Bei vielen alten Bürogebäuden in Skelettbauweise steht dringend eine Sanierung an. Denn sie sind oft gar nicht oder nur unzureichend gedämmt. Eine übliche Methode ist es, die alten baufälligen Fassadenteile abzumontieren und durch neue, vorgefertigte Fassadenelemente zu ersetzen. Diese neuen Teile entsprechen dann nicht nur den heutigen Effizienzanforderungen, sondern werten das Gebäude auch optisch auf. Künftig könnten sie aber auch noch wichtige Funktionen der Haustechnik mit übernehmen und das Gebäude obendrein in ein Photovoltaik-Kraftwerk verwandeln.
Wie das geht, demonstriert derzeit eine Forschungsgruppe der Fraunhofer-Institute für Bauphysik IBP und für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE gemeinsam mit Industriepartnern an der Südfront der Versuchseinrichtung für Energetische und Raumklimatische Untersuchungen (VERU) in Holzkirchen. Hier haben sie einen Fassadenabschnitt gegen ein neuartiges Erneuerbare-Energien-Fassadenmodul getauscht. Dieses Wandelement enthält ein Photovoltaik-Modul, Vakuumdämmelemente für den Wärmeschutz, eine flache Wärmepumpe und eine Lüftung mit Wärmetauscher. Dafür zeichnet die pv magazine Jury die Entwicklergruppe mit dem Prädikat „highlight top innovation“ aus.
highlights und spotlights
Preis für gute Ideen:
In der März-Runde zeichnet pv magazine eine Einreichung als highlight top innovation und eine als spotlight aus. Mit spotlights wollen wir Produkte und Konzepte in Szene setzen, die aus Sicht der Juroren einen genaueren Blick lohnen und auf überzeugenden Ideen basieren. Das sagt die Jury:
Fraunhofer IBP und IEE – Solar-Fassadenelement für Gewerbegebäude
Die Wärmewende im Gewerbe ist eine der großen Herausforderungen der Energiewende. Das standardisierte Fassadenelement kombiniert dabei die bessere Isolation mit einer Umstellung auf eine Wärmepumpenheizung und nutzt die Fassade zur Solarstromerzeugung. Damit enthält dieses Modul die Komponenten, die für eine erfolgreiche Dekarbonisierung und schnelle Umrüstung nötig sind. Mit Implenia und Lare sind Industriepartner an Bord, so dass eine Serienfertigung nach Abschluss der nächsten Tests realistisch erscheinen. Daher haben die Entwicklungsteams der beiden Institute nach Ansicht der Jury die Auszeichnung pv magazine highlight top innovation verdient.
Die Juroren
Volker Quaschning ist Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Hans Urban, Experte für Photovoltaik, Speicher und E-Mobilität. Winfried Wahl leitet das Produktmanagement bei Longi Solar in Deutschland.
Mehr Infos, bisherige Preisträger und alles zur Bewerbung unter: www.pv-magazine.de/highlights
Einsendeschluss für die nächste Runde: 31. März 2022
Es kann mit den üblichen Modulelementen für Fenster und Wand kombiniert werden und erlaubt es, Gebäude in kurzer Zeit zu ertüchtigen und „energetisch zu aktivieren“, also auch zur Stromerzeugung zu nutzen. Jan Kaiser, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IEE erläutert die Idee und die Einsparmöglichkeiten: „Büro- und Verwaltungsgebäude ab den 50er- bis in die 90er-Jahre benötigen oft 140 bis 180 Kilowattstunden Wärme pro Quadratmeter und Jahr. Mit dem EE-Modul kann der Wärmebedarf auf etwa 30 Kilowattstunden gesenkt werden, wie das auch bei klassischen Sanierungen möglich ist.“ Durch den Einsatz der Wärmepumpe, die in der Fassade integriert ist, werde der Energieeinsatz aber noch auf ein Drittel reduziert. Zusätzlich lasse sich der Kühlbedarf von etwa zehn Kilowattstunden pro Jahr ebenfalls decken.
Die wichtigste Herausforderung für die Forscher war eine Luft-Luft-Wärmepumpe zu entwickeln, die, ähnlich wie bei Kühlschränken, sehr flach ist, mit wenig Platz auskommt und gut mit der Lüftung und der Photovoltaik-Produktion harmoniert. Herausgekommen ist ein Modul mit 1,25 mal 3 Metern Kantenlänge und 30 Zentimetern Tiefe. Es ist also 3,75 Quadratmeter groß und orientiert sich an einem üblichen Achsraster. Solch ein Modul genüge, um einen dahinterliegenden Raum mit 24 Quadratmetern zu heizen, zu kühlen und zu lüften, so die Entwickler. Für größere Räume können dann zwei oder mehr Module eingesetzt werden.
