Interview: Niemand kann heute zu Vollkosten von 40 oder 45 Cent kostendeckend produzieren

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pv magazine: Gäbe es Solarworld heute noch, wenn 2013 nicht die Mindestimportpreise (MIP) eingeführt worden?
Milan Nitzschke (Foto): Ohne den Mindestpreis und den zugrundeliegenden Anti-Dumpingzoll würden heute noch 80 Prozent der in Europa gehandelten Module weit unter Herstellkosten verkauft werden. Unter Kosten kann kein Unternehmen der Welt konkurrieren, das nicht wie in China vom Staat finanziert wird. Ich persönlich kann mir kaum vorstellen, wie ohne die Anti-Dumpingmaßnahmen die Übernahme von 800 Jobs der ehemaligen Bosch Solar möglich gewesen wäre, oder wie wir neue State-of-the-Art-Techniken wie Glas-Glas und PERC hätten auf den Markt bringen können. Letzten Endes ist diese Erfolgsgeschichte der deutschen Solarindustrie auch ein Erfolg der Anti-Dumpingmaßnahmen.

Aber viele europäische und gerade auch deutsche Photovoltaik-Hersteller sind trotz Mindestimportpreise für die chinesische Konkurrenz vom Markt verschwunden. Warum?
Der Mindestpreis ist 2013 exakt auf dem Niveau des damaligen Yingli-Preises eingeführt worden. Ein Treppenwitz. Ein Anti-Dumpingpreis auf dem Niveau eines Dumpingpreises. Es hat anderthalb Jahre gedauert, bis die realen Kosten der Industrie soweit gesenkt werden konnten, dass der Mindestpreis heute immerhin kostendeckend ist. Außerdem hat es bis Anfang dieses Jahres gedauert, bis Europäische Kommission und Zoll endlich begonnen haben, die Einhaltung wirkungsvoll zu kontrollieren. Es macht mich wütend, wenn jetzt, gerade wo der Mindestpreis endlich dafür sorgt, dass wieder fairer Wettbewerb einzieht, die ersten sofort wieder die Abschaffung fordern. Übrigens die gleichen Akteure, die 2013 unbedingt einen Mindestpreis statt Zöllen haben wollten.

Ein Argument, warum der Mindestimportpreis nur im Dezember 2015 auslaufen sollte, ist, dass es eben neben Solarworld gar keine nennenswerte Solarindustrie gibt, die geschützt werden könnte. Stimmt das?
Ganz und gar nicht. EU Prosun vertritt über 30 europäische Hersteller von Modulen, Zellen und Wafern in mehr als zehn europäischen  Ländern. Dass Solarworld in der Wahrnehmung immer vorne steht, liegt daran, dass die meisten anderen Unternehmen sich nicht genauso viel Ärger mit China einhandeln wollen.  Das kann ich auch verstehen.

Was hat sich Solarworld denn für Ärger eingehandelt?
Solarworld hat seit dem Beginn der Anti-Dumpingverfahren Boykottaufrufe, Klageverfahren und Trojaner-Angriffe erlebt. Der Gipfel war, als chinesische Militärhacker in den USA unsere Konzerndaten abgesogen haben. Da stehen auf einmal Beamte der US-Sicherheitsbehörden vor einem und sagen, sie hätten einen dramatischen Datenabfluss Richtung China festgestellt. Das klingt erstmal wie eine Räuberpistole, dann stellt man fest, dass das leider Realität ist.

Das FBI veröffentlichte damals einen Fahndungsaufruf für die chinesischen Hacker. (Quelle:www.fbi.gov)

Es heißt, dass in Europa aufgrund der Mindestimportpreise die Module 10 bis 20 Prozent teurer sind verglichen mit dem Weltmarkt. Stimmt das?
Der Weltmarkt besteht heute zu 85 Prozent aus den USA, Japan, China und Europa. China ist ein abgeschotteter Markt mit staatlich kontrollierten Preisen. Die USA haben die höchsten Anti-Dumpingzölle weltweit, und der Markt boomt. Japan, der aktuell größte offene Markt hat traditionell das höchste Preisniveau überhaupt. Das Argument fällt schnell in sich zusammen. Fragt man mal genau nach, welcher Teil des Weltmarktes denn wohl mit den billigen Preisen gemeint ist, bekommt man – kein Scherz – zu hören, die Türkei. Ein Megawattmarkt, und selbst da stimmt das Argument für die meisten Projekte nicht. Irgendwann muss man doch mal begreifen, dass niemand heute zu Vollkosten von 40 oder 45 Cent kostendeckend produzieren kann, in China schon gar nicht.

