Michael Heuschkel und seine Kollegen von Flaxres brauchen weniger als eine Sekunde um zu erreichen, worüber die Fachwelt seit Jahren diskutiert. Die Energiewende droht einen riesigen Müllberg aufzutürmen, wenn die ein oder mehrere Terawatt Solarmodule nach 20 bis 40 Jahren das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben werden. Zurzeit schreddern Recycler die ausgedienten Module, nachdem sie die Aluminiumrahmen entfernt haben. „Doch dabei vermischen sich die Materialien“, sagt der Mitgründer des jungen Unternehmens aus Dresden. Blei aus den Loten gelangt zum Beispiel in das Glas. Das wird am Ende zu Schaum- oder Isolierglas weiterverarbeitet.
„Das ist ‚down-cycling‘“, so Heuschkel. Außerdem kleben dann Solarzellen und Einbettfolie zusammen. Diese Fraktion wandert in die Müllverbrennung. „Mit unserer Methode erhalten wir dagegen fünf sauber getrennte Materialkörbe“, sagt er. Dafür, für das Modulrecycling eine mögliche Lösung aufzuzeigen, verleiht die pv magazine Jury Flaxres die Auszeichnung „top business model“.
Die neue Recycling-Methode
Die Methode geht so: Mehrere Gasentladungslampen blitzen kurz auf und beleuchten dabei das gesamte Modul, von dem zuvor der Rahmen entfernt wurde. Durch den kurzen intensiven Blitz erwärmen sich die Siliziumwafer schlagartig um mehrere hundert Grad Celsius, innerhalb von weniger als einer Sekunde. Nur ganz kurz, so dass nur wenig Energie benötigt wird. Eine Sekunde später sind die Wafer schon wieder auf nahezu Raumtemperatur abgekühlt. Die hohe Temperatur verschmort die Einbettfolien an der Grenzfläche zu den Wafern bis in eine Tiefe von mehreren Mikrometern. „Wie Crème brûlée“, sagt Heuschkel. Durch diese Pyrolyse der Oberflächen werden außerdem Gase freigesetzt, was die Trennung der Verbundmaterialien begünstigt. Die Wafer zerbrechen dabei in bis zu mehreren Quadratzentimeter große Stücke.
„Wir können das Glas mit der rückseitigen Einbettfolie einfach herunterheben und dann die Zellbruchstücke von der frontseitigen Einbettfolie abkippen“, so Heuschkel. Ein Materialkorb sei dann für das Glas, ein Korb für die Einbettfolien von der Vorderseite, ein Korb für den Sandwich Rückseitenfolie mit Einbettfolie. Die Zellbruchstücke füllen den vierten Korb. Die Busbars lassen sich durch Siebe von diesen trennen und gehen in den fünften Korb.
Highlights und spotlights
Preis für gute Ideen: In der November-Runde zeichnet pv magazine eine Einreichung als highlight aus. Ein spotlight ist dieses Mal nicht dabei.
Das sagt die Jury:
Flaxres – Modulzerlegung auf neuen Wegen
Solarmodule werden so produziert, dass sie möglichst lange halten. Das führt dazu, dass das in ihnen enthaltene Silber und Silizium bisher nicht zurückgewonnen wird. Flaxres überrascht nun mit einem neuen Prozess und stellt eine saubere Zerlegung der Module in die einzelnen Lagen in Aussicht. Wenn das ausreichend sauber gelingt, ist das ein großer Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit. Wenn dadurch in Folgeprozessen Silber zurückgewonnen werden kann, sollte sich ein gutes Geschäftsmodell daraus ergeben. Daher hat das Unternehmen nach Ansicht der Jury die Auszeichnung pv magazine highlight top innovation verdient.
Die Juroren: Volker Quaschning ist Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Hans Urban ist langjähriger Experte und Consultant für Photovoltaik, Speicher und E-Mobilität. Winfried Wahl leitet das Produktmanagement bei Longi Solar in Deutschland.
