Harmlos bis lebensgefährlich

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Auf der Wiese des TÜV-Geländes in Köln treffen immer mehr Menschen ein. Vom TÜV Rheinland kommen sie, von der Berufsfeuerwehr Köln, von der Berufsfeuerwehr München und von anderen kooperierenden Institutionen. Während die 17 Wissenschaftler und Techniker ihre Versuchsanlagen aufbauen, bereitet sich ein Fernsehteam auf seinen Dreh vor. In den Experimenten soll es um die elektrische Gefährdung von Feuerwehrleuten beim Löschen von Gebäuden mit Photovoltaik gehen. Ebenfalls anwesend ist der Student Ferdi Gülenc von der Bergischen Universität Wuppertal. Das Team testet im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit, wie Gleichstrombeim Löscheinsatz auf den menschlichen Körper wirkt. Während die Wirkung von Wechselstrom bei Unfällen im Niederspannungsbereich sehr gut untersucht ist, besteht bei Gleichstrom Wissensbedarf. Und der wächst, weil es immer mehr Photovoltaikanlagen und damit Gleichstrom auf und in den Gebäuden gibt.
So geht es auch dem Brandamtsrat Horst Thiem, der extra aus München angereist ist, um bei den Experimenten fachlich zu beraten: „Im Jahr 2004 bin ich das erste Mal mit der Technik konfrontiert worden und habe mich damals schon gefragt: Ist sie bei der Brandbekämpfung harmlos oder gefährlich?Welche Konsequenzen ergeben sich für Feuerwehren?“ Zunächst gab es bei den Einsatzkräften keinen Widerstand gegen die neue Technik. Doch mit der steigenden Anzahl der Photovoltaikanlagen ist seit etwa fünf Jahren auch die Unsicherheit gestiegen, „weil man diese Systeme nicht mit einem Schalter abschalten kann,“ oder zumindest anfänglich nicht konnte.
Dazu kamen zum Teil reißerische Medienberichte über Photovoltatikbrände und das kontrollieret Abbrennen lassen von Gebäuden mit Photovoltaik, weil das Löschen der unter Spannung stehenden Anlagen zu gefährlich sei. „Feuerwehr ist eine kommunale Aufgabe“, erläutert Thiem. „Allein in Bayern haben wir 7.500 Feuerwehren mit entsprechend 7.500 Führungskräften in den Gemeinden. Daraus ergibt sich ein unterschiedlicher Informationsstand und ein vielfältiges Meinungsbild“.
Um das zu objektivieren, wollen die Feuerwehren zusammen mit dem TÜV bei ihren Experimenten nun konkret überprüfen, was beim Löschen von unter Gleichspannung von 700 bis 900 Volt stehende Anlagen wirklich passiert. Es gilt, zu klären, wie viel Gleichstrom unter welchen Löschbedingungen wirklich durchdie Körper der Einsatzkräfte fließen könnte. Dazu muss ein Dummy herhalten, bei dem der entsprechende Strom gemessen wird.
Beim ersten Versuch der Reihe soll ermittelt werden, wie viel Gleichstrom beim direkten Löschen von spannungsführenden Anlagenteilen über den Löschstrahl durch den Körper fließt. Im Experiment wird der Worst Case angenommen, wie viel Strom über den nackten Körper ohne Schutzbekleidung mit Handschuhen und Stiefeln fließen würde. Dabei experimentieren die Wissenschaftler und Techniker mit einen Körperwiderstand von 500 Ohm. Auch das ist der ungünstigste Fall, denn 95 Prozent der Menschen haben einen doppelt so hohen Körperwiderstand von zirka 1.000 Ohm, bei ihnen würde also nur die Hälfte des gemessenen Stroms durch den Körper fließen.