In Europa wird der Photovoltaik-Markteinbruch aber trotzdem gern auf die Einführung der Mindestimportpreise zurückgeführt. Wenn das aus Ihrer Sicht nicht der Grund ist, warum haben wir dann den derzeit rückläufigen Zubau in Europa?

Wir hatten in den Jahren 2010 bis 2012 eine regelrechte Modulschwemme aus China. Als Reaktion haben alle europäischen Länder, vor allem Deutschland, Spanien und Italien ihre Förderprogramme zusammengestrichen. Die Folgen spüren wir immer noch. Der Markteinbruch fand 2012 und 2013 statt. Die Anti-Dumpingmaßnahmen sind aber erst Ende 2013 eingeführt worden. Wie soll etwas für den Einbruch verantwortlich sein, das nach dem Einbruch stattgefunden hat? Und wie ist erklärbar, dass der US-Markt erst so richtig geboomt hat, nachdem dort die Anti-Dumpingzölle in Kraft getreten sind?

In Europa ist die Nachfrage bereits seit 2012 rückläufig. Die Mindestimportpreise sind im Dezember 2013 eingeführt worden. (Quelle: EU ProSun, Juni 2015)

Aber wer ist dann für den Markteinbruch verantwortlich?
Ich glaube, wir wissen alle, was den Einbruch zu verantworten hat: Eine ewig dauernde, zermürbende und beschädigende politische Debatte und drastische Einschnitte wie die Belastung des Eigenverbrauchs haben das Vertrauen unserer Kunden in Photovoltaik verspielt. Es ist heute für einen Installateur zehnmal aufwendiger, einen Abschluss zu tätigen als noch vor drei Jahren. Wir müssen wieder Ruhe in die Debatte bringen und Vertrauen zurückgewinnen. Aber stattdessen ruft die Branche nach der Legalisierung von Dumping. Den Vogel hat dabei – nicht zum ersten Mal – Wacker abgeschossen mit seinem Statement, zukünftig alle EEG-Anlagen, ob groß, ob klein, ausschreiben zu lassen, sei gar nicht so schlimm, wichtig sei nur, dass der Mindestpreis wegmüsse. Hat sich eigentlich mal jemand gefragt, welches Interesse Wacker wohl damit verfolgen könnte?

Wacker begründet dies etwa mit der Sorge um die Entwicklung des deutschen Markts und den Arbeitsplätzen hierzulande.
Wacker macht den maßgeblichen Teil seines Geschäftes in China. Nachdem Wacker mit der chinesischen Regierung einen Mindestpreis für Silizium abgeschlossen hat, wächst der Umsatz dort in Rekordhöhen. Gleichzeitig kämpft das Unternehmen in Deutschland für niedrige Strompreise für die eigene Produktion, für die Absenkung der EEG-Vergütung und für Ausschreibungen. Die klare Aussage übrigens im Risikobericht des Unternehmens: Das Anti-Dumpingverfahren der EU gegen chinesische Solarunternehmen hat für Wacker keine Relevanz. Das kann jeder nachlesen. Spannend, und jetzt auf einmal weint das Unternehmen Krokodilstränen um die Installateure in die Deutschland. Wacker beschädigt andere für seine eigenen Interessen in China. Ich bin jetzt 20 Jahre für die Erneuerbaren in der Löwengrube Energiewirtschaft tätig. Eine derartige Dreistigkeit habe ich noch nie erlebt, nicht mal von der Atomlobby.
 
Aber können Sie nicht auch den Wunsch der Projektierer verstehen, möglichst preisgünstige Module haben zu wollen?
Ich kann alles von jedem verstehen, der mit dem Rücken zur Wand steht und dem keine bessere Lösung einfällt. Das ist wie bei den Radrennfahrern rund um Lance Armstrong. Wer mithalten wollte, musste auch dopen. Das sich jetzt aber schon EnBW, MVV, Baywa und Capital Stage für flächendeckendes Dumping einsetzen, finde ich peinlich. Keine dieser Firmen würde in ihrem Bereich wettbewerbswidriges Verhalten dulden. Nach den klaren Entscheidungen der USA, Kanadas und der EU in insgesamt zehn handelsrechtlichen Verfahren dürfte ja wohl auch dem Letzten klar sein, dass chinesische Hersteller im Solarbereich gegen alle internationalen Regeln verstoßen. Ohne Regeln funktioniert aber kein Markt und kann auch kein Markt wachsen.

