Manche Zahlen darf man nicht so ernst nehmen

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Der Streit um die beste Batterietechnologie für stationäre Speicher geht munter weiter. Wurde er lange zwischen den Marketingabteilungen der involvierten Unternehmen ausgefochten, geht er mit den Förderprogramme in die nächste Runde. Einige dieser Programme schließen nämlich bestimmte Technologien aus. Dabei kommt ein altes Reizthema zurück: Sind Lithium-Eisenphosphatbatterien sicherer und haltbarer als andere Lithium-Ionen-Batterien?

Die Vorlage dafür liefert eine Studie vom 30. November 2017, die das Öko-Institut für ein Batteriespeicherförderprogramm des EWS Schönau erstellte. Diese Studie begründet, warum LFP und nicht Lithium-NMC-Batterien gefördert werden sollten. LFP steht für Lithium-Eisenphosphat, NMC für Nickel-Mangan-Kobalt. Eine solche Förderung schließt große Marktteilnehmer wie beispielsweise E3/DC, Senec, Solarwatt, Siemens und LG Chem aus und sendet einen entsprechendes Signal in den Markt, wobei E3/DC inzwischen auf Wunsch auch Lithium-Eisenphosphat-Batterien liefert. Die Kriterien seien, so das Öko-Institut, die Verwendung von Gefahrstoffen, die Sicherheit und die Lebensdauer sowie eingesetzte Rohstoffe und Recycling.

Der Ausschluss kann die betroffenen Unternehmen nicht freuen und entsprechend vehement ist der Widerspruch, vor allem weil zwei städtische Batteriespeicher-Förderprogramme ähnliche Kriterien anwenden. Die Unternehmen haben natürlich ein kommerzielles Interesse zu widersprechen. Das macht ihre Argumente aber nicht per se falsch. Bei der Recherche für den pv magazine-Artikel vom März 2018 zum Thema haben die damals angesprochenen unabhängigen Wissenschaftler, unter anderem vom TÜV Rheinland und der TU München, die These ebenfalls abgelehnt, Lithium-Eisenphosphat-Batterien seien prinzipiell sicherer (siehe pv magazine März 2018, Seite 14).

Wie das Öko-Institut diese Entscheidung für die eine und gegen die andere Technologie begründet, versteht auch Thomas Timke nicht, Batterieexperte bei dem Unternehmen Solarwatt. Er hat zuvor für Zellhersteller gearbeitet, später am Karlsruher Institut für Technologie, ist Mitglied des Normungsausschuss für die IEC 62619, der international gültige Standards für sichere Batteriesysteme erarbeitet, und vertritt den Bundesverband Energiespeicher (BVES) bei der Diskussion um die Umsetzung der EU-Ökodesign-Richtlinie für Batteriespeicher in Brüssel. Für ihn fußt die Aussage in der Studie auf „vielfach widerlegten“ Verallgemeinerungen einzelner Aussagen, die ein falsches Gesamtbild abgeben.

Das Wichtigste in Kürze

Die Aussage, Batteriespeicher mit Zellen, deren Kathoden aus Lithiumeisenphosphat bestehen, seien sicherer und langlebiger als solche, die Nickel, Mangan und Kobalt nutzen, hört man seit Jahren immer wieder.

Die Speicherförderungen der EWS Schönau, der Stadt Münster und in etwas anderer Form der Stadt München bevorzugen daher Systeme mit Lithiumeisenphosphat.

Eine Studie für die EWS Schönau begründet das unter anderem mit den Sicherheits- und Langlebigkeitsargument und zitiert dazu Arbeiten und Vorträge anderer Experten.

Die Experten, die wir darauf angesprochen haben, sehen in der Interpretation ihrer Arbeiten jedoch eine unzulässige Verallgemeinerung und stellen klar, das man auf Basis der Unterscheidung in LFP und NMC-Kathodenmaterialien nicht auf die Sicherheit und Lebensdauer der Batteriesysteme schließen kann.

Die Recherche zeigt auch, dass Zahlen in Einleitungen von Arbeiten und in Vorträgen oft nur einen Überblick geben sollen, und nicht für solche Vergleiche herangezogen werden können. Es wäre wünschenswert, wenn bei solchen Diskussionen auf Originalquellen zurückgegriffen würde, die zum Beispiel in wissenschaftlichen Fachmagazinen mit „peer review“-Verfahren veröffentlicht wurden.