Mehr Infos, bisherige Preisträger und alles zur Bewerbung unter: www.pv-magazine.de/highlights
Einsendeschluss für die nächste Runde: 21. Januar 2021
Vom Keller in den Accelerator
Die ersten Versuche hat Heuschkels Mitgründer und Mitgeschäftsführer Harald Gross vor fünf Jahren im Keller gestartet. Dort baute er sein erstes Gerät für die Belichtung einer Fläche mit fünf mal fünf Zentimetern. Die Kunst war, diese Fläche zu vergrößern. Sie gewannen 2017 die Unterstützung des von Veolia geführten „U-Start Accelerators“ für Kreislaufwirtschaft des Eit Raw Materials. Das ist ein eingetragener Verein, der an das European Institute for Technology angebunden ist, eine offizielle Institution der Europäischen Union.
„Auch wir haben die hölzerne Box im Keller gesehen“, sagt Jobst von Hoyningen-Huene mit einem Lächeln, Geschäftsführer der Econnext-Gruppe aus Frankfurt. Er baut eine Holding mit Mehrheitsbeteiligungen auf und hat in die Flaxres Muttergesellschaft Flaxtec investiert. Einfach sei es nicht gewesen, einzuschätzen, wie viel Potenzial die Technologie hat. Als ein Baustein, der zur Einschätzung führte, ließen er und seine Kollegen sich zeigen, was Kunden zu den Resultaten des jungen Unternehmens sagten. Econnext hat einen Fokus auf CleanTech und Kreislaufwirtschaft. Ebenso Teil der Holding sind der Solardachziegelhersteller Autarq und das Start-up Lumenion, das Stahl-Wärmespeicher für Quartierslösungen und industrielle Prozesswärme entwickelt.
Inzwischen haben Heuschkel und Gross den Keller verlassen und ein Gerät gebaut, mit dem sie nach eigenen Angaben ein Modul mit zwei mal ein Meter Größe zerlegen können. Eine der Herausforderungen sei es gewesen, die Gasentladungslampen auf die notwendige Fläche zu skalieren. Inzwischen erreichen sie eine Lichtbogenlänge von zwei Metern.
Darin liegt ein Teil des Know-hows, so Heuschkel. Das Zusammenspiel von Belichtungsdauer und Intensität können über Erfolg und Misserfolg entscheiden. „Weltweit gibt es wenige Leute, die das Wissen haben, um das nachbauen zu können“, so Heuschkel. Erfolgreich ist die Methode am Ende nur, wenn nicht nur der Verbund gelöst wird, sondern wenn die Trennung mit ausreichender Sortenreinheit erfolgt. Man könne natürlich auch das ganze Modul in einen Ofen unter Sauerstoffentzug schieben, so Heuschkel. Abgesehen davon, dass die Prozessführung schwierig ist, sei die Pyrolyse ein exothermer Prozess, den man nicht mehr stoppen könne. Das mache diesen Ansatz kompliziert.
Es geht um Silber und Silizium
Einer, der das bestehende Gerät in Aktion gesehen hat, ist Benedikt Heitmann. „Interessant sei der Prozess“, so der Produktmanager beim Entsorger Reiling. Die Unternehmensgruppe betreibt in Deutschland unter anderem Aufbereitungsanlagen für Flachglas und Hohlglas, auch für Photovoltaikmodule.
Bei dem klassischen Prozess werden auch im ersten Schritt Kabel, Alurahmen und Rückseitendosen entfernt, so Heitmann. Doch ab diesem Prozessschritt ist der professionelle Prozess so ungefähr das Gegenteil von dem, was Flaxres macht. Der Rest wird zerkleinert, „fließfähig“ zur Verarbeitung in den Maschinen gemacht. Dann wird mit Magneten, Wirbelstromabscheidern und anderen Methoden getrennt. „Das funktioniert im industriellen Maßstab“, so Heitmann. Die meisten Materialien werden dann sortiert. Doch am Ende bleiben Glas, Silizium und das Silber, mit denen die Zellen beschichtet waren, übrig. Die Qualität reicht nicht dafür aus, daraus wieder Flachglas zu machen. „Nach Möglichkeit sollte aus dem Solarglas aber wieder Flachglas hergestellt werden“, sagt Heitmann. Es seien durchaus noch Verbesserungen möglich. Doch diese sind davon abhängig, dass die Mengen an ausgedienten Solarmodulen nach oben gehen. Das wird in fünf bis zehn Jahren so weit sein. Heitmann reut am meisten, dass Silizium und Silber verlorengehen. Das wird sich bei dem Prozess vermutlich nie ganz vermeiden lassen.
