Netzbildende Wechselrichter: 30 Prozent Durchdringung sind pragmatisch

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Der 14. Mai 2024 erlaubt einen Blick in die Zukunft. Um 13:15 Uhr hatten die erneuerbaren Energien einen Anteil von 117 Prozent an der deutschen Stromversorgung. Die 17 Prozent, die über dem Bedarf lagen, gingen als Stromexporte in die Nachbarländer. Nicht in der Statistik enthalten ist die Dienstleistung, die wiederum Frankreich, Tschechien und Polen für Deutschland leisteten. „Die Trägheit bekamen wir von unseren Nachbarn“, sagt Bernd Engel. Gemeint ist die Trägheit der Synchrongeneratoren der fossilen und der Kernkraftwerke, die immer noch nötig ist, um das Netz mit Momentanreserve zu versorgen, also kurzfristige Frequenzänderungen instantan auszugleichen.

Um diese Trägheit für eine regenerative Erzeugung zu ersetzen, benötigt man netzbildende Wechselrichter. Auf der Tagung „Qualität von PV-Anlagen und Batteriespeichern“, die am 14. und 15. November in Berlin stattfand, erklärte der Professor und geschäftsführende Institutsleiter des Elenia Instituts für Hochspannungssysteme und Systemtechnik an der TU Braunschweig, wie der Weg dorthin aussieht.

Die Tagung, die Conexio PSE in Kooperation mit der DGS ausrichtete, ist die Fortsetzung der vor mehr als zehn Jahren von DGS-Urgestein Ralf Haselhuhn ins Leben gerufenden Sicherheitstagung. Ein Kleinod, zu dem sich nach wie vor ein harter Kern von rund 60 Teilnehmern, vor allem Ingenieure, Wissenschaftler und Gutachter, jährlich in Berlin trifft und in großer Tiefe Themen wie Netzsicherheit, Statik oder Brandschutz diskutiert.

Das Problem der bisher fehlenden Trägheit im erneuerbaren Energiesystem, so Engel weiter, ist nicht nur eine vielleicht ungewollte Abhängigkeit, sondern birgt auch die Gefahr einer Netzauftrennung, zu der es kommen kann, wenn in einem Netzabschnitt eine Störung auftritt. Das sei zwar selten, aber zweimal sei es beispielsweise im Jahr 2021 zwischen Frankreich und Spanien zu einer Netztrennung gekommen. Bei einer Netzauftrennung am 14. Mai hätte in Deutschland die Momentanreserve gefehlt.

Roadmap sieht Momentanreserve ab 2025 vor

In der Roadmap Systemstabilität, an der 150 Personen und 80 Verbände mitgewirkt haben und die das Bundeswirtschaftsministerium bereits vor einem Jahr veröffentlichte, ist der Weg zur Lösung des Problems angelegt. „Der Wandel wird von vielen unterschätzt, wir müssen vom Ende her denken“, erklärte Alexander Folz, Regierungsdirektor im Referat Systemsicherheit des Bundeswirtschaftsministeriums. Er legt daher wert darauf, dass in Zukunft alle Anlagen stabilitätskonform sein müssen. „Keine darf das System schwächen“, sagt er.

Die Roadmap sieht die marktgestützte Beschaffung von Blindleistung dieses Jahr und von Momentanreserve bereits nächstes Jahr vor. Bei der marktgestützten Beschaffung gibt es wirtschaftliche Anreize, man kann also unter Umständen etwas verdienen. Später werden die Anforderungen dann über die Technischen Anschlussrichtlinien verpflichtend. Wenn man als Betreiber jetzt mit einem Vertrag von der marktgestützten Beschaffung profitiert, läuft dieser Vertrag weiter, auch wenn die Dienstleistung über die Technischen Anschlussregeln später verbindlich werden.

Grundsätzlich soll die Technik immer erst in der höheren Spannungsebene getestet und dann ausgerollt werden, bevor sie in der darunterliegenden Spannungsebene getestet wird, erklärt Bernd Engel. Er ist skeptisch, dass wirklich auch kleine Wechselrichter von acht Kilowatt aufwärts Momentanreserve liefern sollen.

Engel sieht große Vorteile darin, vor allem die Batteriespeicherkraftwerke, von denen ja bereits etliche zig Gigawatt geplant werden, zur Momentanreserve vorzusehen. Im Juni hat der FNN ein Hinweispapier veröffentlicht. Die Übertragungsnetzbetreiber haben auch bereits eine Studie zur Preisgestaltung beauftragt. „Ich würde sie nur noch Momentanreserve-reaady bauen“, sagt er. Ebenso seien die neuen großen Photovoltaikkraftwerke, die zum größten Teil mit Speicher gebaut werden dürften, gut geeignet, die Netzdienstleistung zu erbringen. Denn durch die Batterien sei es diesen Anlagen möglich, gleichermaßen positive und negative Momentanreserve zu bieten.

Am Ende, so Engel, müssten nicht, wie von Übertragungsnetzbetreibern teilweise gewünscht, alle Anlagen netzbildende Eigenschaften haben. Das Forschungsprojekt Netzregelung 2.0 des Bundeswirtschaftsministeriums habe ergeben, dass diese Eigenschaften bei einem Drittel der Anlagen ausreichend seien. Er ruft daher zu „Pragmatismus“ auf, um die Ziele zu erreichen.

Die nächste Betriebs- und Sicherheitstagung findet am 15. und 16. Oktober 2025 statt.

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