Das war für Timke der Anlass, sich in einer Fleißarbeit für eine Arbeitsgruppe beim BVES die Mühe zu machen, die in der Öko-Institut-Studie zur Begründung der Aussage zitierten knapp zehn Quellen und teilweise deren Quellen, rund 20 an der Zahl, zurückzuverfolgen und auf ihre Relevanz und Aussage zu überprüfen. Bei einem halben Duzend der Autoren dieser Studien, bei denen, die er für besonders relevant hielt, hat er nachgefragt. Er wollte von ihnen wissen, ob die Schlussfolgerungen, die das Öko-Institut daraus gezogen hat, richtig sind und ob ihre eigenen Arbeiten etwas über generelle Unterschiede zwischen Batterien basierend auf Lithium-Eisenphosphat auf der einen Seite und basierend auf Nickel-Mangan-Kobalt auf der anderen Seite aussagt. „Für mich wenig überraschend haben alle die beiden Fragen mit Nein beantwortet und waren zum Teil verwundert, dass ihre Arbeit überhaupt so genutzt wurde“, sagt Timke.

Wir von pv magazine wollten das verifizieren und haben einen Teil der Experten im Nachgang ebenfalls kontaktiert. Im Folgenden stellen wir die Aussagen der Öko-Insitut-Studie den Aussagen der zitierten Quellen in Bezug auf Sicherheit und Lebensdauer gegenüber.

1. Der Ausgangspunkt: die „Förderstudie“ des Öko-Instituts für EWS Schönau

Ausgangspunkt des neu aufgeflammten Streits ist die Studie des Öko-Instituts „Entwicklung von Kriterien und Herstellerempfehlungen für ein Förderprogramm der EWS zu Photovoltaik-Batteriespeichern“. In ihr treffen die Autoren in der Zusammenfassung die Aussage zum Punkt Sicherheit bei Lithium-Eisenphosphat-Batterien: „innerhalb der Lithium-Batterien besitzen LFP-Batterien eine geringere Energiedichte; bei hohen Temperaturen zersetzt sich LFP nicht wie LNMC unter zusätzlicher Sauerstoffentwicklung“. Bezüglich Lebensdauer und Wirkungsgrad steht dort: „Sehr hoch; Anzahl Vollzyklen bei LFP- etwas höher als bei LNMC-Batterien.“ LNMC steht hier für Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Batterien, was sonst oft mit „NMC bezeichnet wird. Beides ist als „Vorteil“ in der Bewertung gekennzeichnet.

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Bezüglich der Sicherheit steht dagegen bei NMC-Batterien, hier gekennzeichnet als „Nachteil“: „Gefahr des „thermal runaway“. Innerhalb der Lithium- Batterien besitzen LNMC-Batterien eine höhere Energiedichte; bei hohen Temperaturen wird im Laufe der Reaktion Sauerstoff freigesetzt, so dass diese Batterien schwerer zu löschen sind.“ Lebensdauer und Wirkungsgrad auch bei diesen Batterien als „Vorteil“ eingeschätzt, da sie „sehr hoch“ seien. Bei Lithium-Eisenphosphat steht allerdings, dass deren Vollzyklenzahl etwas höher sei.

Die unzulässigen Verallgemeinerungen sieht Timke unter anderem darin, dass andere Parameter nicht berücksichtig werden. „Es wird nicht berücksichtigt, dass Beschichtungsparameter der Elektroden, Anoden, Separatoren, Elektrolyt und Elektrolyt-Additive nicht immer gleich sind oder deren Unterschiede keine relevanten Einflüsse auf die behaupteten Eigenschaften hätten“, schreibt er in seiner Darstellung für den BVES und vermutet mangelndes Technologieverständnis und fehlende praktische Erfahrung. Bezüglich der Sicherheit wäre die Aussage in der Öko-Institut-Studie nach den Gesetzen der Logik für ein Förderprogramm etwa nur nutzbar, wenn alle Batteriesysteme auf Basis von LFP-Batteriezellen grundsätzlich sicherer seien als alle Batteriesysteme auf Basis von NMC-Zellen.

