Wenn er die Komplexität und technische Herausforderung des Nasswafer-Vereinzelns erklären soll, nutzt Kevin Reddig gern einen Vergleich: „Stellen Sie sich das wie ein nasses Buch vor, bei dem Sie die Seiten voneinander trennen müssen – ohne sie zu beschädigen.“ Es ist schwer, das hinzubekommen, ohne dass Seiten reißen. Allerdings stimmt der Vergleich nicht ganz. Das räumt auch der auf Automatisierung in der Photovoltaik spezialisierte Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart ein, und das macht den Prozess noch schwieriger.
Rohwafer sind mit derzeit 160 bis 180 Mikrometern dicker als eine normale Buchseite und im Gegensatz zu nassem Papier überhaupt nicht flexibel. Außerdem sind die Buchseiten nicht erst zersägt worden und kleben deshalb nicht durch Sägereste zusammen.
Die Wafer entstehen nämlich, indem ein Siliziumblock auf eine Glasplatte aufgeklebt und dann mit Drahtsägen zersägt wird, die die Glasplatte nicht durchtrennen. Die einzelnen Rohwafer hängen danach am Glas wie die Zinken am Kammrücken. Zwischen den Zinken bleibt ein Teil des Sägestaubs aus Glycol, Siliziumcarbid und Metallabrieb zurück. Den abrasiven Sägerückständen, Slurry genannt, rückt im Idealfall die nachfolgende Vorreinigung zu Leibe, wobei solche Anlagen längst noch nicht in allen Produktionslinien stehen. Doch weil die Spalten ebenso dünn sind wie die Wafer selbst, ist die Reinigung problematisch.
Handarbeit stößt an Grenzen
Auch im besten Fall bleibt ein Slurryrest zurück, der nach der Reinigung auch noch mit Wasser und Chemikalien durchsetzt ist. Dieses Gemisch sorgt nicht nur für vergleichsweise schmutzige Arbeitsbedingungen. Es erschwert auch das schadlose Vereinzeln. Per Hand schaffen das nur geschickte Werker, ohne die Bruchrate ins Astronomische zu treiben. Bei den Wafern mit 125 Millimeter Seitenlänge liegt sie dann durchschnittlich bei wenigen Prozent. Das erklärt, warum in der Rohwafer-Produktion immer noch oft per Hand vereinzelt wird.
Aber selbst die vorsichtigsten Handarbeiter kommen bei den zunehmend dünneren und größeren Wafern an ihre Grenzen. „Die 125er Wafer sind für eine normale Hand kein Problem“, sagt Reddig. „Aber bei 156 Millimeter braucht man beide Hände.“ Das beeinträchtigt den Tastsinn und fordert die Koordination. Keine guten Voraussetzungen, um bei steigenden Produktionsgeschwindigkeiten die Arbeitsqualität hochzuhalten. Steigende Bruchraten und damit steigende Ausschusskosten sind die Konsequenz. Beim aktuellen Kostendruck in der Photovoltaik ist das kaum haltbar. So sehen sich weltweit die Waferhersteller nun gezwungen, die bestehende Lücke in der automatisierten Produktion zu schließen – insbesondere in neuen Linien.
Christoph Jansen, Mitarbeiter des zur Meyer Burger Gruppe gehörenden bayerischen Maschinenbauers AMB, wundert es deshalb nicht, dass sie sich momentan intensiver als bisher für die am Markt angebotenen Vereinzelungssysteme interessieren. „Das ist ein ganz heißes Thema. Auch weil bisher nur wenige Anlagen am Markt verfügbar sind.“ Dass sich das ändert, daran arbeiten die Hersteller von Vereinzelungsanlagen mit Hochdruck. So auch die fünf deutschen Unternehmen, die auf dem Weltmarkt in dem Segment als führend gelten: ACI-ecotec, AMB Apparate + Maschinenbau, Decker-Anlagenbau, die Gebrüder Schmid und Rena.
