Die wirklichen Kosten werden sich wohl erst in der Praxis erweisen. Doch Widmanns Projekt macht schon heute deutlich, dass die Stromautarkie auch in Deutschland kein spinnerter Traum ist. Auch hierzulande ist sie für ein ganz normales Gewerbegebäude möglich.
In der Praxis muss man die dabei errechneten Stromkosten mit den Netzstrombezugskosten für Gewerbebetriebe vergleichen. Diese liegen durchschnittlich bei 17 Cent pro Kilowattstunde. Für eine allgemeine Aussage, wie sinnvoll Autarkie ist, muss man fairerweise die Umlagen und Abgaben auf dem Netzstrompreis differenziert betrachten. Wenn man nur die Stromerzeugungs- und Vertriebskosten, die Abrechnungskosten und die mittlere Netzumlage berechnet, kostete der Netzstrom nach der BDEW-Statistik 13,87 Cent pro Kilowattstunde netto.
Kosten, Kosten, Kosten …
Auf Basis von Widmanns Daten lassen sich die Erzeugungskosten in seiner Energiefabrik abschätzen. Für die Wärmeerzeugung hat er rund 75.000 Euro investiert, für die Stromerzeugung etwa 245.000 Euro inklusive Batteriespeicher und dem späteren Ersatz des Batteriespeichers, der vermutlich keine 20 Jahre durchhalten wird.
Man kann die Kosten auf Basis der Energieflüsse berechnen, welche die dem Bau zugrunde liegende Masterarbeit ergeben hat. Demnach müssen zehn Prozent des Solarstroms abgeregelt und die Batteriekosten inklusive einer Ersatzbatterie auf den gesamten genutzten Solarstrom umgelegt werden. Kalkuliert man Wartungskosten und Moduldegeneration ein und gesteht man dem Betreiber auch eine kleine Rendite von vier Prozent zu, dann liegen die Stromgestehungskosten bei rund 20 Cent pro Kilowattstunde mit einer zweiprozentigen Steigerung pro Jahr. Die Wärmekosten betragen dann 10 bis 15 Cent pro Kilowattstunde. Die Elektroautos fahren so für weniger als drei Euro pro 100 Kilometer. Rund 35 Prozent der gesamten Energie inklusive Elektroautos wird in dem Beispiel durch Gas bereitgestellt, 65 Prozent durch die Photovoltaikanlage auf dem Dach und an den Fassaden. Der Anteil der Photovoltaik an der Stromerzeugung liegt sogar bei über 80 Prozent.
… können durchaus wettbewerbsfähig werden
Solche Berechnungen sind nicht exakt, zeigen aber die Bandbreite, wenn sich die Parameter leicht ändern. Muss kein Solarstrom abgeregelt werden, baut man eine Dach- statt einer Fassadenanlage oder hält die Batterie länger als geplant, sind auch Stromerzeugungskosten inklusive Speicherkosten unter 15 Cent möglich. Andererseits: Rechnet man in Widmanns Gebäude mit 30 Prozent Abregelverlusten, was wahrscheinlich ein eher pessimistischer Wert ist, und einer Rendite von sechs Prozent, liegen die Stromerzeugungskosten immer noch bei etwa 30 Cent pro Kilowattstunde. Und das bei einem Pilotprojekt, wo etliches noch nicht auf Wirtschaftlichkeit optimiert ist. So wäre es zum Beispiel deutlich billiger, die Photovoltaikanlage nicht an der Fassade, sondern nur auf einem Dach zu installieren, wenn es denn groß genug ist.
Wenn Widmann und andere innovative Installationsbetriebe Erfahrungen sammeln und die Kosten für die Systeme weiter fallen, wird Stromautarkie zu einer greifbaren Alternative, die durchaus wettbewerbsfähig ist.
Ob sie sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Energieexperten schwören auf vernetzte Systeme, da sich dann Fluktuationen in Erzeugung und Verbrauch mit weniger Speichern, seien es thermische oder elektrische, ausgleichen können. Wenn dieselben Experten aber sagen, dass wir wegen der Energiewende einen teuren Netzausbau brauchen, liegt der Schluss nahe: Bildet viele autarke Inseln, der mögliche Strompreis hat nun eine Grenze.
Abseits der Polemik zeigt das Beispiel, dass ein Stromnetz, das eine dezentrale Energieversorgung mit einer gewissen lokalen Autarkie ermöglicht, durchaus mit einer zentralisierten Stromversorgung konkurrieren kann. Die Versorgungssicherheit steigt dadurch allemal.
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