Bei der Öko-Institut-Studie handelt es sich, so wie es für solche Anlässe auch üblich ist, um eine Literaturstudie. Sie beruft sich auf etliche Quellen, doch bei nur wenigen wird direkt deutlich gemacht, für welche Aussagen sie stehen. Bezüglich der Sicherheit werden „Stahl et al. 2016“ und ein Telefonat mit Umicore genannt, mit der Aussage, dass sich LFP bei hohen Temperaturen nicht unter Sauerstoffentwicklung zersetzt. „Stahl et al. 2016“ ist eine 375 Seiten lange Studie mit dem Titel „Ableitung von Recycling- und Umweltanforderungen und Strategien zur Vermeidung von Versorgungsrisiken bei innovativen Energiespeichern“, die ebenfalls das Öko-Institut zusammen mit dem ZSW Baden-Württemberg für das Bundesumweltamt erstellt hat. Sie enthält aber auch keine weitergehenden Begründungen für die Aussagen, sagt Timke. Von den vielen zitierten Studien enthält seiner Einschätzung nach nur die als „Köhler et al. 2017“ zitierte Studie relevante Aussagen zur Sicherheit.

Das gilt ähnlich für das Thema Zyklenfestigkeit. Direkt wird „Köhler et al 2017“ damit zitiert, dass „innerhalb der Lithium-Ionen-Batterien LFP eine deutlich höhere Anzahl an Vollzyklen als NMC“ hat. Unter einer Tabelle mit entsprechenden Aussagen wird zusätzlich auf die Marktübersichten von Carmen und der Verbraucherzentrale NRW verwiesen, ebenso auf eine Veröffentlichung des Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg aus dem Jahr 2017. Letztere enthält jedoch keine Aussagen bezüglich möglicher Unterschiede verschiedener Lithium-Ionen-Technologien.

Das sagt der Bundesverband Energiespeicher BVES:

Welche Aussagekraft hat die Zyklenfestigkeit einer Zelle?

Hausspeicher sind spezialisierte Produkte, abgestimmt auf die Bedürfnisse des Kunden sowie etwa auf die lokale Photovoltaikerzeugung und die Energiebedarfe. Die Zyklenzahl allein ist kein wesentliches Kriterium, um ein passendes Gerät zu identifizieren. Bestimmende Faktoren, um den passenden Energiespeicher zu charakterisieren, sind vielmehr Leistung, Kapazität und Effizienz auf der einen Seite und Verwendungszweck auf der anderen Seite.

Was ist bei einer Sicherheitseinschätzung von Batterien zu beachten?

Zunächst haben die Zellen und Batterien den aktuellen Standards und Normen zu entsprechen. Das Produktsicherheitsgesetz und die wesentlichen Sicherheitsanforderungen sind von Herstellern von Energiespeichern zwingend einzuhalten – in der Regel durch die Anwendung von Standards, Normen und Richtlinien. Bei Transport und Anschluss gelten für Installateure ebenfalls entsprechende Richtlinien und Bestimmungen. Zusätzlich sind die ausführlichen Installationshinweise der Hersteller zu beachten.

Relevant für die Qualität des Energiespeichers ist stets das Gesamtprodukt. Es verbietet sich Einzelkomponenten, wie etwa die Zelle oder die Zellchemie, zum Beispiel LFP oder NMC, in den Blick zu nehmen. Die geltenden Richtlinien umfassen den gesamten Produktzyklus bis zur ordnungsgemäßen Rücknahme, Recycling und Entsorgung.

Wie ist es einzuschätzen, wenn in einer Zelle Gefahrstoffe verarbeitet sind?

Der Gesamtproduktzyklus von Hausspeichern von der Herstellung über die Installation und Betrieb bis hin zur Entsorgung ist durchgängig geregelt und kontrolliert. Mit diesem umfassenden Regelwerk ist ein sehr hoher Standard bei der Sicherheit bei der Herstellung und im Betrieb festgelegt. Auch für den äußerst selten auftretenden Schadensfall sind entsprechende Regelungen für Einsatz- und Hilfskräfte gesetzt und in der Praxis erprobt.