Automatisierer haben umgedacht
Auf den ersten Blick ist kaum zu verstehen, warum die Automatisierer erst jetzt verstärkt mit ihren Lösungen für das Waferseparieren punkten können. Ein Grund ist, dass sie umdenken mussten, um mit Randbedingungen wie abrasiven Partikeln in feuchter Umgebung, dünnen und spröden Siliziumscheiben sowie hohen Adhäsionskräften erfolgreich umzugehen. „Es gab Projekte mit dem Ziel, die Arbeit der Werker so gut wie möglich nachzubilden“, erinnert sich Reddig. Heraus kamen komplexe Anlagen mit sehr viel Sensorik und Aktorik im Arbeitsraum. Das erwies sich nicht nur als störanfällig. Es erschwerte auch den Zugriff von außen im Störungsfall und ließ die Wartung aufwendig werden. Die möglichen Abnehmer wollten sich damit nicht anfreunden und ignorierten weitgehend die automatische Alternative. Um ihr Interesse zu wecken, wurde die Ingenieurskunst der Maschinenbauer auf eine für sie eher ungewohnte Art herausgefordert: Statt in die Anlagen so viel Hightech wie möglich einzubauen, galt es zu vereinfachen. Weniger brachte hier oft mehr.
„Wir haben bei unserer Anlage aus Erfahrung gelernt, auf was man achten muss“, sagt Felix Jäger, der bei ACI-ecotec, Sankt-Georgen, die Neu- und Weiterentwicklung von Produkten für die Photovoltaik verantwortet. „Weil die Umgebung sehr aggressiv ist, vermeiden wir im Arbeitsraum ganz bewusst offen liegende Mechanik und wasserempfindliche Verschleißteile und verzichten weitgehend auf elektronische Komponenten.“ Das Ergebnis des Lernprozesses sieht relativ einfach aus. Doch die Anlage funktioniert, wie es die Kunden erwarten. Deshalb stehen die Vereinzelungsanlagen des Schwarzwälder Maschinenbauers als eines der wenigen Systeme bereits seit Anfang 2006 in automatisierten Produktionslinien: beispielsweise bei Wacker-Schott, der Deutschen Solar oder in China bei LDK.
Robust und zuverlässig, einfach und leicht zu durchschauen: Das sind Stichworte, die sich die Automatisierer ins Pflichtenheft für die Entwicklung der Wafervereinzelungs-Systeme geschrieben haben. Für Reinhard Huber, Produktmanager PV Wafer bei der Freudenstädter Schmid-Gruppe, steht außer Frage: „Gleichgültig wie komplex die Systeme im Detail sind, der gesamte Wafertransport und alle mit Wasser in Berührung kommenden Maschinenteile müssen leicht zugänglich sein.“ Das sei wichtig, weil die Anlagenbediener beim Kauf der Singulatoren mitentscheiden. „Es ist sicher kein Fehler, die Wünsche des Operators zu berücksichtigen und leicht bedienbare Anlagen zu entwickeln.“
Die Waferhersteller haben noch weitere Wünsche. Sie erwarten vom Automatisieren des Vereinzelns vor allem dreierlei: eine niedrigere Bruchrate, ein höheres Arbeitstempo – und infolgedessen sinkende Produktionskosten. Wie stark sich diese reduzieren lassen, verdeutlicht ein Beispiel: So spart jedes Prozent weniger Bruch rund 100 Dollar beziehungsweise knapp 70 Euro pro Stunde, bei einem angenommenen Waferpreis von fünf Dollar und einem stündlichen Durchsatz von 2.000 Wafern. Besonders bei großen Durchsätzen fällt da jeder Prozentpunkt ins Gewicht. Und dass sich bei entsprechender Nachfrage höhere Stundendurchsätze ebenfalls positiv auf die Kosten auswirken, muss nicht weiter erklärt werden.
