Die ökonomische Bedeutung der lokal entstehenden Wertschöpfung durch Photovoltaik, Windkraft, Biomasse und andere erneuerbare Energien ist schon oft betont worden, ebenso die technischen Aspekte der räumlichen Nähe von Erzeugung und Verbrauch – von der Entlastung der Verteilnetze bis zur höheren Resilienz eines dezentral strukturierten Systems. Und auch die politische Bedeutung, die eine direkte Beteiligung der Bürger für die Energiewende hat, ist ein immer wieder behandeltes Thema.
Am Fraunhofer CINES (Cluster of Excellence „Integrierte Energiesysteme“), wo sich Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen mit „den zentralen Herausforderungen der Energiewende, sowohl aus der technologischen als auch aus der ökonomischen Sicht“ befassen, hat nun ein dort bestehender Thinktank zu „Vor-Ort-Systemen“ ein Arbeitspapier erstellt, das eine systematische Betrachtung solcher Systeme versucht.
Die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas erfordert dabei zunächst einmal vier Seiten, um den Begriff „Vor-Ort-System“ zu klären. In Kürze beschreibt er „den energiewendedienlichen Einsatz von Anlagen zu Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von erneuerbarer Energie in räumlicher Nähe“, wobei mit „energiewendedienlich“ wiederum der Ausbau und die Integration der Erneuerbaren sowie „die Steigerung von Beteiligung und Akzeptanz und die Reduktion von Netzbelastungen“ gemeint ist. Somit fallen unter diese Definition beispielsweise Balkon-Solaranlagen, Mieterstromkonzepte, Energy Sharing – also der von der EU geforderte, in Deutschland immer noch nicht umgesetzte Rahmen zum lokalen Teilen von Energie über öffentliche Netze – oder die Projekte von Bürgerenergiegesellschaften, kurz: alles, was räumliche, organisatorische und ökonomische Bindungen zwischen Erzeugung und Verbrauch von erneuerbarer Energie schafft.
Das Papier „Vor-Ort-Systeme im Fokus – 7 Thesen für eine erfolgreiche Energiewende“ stellt auf rund 40 Seiten in den besagten sieben Thesen dar, „ob und auf welche Weise Vor-Ort-Systeme zu einer kosteneffizienten und partizipativen Energiewende beitragen können“. Adressat sind alle Akteure der Energiewende, insbesondere selbstredend die Politik, die schließlich für die Schaffung gedeihlicher Rahmenbedingungen zuständig ist. Die Thesen im Einzelnen:
- Durch Vor-Ort-Systeme können bisher ungenutzte PV-Potenziale erschlossen werden
Das große Potenzial der Dächer von Mehrfamilienhäusern in Deutschland ist „aus verschiedenen Gründen (Mieter- Vermieter-Dilemma, Regulatorik, Bürokratie, Unwirtschaftlichkeit)“ bislang erst wenig erschlossen. Mit Einführung der „Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ im Solarpaket 1 gibt es zusammen mit dem Mieterstrommodell und der Volleinspeisung künftig drei wesentliche Modelle. Analysen am Fraunhofer CINES hätten bestätigt, dass Mieterstrom und Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung für Investoren wirtschaftlich attraktiver sind als Volleinspeisung. Deshalb sei „davon auszugehen, dass damit tatsächlich bisher ungenutzte PV-Potenziale erschlossen werden können“.
- Durch Vor-Ort-Systeme können Vor-Ort- Einnahmen generiert werden
Vor-Ort-Systeme bringen Stromkosteneinsparungen bei Letztverbrauchern, Gewinne bei lokal ansässigen Unternehmen und auch kommunale Steuereinnahmen. Gewinne aus dem Betrieb bleiben logischerweise nur dann lokal, wenn dies auch für das Eigentum an den Anlagen gilt. Die Stromkostenvorteile hingegen sind „grundsätzlich unabhängig von der lokalen Ansässigkeit und vielmehr vom gewählten Versorgungskonzept und den Tarifbedingungen bestimmt“. Kommunale Steuern wiederum fallen vergleichsweise gering aus. Sonderregelungen im Bereich Installation und Wartung könnten „zusätzliche Einnahmen für Dienstleister vor Ort mit entsprechenden Gewinn- und Steuereffekten“ erbringen. Die Möglichkeit zu lokalen Einnahmen und Einsparungen aus Vor-Ort-Systemen sei jedenfalls „einer der größten Treiber für die Akzeptanz der Energiewende bei den Bürgerinnen und Bürgern“.
