So geht Klimaschutz mit Wasserstoff

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Alle sind für Wasserstoff. Greenpeace Energy erhofft sich die lokale Vollversorgung aus erneuerbaren Energien. Gasgrid Europe will sein Geschäftsmodell weiterführen und Siemens Elektrolyseure verkaufen. Und die Bundesregierung? Sie promotet ihre Wasserstoffstrategie. Die politische Logik: Wir nutzen die bestehende Erdgasinfrastruktur weiter und tun etwas für Maschinenbau und Komponentenhersteller. Und wenn wir erneuerbare Energien gasförmig aus Nordafrika importieren, gibt es weniger Ärger mit Windkraftgegnern in Deutschland. Mit all diesen Argumenten ist stark zu vermuten, dass der aktuelle Wasserstoffboom gekommen ist, um zu bleiben.

Ein bisschen mehr als die letzte Meile der Energiewende

Bisher galt oft, dass Wasserstoff vor allem auf den letzten Metern der Energiewende benötigt wird, als Beitrag zur Dekarbonisierung, nachdem die sogenannten low-hanging fruits geerntet wurden. Die Wasserelektrolyse zur Herstellung des geruchslosen Gases unter Einsatz von Strom (aus erneuerbaren Energien) und Wasser galt lange als zu teuer und ineffizient – und von daher als zweitbeste Lösung, wenn eine direkte Elektrifizierung nicht reicht. Die Debatte hat sich jedoch weiterentwickelt: Es scheint mittlerweile realitätsfern, erst bis 2050 eine Volkswirtschaft ohne Treibhausgasemissionen anzustreben. Wenn wir weitermachen wie bisher, haben wir bis 2030 unser CO2-Budget mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verbraucht. Die letzte Meile der Energiewende muss also näher rücken.

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Wie kann man Wasserstoff fördern?

Vor allem fehlt es derzeit an relevanter Nachfrage nach grünem Wasserstoff, um Skalenerträge zu erzielen sowie Wirkungsgrad und Materialeinsatz zu optimieren. Hinzu kommt: das fossile Erdgas ist viel zu billig. Hier wird sukzessive die Einführung der CO2-Bepreisung für alle Energiesektoren ab 2021 helfen. Um den Wettbewerbsnachteil der grünen Gase weiter abzufedern, könnte darüber hinaus Strom, der für die Wasserelektrolyse verwandt wird, von sämtlichen Steuern und Umlagen befreit werden. Weitere Ansatzpunkte zur Markteinführung sind Quotenvorgaben für die Verwendung von grünem Wasserstoff, zum Beispiel in der Industrie oder der Gaswirtschaft. Eins ist jedoch klar: der Umstieg auf eine Wasserstoffwirtschaft wird Kosten verursachen.

Blauen Wasserstoff zerstören

Keinen Sinn macht es jedoch, eine zusätzliche Nachfrage nach Wasserstoff zu generieren, und diese durch konventionell hergestellten Wasserstoff zu decken. Das gängigste Verfahren ist die Dampfreformation von Erdgas. In dem Prozess entsteht in erheblichem Umfang CO2, genauso viel wie die Verbrennung des eingesetzten Erdgases emittieren würde. Um nun einigermaßen in den aktuellen klimapolitischen Kurs zu passen, wird die Abscheidung und unterirdische Lagerung der CO2-Emissionen der Dampfreformierung diskutiert – unter dem Label „blauer Wasserstoff“ könnten wir weitermachen wie bisher.

Abgesehen von den erheblichen Bedenken bei der unterirdischen Einlagerung von CO2, die an die ungelöste Endlagerdebatte der Kernenergie erinnern: Der energetische Wirkungsgrad von 70 Prozent des eingesetzten Erdgases bei der Reformation zu Wasserstoff steht nicht gerade für einen ressourcenschonenden Umgang mit fossilen Energieträgern. Dann ist es besser, wenn Schiffsmotoren auf LNG, also verflüssigtes Erdgas umgestellt werden und den fossilen Brennstoff direkt verfeuern – vielleicht mit steigenden Beimischungen von grünem Wasserstoff, der aus Photovoltaik- und Windstrom hergestellt wird. Dann entfallen die Umwandlungsverluste und Klimawirkungen der Dampfreformation. Kurz: blauer Wasserstoff hilft uns nicht weiter beim Klimawandel.

Industrie dekarbonisieren

Warum machen wir den bisherigen Wasserstoffbedarf in der Industrie nicht erst einmal grün? Das wäre ein relevanter erste Schritt. In Deutschland werden auf Grundlage der Daten des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands jährlich rund 1,7 Millionen Tonnen Wasserstoff erzeugt. Gut die Hälfte davon fällt als Nebenprodukt bei Produktionsprozessen an, z.B. in der Petrochemie. Die darüber hinaus gehende Nachfrage nach Wasserstoff wird überwiegend durch Dampfreformation von Erdgas gedeckt. Die CO2-Emissionen liegen dabei um den Faktor 10 höher, betragen also 1,6 Millionen Tonnen CO2, das entspricht knapp 2 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen Deutschlands. 85 Prozent des aktuellen Wasserstoffverbrauchs geht auf Raffinerien (40 Prozent) und die chemische Industrie zurück, darunter vor allem die Ammoniaksynthese etwa zur Düngemittelherstellung (25 Prozent) und die Methanolherstellung (20 Prozent).

