Eine baumbestandene Straße im wohlhabenden Berliner Bezirk Westend, rechts gepflegte Altbauten, links ein rundlicher Neubau, vermutlich aus den siebziger oder achtziger Jahren. Hier müsste es laut eigener Webseite sein, das Zentrum für Solarmarktforschung (ZSF) mit seinem Wissenschaftlichen Direktor Wolfgang Hummel. Aber ein Hinweisschild gibt es nicht. Nur den Namen „Hummel“ neben einer der Klingeln. Nur eine Privatadresse?
Gerne würde man jetzt Hummel selbst fragen. Aber Hummel schweigt. Auf eine Anfrage im Winter zu einem Gespräch über das neu gegründete „Zentrum für Solarmarktforschung“ reagierte er mit der Bitte, dies mit der Veröffentlichung eines Marktindikators für die Photovoltaikbranche einige Wochen später zu verknüpfen. Auf eine später per E-Mail gesendete Liste mit Fragen zu seinem Institut antwortete er trotz mehrfacher Bitte nicht. Hummel, so scheint es, spricht nicht gerne über sich und sein Forschungszentrum, dafür umso mehr über die Solarbranche. Hummels Kommentare zur Lage der deutschen Solarindustrie sind in diesen Monaten überall zu lesen und zu hören: im Handelsblatt, in der Wirtschaftswoche, im Manager Magazin, im Wall Street Journal und im Deutschen Anlegerfernsehen. Sein Credo: Die Produktionskosten in Deutschland sind zu hoch, die Chinesen marschieren unerbittlich voran.
Als Solaranalyst hat Hummel eine Blitzkarriere hingelegt: Am 11. Januar 2010 meldet er sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zu Wort. Mit „Subventionen und Sonnenschein“ ist sein Standpunkt überschrieben. „Die großzügige Subventionierung hat viele deutsche Unternehmen träge gemacht“, schreibt Hummel in seinem Artikel. „Die Förderung alternativer Energien ist ein wichtiges Anliegen. Die Zeit ist nun aber reif für Wettbewerb“, so sein Fazit.
Hummels Durchbruch kommt Ende des Jahres 2010 mit einer exklusiven Studie für die Wirtschaftswoche, laut der Q-Cells, Solon und Conergy eine nur geringe Chance hätten, die Krise der Solarbranche zu überleben: „Die Gefahr ist groß, dass die Unternehmen vom Markt verschwinden“, zitiert die Wirtschaftswoche am 11. Dezember 2010 Wolfgang Hummel. Ein großes Presseecho folgt: „Der Aktionär“ spricht nur zwei Tage später von einer „Solar-Todesliste“. Die Wirtschaftswoche schreibt, die Studie sei durch die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) erarbeitet worden. Hummel wird als „Studienleiter und HTW-Solarexperte“ erwähnt, andere Medien greifen dies auf.
Beim Unternehmen Solon, das im März 2010 mit einer Staatsbürgschaft zunächst vor der Insolvenz bewahrt worden war, sitzt der Ärger über die Studie bis heute tief. Sprecherin Katrin Evers nennt Hummel einen „selbsternannten Experten“. Hummel habe vor Erscheinen des Gutachtens nicht mit Solon gesprochen, danach hätte das Unternehmen statt der versprochenen vollständigen Studie nur einige wenige Seiten bekommen. „Wir wissen nicht, wie Hummel zu seinen Ergebnissen gekommen ist“, sagt Evers.
Im Mai 2011 revidierte Hummel seine Meinung leicht: „Ich denke, es wird die Unternehmensführung von Conergy und Solon insbesondere sich überlegen müssen, ob sie nicht in einer bestimmten Form der Kooperation oder mit der Hereinnahme anderer Gesellschafter ihre Zukunft absichert“, sagte er im Deutschen Anlegerfernsehen. Die Rettung von Firmen wie Solon durch den Staat hielt Hummel für falsch.
HTW distanziert sich
Mitte August 2011 kursiert in den Medien ein Diskussionspapier von Wolfgang Hummel, wonach in der deutschen Solarbranche weitaus weniger Menschen beschäftigt seien, als vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) angegeben. Statt über 130.000 seien es nur 80.000 Arbeitsplätze. Der BSW-Solar weist die Berechnung zurück, auch die HTW distanziert sich in einer Pressemitteilung vom 18. August 2011: Hummel „vernachlässigt zahlreiche Arbeitsplätze und liegt daher systematisch zu niedrig“, heißt es darin. Zudem handele es sich nicht „wie in der Presse erwähnt“ um eine HTW-Studie: „Da Herr Hummel lediglich als Lehrbeauftragter an der HTW arbeitet, handelt es sich ausschließlich um seine privaten Äußerungen.“ Hummel fehlt damit ein Label, um zukünftig in der Öffentlichkeit aufzutreten. Sein Lehrauftrag endet nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seines Arbeitsmarktpapiers.
Schon Anfang September 2011 meldet er sich als Vertreter des Zentrums für Solarmarktforschung wieder zu Wort. Auf der Homepage wirbt das Zentrum mit seiner Vor-Ort-Präsenz in allen wichtigen Solarmärkten wie China, Italien, Spanien, Frankreich, USA und Südkorea. Aber weder Namen noch Adressen oder Telefonnummern sind angegeben.
