Niklas hat Ronald Pönisch mehr Einsätze beschert als alle Stürme zuvor. Am 31. März wurden in fast ganz Deutschland – so der Deutsche Wetterdienst – schwere Sturmböen mit 89 bis 102 Stundenkilomete und orkanartige Böen mit 103 bis 117 Stundenkilometer und zum Teil auch Orkanböen registriert.
Ronald Pönisch arbeitet für die Mannheimer Versicherung. Sie schickt ihn, wenn ein Betreiber einen Schaden meldet, um diesen zu regulieren. Bei 44 der von der Mannheimer Versicherung versicherten Anlagen wurden im Zuge des Sturms Schäden gemeldet. Im Vergleich zu den abgeschlossenen Verträgen liege der Anteil der geschädigten Anlagen im unteren Promillebereich.
Der Schadensregulierer ist der Meinung, dass bei den Fällen, zu denen er gerufen wurde, nur in Einzelfällen wirkliche Errichtungsfehler und auch nicht das Tragesystem für die Schäden verantwortlich gewesen seien. „Die meisten Schäden waren infolge der hohen Windgeschwindigkeiten kaum zu vermeiden“, sagt er. „Dafür gibt es den Versicherungsschutz.“
Allerdings zeigen sich bei der Frage, ob diese Fehler hätten auftreten dürfen, unterschiedliche Philosophien. Dabei ist auch die Frage relevant, was fachgerecht ist, besser: zum Errichtungszeitpunkt war, und was man von den planenden Ingenieuren erwarten kann. Theoretisch mag es möglich sein, so Pönisch, auch spezielle Gebäudeformen und -situationen zu berücksichtigen, Ränder von Windschneisen und lokale Windspitzen. In der Praxis sei es aber schwierig, wirklich alles immer richtig zu berechnen. Gerade bei zum Errichtungszeitpunkt neuartigen Konstruktionen, wie es beispielsweise die aerodynamisch optimierten Aufständerungssysteme für Flachdächer vor vier Jahren waren, gebe es außerdem ja auch noch einen Lerneffekt.
Ballastierte Systeme
Diese aerodynamisch optimierten Systeme halten nur durch die Reibung auf dem Dach. Ein Windblech auf der Rückseite führt dazu, dass sie bei einem Winddruck zusätzlich nach unten gepresst werden. Trotzdem ist oft eine Ballastierung notwendig. Pönisch hat einige Fälle gesehen, wo zwar nach Herstellerberechnungen ballastiert wurde, die Anlage dem Sturm aber trotzdem nicht standgehalten hat. „Es scheint so zu sein, dass besonders die Windkräfte an den Dachrändern unterschätzt wurden“, erklärt er.
Das zeigte sich besonders an einer Anlage, an der ein Schaden auftrat. Ein Sachverständiger hatte bezüglich dieser Anlage nochmals den Hersteller nach der richtigen Ballastierung angefragt. Das Ergebnis der statischen Berechnung war deutlich verschieden von dem, was der Installateur im Jahr 2012 bei der Errichtung der Anlage bekommen hatte. Jetzt war plötzlich mehr Ballast vorgesehen. „Auch die Hersteller lernen dazu“, schließt er daraus.
Dass die Ränder so stark betroffen sind, liegt daran, dass an den Hauswänden unter Umständen starke Auftriebskräfte entstehen. Das lässt sich auch bei den fest montierten Photovoltaikanlagen beobachten. „Die Schäden treten immer an den Rändern, nicht in der Mitte auf“, sagt Pönisch. In einem Fall hat es die Stockschrauben so stark verbogen, bis sie gebrochen sind. In einem anderen Fall hat zwar die Befestigung der Photovoltaikanlage auf dem Dach gehalten, da hat es aber das gesamte Dach am Rand abgehoben.
Bei den nicht fest verschraubten ballastierten Anlagen hat Pönisch sogar eine Kettenreaktion beobachtet. Wenn sie durch den Sturm so weit verschoben werden, dass sie von den untergelegten Bautenschutzmatten rutschen, sinkt die Reibung und sie verrutschen noch weiter. Er hält es daher für falsch, die Bautenschutzmatten zu klein zu beschneiden. Allerdings wird unter Fachleuten auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Bautenschutzmatten so verlegt werden müssen, dass das Wasser auf dem Dach noch ablaufen kann (siehe pv magazine Juni 2014, Seite 16). Pönisch hat jedoch in seiner Tätigkeit als Schadensregulierer noch nie einen Versicherungsfall gesehen, bei dem es dadurch zu einem Schaden kam.