2. Was die Marktübersichten zur Lebensdauer sagen

Die Marktübersicht der Verbraucherzentrale NRW, die das Öko-Institut zitiert, enthält Daten von Speichersystemen und Angaben zur verwendeten Technologie. Sie beruht auf den Angaben der Hersteller. „Ob man eine solche Marktübersicht nutzen kann, um generelle Aussagen zu unterschiedlichen Zellchemien zu treffen, kann ich nicht sagen. Ich würde das nicht tun“, schreibt Stefan Nakazi, Referent Energieeffizienz bei der Verbraucherzentrale. NRW Die Daten seien nicht zu diesem Zweck erhoben worden. Auch die Angaben zur Zyklenstabilität in der Carmen-Übersicht besteht aus nicht überprüfbaren Herstellerangaben. Dabei liege der Mittelwert für NMC-Zellen-Systeme in der Übersicht von 2018 sogar leicht über dem der LFP-Systeme. Bei den Daten von 2019 ist es wieder umgekehrt. Auch Vanessa Doering aus der Carmen-Abteilung Energie vor Ort schreibt, dass die Zyklenfestigkeit ebenfalls durch die Anwendungsart der Batterie beeinflusst werde. Auch die Leistung und die Temperatur müssten berücksichtigt werden.

Die Angaben zu den Zyklenlebensdauern der pv magazine- Marktübersicht (www.pv-magazine.de/batteriespeicher) beruhen übrigens ebenfalls auf nicht überprüfbaren Herstellerangaben. Dazu kommt, dass man die Zyklenlebensdauer unter anderem durch die Verringerung der Entladetiefe erhöhen kann, was Hersteller auch oft machen. Aus den Zyklenangaben für die Zellen auf die Eigenschaften der Batterien zu schließen, funktioniert daher nicht. Wir erheben deshalb zusätzlich detaillierte Angaben zur garantierten Lebensdauer.

3. Als wesentliche Quelle zitiert: Köhler et al. 2017

Die relevanteste Quelle für beide Aussagen der Förderstudie des Öko-Instituts, die zur Sicherheit und die zur Lebensdauer, ist vermutlich die Studie „Ökologische und ökonomische Bewertung des Ressourcenaufwands“, die das VDI Zentrum für Ressourcensicherheit (VDI ZRE) 2017 veröffentlichte. Der Erstautor Andreas Köhler arbeitet ebenfalls am Öko-Institut und ist dort Senior Researcher Produkte & Stoffströme. Daher wird die Studie als „Köhler et al. 2017“ zitiert. In der Einleitung findet sich eine Übersicht und eine Tabelle zu verschiedenen Lithium-Ionen-Zelltechnologien, unter anderem zu den Themenfeldern Sicherheit und Lebensdauer. Doch was besagt sie wirklich?

„Es war nicht unser Arbeitsauftrag, die Sicherheit und Lebensdauer verschiedener Speichertechnologien im Vergleich zu bewerten“, sagt Köhler. Sie soll vielmehr bewerten, wie ökonomisch und ökologisch Energiespeicher zur Lastspitzenkappung in der Industrie eingesetzt werden können. Die Tabelle am Anfang der Studie diene nur dazu, einen ersten Überblick über die betrachteten Technologien und die Vorauswahl der Technologien zu geben, die die Studie dann im Detail zur Lastspitzenkappung betrachtet. „Die Studie kann daher nicht dazu verwendet werden, die Sicherheit und Lebensdauer von Lithium-Eisenphosphat und NMC-Batteriespeicher zu bewerten“, sagt er.

Im Übrigen beruht die Tabelle zu einem großen Teil auf dem „Kompendium: Li-Ionen-Batterien“ des VDE von 2015, der inzwischen auch eine ähnliche Klarstellung verschickt hat, wie sie zu bewerten ist (siehe nächster Abschnitt). Mit eingeflossen sind Angaben aus Vorträgen von Kai Philipp Kairies auf der Energy Storage Europe 2017, von Jens Tübke, Professor in Karlsruhe und Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut Chemische Technologie, und von Werner Zenke vom Anbieter Autartech, den er im Jahr 2012 gehalten hat.

Im Anhang der VDI ZRE Studie geben Köhler et al. außerdem noch genauere Bewertungskriterien für die Technologien an, auch wieder unter anderem zu Sicherheit und Zyklenfestigkeit. Die Autoren geben unter anderem auch aus eine Buchkapitel der Fraunhofer ISE-Forscher Matthias Vetter und Stephan Lux unspezifisch für Angaben zu Lithium-Eisenphosphat-Batterien als Quelle an (siehe Abschnitt 5).