In den Veröffentlichungen der deutschen Medien schien lange nur Hummel selbst als Zentrums-Vertreter aufzutreten. Inzwischen meldet sich gelegentlich auch Leonard Herbig zu Wort, der auf der Homepage als Direktor firmiert. Wolfgang Hummel ist demnach der Wissenschaftliche Direktor des Zentrums. Die Webseite ist aber nach wie vor auf Hummel selbst registriert. Das Konto des Zentrums scheint einige Zeit von einer Anwaltssozietät geführt worden zu sein, die eine Berliner Zweigstelle in Kudamm-Nähe hat. Eine Anfrage, warum das Konto von einer Kanzlei geführt wird, hatte diese nicht beantwortet.
Die Anrufe bei der auf der ZSF-Homepage angegebenen Telefonnummer landen bei einer Immobilienconsulting-Firma in Berlin, die dieselbe Telefonnummer wie das Zentrum auf ihrer Webseite angegeben hat. Dort nimmt üblicherweise ein Mitarbeiter die Bitte nach einem Gespräch mit Hummel entgegen.
Warum Hummel auf einen ausgelagerten Telefonservice angewiesen ist, scheint einen einfachen Grund zu haben: Hummel ist beim Land Berlin beschäftigt – und zwar zumindest bis vor kurzem in leitender Funktion. Ende des letzten Jahrzehnts fungierte er als Chef der Investorenleitstelle. Danach machte er seinen Weg in der Senatsverwaltung für
Es drängt sich der Eindruck auf, Hummel habe sich damit im Interessenskonflikt befunden: Als Analyst hatte er die Pleite von Solon für nicht unwahrscheinlich gehalten und Staatshilfen abgelehnt, als Landesbeschäftigter hätte man von ihm erwarten können, dass er für die Rettung von Solon kämpft – und damit für die über 37 Millionen Euro, mit denen sich das Land Berlin an der Staatsbürgschaft beteiligt hatte. Im Dezember 2011 ging Solon in die Insolvenz. Schließlich kaufte ein indisch-arabischer Hersteller, Microsol, das Unternehmen auf. Microsol hatte nach Medienberichten auch schon vor der Insolvenz Interesse gezeigt, der Deal war dann aber nicht zustande gekommen.
Beim Land Berlin, so eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen, sei noch kein Geld aus den Bürgschaften in Anspruch genommen worden. Zur Rolle Hummels in den Entscheidungen über und den Verhandlungen mit Solon will sich die Senatsverwaltung nicht äußern; ebenso wenig zu den Fragen, wann Hummels Job als kommissarischer Referatsleiter begonnen und wie sie Hummels Nebentätigkeit genehmigt hat. „Informationen zu Einzelpersonalien“ würden nicht veröffentlicht, heißt es bei der Berliner Senatsfinanzverwaltung.
Hummel äußerte sich noch während des laufenden Verhandlungs- und Übernahmeprozesses kritisch zu Solon – in seiner Eigenschaft als Forscher des Zentrums für Solarmarktforschung: Am 14. Dezember 2011 veröffentlichte das ZSF eine Pressemitteilung mit der Überschrift „PV-Zellen und Modulherstellung am deutschen Standort zu teuer“. Hummel sagt darin: „Die Insolvenz von Solon sollte Anlass sein, die EEG-Förderung auf den Prüfstand zu stellen.“ Das Manager Magazin zitierte ihn als Leiter des ZSF am 1. Februar 2012 im Artikel „Beraten und verkauft“ zum Interesse chinesischer Firmen an einer Übernahme mit folgender Aussage: „Die Chinesen verfolgen bei ihren Übernahmen eine klare Strategie“. Nach Hummels Worten suchten sie „sehr gezielt entweder Hightech-Unternehmen oder eine bekannte Marke.“ Q-Cells und Solon seien mit ihren Produktionskapazitäten in Europa für die Chinesen weniger interessant. „Wenn weder Hightech-Produkte wie Zellen hoher Effizienz oder neue Beschichtungsverfahren vorhanden sind und auch die Marke keine besondere Strahlkraft hat, dann zeigen auch die Chinesen kein Interesse“, sagte Hummel dem Manager Magazin.
Hatte Hummel während seiner Tätigkeit als Referatsleiter Zugang zu internen Informationen über Solon, die er für seine Nebentätigkeit nutzen konnte? War eine mögliche Nutzung nicht öffentlicher Informationen dann auch zulässig? Eindeutige Antworten gibt es nicht. Es sind nur wenig Auftragsgeber des Zentrums bislang bekannt. Laut Homepage betreibt das Zentrum auch Beratungstätigkeiten für Unternehmen, vor allem aus und für den asiatischen Raum. Dies zeigen Veröffentlichungen wie „Chancen- und Risikobewertung des europäischen PV-Marktes bei Markteintritt in 2012 für indischen Mischkonzern“ oder „Bewertung der Produktionsanlagen von insolventen Photovoltaikunternehmen für Insolvenzverwalter“.
Hummel scheint mit seiner Rolle als Untergangsprophet eine Marktlücke besetzt zu haben. Und unter dem Label „Zentrum für Solarmarktforschung“ dürfte er seine Arbeit sehr gut öffentlich vermarkten können. Allerdings besteht die Gefahr, dass die zitierenden Medien einen falschen Eindruck erwecken. Es scheint so zu sein, dass der Direktor eines großen etablierten Instituts spricht. Aber zugleich hat er mit dem Namen hoch gepokert. Bei einem Zentrum würde man ein öffentlich zugängliches Gebäude und eine Reihe von Wissenschaftlern erwarten. Ein Eindruck, den das ZSF und Wolfgang Hummel bisher in der Öffentlichkeit weniger vermittelt haben. Ob er daran arbeitet – oder das Kölsche Motto „et hätt noch emmer joot jejange“ nach Berlin importiert hat? Gerne würde man mit Hummel darüber sprechen. Aber Hummel schweigt.
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