Es ist für Pönisch schwer einzuschätzen, wie viele der von ihm begutachteten Schäden durch nicht fachgerechte Errichtung oder nicht fachgerechte Montagesysteme entstanden sind. „Vermutlich weniger als 25 Prozent“, sagt er. Diese Einschätzung lässt sich jedoch nicht einfach auf nicht versicherte Anlagen übertragen. Die Mannheimer Versicherung evaluiert die Errichterbetriebe. Sie versichert nur Anlagen, die von Installateuren gebaut wurden, welche sie in ihre Positivliste aufgenommen hat. Der Statistik liegt somit schon eine positive Auswahl zugrunde.
Berechnungen nicht gemacht
Der Sachverständige Cedrik Zapfe hat bei Sturmschäden nämlich andere Erfahrungen gemacht. Er ist bekannt, weil er regelmäßig für Schletter die statischen Analysen macht, und wird zum Beispiel von der Allianz gerufen, wenn Schäden begutachtet werden sollen. In den letzten zwei Jahren hat er nach eigenen Aussagen rund 20 Sturmschäden gesehen. Zapfe hat beobachtet, dass in den Schadensfällen, die alle Dächerarten betrafen, oft überhaupt keine statischen Berechnungen vorgelegen haben. Wenn sie vorgelegen hätten, seien sie teilweise falsch gewesen. So sei teilweise der Sicherheitsbeiwert von 1,5 nicht berücksichtigt worden – wobei selbst das bei einem Ereignis wie Niklas noch nicht zu einem Schaden hätte führen dürfen.
Teilweise werde zwar die Befestigung statisch berechnet, nicht aber das Gestell. So sei in einem Beispiel etwa das Gestell stehen geblieben. Die Module seien aber herausgerissen worden, weil die Modulbefestigung nicht gehalten habe. Das sei besonders fatal, wenn Module Teil der Tragekonstruktion sind, wie es bei einigen Systemen der Fall ist. Dann bricht nämlich, wenn ein Modul fehlt, die gesamte Statik zusammen. Seine Vermutung ist, dass das einer der Gründe war, warum Niklas bei der Anlage auf dem Krefelder Stadion einen so großen Schaden anrichten konnte. Die Stadtwerke haben inzwischen allerdings mitgeteilt, dass die Anlage gerade umgebaut wurde, als der Sturm kam. Module seien teilweise gar nicht befestigt gewesen. Sie hätten zehn weitere Anlagen in ähnlicher Größenordnung, die mit der gleichen Technik gebaut seien. Diese Anlagen hätten bisher allen Stürmen standgehalten.
Bei den aerodynamisch optimierten Systemen, die nur mit mehr oder weniger viel Ballast auf die Dächer gestellt werden, fällt Zapfe Ähnliches auf wie Mannheimer-Experte Pönisch, dass teilweise die Reibung zwischen Gestell und Dach überschätzt wurde. Nur: Zapfe hat eben auch die statischen Berechnungen ganz vermisst.
Auslegen auf das 50-Jahres-Ereignis
Einfach beschrieben, gelten Montagesysteme dann als fachgerecht dimensioniert, wenn sie Sturmereignisse aushalten können, die statistisch, auf die Windgeschwindigkeit bezogen, alle 50 Jahre oder öfter auftreten. Für Windzone vier, das ist die mit den stärksten Stürmen, ist diese Windgeschwindigkeit, gemessen zehn Meter über dem Boden, mit 108 Stundenkilometern festgelegt worden. Bei den anderen Windzonen liegt diese Geschwindigkeit darunter. In Ausnahmefällen reicht es, auf kürzere Zeiträume von zum Beispiel 25 Jahren auszulegen, zum Beispiel bei Scheunen, wo weniger Menschen in der Nähe vermutet werden. Das reduziert die anzunehmenden Lasten aber nicht so drastisch.
Die Windgeschwindigkeiten werden für die Betrachtungen im Bauwesen über einen Zeitraum von zehn Minuten gemittelt. Niklas erreichte zwar auf dem Brocken 115 Stundenkilometer. Außer auf den Bergspitzen stieg Niklas in der Auflistung des Deutschen Wetterdienstes aber nirgendwo über 90 Stundenkilometer. Niklas war somit ein Ereignis, dem Photovoltaikanlagen eigentlich standhalten sollten. Das zeigt auch Cedrik Zapfes Auswertung der Windgeschwindigkeiten, die der Deutsche Wetterdienst veröffentlicht hat (siehe Tabelle). Die über zehn Minuten gemittelten Werte lagen nur auf den hohen Bergen über den in Windlastzone 4 festgelegten 50-Jahres-Ereignissen. Eine Auswertung des Deutschen Wetterdienstes, die lokale 50-Jahres-Grenzwerte berücksichtigt, zeigt ebenfalls für die Spitzenböen, dass Niklas nur auf dem Weinbiet leicht über denen für ein 50-Jahres-Ereignis lag. Es gab andere Stürme in der Vergangenheit, zum Beispiel Wiebke (1990), Lothar (1999) und Kyrill (2007), bei denen die Windgeschwindigkeiten deutlich näher an dem Grenzwert lagen. Nur dass damals noch kaum oder deutlich weniger Photovoltaikanlagen montiert waren.
