Viele Entwicklungen können noch nicht abgeschätzt werden

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pv magazine: Was sind die größten Hürden bei der zukünftigen Entwicklung der Netze, die für die Energiewende notwendig sind?
Holger Krawinkel (Foto): Viele Entwicklungen können aktuell nicht wirklich abgeschätzt werden. Man hat sich auf der einen Seite beim Offshore-Ausbau und dem starken Windkraft-Ausbau im Norden festgelegt. Der zieht Leitungsbedarf nach sich mit hohem Investitionsbedarf. Auf der anderen Seite wissen wir nicht genau, wann der Marktdurchbruch der Speicher kommt. Die Speicher können, was die Netzanforderungen angeht, ein Game Changer werden. Wenn sich die Heimspeicher durchsetzen, hat innerhalb weniger Jahre ein völlig anderes Versorgungssystem und ganz andere Anforderungen an das Netz zur Folge.

Was bedeutet das für die Kosten pro Kilowattstunde?

Speicher und Photovoltaik-Anlagen werden überwiegend im privaten Rahmen errichtet. Damit entstehen für die anderen Stromkunden zunächst keine Kosten. Experten gehen davon aus, dass sich ein Haus bis 2020 für unter zehn Cent pro Kilowattstunde zum größten Teil selbst versorgen kann. Auf der anderen Seite kostet der Netzausbau mehrere Milliarden Euro.

Die diejenigen, die sich selbst versorgen, nicht zahlen….

Wenn viele Speicher installiert werden, wird es eine disperse Netznutzerstruktur geben. Eine Gruppe von Netznutzern mit einem sehr hohen Eigenerzeugungsgrad wird sich weitgehend vom Netz verabschieden. Eine andere Gruppe mit einem geringeren Eigenerzeugungsgrad von unter 50 Prozent bleibt als Teilnutzer noch überwiegend vom Netz abhängig. Wieder eine andere Gruppe wird mit dem gesamten Verbrauch das Netz nutzen. Sicher ist, dass man nicht alle Kosten auf die bezogene Kilowattstunde und damit zu einem großen Teil auf die Vollnutzer umlegen kann.

Ist die leistungsbezogene Abrechnung eine Alternative?

Eine leistungsbezogene Abrechnung der Netzentgelte könnte zu einer spiralförmigen Kostenentwicklung führen. Mit dieser Art der Abrechnung kann zum Beispiel in größeren Wohneinheiten der sogenannte Ungleichzeitigkeitsfaktor „privatisiert“ werden. Da die Bewohner eines Mehrfamilienhauses nie alle gleichzeitig Staub saugen oder deren Gefrierschrank nie gleichzeitig anspringt, liegt die benötigte Anschlussleistung für ein großes Wohnhaus deutlich unter der Summe aller Anschlussleistungen der einzelnen Haushalte. Das könnte die Netzentgelte erhöhen. Das wiederum würde Speicher in Kombination mit Photovoltaik-Anlagen und dezentrale KWK attraktiver und sich die anderen Verbraucher auch zunehmend vom Netz abkoppeln würden.

In der Solarbranche haben viele Angst, dass bei einer Abrechnung entsprechend der Netzanschlussleistung die Finanzierung von Speichern und Photovoltaik-Anlagen schwieriger wird.
Das hängt davon ab, wie sich die Speicherkosten entwickeln. Wenn die Kostenentwicklung so weitergeht, wird die Installation immer sehr attraktiv bleiben. Am Ende bleibt, dass man die Netzverfügbarkeit bezahlen muss, solange man am Netz bleibt. Bei Arealen oder Mehrfamilienhäusern können dagegen für Betreiber von Speichern und Photovoltaik-Anlagen Vorteile entstehen. Dazu müssen allerdings die Hemmnisse für Mieterstrommodelle beseitigt werden.

Was bedeutet in dieser Diskussion die Digitalisierung?
Digitalisierung führt zu einer Senkung der Transaktionskosten. Da die erneuerbaren Energien auch weitgehend grenzkostenfrei sind, ergänzen sich diese Entwicklung. Zum einen ermöglicht die Digitalisierung automatisierte Laststeuerungen, die zum Beispiel eine Photovoltaikanlage zum richtigen Zeitpunkt den Speicher befüllen und damit netzdienlich die Mittagspitze kappen oder die PV-Anlage abschalten lassen. Zum anderen verändert Digitalisierung die Kundenbeziehungen. Um entsprechende Angebote machen zu können, muss das Energieunterehmen seinen Kunden kennen. Also zum Beispiel individuelle Angebote für Speicher, Photovoltaik oder eine Ladebox für die Elektromobilität.

Ist es also eine politische Entscheidung, wohin sich das System entwickelt?
Politische Steuerung ist das eine, technologische Entwicklungen sind das andere. Wenn die Speicher deutlich günstig werden und Photovoltaik in die Gebäude integriert wird, könnten autarke Gebäude zum Standard werden. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern werden die Kundenwünsche unmittelbar wirksam. Daran ändert auch der bekannte Vorwurf nichts, Eigenverbrauch führe zu Entsolidarisierung. Mit dem gleichen Argument müsste man von Menschen eine Nahverkehrsabgabe fordern, wenn sie im Sommer von der U-Bahn auf das Fahrrad umsteigen.

Das Gespräch führte Michael Fuhs.

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Holger Krawinkel wird auf dem 16. Forum Solarpraxis am 26./27. November in Berlin aus dem "Nähkästchen" plaudern, wenn es um die Geschäftsmodelle innovativer Stadtwerke und Energieversorger geht.Zum Programm

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