Warum auch kleine Photovoltaikanlagen in Zukunft abregeln müssen

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Die Solarenergie ist das Zugpferd der Energiewende: Dank des dynamischen Ausbaus stieg die solare Stromerzeugung im ersten Halbjahr stärker an als die aller anderen Erneuerbaren zusammen. Dies ist Grund zu Freude, denn zur Dekarbonisierung brauchen wir langfristig mehrere 100 Gigawatt Solarleistung in Deutschland, wie Studie zeigen. Doch die Weise, in wir Solarenergie zubauen und in den Strommarkt integrieren, bereitet Grund zur Sorge.

Rund 20 Prozent der neu installierten PV-Leistung erhält die gleitende Marktprämie und etwa 10 Prozent gar keine Förderung. Ungefähr 70 Prozent entfällt jedoch auf Dachanlagen kleiner als 100 Kilowatt, die eine feste Einspeisevergütung erhalten. Stand Juli 2024 dürften so rund 60 Gigawatt PV-Leistung dem Einspeisetarif unterliegen. Diese Anlagen haben immer Anreiz, Strom zu erzeugen, unabhängig davon, ob es ausreichend Nachfrage dafür gibt. Dies ist der Grund, warum an der Strombörse immer häufiger negative Preise auftreten, was die Förderkosten in die Höhe treibt. Das ist jedoch nicht der einzige Grund zur Sorge. Es wächst auch die Gefahr von Stromüberschuss.

Stromüberschuss-Situationen

An sonnigen Tagen mit geringem Stromverbrauch könnte es bald mittags zu einem Überschuss an Strom kommen. Gemeint ist damit eine Situation, in der das Stromangebot an der Day-Ahead-Auktion die Stromnachfrage übersteigt, selbst wenn der Preis auf den niedrigsten erlaubten Preis von minus 500 Euro pro Megawattstunde fällt. Diese fehlende Markträumung setzt sich dann auf dem Intraday-Markt fort, wo der Preis bis auf minus 9999 Euro pro Megawattstunde fallen kann. Ökonomisch gesprochen ist die Ursache hierfür ein „preisunelastisches Angebot“, also Stromerzeuger, die trotz des niedrigen Preises weiter einspeisen (Abbildung 1). Und das sind heute in der Mehrzahl Solaranlagen.

 

Stromüberschuss: Fehlende Markträumung
Abbildung 1: Fehlende Markträumung beim Minimalpreis wegen Must-run- und ungeregelter Erzeugung – eine Stromüberschuss-Situation.

Stromüberschuss: Fehlende Markträumung

 

Abbildung 1: Fehlende Markträumung beim Minimalpreis wegen Must-run- und ungeregelter Erzeugung – eine Stromüberschuss-Situation.

Grafik: Neon

Bisher trat dieser Fall einer fehlenden Markträumung in Deutschland noch nie auf. Jedoch kam es in den letzten Jahren bereits an 20 Stunden, zu Day-Ahead-Preisen die unter minus 100 Euro pro Megawattstunde fielen. Anhand dieser Fälle lässt sich die Rolle der Photovoltaik ablesen. Abbildung 2 zeigt den durchschnittlichen Erzeugungsmix in diesen Stunden: zwar speisten auch andere Erneuerbare und konventionelle Must-run-Erzeugung ein, jedoch in einem sehr viel geringerem Ausmaß als Solar. Mit einem weiteren Anstieg der ungeregelten Solarleistung ist ein Stromüberschuss bereits im Frühsommer 2025 nicht auszuschließen, etwa wenn es über die Oster- oder Pfingstfeiertage sonnig und windig wird.

Unflexible Produzenten: Stromerzeugung bei stark negativen Preisen

Abbildung 2: In den Jahren 2023 und 2024 fielen die Day-Ahead-Preise bisher in 20 Stunden auf -100 Euro pro Megawattstunde oder tiefer. In diesen Stunden erzeugten Solaranlagen im Schnitt 34 Gigawatt, andere Erneuerbare 15 Gigawatt und konventionelle Kraftwerke knapp 8 Gigawatt.

GRafik: Neon

Was passiert, wenn der Markt nicht räumt? In einem solchen Fall würden die Übertragungsnetzbetreiber zunächst Regelleistung aktivieren, von der in Deutschland allerdings nur circa drei Gigawatt vorgehalten werden. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um Stromeinspeisung und -entnahme auszugleichen, würde die Frequenz im europäischen Verbundnetz ansteigen, was die Aktivierung von Primärregelleistung zur Folge hätte, von der europaweit drei Gigawatt vorgehalten werden.

