DIW: 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung in Deutschland in 10 bis 15 Jahren möglich

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Nicht nur der Strombedarf, sondern der gesamte deutsche Energiebedarf ließe sich in 10 bis 15 Jahren ausschließlich mit erneuerbaren Energien decken. Dies ist die Kernbotschaft der am Mittwoch veröffentlichten Studie „100 Prozent erneuerbare Energien für Deutschland: Koordinierte Ausbauplanung notwendig“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Auch in Europa könnten dann keine fossilen Energieträger oder Kernenergie eingesetzt werden. Voraussetzung dafür wäre jedoch eine deutliche Steigerung des Ausbautempos bei Photovoltaik und Windkraft. „100 Prozent erneuerbare Energien sind technisch möglich und ökonomisch effizient – und vor allem dringend nötig, um die europäischen Klimaschutzziele erreichen zu können“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin. Sie hat gemeinsam mit den Energieökonomen Christian von Hirschhausen, Mario Kendziorski und Leonard Göke die Berechnungen vorgenommen.

Die Berliner Forscher haben zwei Szenarien untersucht – ein desintegriertes und ein integriertes. „Im ersten Fall werden nur die Erzeugungstechnologien sowie Speichertechnologien gesetzt; dies geschieht unter der Annahme, dass es keine Netzengpässe gibt. Dieses Verfahren repräsentiert grob den aktuellen Planungsprozess des Netzentwicklungsplans“, heißt es von den Wissenschaftlern. Da die Anlagen so gebaut würden, dass sie den höchstmöglichen Ertrag bringen, wäre eine größere Distanz zu den Verbrauchern eingepreist, aus der ein erhöhter Netzausbaubedarf entstehe. Beim integrierten Szenario seien dagegen die Investitionen in den Netzausbau und in die Erzeugungs- und Speicherkapazitäten gemeinsam betrachtet worden. Dadurch ergebe sich eine Abwägung zwischen dem höchsten Ertrag und den dafür notwendigen Netzausbaukosten. Bei beiden Szenarien lässt sich eine Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien auf Stundenbasis berechnen, so die DIW-Forscher. Windkraft an Land und Photovoltaik wären die jeweils dominierenden Erzeugungsarten, wobei Offshore-Windkraft für das desintegrierte Szenario ebenfalls eine zentrale Rolle spielt und stärker zu Lasten neuer Photovoltaik-Anlagen ausgebaut würde als in der integrierten Variante, die eine verbrauchernahe Erzeugung vorsieht (siehe Grafik).

Für eine Vollversorgung mit Erneuerbaren bräuchte es in Deutschland je nach Szenario zwischen 260 und gut 300 Gigawatt installierte Photovoltaik-Leistung.

Grafik: DIW Berlin

Nach Einschätzung des DIW Berlin führt das integrierte Szenario zu einem kostenoptimalen erneuerbarem Energiesystem. „Durch die gleichgewichtete Abwägung zwischen zusätzlichen Investitionen in Netzausbau, Photovoltaik-Anlagen oder Windanlagen, selbst wenn diese an Standorten mit niedrigeren Volllaststunden stehen, erfolgt ein erhöhter Zubau von Photovoltaik-Anlagen und Windanlagen, der auch mit der höheren Nachfrage übereinstimmt“, schreiben die Berliner Forscher. „Da in der Modellierung nicht nur der klassische Stromsektor, sondern auch die angrenzenden Sektoren, die künftig mehr Strom nachfragen, abgebildet werden, steigt der Wert der lokalen Erzeugung obendrein, da die zusätzliche Nachfrage aufgrund von Elektromobilität und Raumwärme direkt vor Ort anfällt.“ Zudem würde auch die Erzeugung von Wasserstoff eher regional erfolgen.

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Grafik: DIW Berlin

Für eine gesicherte Vollversorgung über das ganze Jahr hinweg sei zudem die Einbindung in das Verbundsystem mit den Nachbarländern von zentraler Bedeutung. In Zeiten von geringer Einspeisung der Photovoltaik- und Windkraftanlagen werde die Erzeugungsseite durch Batteriespeicher, Wasserstoffturbinen und Importen aus den Nachbarländern gestützt. In Zeiten hoher Erzeugung von Photovoltaik und Windkraft könnten dagegen die Batteriespeicher geladen, um einen Puffer zu schaffen. Im Falle einer Vollversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien geht das das Forscherteam davon aus, dass die Stromnachfrage durch die Elektrifizierung von Wärme- und Verkehrssektor stark steigen wird – angenommen wird eine Verdoppelung auf mehr als 1000 Terawattstunden gegenüber dem Vergleichsjahr 2018. Der gesamte Energieverbrauch würde sich hingegen auf gut 1200 Terawattstunden gegenüber 2018 – als er bei knapp 2600 Terawattstunden lag – mehr als halbieren.

„Durch die Berücksichtigung von Netzausbaukosten würde die regionale Gleichverteilung von Erzeugung und Verbrauch im Vergleich zu heute gestärkt werden“, erklärt Christian von Hirschhausen, DIW-Forschungsdirektor für internationale Infrastrukturpolitik und Industrieökonomie. „Es ist kein Naturgesetz, dass der Windstrom nur aus dem Norden kommen kann und von dort in den Süden transportiert werden muss. Das Potenzial für erneuerbare Energien ist in allen Regionen in Deutschland vorhanden, es wird bisher nur sehr ungleich genutzt“, so von Hirschhausen. Entsprechend müsste etwa die Windkraft an Land am stärksten in Süddeutschland ausgebaut werden. Insgesamt bedürfe es einer engeren Koordination zwischen EU, Bund und Ländern, um dem Ziel einer erneuerbaren Vollversorgung schnell näher zu kommen. Die 100-Prozent-Szenarien müssten stärker in die Planungen des Energiesystems einbezogen werden, etwa beim Netzentwicklungsplan oder der europäischen 10-Jahres-Entwicklungspläne. Diese sähen immer noch hohe Anteile von fossilen Kapazitäten wie Erdgasverstromung oder auf europäischer Ebene auch Kernkraft vor. „Das sind die Schatten einer Energiepolitik von gestern – nun müssen wir dringend auf Morgen umschalten“, so Kemfert abschließend.

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