Die Anlagenhersteller gehen auf diese Wünsche ein. Das zeigt sich unter anderem in den Leistungsdaten, die meist in vergleichbaren Größenordnungen liegen: Bruchrate deutlich unter einem Prozent, Durchsatz maximal 3.600 Wafer pro Stunde. Wer bei diesen Kennzahlen nicht mithalten kann, hat keine Chance am Markt, davon ist Christoph Jansen überzeugt: „Wenn der Vereinzeler sich in der Linie als Flaschenhals erweist, wird ihn kein Kunde kaufen.“
Allerdings lohnt es sich, bei Bruchrate und Durchsatz eines zu berücksichtigen: Die in der Praxis erzielbaren Leistungsdaten hängen ganz entscheidend von den vorausgehenden und nachfolgenden Prozessschritten ab. So muss die in den Datenblättern angegebene Bruchrate in Bezug aufs Vereinzeln unter einem gewissen Vorbehalt betrachtet werden. „Bei bereits vorgeschädigten Wafern steigt die Bruchrate. Und zwar in jeder Vereinzelungsanlage, gleichgültig wie waferschonend sie arbeitet“, sagt Kay Rehberg, einer der drei Geschäftsführer des in Berching bei Nürnberg ansässigen Unternehmens Decker-Anlagenbau.
Die vom Waferhersteller gewählten Prozessparameter beim Sägen und Vorreinigen können die Vorschädigung verringern oder vergrößern. Aber bis heute gibt es noch kein Verfahren, das die Qualität der Wafer vor dem Vereinzeln zuverlässig bestimmt. Rehberg appelliert an die einschlägigen Forschungsinstitute, sich dieses Themenfeld intensiver vorzunehmen: „Es wäre sehr hilfreich, wenn wir mehr darüber wüssten. Dann erst können wir den Prozess weiter optimieren.“
Flaschenhals woanders
Beim Durchsatz haben die dem Vereinzeln nachfolgenden Prozesse – die Feinreinigung und das Qualifizieren – die „Finger mit im Spiel“. So hat es keinen Sinn, deutlich schneller zu vereinzeln, als diese beiden Stationen verarbeiten können. „Ein Wafer pro Sekunde ist momentan das Limit“, weiß Felix Jäger. So viel schleust das Prüfsystem durch, das bei rund 90 Prozent der Waferhersteller am Ende der Linie die Wafer qualifiziert und sortiert. Sein Hersteller: Hennecke Systems, Zülpich, ein weiteres Mitglied der Meyer Burger Gruppe.
Aber auch die Qualität der Vorreinigung setzt einem deutlichen Durchsatzzuwachs Grenzen. Christian Nitz, Mitarbeiter des in Gütenbach im Schwarzwald ansässigen Maschinenbauers Rena, weist auf den entscheidenden Einflussfaktor hin: komplexe Belastungen oder „Stress“, wie es die Branche nennt. „Nur mit einer guten Vorreinigung lässt sich der Stress auf die Wafer beim Vereinzeln drastisch reduzieren.“ Eine gute Vorreinigung könnte außerdem den Aufbau der kompletten Waferlinie vereinfachen und den Prozess insgesamt beschleunigen, ist sich Reinhard Huber sicher. „Bis jetzt schafft es niemand, mit nur einer Spur 3.200 oder mehr Wafer pro Stunde zu vereinzeln.“ Verantwortlich dafür sind die bisherigen Vorreinigungsmethoden, die zwischen den Wafern noch Sägerückstände hinterlassen und außerdem zeitaufwendig sind. „Alle müssen die Kapazität pro Spur begrenzen, um ein stressfreies Arbeiten zu ermöglichen. Deshalb verteilen wir die Wafer auf zwei bis vier Spuren.“
Die Verfahren variieren
Beim Herzstück der Anlagen – dem belastungsfreien Vereinzeln und anschließenden sicheren Transportieren – bietet jeder Maschinenbauer individuelle Lösungen. Doch trotz vieler Unterschiede im Detail gibt es bei einzelnen Anbietern vergleichbare Verfahrensansätze. Nachdem das angeklebte Glas entfernt wurde, wird bei Schmid und Decker der jeweils oberste Wafer eines Stapels abgezogen, auf ein Transportband gelegt und mit Kameras und Sensoren auf Bruch, sonstigen Ausschuss und doppelte Wafer getestet. Alles Fehlerhafte wird direkt ausgeschleust – nur die Guten bleiben auf der Förderstrecke. Ein Verfahrensmerkmal ist die Lage der Wafer. Sie liegen horizontal: vom Abziehen bis zum Einlaufen in einen Puffer oder auf das Verteilsystem für die Feinreinigung. Doch während Schmid den Waferstapel mit Hilfe einer sanften Wasserströmung auflockert und dann den obersten Wafer an ein Abzugsband heftet, setzt Decker auf seinen eigens dafür entwickelten Adhäsionsgreifer. Der baut zwischen sich und dem Wafer ein dünnes Wasserpolster auf, das den schonenden Abtransport gewährleistet.