4. Die Quelle der Quelle: das VDE-Kompendium

In der Studie Köhler et al. 2017 verweist die Zitatangabe „Rahimzei, E. et al. (2015)“ auf das „Kompendium: Li-Ionen-Batterien“ des VDE von 2015. Diese Tabelle auf Seite 25 enthält, dass die Zyklenfestigkeit bei LFP 2.000 bis 5.000 Zyklen beträgt, bei NMC nur 500 bis 1.000 Zyklen. Außerdem wird dort festgestellt: „Im Gegensatz zu den Oxiden zeigt Lithium-Eisen-Phosphat bis 300 Grad Celsius keinerlei thermische Effekte. LFP ist unter anderem dadurch sicherheitstechnisch außer Konkurrenz.“

Doch auch diese Aussagen zu Zelleigenschaften interpretiert man über, wenn man sie direkt auf kommerzielle Batteriespeichersysteme bezieht. Angesprochen auf das Kompendium hat Thomas Becks vom VDE kürzlich Stellung zu der Frage bezogen, ob sich anhand der Grobklassifizierung der Kathoden nach NMC und LFP pauschale Aussagen zur Zyklenfestigkeit, Sicherheit und Ökologie von Lithium-Ionen-Zellen oder -Batterien treffen lassen. Seine klare Aussage:

„Für eine Aussage zur Zyklenfestigkeit und Sicherheit von Zellen müssen unter anderem folgende Parameter in Betracht gezogen werden: Materialreinheit und Zusammensetzung von Anode und Kathode, Elektrolytzusammensetzung und die Verarbeitungsqualität. Mit Blick auf die angestrebte Performance in unterschiedlichen Anwendungsszenarien und aufgrund verschiedener Hersteller werden auch bereits innerhalb der Klassen (NMC, LFP, etc.) die Stöchiometrie, Beschichtung, Additive, Binder und Partikelgröße variiert. Dies kann besonders bei den Themen Zyklenfestigkeit und Sicherheit zu unterschiedlichen Aussagen führen. Eine alleingültige Aussage kann daher grundsätzlich nicht getroffen werden.

Genauere Angaben über Zyklenfestigkeit in der Anwendung können nur über Zelltests am ausgewählten Zelltyp ermittelt werden, die den praktischen Betrieb der Batterien nachbilden. Die Bewertung der Ökologie und Sicherheit von Zellen kann ebenfalls nicht auf Basis einer groben Klassifizierung des Kathodenmaterials erfolgen, sondern muss immer für den jeweiligen Zelltyp erfolgen.

Im Kompendium: Lithium-Ionen-Batterien des VDE von Juli 2015 werden beide Technologien, NMC und LFP als sicher bezeichnet. Die in Tabelle 4 (auf Seite 25) unter ‚Sicherheit‘ dargestellte Einschätzung beruht auf den angegebenen Quellen und bezieht sich nur auf die Kathodenmaterialien.

Aus diesen, wie auch aus den in den in Kapitel 5.3 angegebenen Normen und Anwendungsregeln, speziell der IEC 62619 und der VDE-AR-E 2510-50, geht eindeutig hervor, dass für Sicherheit und Zyklenfestigkeit mehr als die Kathodeneigenschaften relevant sind. …

Unser Kompendium richtete sich an interessierte Laien und mögliche Anwender im Themenbereich Lithium-Ionen-Batterien. Dies ist im Vorwort entsprechend vermerkt. Die Nutzung des Kompendiums als Quelle in Fachartikeln, Studien oder als alleinige Entscheidungsvorlage ohne vollständige Berücksichtigung der im Kompendium angegebenen Quellen sehen wir daher als kritisch an. Durch die Komplexität des Themas wurde das Kompendium bewusst als Einstieg für Laien und Anwender, nicht aber als vollständige Abhandlung zu den genannten Aspekten von Lithium-Ionen-Batterien verfasst. Der VDE initiiert eine Neuauflage des Kompendiums, in die wiederum breite Expertenkreise eingebunden werden.“

5. Der Experte von der RWTH Aachen

Köhler et al. 2017 (Abschnitt 3) zitieren auch eine Präsentation von Kai-Philipp Kairies, um ihre Aussagen zu untermauern. Es handelt sich um einen Vortrag, den der Direktor des Technical Consulting am ISEA der RWTH Aachen auf der Energy Storage Europe 2017 gehalten hat. Darin ging es um die Verbesserungen und Kostenentwicklungen verschiedener Batteriespeichertechnologien bis 2030. Am Ende des Vortrags zeigte Kairies Entwicklungsszenarien für 15 verschiedene Technologien auf, unter anderem für LFP und NMC-Batterien. In den Tabellen hat LPF eine etwas höhere Zyklenstabilität als NMC. Abgesehen von der Frage, wieso in einer Studie Vortragsfolien zitiert werden und nicht die online erhältliche zugrunde liegende Studie, die den Sachverhalt genauer einordnet, nimmt Kai-Philipp Kairies wie folgt Stellung:

„Gegenstand der IRENA-Studie ist eine makroskopische Analyse der Potenziale von unterschiedlichen Speichertechnologien (unter anderem: thermische Speicher, Pumpspeicher, Schwungräder und Redox-Flow Batterien) zum Einsatz in Verbindung mit erneuerbaren Energien. Für einen detaillierten Vergleich verschiedener Subtechnologien (beispielweise unterschiedlicher Kathodenmaterialien in Lithium-Ionen-Batterien) ist die Studie nicht geeignet.“

Er weist auch darauf hin, dass in der dem Vortrag zugrunde liegenden Studie ausgeführt ist, dass die Lebensdauer von Lithium-Ionen-Batterien vom Zelldesign und den Betriebsbedingungen abhängt. „Diese Zusammenhänge sind typischerweise hochgradig nicht-linear, daher ist das in so einer Übersichtsstudie quantitativ einfach nicht abbildbar“, sagt Kairies. Die Streuung bei den Zyklenlebensdauern der Zellen sei in der Studie auch angegeben. Danach überlappen sich die für verschiedene Technologien angegebenen Bereiche stark. Das bedeutet eben auch, dass ein Großteil der Batterien in dem „geteilten“ Bereich zwischen 1.000 und 4.000 Vollzyklen liegt.

Auch Kairies bestätigt, dass die Qualitätsstreuung bei Eisenphosphat-Batterien enorm ist. Weil LFP-Batterien etwas einfacher in der Herstellung sind, gebe es eine Reihe von Herstellern, die unter haarsträubenden Bedingungen Zellen bauen. Diese Exemplare seien in der Branche als „China-Böller“ bekannt. Die Lebensdauer liege dann auch deutlich unter der in der Studie angegebenen unteren Grenze. Auf der anderen Seite gebe es aber auch hervorragende LFP-Zellen von seriösen Herstellern, deren Produktionsqualität problemlos mit den NMC-Zellen aus dem Automotive-Bereich mithalten kann, betont Kairies.

6. Der Vortrag für Laien als Beleg

Köhler et al. 2017 (Abschnitt 3) zitieren im Zusammenhang mit der entscheidenden Tabelle 2 auch „Zenke, W. (2012)“. Es handelt sich um einen Vortrag, den Werner Zenke vom Anbieter Autartech auf dem 7. Energietag in Triesdorf gehalten hat, zu einer Zeit, als der Batteriespeichermarkt noch ganz am Anfang stand. Unter dem Titel „Photovoltaik – praxistaugliche Energiespeicher für eine hohe Eigenversorgung“ hielt er offensichtlich einen Einführungsvortrag in das Thema und fasst am Ende unter anderem zusammen „LiFePO4-Zellen haben eine sichere Technik und sind dadurch betriebssicher“. Es gibt keine Verweise auf wissenschaftliche Arbeiten und der Vortrag ist sicherlich nicht als Diskussionsbeitrag für Batterieexperten gemeint oder geeignet. „Es ist abwegig, diese Vortragsfolien als Quelle für eine fachliche Auseinandersetzung zu nutzen“, sagt Timke.

7. Aussagen von Forschern des Fraunhofer ISE

Diese Arbeit der Fraunhofer ISE Forscher Matthias Vetter und Stephan Lux zitieren Köhler et al. 2017 (Abschnitt 3) im Zusammenhang mit einem Überblick über die Bewertungen verschiedener Energiespeichertechnologien unspezifisch für Angaben zu Lithium-Eisenphosphat-Batterien. In der Bewertung tauchen die bereits zuvor erwähnten Behauptungen zu Zyklenfestigkeit und Sicherheit auf. Vetter und Lux nutzen zwar auch eine Tabelle, in der LFP und NMC mit verschiedenen Zyklenfestigkeiten erwähnt werden. Doch im Text werden diese Parameter gar nicht diskutiert. Matthias Vetter äußert sich aktuell so dazu:

„Im aufgeführten Technologievergleich wurde beabsichtigt, Lithium-Ionen-Batterien im Vergleich mit anderen Speichertechnologien darzustellen. Diese Darstellung ist hier stark vereinfacht und basiert auf Mittelwerten einiger ausgewählter Zellen aus dem Jahre 2014. Damit zu signalisieren, dass NMC-Zellen eine geringere Zyklenfestigkeit als LFP-Zellen aufweisen, war nicht beabsichtigt. Grundsätzliche Aussagen über Zyklenfestigkeit und Sicherheit für bestimmte Materialkombinationen zu treffen, ist schwer möglich, da die Qualität der Materialien und die Expertise der Hersteller einen wesentlichen Einfluss darauf haben.“

7. Noch einige Aussagen

Eine gewichtige Quelle der Studie Köhler et al. 2017 ist auch die Präsentation mit dem Titel „Grenzen der Elektromobilität – Energieeffizienz, Reichweite und Lebensdauer“, die Jens Tübke, Professor in Karlsruhe und Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut Chemische Technologie im Jahr 2010 gehalten hat. Nach Aussage von Thomas Timke hat er sich dem BVES gegenüber auf die gestellten Fragen ähnlich wie die anderen angeschriebenen Autoren geantwortet. Seine Folien seien als Begründung für generelle Unterschiede zwischen NMC- und LFP-Batterien nicht geeignet und sagten darüber nichts aus.

Der Vollständigkeit halber haben wir auch noch Christian Hagelüken von Umicore angerufen, der in der Öko-Institut-Studie mit einer Telefonnotiz zitiert ist. „Man kann sowohl mit NMC-Zellen als auch mit LFP-Zellen sichere Batteriesysteme fertigen“, sagt er. „Aus den mir bekannten Eigenschaften würde ich mit Blick auf die Sicherheit ein Batteriesystem mit LFP nicht grundsätzlich einem Batteriesystem mit NMC vorziehen“. Allerdings wird er in der Studie des Öko Instituts im Zusammenhang mit der Aussage zitiert, dass NMC-Batterien im Falle eines Brandes problematischer seien als LFP-Batterien. „Man kommt mit dem Löschmittel aber sowieso kaum an die Zellen heran“, sagt Thomas Timke dazu. „Daher geht es in der Regel darum zu kühlen, und das geht bei beiden Technologien gleich gut“.

Fazit

Es ist nicht nur ernüchternd, was für Quellen in Studien teilweise verwendet werden, sondern auch wie die Quellen verwendet werden. Wenn nicht exakt gekennzeichnet ist, welche Aussage ein Quelle belegen soll, und wen nicht angegeben ist, wo in einer Quelle etwas zur Diskussion zu finden ist, gleicht die Rückverfolgung der Belege und Begründungen der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Da wird eine Literaturstelle als Beleg einer Aussage angegeben, dann muss man dann schnell mal 375 Seiten lesen, um festzustellen, dass man nichts gefunden hat, was zu der Aussage passt. Und wenn diese Quelle wieder auf eine andere verweist, geht das Spiel von vorne los. Vor allem, wenn jede neue Studie wieder nur die vorhergehende erwähnt. In der wissenschaftlichen Arbeit wird daher nicht umsonst geraten, dass man Aussagen nicht als Zitate von Zitaten übernimmt, sondern sich die Mühe macht, sie zu Originalquellen zurückzuverfolgen. Das hilft Fehler vermeiden.

Denn es zeichnet sich ein Muster ab. Es ist üblich, in Einleitungen von Studien, Artikeln oder Vorträgen, einen ersten Überblick über ein Thema zu geben. Da sieht es gut aus, wenn man Zahlen liefert, auch wenn diese für den weiteren Verlauf nicht relevant sind. Bei genauem Hinsehen haben sie auch kaum eine Aussagekraft, zumindesr nicht für sich alleine. Auch nicht die Tabellen mit Eigenschaften von Zellen, die auf Basis ihres Kathodenmaterials als NMC und LFP klassifiziert sind. Das haben alle für die Recherche befragten Autoren bestätigt. Es wird also immer wieder das Gleiche in die Einleitungen geschrieben und nicht so ernst genommen, teilweise im Fließtext auch deutlich relativiert. Doch dann kommt jemand und nimmt die Zahlen und Aussagen in einer verallgemeinerten Form doch mal ernst. Das ist die berühmte Macht der Zahlen.