Sie haben letztes Jahr von massiven Verstößen gegen den Mindestpreis berichtet. Sind EU-Kommission und der Zoll den Verstößen inzwischen verstärkt auf der Spur?

Ja, da zeigt auch wieder das Beispiel Znshine aus der letzten Woche. Die EU-Kommission hat angekündigt, den Hersteller aus dem Undertaking ausschließen zu wollen. Canadian Solar, ET Solar und Renesola sind bereits von der EU-Kommission ausgeschlossen worden, weil ihnen massive Verstöße gegen die Regelung nachgewiesen werden konnten. Weitere chinesische Hersteller befinden sich derzeit unter verstärkter Beobachtung der EU- und Zollbehörden. Alleine der deutsche Zoll hat bisher 30.000 Solarmodule konfisziert. Trotzdem wird weiter unterlaufen. Wir schätzen den bisher entstandenen Zollschaden auf etwa eine Milliarde Euro.

Aber ist das Undertaking dann überhaupt ein geeignetes Instrument, wenn es so viel unterlaufen wird?
Das Undertaking und damit der Mindestimportpreis war 2013 der Kompromiss zwischen der EU, China und den Importeuren der chinesischen Produkte. Die EU-Kommission hat bei den Ermittlungen gegen die chinesischen Hersteller ausreichend Beweise gefunden, um Anti-Dumping- und Anti-Subventionszölle einzuführen. Solche Schutzmaßnahmen gelten in der Regel für fünf Jahre. Nach Verhandlungen mit China ließ sich die EU-Kommission schließlich auf das Undertaking im Wesentlichen zu chinesischen Konditionen ein. Es ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt worden, aber von vornherein mit der Option, es dann zu überprüfen.

Sie haben bereits angekündigt, diese Auslaufprüfung zu beantragen.

Ja, das war von allen Beteiligten, von Kommission, Mitgliedsstaaten und China immer so vorgesehen. Den Antrag dazu wird EU Prosun im Herbst stellen.

Mit dem Ziel, die derzeit geltende  Regelung zu verlängern?
Ja, natürlich. Solange gedumpt wird, werden wir Anti-Dumpingregelungen brauchen. Alles andere wäre das Ende der europäischen Solargeschichte. Dumping verhindert echten Wettbewerb und schadet jedem. Wir hätten am Ende ein chinesisches Quasi-Monopol. Es würde auch kein Installateur oder Projektierer dulden, dass er vom Markt verdrängt wird, weil sein direkter Konkurrent die Installation von Photovoltaik-Projekten aufgrund unzulässiger Subventionen deutlich billiger anbieten kann. Auch er würde sein Recht wahrnehmen, dies zu unterbinden.

China ist mittlerweile der größte Photovoltaik-Markt weltweit. Minimiert das nicht die Gefahr, dass die chinesischen Hersteller im Falle eines Auslaufens des Mindestpreises wieder gedumpte Module nach Europa liefern?
Nein. Es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass China nun in so großem Maße Photovoltaik zubaut. Übrigens auch dank der Anti-Dumpingmaßnahmen in den USA und Europa. Denn erst nach Einführung dieser Maßnahmen hat die chinesische Regierung das gigantische inländische Absatzprogramm für die eigene Solarindustrie gestartet. Würde die EU jetzt Zoll und Mindestpreis auslaufen läßt, würde der EU-Markt sofort wieder mit Dumpingware geflutet. Dass die Politik dann erneut Konsequenzen gegen Photovoltaik zieht, ist absehbar. Dann ginge der Photovoltaik in Europa auch der letzte Rückhalt verloren.