Wenn diese regulären Maßnahmen ausgeschöpft sind und die Netzfrequenz trotzdem weiter ansteigt, werden durch die Überfrequenz automatisch Stromerzeuger vom Netz getrennt. Parallel dazu würden die Übertragungsnetzbetreiber mit Notfallmaßnahmen reagieren, gegebenenfalls auch mit der Abschaltung ganzer Verteilnetze, aus denen viel Strom rückgespeist wird. Diese Situation bedeutet zwar keineswegs automatisch einen flächendeckenden Ausfall des Stromsystems (Blackout), jedoch steigt die Gefahr einer schwerwiegenden Störung in einem derart gestressten System stark an. Dies muss unbedingt vermieden werden.

Wirtschaftliche Kosten

Neben den Risiken für die Systemsicherheit verursacht die Stromerzeugung zu negativen Börsenpreisen volkswirtschaftliche Kosten. Ein immer größerer Anteil des Solarstroms wird in Zeiten negativer Preise erzeugt – im laufenden Jahr sind es bereits 20 Prozent (Abbildung 2).

 

Solarerzeugung bei negativen Preisen

Abbildung 3: Anteil der Stunden mit negativen Preisen in der Day-Ahead Auktion und Anteil der Solarerzeugung, der auf diese Stunden entfällt.

Grafik: Neon

Niedrige und negative Preise in den Mittagesstunden führen dazu, dass Solaranlagen zwar mittags die größten Energiemengen produzieren, jedoch in den Morgen- und Abendstunden die wesentlich größeren Erlöse erwirtschaften. Deswegen sind Ost- und West-ausgerichtete Anlagen sowie eine Überbauung der Modulleistung im Vergleich zum Wechselrichter ökonomisch so sinnvoll. Im Einspeisetarif bestehen jedoch dafür kein Anreiz, weil ja jede Kilowattstunde gleich vergütet wird, unabhängig von der tatsächlichen Wertigkeit des Stroms.

 

Solarerzeugung im Tagesverlauf (Juli 2024)

Abbildung 4: Solar Stromerzeugung und dadurch generierte Wertschöpfung im Tagesverlauf während des Monats Juli.

Grafik: Neon

Die volkswirtschaftlichen Kosten werden bei geförderten Anlagen als EEG-Kosten sichtbar. Nach unserer Schätzung dürften die zusätzlichen Kosten durch die fehlende Abregelung von Solaranlagen in diesem Jahr bei circa 200 Millionen € liegen. Sollte es zu stärkeren negativen Preisen kommen, könnten die Kosten schnell noch höher ausfallen. Noch gravierendere Kosten fallen an, wenn der Markt tatsächlich nicht räumt. Die Verkaufsgebote der Übertragungsnetzbetreiber, die die Erzeugung aus dem Einspeisetarif an der Börse verkaufen, werden dann nur Pro Rata zugeteilt, so dass ein Teil davon als Unterdeckung des Bilanzkreises in der Ausgleichsenergie landet. Hier wären in einer derartigen Situation Preise von -100.000 €/MWh vorstellbar. Dies könnte EEG-Kosten von Hunderten von Millionen Euro bedeuten – in einer einzelnen Stunde!

Blind für Strompreise

Im Gegensatz zu thermischen Kraftwerken sind Photovoltaik-Anlagen technisch hochflexibel: Sie können im Prinzip einfach, schnell und ohne Kosten ab- und zugeschaltet werden. Warum aber produzieren dann so viele Solaranlagen auch bei negativen Börsenpreisen?

Die Antwort liegt einerseits an der fehlenden technischen Fernsteuerbarkeit, vor allem aber an den finanziellen Anreizen. Solaranlagen außerhalb der Förderung und in der gleitenden Marktprämie haben einen Anreiz abzuschalten, sobald der Strompreis deutlich negativ wird. Anlagen im Einspeisetarif, also etwa zwei Drittel der installierten Leistung, zeigen ein solches Verhalten jedoch in der Regel nicht – sie produzieren auch bei negativen Börsenpreisen weiter.

Dies liegt in den Anreizen, die der Einspeisetarif setzt: Volleinspeiser erhalten immer den gleichen Cent-Betrag je eingespeister Kilowattstunde, haben also grundsätzlich immer einen Anreiz, in jeder Situation Strom zu erzeugen – unabhängig vom Börsenpreis. Auch Eigenverbrauchsanlagen haben in aller Regel einen Anreiz zur Stromerzeugung bei negativen Strompreisen, weil sie entweder den Einspeisetarif erhalten (wenn sie einspeisen) oder den Endkunden-Strompreis ersetzen (wenn sie eigenen Verbrauch decken).