Gefährliche Situationen

Gemessen wird der Strom bei Einsatz eines Mehrzweckstrahlrohrs. Dieses kann je nach Bedarf einen gezielten Vollstrahl oder einen diffusen Sprühstrahl erzeugen. Entsprechend unterschiedlich sind die fließenden Ströme, beim Vollstrahl höher als bei einem Sprühstrahl. In der Untersuchung ist das Strahlrohr einen Meter von dem stromführenden Gitter entfernt, auf das der Strahl direkt gerichtet ist. Die Untersucher verwenden Wasser ohne weitere Löschzusätze.
Das Ergebnis: Beim Vollstrahl fließen höchstens zwölf Milliampere durch den Dummy. Beim Sprühstrahl liegt der Wert mit höchstens neun Milliampere noch niedriger. Bei diesen Stromflüssen durch den Körper sind zwar Muskelkontraktionen möglich. Doch die Stromstärke liegt im ungefährlichen Bereich.
Dann wird der Versuch mit einem Hohlstrahlrohr wiederholt. Hier wird der Wasserstrahl im Rohr verwirbelt und bekommt dadurch als Löschstrahl andere elektrische Eigenschaften. Die Stromstärken können unter ungünstigsten Bedingungen zwar 37 Miliampere erreichen. Wenn dem Wasser Löschmittel zugesetzt werden, steigen die Stromstärken noch an. Doch bei kurzer Einwirkung sind auch diese Ströme nicht gefährlich.
In der Realität sind Feuerwehrleute natürlich mit Schutzkleidung ausgerüstet. Beim Einsatz tragen sie Handschuhe,Spezialkleidung und antistatische Stiefel. „Dann sind wir im Mikroamperebereich,“ so Thiem. Es besteht über den Löschstrahl also keine Gefahr, wenn sich die Einsatzkräfte an die geltende Norm DIN VDE 0132 „Brandbekämpfung und technische Hilfeleistung im Bereich elektrischer Anlagen“ halten. Dieseschreibt vor, dass beim Sprühstrahl ein Abstand von einem Meter zu elektrischen Anlagen einzuhalten ist, beim Vollstrahl sogar fünf Meter.
Riskant wird es allerdings, wenn die Rettungskräfte elektrisch leitende Teile direkt berühren. Dies kann leicht vorkommen, wenn die Anlage Strom produziert, nicht abschaltbar ist und beispielsweise beim Brand Isolationen weggeschmort sind. Hier muss die Schutzkleidung ebenfalls helfen. In einem zweiten Versuch experimentieren TÜV und Feuerwehren mit den elektrischen Eigenschaften der Einsatzkleidung unter verschiedenen Bedingungen. Dabei messen sie, welche Gleichströme über Schutzhandschuhe und Stiefel von Hand zu Hand und von Hand zu Fuß fließen.
Der Dummy bekommt also die volle Feuerwehrmontur übergezogen. Zu-nächst sind Handschuhe und Stiefel trocken. Der Widerstand neuer antistatischen Stiefel liegt bei etwa 100 000 Ohm, also dem Hundertfachen des elektrischen Widerstands des menschlichen Körpers. Die Messungen zeigen eine Stromstärke im unkritischen Bereich, es sind keine körperlichen Schäden zu erwarten. Dann wird der Stromfluss bei nasser Schutzkleidung gemessen. Je nach Kontaktstelle und Stromweg durch den Körper fließen jetzt durchaus kritische Stromstärken. Beim einem Hand-zu-Hand-Kontakt mit nassen Handschuhen sind es ungefähr 1,5 Ampere. „Das heiß, die Handschuheoder die Kleidung über dem Arm haben den Strom auf den Körper durchgelassen,“ erläutert Thiem. Die Schutzkleidung bleibt bei einem Löscheinsatz natürlich kaum trocken. So besteht bei nicht abgeschalteten Photovoltaikanlagen am Tage also durchaus die Gefahr von gefährlichen Gleichstromschlägen durch das Berühren von beschädigten elektrischen Teilen der Anlage.