Aber werden mit diesem festgesetzten Mindestimportpreisen nicht weitere notwendige Kostenreduktionen behindert, damit der Markt in Europa wieder anziehen kann?
 Nein. Die Kosten gehen ja weiter nach unten, aber eben mit der Rate des technischen Fortschritts, nicht der Kreditausschüttung der chinesischen Staatsbanken. Wir sollten diese Situation als Chance begreifen, in Europa einen nachhaltigen Markt aufzubauen. Photovoltaik ist heute überall in Europa wirtschaftlich, wird aber immer noch ausgebremst. Das Vertrauen fehlt. Wenn wir aber einen echten Qualitätsmarkt aufbauen und den immer noch vor allem in Deutschland existierenden Know-how-Verbund Industrie, Forschung und Systemdienstleister wieder nach vorne bringen, kann der Markt auch wieder wachsen. Ein nachhaltiges Niveau dürfte dann etwa wieder beim doppelten des heutigen Marktvolumens in Deutschland und in der EU liegen.

Warum positionieren sich aus Ihrer Sicht diesmal deutlich mehr Verbände und Unternehmen gegen die Mindestimportpreise als noch 2013?
Die frühere EPIA hat sich umbenannt und vertritt heute nicht mehr die Solarindustrie in Europa. Im Vorstand sitzen ausschließlich Unternehmen, die ihr Geschäft in und mit China machen. Der VDMA weiß ganz genau, dass den deutschen Maschinenbauern in wenigen Jahren das gleiche in China blüht, wie der Modulindustrie. Die Kopien der deutschen Maschinen kann man heute schon bewundern. Aber noch machen die Firmen den Großteil ihres Umsatzes in China. Und da will man nicht vorzeitig rausfliegen. Bei den Projektierern bin ich ratlos. Eigentlich müssten alle wissen, dass der kritischen Marktlage nicht mit chinesischem Dumping beizukommen ist. Besonders deutlich ist das ja in Deutschland. Da ist die Zahl der Freiflächenprojekte gesetzlich auf 400 Megawatt limitiert, egal wie billig die Module werden. Aber ok, man kann mit Billigware im Zweifel kurzfristig höhere Margen erzielen. 

Mittlerweile betreibt Solarworld nicht nur am Standort Freiberg eine Waferfertigung, sondern seit Mai auch in Arnstadt. (Foto: SolarWorld)
Der "Spiegel" berichtete kürzlich, dass Solarworld aber auch Geschäfte mit China macht. Sie sollen auf Wafer aus China zurückgegriffen haben. Warum?
Ein starkes Stück, uns das vorzuwerfen. Wir haben für die Einbeziehung chinesischer Wafer in die Anti-Dumpingregeln gekämpft und sind von der EU im Regen stehen gelassen worden. Heute ist Solarworld der einzige verbliebene Waferhersteller in Europa. Als Solarworld im vergangenen Jahr die Bosch-Fertigung für Mono-Zellen in Arnstadt übernommen hat, wurden uns die Fertigungskapazitäten für Ingots und Wafer angesichts der Marktlage als nicht wettbewerbsfähig dargestellt. Um aber die neu erworbene Zellfertigung anfahren zu können, mussten wir monokristalline Wafer international aus Korea, Taiwan und China beziehen. In der Menge handelte es sich dabei nur um einen Bruchteil unserer eigenen, in Deutschland hergestellten multikristallinen Wafermenge.

Jetzt produziert Solarworld die monokristallinen Wafer selbst?
Wir haben alles daran gesetzt, um die von Bosch zuvor stillgelegte Arnstädter Ingotproduktion wieder in Betrieb zu nehmen. Dies ist uns unter großen Kostensenkungs- und Effizienzanstrengungen im Mai gelungen. Aus den in Arnstadt produzierten Mono-Ingots sägen wir an unserem Standort in Freiberg Wafer. Seitdem produzieren wir auch unsere eigenen Monowafer in Deutschland und konnten dafür neue Arbeitsplätze schaffen. Das alles habe ich dem „Spiegel“-Autor übrigens vorher mitgeteilt. Geschrieben hat er davon nichts.

Es gibt nun auch die Angst, dass auch Zellen und Module aus Taiwan und Malaysia wegen der Anti-Circumvention-Klage zu Mindestpreisen in der EU verkauft werden müssen. Ist diese Angst berechtigt?
Nein, es geht nur darum, die Umgehungsversuche der chinesischen Hersteller zu unterbinden. Hersteller aus Taiwan und Malaysia sind von der Klage explizit nicht betroffen, soweit sie nachweisen können, dass ihre Produkte wirklich aus eigener Produktion stammen und nicht einfach umgelabelte chinesische Ware sind.

Das Interview führte Sandra Enkhardt.

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