Ausblick auf die nächsten Jahre

Bei einem Solarzubau von 15 Gigawatt pro Jahr, einem Einspeisetarifanteil von 70 Prozent und einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 60 Prozent steigt die solar Einspeisespitze um sechs Gigawatt pro Jahr an. Eine Verlangsamung des Zubaus oder eine Verlagerung in die Direktvermarktung ist derzeit nicht absehbar.

Ob es zu einem Stromüberschuss kommt, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, insbesondere von Angebot, Nachfrage, Speichern sowie Export und Import. Dies ist die Lage:

  • Der Stromverbrauch in Deutschland stagniert derzeit, so dass mittelfristig nicht mit einer Entschärfung des Problems durch eine steigende Nachfrage zu rechnen ist.
  • Eine Lastverschiebung in die Mittagszeit wäre hilfreich. Bislang verhindern jedoch eine Reihe von regulatorischen Hürden eine nennenswerte Reaktion der Nachfrage auf Strompreise. Problematisch sind dabei vor allem das Fehlen dynamischer Endkundentarife und der dafür notwendigen Smart Meter, die zeitlich starren Netzentgelte, Leistungspreise bei Netzentgelten, sowie die Netzentgelt-Rabatte für gleichmäßigen Stromverbrauch. Selbst bei zügigen Reformen ist hier in den nächsten Jahren nur eine begrenzte Entlastung zu erwarten.
  • Der Boom bei Heimspeichern ist leider keine große Hilfe, weil diese mit dem Ziel der Eigenverbrauchs-Maximierung betrieben werden und zum Zeitpunkt der Erzeugungsspitze häufig bereits vollgeladen sind.
  • Großbatterien könnten Entlastung bringen, und das Interesse von Investoren ist groß. Gebremst werden sie vor allem durch die Netzbetreiber, die Netzanschlüsse nur zögerlich gewähren. So wurden im vergangenen Jahr lediglich 0,3 Gigawatt Speicherleistung installiert.
  • Auch in vielen Nachbarländern ist ein starker Ausbau der ungeregelten Solarstromleistung zu verzeichnen, so dass keineswegs sichergestellt ist, dass in einer Überschusssituation die volle technische Exportkapazität genutzt werden kann. Dies könnte die Problematik verschärfen.
  • Es ist zu hoffen, dass andere Stromerzeuger, insbesondere Wind, Biogas, Wasserkraft, aber auch größere Solaranlagen, in Zukunft stärker auf negative Preise reagieren und damit die Situation entschärfen. Ob und wie schnell dies geschieht, ist jedoch nicht absehbar.

Selbst bei günstiger Entwicklung all dieser Faktoren ist es aber bei der aktuellen Lage nur eine Frage von wenigen Jahren, bis die Gefahr von Stromüberschüssen deutlich zunimmt. Sollte eine solche Situation auftreten, steht zu befürchten, dass die Politik den Solarzubau kurzerhand abwürgt.

Handlungsoptionen

Deswegen ist es erforderlich, dass nahezu alle in Zukunft neu installierten Solaranlagen auf Strompreissignale reagieren, das heißt in Überschusssituationen abregeln. Die klassische Einspeisevergütung bietet dafür keine Anreize. Neben einer weiteren Ausweitung der Direktvermarktungspflicht, der Wiedereinführung der Spitzenkappung und der Möglichkeit der Abregelung durch den Netzbetreiber wird deswegen auch eine Anpassung der Einspeisevergütung diskutiert, die in Zeiten negativer Börsenpreise ebenfalls negativ würde.

Alle diese Ansätze sind problematisch in der Umsetzung. Deswegen ist jetzt auch die Branche gefragt, konstruktive und praktikable Vorschläge zu entwickeln, wie eine Reaktion von Solaranlagen auf Strompreise erreicht werden kann. Denn nur so kann die Geschwindigkeit des Zubaus aufrechterhalten werden.

Lion hirth Hertie School

Über den Autor

Lion Hirth ist Professor für Energiepolitik an der Hertie School, einer Hochschule für öffentliche Ordnung in Berlin, und Gründer und Direktor von Neon, einer Beratungsfirma für Energiewirtschaft. Er ist ein Energieökonom und Experte für erneuerbare Energien, Strommärkte und Energiepolitik. Als Mitglied der deutschen Gaskommission hat er Kunden aus dem privaten und öffentlichen Sektor beraten, darunter die deutsche Regierung, die Internationale Energieagentur, die Europäische Kommission sowie Übertragungsnetzbetreiber, Versorgungsunternehmen und Rohstoffhändler. Vor seiner Promotion war er fünf Jahre in der Industrie tätig.

 

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