Erkunden, erkunden

In einem dritten Versuch wird der Dummy knietief in eine Wanne mit Wasser gestellt. Dann wird das Wasserbecken mit dem Pluspol der Gleichstromquelle verbunden. Der Minuspool liegt außerhalb am Becken an, wie beispielsweise an einem Geländer. Mit dem im Wasser stehenden Dummy wird die Berührung des negativen Pols simuliert und der Strom gemessen. Das Resultat: es fließt ein lebensgefährlich hoher Strom durch den Dummy.
Aus den Versuchen zwei und drei leiten sich konkrete Verhaltensregeln ab, wie sie durch die jahrelange Erfahrung mit Wechselstrom jetzt schon gelten. Die wichtigste Regel aus Versuch zwei bringt Thiem auf Punkt: „Vor dem Einsatz erkunden und nochmals erkunden.“ So schauen die Feuerwehrleute vor dem Löschen auch, ob eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ist. „Erst wenn ich weiß, wie die Situation tatsächlich ist, kann ich meinen Auftrag erteilen. Zur Rettung von Menschenleben kann allerdings von den Vorschriften abgewichen werden.Aber ich sollte mir als Einsatzleiter schon darüber im Klaren sein, dass ich meine Leute nicht in eine potenzielle Gefahr schicke und Verletzte oder sogar Tote in Kauf nehme.“ Die normale Hausstromversorgung trennt die Feuerwehr oft vor dem Einsatz. Wenn es möglich und erforderlich ist, werden ganze Straßenzüge abgeschaltet. So gab es bisher nur wenige Unfälle mit elektrischem Strom bei Feuerwehrleuten. Und für nicht abgeschaltete Wechsel- und Gleichstromanlagen gilt: „Einen Meter Abstand halten zu elektrisch spannungsführenden Teilen – das ist die ganz allgemeine Vorgabe nach den VDE“, so Thiem. Überflutete Bereiche dürfen bei spannungsführender Elektrik nicht betreten werden.
Nach den Versuchen bleiben Fragen. Dauert die Erkundung bei einem Gebäudebrand jetzt generell länger und können die Brandschäden dadurch größer werden? „Wir müssen den Blick für Photovoltaikanlagen schärfen,“ antwortet Thiem. Wo die Erkundung mit Blick auf die Solaranlage Routine ist, hält sich der zusätzliche Zeitaufwand in engen Grenzen. Wenn Photovoltaik drauf ist, müssen die Einsatzkräfte über den richtigen Umgang Bescheid wissen. Auch das ist noch nicht bei jeder kleinen Feuerwehr selbstverständlich. „Ich bin in der Branddirektion im Reihumverfahren auf allen Wachschichten unterwegs“ sagt Thiel. „Ich unterrichte auch auf der Kreisebene für die freiwilligen Feuerwehren und führe dort Kommandantenschulungen durch.. Seit dieser Zeit haben wir schon viele Verantwortliche erreicht.“ Vom Bundesverband Solarwirtschaft gibt es zur Brandbekämpfung die Broschüre „Einsatz an Photovoltaikanlagen“, dazu die Taschenkarte „Handlungsempfehlungen Photovoltaikanlagen. Brand-amtsrat Thiem zieht eine positive Bilanz. „Seitdem diese Schriften flächendeckend über den Feuerwehrverband verteilt worden sind, hat sich die Situation entspannt.“ Da sei sehr viel Wissen vermittelt worden. Immer mehr Feuerwehrleute sind sich der möglichen Risiken bewusst und bagatellisieren sie so wenig wie sie die Gefahren grundlos überschätzen. Die Versuche zur Wirkung von Gleichstrom beim Löschen von Anlagen helfen dabei, Gebäude mit Photovoltaik noch sicherer zu löschen.

Forschungsprojekt PV-Brandsicherheit

Ein Konsortium unter Führung vom TÜV Rheinland und dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) Freiburg leitet seit Februar 2011 das Projekt „Bewertung des Brandrisikos in Photovoltaik-Anlagen und Erstellung von Sicherheitskonzepten zur Risikominimierung“. Es soll im Januar 2014 abgeschlossen sein. Projektpartner sind Energiebau Solarstromsysteme Köln, Branddirektion München, DGS – Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie Berlin, TÜV Rheinland LGA Products Köln, Currenta Leverkusen, und Berner Fachhochschule Burgdorf. Zusätzlich sind weitere Institutionen, Photovoltaikexperten und Industriepartner eingebunden. Das Arbeits- paket 5 „Gefahrenanalyse und Ableitung von Maßnahmen zur Gefährdungsminimierung von Feuerwehreinsatzkräften“ wird von der Berufsfeuerwehr München geleitet.
In den Untersuchungen im Arbeitspaket 5 sollen Gefahren minimiert werden,, die von einem Gebäude mit installierter Photovoltaikanlage im Brandfall ausgehen, losgelöst von der Brandursache. Die Versuche zur elektrischen Gefährdung der Feuerwehren durch Photovoltaikanlagen im Rahmen der Bachelor-Arbeit von Ferdi Gülenc (Bergische Universität Wuppertal) wurden von Florian Reil (TÜV Rheinland Energie und Umwellt GmbH) geleitet.

www.pv-brandsicherheit.de

www.solarwirtschaft.de

www.feuerwehr-muenchen.de

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