Solche Fehler lassen sich vermeiden, wenn man Originalquellen nutzen und solche suchen würde, die einen „peer review“-Prozess durchlaufen haben. Bezüglich der Aussagen zum „thermal runaway“ verschiedener Technologien hätte sich dann nämlich gezeigt, dass es nicht so einfach ist. Es gibt nämlich auch Veröffentlichungen, in denen beschrieben wird, wie auch bei LFP-Zellen eine solche Havarie möglich ist. Und es gibt durchaus auch solche, die eine höhere Sicherheit für LFP behaupten. Es wäre daher durchaus ein lohnendes Unterfangen, auf Basis solcher Originalquellen die Sicherheitsfrage zu diskutieren.

Will man das nicht, kann man sich durchaus auch auf die Aussagen von Experten verlassen. Alle für diesen Artikel angesprochenen Experten haben bestätigt, dass man von der Kathoden-Zusammensetzung LFP oder NMC nicht auf die Batteriesicherheit schließen kann.

Was bedeutet das für die technologieabhängigen Förderprogramme?

Die Punkte Sicherheit und Zyklenstabilität sind nur zwei von vier Punkten, die in der Studie des Öko-Instituts zur Bevorzugung der LFP-Speicher geführt haben. Dazu kommen die Bedingungen bei der Förderung der Rohstoffe und die Toxizität des Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid. Diese Punkte diskutieren wir in der nächsten pv magazine-Ausgabe.

Angesprochen auf die Aussagen der Experten zu den Punkten Zyklenstabilität und Sicherheit wollen sich sowohl EWS Schönau als auch die Stadt Münster, die ebenfalls technologieabhängig fördert, die Kritik ansehen. „Wenn neue Erkenntnisse und Technologien vorhanden sind, sind wir selbstverständlich bereit, die Art und Weise, wie wir Batteriespeichersysteme fördern, zu überarbeiten“, sagt Marissa Walzer, Leiterin Kooperationen und Förderprogramm „Sonnencent“. In Münster wird der Kontaktmann für die dortige Förderung, Georg Reinhardt, bereits konkreter. „Eine auf Lithium-Ionen-Batterien bezogene technologieoffene Förderung soll wie geplant mit der bevorstehenden grundlegenden Überarbeitung der gesamten Förderrichtlinien der Politik zur Beratung vorgelegt werden.“

Die Pressestelle der Stadt München hat bezüglich der pv magazine-Anfrage zur technologieabhängigen Förderung noch nicht reagiert. Thomas Timke berichtet jedoch, dass Hersteller, die sich dort gemeldet hatten, anfangs mit Zitaten aus der Studie des Öko-Instituts abgewiesen wurden. Inzwischen sei angekündigt worden, zeitnah einen Stakeholder-Workshop zu veranstalten.

Georg Reinhardt aus Münster würde es für die weitere Entscheidungsfindung begrüßen, wenn der BVES das Thema Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziale Standards in der Lieferkette und Produktion von Batteriespeichern gemeinsam mit der Wissenschaft angehen würde und sich für einheitliche Mindeststandards für den deutschen Markt einsetzten würde. „Von Seiten der Bürgerinnen und Bürger stellen wir eine zunehmende Sensibilisierung und Nachfrage nach diesen Themen fest“, sagt er.

Man muss jedoch aufpassen, dass diese Sensibilisierung nicht dazu führt, dass man sich verhält wie der oft zitierte nächtliche Heimkehrer, der irgendwo den Schlüssel verloren hat. Ebenso wenig wie er ihn unter der Laterne findet, wo es hell ist, findet man die Sicherheits- und Qualitätsbewertung in scheinbar einfachen Aussagen wie der, dass LFP sich nicht unter Sauerstofffreisetzung zersetzt und damit rechtfertigt, die einen Batteriesysteme seien sicherer als andere.

Um es noch einmal klar zu schreiben: Die Studie des Öko-Instituts wurde herangezogen, um eine technologieabhängige Förderung zu begründen. Auf Basis dazu zitierten Quellen lässt sich aber nicht begründen, dass eine Batterie, die LFP-Zellen benutzt, generell sicherer und zyklenstabiler ist als eine, die NMC-Zellen benutzt.

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