Ein klimapolitisch viel wichtigerer Hebel ergibt sich jedoch aus neuen Anwendungen bei der Stahlproduktion, die rund 6 Prozent der deutschen CO2-Emissionen ausmacht. Bei der Umstellung von Hochofenprozessen auf Direktreduktionsanlagen mit grünem Wasserstoff können rund 97 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Statt 1,71 Tonnen CO2 pro Tonne Rohstahl fallen dann nur noch 0,05 Tonnen CO2 an. Große Stahlhersteller wir Arcelor Mittal, Thyssenkrupp und Salzgitter Flachstahl forschen an Methoden, einen Teil des im Hochofen als Reduktionsmittel eingesetzten Kohlenstaubes durch das Einblasen von Wasserstoff zu ersetzen.

Ins Erdgasnetz beimischen

Ein weiterer vielversprechender Pfad ist die Beimischung von grünem Wasserstoff ins Erdgasnetz, um zur Dekarbonisierung der Gasversorgung beizutragen. Die Debatte darüber erinnert ein bisschen an die Anteile von Photovoltaik und Windkraft im Stromnetz – die heutige Aufnahmefähigkeit fluktuierender Energien war früher undenkbar für Netzexperten. Ähnlich scheint die Debatte um die Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas zu laufen. Galten vor einigen Jahren noch 2 Prozent als Obergrenze, liegt sie nun bei 10 Prozent, und die Erhöhung auf 20 Prozent wird vom Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) vorbereitet. Neben dem steigenden Anteil an Wasserstoff auf Gasverteilnetzebene könnten auch Inseln entstehen, in denen die Erdgasversorgung komplett auf Wasserstoff umgestellt wird, beispielsweise bei Gasfernleitungen oder industriellen Großabnehmern.

Man darf aber nicht vergessen: Die Produktionskosten von grünem Wasserstoff liegen pro Kilowattstunde selbst unter günstigsten Voraussetzungen derzeit noch etwa beim Drei- bis Vierfachen des Erdgases: für die Onsite-Produktion von grünem Wasserstoff in der chilenische Atacamawüste liegen die Produktionskosten bei rund 0,11 US Dollar pro Kilowattstunde, bei einem typischen LNG-Importpreis von 0,03 US-Dollar in Chile. Auch die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz wäre also eine politische Entscheidung, und bislang keine wirtschaftliche. Das kennen wir ja: die Photovoltaik war auch lange zu teuer – und ist jetzt die billigste Art, Strom zu erzeugen.

Schiffe und Flugzeuge auf Wasserstoff

Aus industriepolitischer Perspektive wird auch immer noch das Wasserstoffauto propagiert. Das ist aber too little, too late. Die batteriebetriebene Elektromobilität fährt voraus, und für LKW sind Oberleitungen die effizientere Lösung. Nur ein kurzer Blick auf die Wirkungsgrade zeigt, dass batteriegetriebene Elektroautos auf insgesamt 69 Prozent Gesamtwirkungsgrad von der Stromerzeugungsanlage bis zum Antrieb kommen, und Brennstoffzellenautos nur auf 26% (s. Grafik). Wasserstoff wird vor allem dort ins Spiel kommen, wo es bisher noch keine richtigen Ansätze zur Dekarbonisierung gibt – etwa beim Schiffs- und Flugverkehr, die zusammen schätzungsweise zwischen 6 bis 7 Prozent der Emissionen Deutschlands ausmachen. Dort sind die Lithiumbatterien einfach zu schwer, ein Kilo wird für die Speicherung von 0,3 Kilowattstunden benötigt – beim Wasserstoff beträgt der Energiegehalt 33,3 Kilowattstunden pro Kilo.

Im Schiffsverkehr wird der Einsatz von Brennstoffzellen bei mittleren Strecken ab rund 100 Kilometer erprobt, etwa im Rahmen des EU-Projektes „Hyseas III“. Die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen für den Flugverkehr wird am Flughafen Den Haag geplant. Über eine Fischer-Tropsch-Synthese soll dort aus CO2 und Wasserstoff ein roher flüssiger Kraftstoff hergestellt werden, der dann veredelt wird. Das Fischer-Tropsch-Verfahren ist eine relativ alte Technologie, die bereits in größerem Umfang zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus Kohle eingesetzt wurde. Die Synthese von Wasserstoff zu synthetischem Benzin hat einen Wirkungsgrad von 80 Prozent und kostet rund 5 Eurocent pro Kilowattstunde Energiegehalt. Das ist der Nachteil an der vielseitigen Nutz- und Weiterverarbeitbarkeit des Wasserstoffs: Jeder Umwandlungsschritt kostet Energie und Geld.