pv magazine Podcast
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Flaches Klimagerät in der Außenhülle
Die Luft-Luft-Wärmepumpe besitzt nun 1,2 Kilowatt Wärmebeziehungsweise Kühlleistung bei einer elektrischen Leistungsaufnahme von etwa 400 Watt. Das Photovoltaik-Glas-Glas-Modul hat 580 Wattpeak Nominalleistung. Über einen im Luftspalt hinter dem Modulelement montierten Ventilatorkonvektor entzieht die Außeneinheit der Wärmepumpe der Außenluft Wärme. Die Inneneinheit hebt die Temperatur an und gibt die Wärme, ebenfalls über den Ventilatorkonvektor, als Heizwärme an den dahinterliegenden Raum ab. Für die Kühlung werde der Kreislauf umgekehrt. Eine integrierte dezentrale Lüftungstechnikeinheit regele den Luftwechsel und die Wärmerückgewinnung. Wegen der gezielten Verschaltung von Luftklappen wird nur ein Ventilator benötigt, was den Stromverbrauch minimiert. Ein Lüftungsgerät wechsele dabei zyklisch zwischen Zu- und Abluftbetrieb.
Das Modul wird schon seit einem Jahr im Betrieb vermessen, mit zeitabhängig geregelten internen Wärme- und Feuchtequellen, die die Nutzer simulieren, wobei auch die Behaglichkeit ermittelt wird. Die Daten bestätigten eine direkte solare Deckung für den Energiebedarf der Technik von 30 Prozent, so IEE-Forscher Kaiser. Für die Zeit außerhalb der Sonnenstunden ist das Modul an die Steckdose angeschlossen. Dieser Stromanschluss sei auch für Elemente auf der Nordseite wichtig, die ohne Photovoltaik installiert würden.
Solch ein Modul spart aber nicht nur Energie. Es spart auch Platz, denn eine zentrale Heizungs- und Klimaanlage entfällt, genau wie Leitungen und Heizkörper. Gleichzeitig reduziert das Modul die Arbeitsschritte und die Dauer der Baumaßnahmen. Die Fassadenmodule werden in Zusammenarbeit mit der Fassadenfirma Implenia, der Lare Luft- und Kältetechnik und der Lüftungsfirma LTG entwickelt. Das Ziel ist, sie in einem Werk industriell vorzufertigen und dann sogar ohne den Einsatz von Gerüsten nur durch Hubsteiger oder einen Kran gegen die alten Fassadenteile auszuwechseln. Im Idealfall müsse das Büro nicht einmal freigeräumt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Dachfläche zunächst frei bleibt und mit weiterer Photovoltaik-Leistung ergänzt werden kann.
Das Marktpotenzial für diese Lösung ist enorm. Nach Schätzungen der Forscher gibt es etwa 170 Millionen Quadratmeter Büro- und Verwaltungsflächen in Gebäuden in Skelettbauweise. Außerdem eigne sich das Modul auch für den Neubau.
Technik lässt sich von innen instandhalten
Bevor das Fassadenmodul in zwei bis drei Jahren bei Implenia, nach eigenen Angaben ein führender multinationaler Bau- und Immobiliendienstleister, in Serie gehen kann, sind noch kleinere Veränderungen geplant. So soll die Möglichkeit zur Wartung verbessert werden. Bisher ist zwar die gesamte Anlagentechnik von innen erreichbar, künftig soll das gesamte Modul inklusive des Solarmoduls aber über Schienen in den Raum hineingezogen werden können, um mit geringem Aufwand auch ein defektes Photovoltaik-Modul zu tauschen. Das Erneuerbare-Energien-Fassadenmodul besteht aus handelsüblichen Fassadenprofilen und hat somit eine Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren. Für die Wärmepumpe rechnen die Forscher mit 20 Jahren Lebenszeit und die Photovoltaik wird mit 20 bis 30 Jahren veranschlagt.
Im nächsten Schritt soll ein größeres Bürogebäude komplett saniert werden, um den praktischen Einbau zu testen und gegebenenfalls zu optimieren. Bezüglich der Kosten sind die Wissenschaftler optimistisch, dass eine Sanierung mit der Erneuerbaren-Energien-Fassade etwas günstiger ist als die herkömmlich getrennten Sanierungsschritte aus Fassadenertüchtigung mit Wärmedämmung und der Erneuerung der Heizungstechnik. Später im Betrieb sollten dann vor allem die jährlichen Energiekosten deutlich sinken.
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Solche Fassaden gibt es schon zuhauf – und mit sehr unterschiedlichen und spannenden Technologien: https://www.buch-der-synergie.de/c_neu_html/c_04_28_sonne_sonnenhaeuser_32_solarfassaden.htm