Wenn Flaxres es schaffen würde, deutlich höhere Recyclingquoten bei geringem Energieaufwand und zu aktzeptablen Kosten zu erreichen, sei das „etwas wert“. Heitmann sieht Platz für mehrere Prozesse, je nachdem, um welche Module es sich handele, wie ihr Zustand sei und wo auf der Welt sie anfallen.
Recycling-as-a-Service
Als Nächstes wollen Heuschkel und Gross mit dem nun auf 14 Personen angewachsenen Team das Gerät automatisieren und in einen Überseecontainer einbauen. Ein Modul soll schon Ende 2021 in 120 Sekunden zerlegt werden können. Der Faktor Zeit werde oft vergessen, sagt Heuschkel. „Es gibt viele Methoden, die im Labor funktionieren, etwa indem man die Module zwei Tage in einem Chemikalienbad einlegt“, sagt Heuschkel. „Wenn man aber keinen hohen Durchsatz erreicht, hat man verloren“. Er sei in Verhandlungen zum Abbau eines Kraftwerks im Megawattbereich in Asien, in dem acht Millionen Module verbaut sind. Bei der Taktrate von 120 Sekunden benötigen 32 Maschinen ein ganzes Jahr dafür. Ein anderer Maßstab für den Erfolg sei der Energieverbrauch, denn dieser muss sich durch die Einsparung bei den Ressourcen amortisieren. „Wir brauchen für ein Modul keine Kilowattstunde“, sagt er.
Anfang 2022 sei ein groß angelegter Durchlauftest geplant. „Acht Stunden am Tag wird die Maschine dann betrieben, acht Stunden am Tag verbessert“, so Heuschkel. Dadurch soll nächstes Jahr eine Taktrate von 60 Sekunden erreicht werden. Das große Ziel sei, auf die Geschwindigkeit zu kommen, mit der die Module hergestellt werden, also ungefähr eine Taktrate von zehn Sekunden. „Später wollen wir die Zerlegung direkt an den Solarkraftwerken vornehmen, die abgebaut werden“, sagt Heuschkel. Denn so könnten unnötige Transporte vermieden werden. Jede Fraktion wird direkt dorthin gebracht, wo sie weiterverarbeitet werden kann.
Mit den Folgeprozessen beschäftigt sich Flaxres nicht. Das machen andere Partner in dem Accelerator-Programm. Heuschkel ist aber optimistisch, dass es durch die saubere Trennung möglich werde, die wichtigen Rohstoffe in hoher Reinheit wiederzugewinnen. Insbesondere das Silber, welches über 70 Prozent des Materialwerts eines Altmoduls ausmacht, sei sehr begehrt, so dass sich der Prozess auch ökonomisch rentieren sollte.
Für Außenstehende ist es noch schwer einzuschätzen, wie gut die Methode wirklich funktioniert. Da Heuschkel das patentierte Know-How vor Raubkopien schützen will, ist bisher außer einer Publikation auf der EU PVSEC 2017 und den Patenten nichts veröffentlicht.
Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.
Kleiner Nachtrag: es gibt natürlich auch noch andere Unternehmen, die an Lösungen zum Zerlegen von Modulen arbeiten. Für eine Methode von Loser Chemie gab es 2019 den sächsischen Umweltpreis: https://www.aif.de/foerderangebote/zim-kooperationsprojekte/details/zim-gefoerdertes-unternehmen-mit-saechsischem-umweltpreis-geehrt.html
Ich liebe solche Sachen!!
Daumen hoch.
Frei nach dem Moto:
Alle sagen das geht nicht, dann kam einer der wusste das nicht und hats einfach gemacht.
Klasse.