Wir müssen importieren

Der Erfolg von Photovoltaik und Windkraft im Stromsektor bewirkt, dass sie nun auch die Dekarbonisierung von Wärme- und Verkehrssektor erledigen sollen. Lag die Bruttostromerzeugung im Jahr 2019 in Deutschland bei rund 606 Terawattstunden, gehen aktuelle Sektorenkopplungsstudien von einem zukünftigen Stromverbrauch zwischen 1.400 bis 1.600 Terrawattstunden aus – bei einer weitestgehenden Dekarbonisierung der Energieversorgung.

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Die aktuelle Ausgabe des pv magazine Deutschland mit Schwerpunkt Wasserstoff enthält unter anderem weitere Informationen zu Wasserstofferzeugung, zur nationalen Wasserstoffstrategie und zu Energieszenarien, die zeigen, wie viel Wasserstoff hierzulande erneuerbar erzeugt werden kann. Außerdem finden Sie darin die Marktüberischt Großspeicher.

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Trotz des enormen technischen Potenzials für einen weiteren Photovoltaik- und Windkraftzubau: Die Widerstände der betroffenen Anwohner wachsen in Deutschland. Es ist schwer vorstellbar, dass wir die vollständige Energieversorgung aus heimischen Erneuerbaren-Quellen decken können. Laut einer Studie der Reiner Lemoine Stiftung wären dafür rund 500 Gigawatt Photovoltaik-Kapazität und 200 Gigawatt Windkraftkapazität vonnöten. Also eine Verzehnfachung bei der Photovoltaik und eine Vervierfachung der Windkraft – mit derzeitigen Technologien ist das gesellschaftlich schwer machbar.

Deutschland wird also auch weiterhin auf Energieimporte angewiesen sein. Es macht schon die Rede von einem Gas-Desertec die Runde – Nordafrika, Chile, Australien und Co. machen sich bereit für ihre zukünftige Rolle als Exporteure grüner Gase. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) führt im Auftrag des Bundesumweltministeriums schon Pilotprojekte in Chile, Marokko, Südafrika und Brasilien durch. In Chile hat die GIZ beispielsweise durch Konferenzen und Publikationen die Aufmerksamkeit geschaffen, auf deren Grundlage aktuell die Wasserstoffstrategie des Landes erarbeitet wird. Aktuell wird an der Einrichtung eines Power-to-X-Sekretariats der Bundesregierung zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit im Wasserstoffbereich gearbeitet. Deutschland positioniert sich also bei den potenziellen Lieferländern einer Wasserstoffwirtschaft.

Herkunftsnachweise und Nachhaltigkeit

Damit der Segen des Sonnen- und Windreichtums aber nicht zu einem Fluch des synthetischen Öls wird, müssen Nachhaltigkeitskriterien von Anfang an im Zentrum stehen. Dies betrifft vor allem die Zertifizierung von grünem Wasserstoff über Herkunftsnachweise. Aber auch die Raumplanung in den Herkunftsländern zur Errichtung der Wind- und Solarparks, der Elektrolyseure und der Transportinfrastruktur sollte die verschiedenen Interessen- und Nutzungskonkurrenzen abwägen. Vor allem aber sind die Beteiligungsmöglichkeiten von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in den Herkunftsländern fair zu verhandeln. Wir haben die einmalige Chance, den Handel eines Energieträgers neu aufzusetzen. Dies sollten wir nutzen, damit der Wasserstoff nicht nur grün, sondern auch fair ist und verlässlich geliefert werden wird.

Und man sollte sich auch nicht vormachen, dass die Wasserstoffwirtschaft eine Alternative zu einer schnellen und konsequenten Energiewende in Deutschland ist. Der Bedarf an Solar- und Windstrom ist und bleibt riesig. Aus Kosten- und Effizienzgründen wird die direkte Stromversorgung aus erneuerbaren Energiequellen der zentrale Pfeiler unseres Energiesystems werden. Alles, was wir nicht vor Ort erzeugen können, werden wir importieren müssen – zu höheren Kosten und mit enormen Umwandlungsverlusten.

Ähnlich wie bei der Einführung von Photovoltaik und Windkraft sind es politische Entscheidungen, mit welchen die Pfade der weiteren Energiewende vorgegeben werden. Nutzen wir den Wasserstoffboom, um die richtigen Allianzen für die weitestgehende Dekarbonisierung unserer Energieversorgung zu schmieden. Denn es reicht nicht, wenn wir uns Zeit nehmen bis in die 2040er. Die 2020er Jahre sollten für die Wasserstoffwirtschaft das werden, was die 1990er und die 2000er für die Photovoltaik waren: Die Jahre des Durchbruchs – und zwar mit Solar- und Windenergie, nicht gegen.

— Der Autor Stephan Franz ist als freier Berater in Berlin tätig. Er erstellt seit 2007 Marktanalysen in den Bereichen erneuerbare Energien und dezentrale Energiesysteme. www.burof.de —

 

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