Die Stahlindustrie schaltete Anfang Mai ein mehrseitiges Anzeigenblatt im Spiegel, um ihre Argumente in der EEG-Debatte zu forcieren. Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl Hans Jürgen Kerkhoff benennt darin die Ziele der Branche. Das ist zum einen die Beibehaltung der Ausnahmeregelungen für energieintensive Unternehmen von der EEG-Umlage beim Stromeinkauf und zum anderen die umlagefreie Eigenstromerzeugung. Er befürchtet die Deindustrialisierung Deutschlands und den Verlust tausender Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, sollte die Politik den Forderungen nicht folgen.
Seiner noch moderaten Einleitung: „Die Energiewende muss gelingen – ohne Schaden für den Industriestandort und die Beschäftigten“, folgen Autoren, die mit wesentlich deutlicheren Worten den Klimaschutz einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit opfern wollen. So schreibt Adityal Mittal, Geschäftsführer von Arcelor Mittal: „Die EU braucht realistische Klimaziele“, und meint leichter erreichbare, abgesenkte Ziele. Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln orakelt: „Die De-Industrialisierung in Deutschland hat begonnen“ und schiebt die Schuld für die Investitionsschwäche der energieintensiven Branchen wie selbstverständlich der Energiewende zu. Dabei weist die beigefügte Grafik eine fallende Kurve von 2000 bis 2005 und von 2008 bis 2010 auf, die auch in den anderen Branchen, wenn auch weniger stark auftritt. Ein Zusammenhang zu den Strompreisen scheint jedoch an den Haaren herbeigezogen, stiegen die Industriestrompreise doch vor allem dann an, wenn auch die Investitionsfreudigkeit wuchs.
Ebenso unangenehm fällt auf, dass die Autoren ständig zwischen steigenden EU-Strompreisen und der steigenden deutsche EEG-Umlage wechseln. So vergleicht eine Grafik gleichbleibende US-Strompreise mit steigenden EU-Preisen. Die Grafik endet mit dem Jahr 2011, nicht etwa, weil keine neueren Zahlen vorliegen, sondern, weil seit dem die EU-Preise sinken und die US-Preise ansteigen, wie die Agora Energiewende in einer Analyse aus dem März 2014 nachweist. Dabei seien die deutschen Preise gemeinsam mit tschechischen und polnischen Preisen die niedrigsten in Europa. In den europäischen Statistiken lässt sich das kaum erkennen, da Kompensationszahlungen und reduzierte Netzentgelte für die stromintensivsten Unternehmen nicht im Ansatz gebracht werden, wie Christian Matthes vom Ökoinstitut nachwies.
Emma Marcegaglia, Präsidentin von Businesseurope, appelliert aufgrund dieser veralteten und wenig relevanten Daten an die EU-Kommission von Alleingängen im Klimaschutz abzusehen und weiter auf Kohle, Gas und Atomstrom zu setzen, sowie „teure Förderprogramme für erneuerbare Energien zurückzufahren“. Dieser Appell ist schwer zu verstehen, wenn man bedenkt, dass die Stahlbranche eine Schlüsselrolle bei der Energiewende einnimmt. Darauf weist das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) einige Seiten weiter vorne hin. Beim Bau von Offshore-Windparks und neuen Stromtrassen werden die Aufträge gerne angenommen, die es ohne die „teuren Förderprogramme“ gar nicht gäbe.
Das Ziel der redaktionell anmutenden Publikation, die offenbar gezielt Fehlinformationen verbreitet, ist eindeutig die Rettung der Privilegien der Stahlbranche. Schon 2012 hat das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) errechnet, dass die stromintensive Industrie durch den Ausbau erneuerbarer Energien allein im Jahr 2012 einen finanziellen Vorteil von fast 600 Millionen verbuchen konnte. Je mehr Strom ein Unternehmen beziehe, desto größer sei der relative Kostenvorteil. Für die durchschnittlichen Nutznießer der besonderen Ausgleichsregelung (Stromverbrauch von 117 Terrawattstunden) lag er bei voller Begünstigung im Jahr
2012 bei 960.000 Euro.
Die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen konstatiert, dass die Sondervertragskunden im Hochspannungsbereich seit Mitte 2011 von Preissteigerungen verschont blieben. Dass sich derartige Entlastungen sehr positiv auf das Geschäftsergebnis auswirken, zeigen beispielsweise die aktuellen Erfolgsmeldungen von ThyssenKrupp. Welchen Vorteil die Unternehmen hier mit allen Mitteln tatsächlich verteidigen, zeigt eine Schätzung des FÖS. Demnach lag der Umfang der Industrieausnahmen, also die Ermäßigungen auf Konzessionsabgaben, Energie-/ Stromsteuern, EEG-Umlage und anderen Abgaben 2005 noch bei 8,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2014 sollen es dagegen schon 16,2 Milliarden Euro sein, wovon 11 Milliarden auf die übrigen Stromkunden umgelegt werden. Bei diesen Summen fällt eine teure Anzeigenkampagne nicht ins Gewicht.
Cornelia Lichner ist freie Journalistin und regelmäßige Autorin für pv magazine
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