Die Praktiker oder deren Statikssoftware rechnen die Windzone, in der eine Anlage steht, wieder in eine Windlast um, die eine Anlage maximal aushalten muss. Dazu berücksichtigen sie unter anderem die Höhe der Installation über dem Boden, die Gelän¬de¬rauig¬keit und die Topographie. Daraus berechnen die Programme einen Expositionsfaktor, der die Windlast, die eine Installation aushalten muss, erhöht. Dieser deckt zum Beispiel die Böen ab. Deren Windgeschwindigkeiten können durchaus 50 Prozent über dem Zehn-Minuten-Mittel liegen.
Lokale Turbulenzen als Ursache
Hält damit jede Anlage? Zusätzlich können lokale Turbulenzen zu höheren Windgeschwindigkeiten führen, als es während eines Sturmes zu erwarten ist. Im Mai tobte etwa ein Tornado über Affing bei Augsburg. „Dann ist es verständlich, dass eine Photovoltaikanlage nicht hält“, erklärt Sachverständiger Cedrik Zapfe, der dort eine Anlage begutachtet hat.
Was er für Affing sagt, gelte aber für viele andere Schäden, die er gesehen hat, nicht. Bei einem Sturm wie Niklas sollte seiner Meinung nach eine Photovoltaikanlage halten, wie auch der Vergleich der Windlasten bei Niklas mit denen der 50-Jahres-Ereignisse zeige. „In 90 Prozent sind es Bau- oder Planungsfehler, die zum Schaden führen“, urteilt er.
Der Deutsche Wetterdienst warnt in seinen Veröffentlichungen, dass „zum Beispiel zwischen Gebäuden oder in Bewuchslücken durch Kanalisierung der Strömung deutliche Windgeschwindigkeitsüberhöhungen, sogenannte Düseneffekte, möglich sind“. Cedrik Zapfe hält das trotzdem nicht für einen Grund, warum Photovoltaikanlagen einem Sturm wie Niklas nicht standhalten sollten. Wenn der Planer eine von der Norm abweichende Umgebungssituation feststelle, habe er zwei Möglichkeiten: Entweder er veranlasst Windkanalversuche oder eine Berechnung mit CFD-Simulationsprogrammen, was im Bauwesen gängige Praxis sei. Wenn das im Fall von Photovoltaikanlagen den Kostenrahmen sprengt, was vermutlich der Fall sei, könne man eben keine Anlage installieren.
Unterschiedlicher Blick auf die Schäden
Ein Grund für die unterschiedlichen Erfahrungen und Interpretationen von Pönisch und Zapfe liegt auf der Hand. Sachverständige werden meist gerufen, wenn eine Versicherung schon einen ersten begründeten Verdacht auf Errichtungsfehler hat oder wenn der Schaden sehr groß ist. Das ist aber bei den meisten Schäden nicht der Fall. Außerdem ist es eben immer eine nicht ganz eindeutig zu klärende Frage, wie man die fachgerechte Installation definiert und welcher Aufwand angemessen ist.
Was die Versicherungsfälle insgesamt angeht, sind Schäden durch Sturm übrigens die mit dem höchsten Schadensaufkommen (siehe Grafik 2). Darauf folgen Schäden durch Brand und Schäden durch Blitzeinschlag und Überspannung. Was die Anzahl der Schäden angeht, liegen die durch Blitz und Überspannung deutlich vorne. Darauf folgen die durch Marderbisse, Schäden durch allgemeines „technisches Versagen“ und durch Schneedruck. Insbesondere die durch Marderbisse geschädigten Anlagen halten Pönisch derzeit auf Trab. Dabei ließen sich diese einfach vermeiden, wenn man verbisssichere Kabelkanäle installieren oder die Randbereiche der Anlage mit einem Drahtgeflecht absichern würde, um den hungrigen Nagern den Zugang unter die Module zu verwehren. (Michael Fuhs)
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