nachfrageschwankungen abhängig. Und sie befindet sich bekanntlich im Prozess der Konsolidierung. Aber im Wettbewerb der Unternehmen werden neben ökologischen Kriterien der Produktion auch bestimmte soziale Aspekte immer wichtiger. Wenigstens der offene Umgang mit der Leiharbeit sollte bald dazugehören. Nicht zuletzt hängt von der Bezahlung auch ab, ob Unternehmen Mitarbeiter halten können. Es könnte sein, dass ein Unternehmen wie der Kasseler Wechselrichterhersteller SMA auch in dieser Hinsicht bereits einen Wettbewerbsvorteil hat.
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