Auch beim Vereinzelungsverfahren von AMB und Rena lässt sich Ähnliches finden. Bei Rena kommen die Wafer in einen Korb, bevor die Glasplatte gelöst wird. Bürsten halten die Wafer so fest, dass sie nicht herauskippen. Der Korb mit dem Waferstapel kommt waagerecht ins Wasserbad des Automaten hinein: Die Wafer liegen deshalb nicht über- sondern hintereinander. Nach dem Vorvereinzeln per Wasserstrahl zieht ein Abnahmesystem den Wafer nach oben. Danach werden die fragilen Scheiben vorsichtig in die Horizontale gekippt, geprüft und der Ausschuss ausgeschleust. Rena lenkt die Wafer um 90 Grad um und schiebt sie dann auf die erforderlichen Spuren für den nachfolgenden Prozessschritt. Das nachfolgende Verteilsystem füllt die erforderlichen Transportspuren für die Feinreinigung.
Vereinzeln von unten
Eine eigene Philosophie verfolgt ACI-ecotec: Hier befördern synchron angetriebene, speziell beschichtete Walzen jeweils die unterste Scheibe des Waferstapels nach vorn zu einer mikrometergenau einstellbaren mechanischen Barriere, die nur einen Wafer passieren lässt. Während mechanische Schikanen Bruch, dicke und doppelte Wafer ausschleusen, werden alle anderen liegend auf Förderbändern und über Umlenkeinrichtungen zur Feinreinigung gebracht. Eine eigene Prüfung der Wafer auf Schäden ist nicht vorgesehen. Das wird – auf Wunsch der Kunden – dem Prüfsystem am Ende der Linie überlassen. Für das Vereinzeln des untersten Wafers hat Felix Jäger eine einfache Erklärung: „So können wir komplett unterbrechungsfrei arbeiten.“ Doch auch bei den Wettbewerbern fallen die Stopps für das Beladen der Anlagen nicht merklich ins Gewicht. Und wenn sie puffern, erreichen sie ebenfalls den kontinuierlichen Arbeitsfluss.
Ausgang ungewiss
Gleichgültig welches Verfahren: Sofern die Anlagen störungsfrei arbeiten, lassen sich die Produktionskosten senken. Vorausgesetzt es handelt sich um Produktionslinien mit hohem jährlichem Durchsatz von immer gleichen Wafern. Das schränkt zwar die Flexibilität der Produktion ein. Trotzdem müssen die Automatisierer größtmögliche Flexibilität der Anlagen gewährleisten. Das bezieht sich zum einen auf die Zukunftsfähigkeit, sprich die Option, mittelfristig auf dünnere oder größere Waferformate umzustellen, ohne dafür viel investieren zu müssen. Zum anderen sollten sich die Vereinzelungssysteme dank klarer Schnittstellen und einer anpassbaren Steuerung in unterschiedlich zusammengestellte Linien einfügen. Das ist erforderlich, weil die Kunden zunehmend nach kompletten Linien aus einer Hand fragen. „Dann – und mehr noch bei Turnkey-Anlagen – haben sie die Gewähr, dass die einzelnen Prozessschritte genau zueinander passen“, erklärt Nitz.
Es wäre jedoch voreilig, daraus zu schließen, nur diejenigen Anbieter hätten die Nase vorn, die die gesamte Prozesskette anbieten. Es spricht eher dafür, dass die Maschinenbauer Kooperationen eingehen. Kommen die zustande, könnten die Anlagen gewinnen, die sich am besten für automatisierte Prozesse eignen.
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