- Vor-Ort-Systeme ermöglichen auch Mieterinnen und Mietern eine Partizipation an der Energiewende
Das Papier geht auf die heute bereits zahlreichen Möglichkeiten ein, die „mit der neuen Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung sowie der bevorstehenden Stärkung des Energy Sharing“ noch vermehrt würden. Generell sei es hierbei wichtig, „die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Vor-Ort-System-Modelle transparent aufzuzeigen und Komplexität möglichst zu reduzieren“.
- Vor-Ort-Systeme erschließen große Flexibilitätspotenziale, die ansonsten ungenutzt bleiben
Die digital gesteuerte Nutzung kleiner Flexibilitäten wie Wallboxen oder Wärmepumpen gilt als wichtiger Baustein für ein zunehmend dezentral strukturiertes Stromnetz. Für die Vermarktung solcher Flexibilitäten entstehen der vierten These zufolge zwar „durch die Einbettung in ein Vor-Ort-System keine besonderen Vorteile“. Es könnten aber durch „gemeinschaftliche Planung und Betrieb der notwendigen Infrastruktur“ durchaus positive Effekte hinsichtlich Effizienz und Kosten entstehen.
- Vor-Ort-Systeme stützen das elektrische Versorgungsnetz und können netzdienlich gestaltet und betrieben werden
Derzeit, so die Beschreibung im Arbeitspapier, werden Vor-Ort-Systeme überwiegend zur Steigerung des lokalen Eigenverbrauchs genutzt. Sie könnten aber durchaus auch einen Beitrag zur Entlastung vorgelagerter Netze leisten. Es erscheine „sinnvoll und effizient, die Möglichkeiten, die Vor-Ort-Systeme bieten, sowohl für einen lokalen Einsatz als auch für das Gesamtenergiesystem zu erschließen“. Vor-Ort-Systeme als solche seien vermutlich nicht in der Lage, den Bedarf für Netzausbau zu reduzieren – hierfür brauche es die in These 4 beschriebene Aktivierung lokaler Flexibilitätsressourcen.
- Vor-Ort-Systeme steigern die Resilienz des Energieversorgungssystems
Die Möglichkeiten zur netzverträglichen Gestaltung des Betriebs einerseits und die Potenziale für eine lokale Grund- beziehungsweise Minimalversorgung andererseits sind Faktoren für eine durch Vor-Ort-Systeme erhöhte Resilienz des Gesamtsystems. Sie unterstützen „Anforderungen einer höchstmöglichen Unempfindlichkeit des Energiesystems gegenüber äußeren und inneren Einflüssen“.
- Vor-Ort-Systeme benötigen eine Reform der Netzentgeltsystematik, um noch (energiewende-) gerechter zu werden
Eine Möglichkeit, wie Vor-Ort-Systeme die Stromnetze entlasten, besteht in der Umwandlung auftretender Photovoltaik-Überschussmengen in lokale Eigenstromnutzung. Dies vermeide auch „verbrauchsbedingte Netzlastspitzen“, wie sie durch rein strompreisoptimierte Betriebsführung von Flexibilitäten entstehen – etwa das Laden von Elektrofahrzeugen. Derzeit aber führe die Systematik der Netzentgelte dazu, „dass durch PV-Eigenstromnutzung die Netzentgelt-Arbeitspreise für alle Netzkunden steigen“. Die Netzentgelte sollten so umgestaltet werden, dass sie eine netzverträgliche Nutzung steuerbarer Verbraucher gegenüber der allein an den Spotmarktpreise ausgerichteten Betriebsweise anreizen.
Das Arbeitspapier beschreibt und erörtert die sieben Thesen ausführlich, ist aber dennoch eine kompakte und allgemein verständliche Lektüre. Als Zielgruppe betrachten die Autorinnen und Autoren nach eigenen Angaben vor allem interessierte Bürger, die kommunale Energiewirtschaft und politische Akteure. Die sieben Thesen stehen zum kostenlosen Download auf den Seiten des Fraunhofer CINES bereit. Die Gruppe „Vor-Ort-Systeme“, die etwa die energietechnische Simulation real existierender und geplanter Quartiere und Energiegemeinschaften anbietet, die Untersuchung von Anwendungsfällen für Vor-Ort-Versorgung oder die Konzeptionierung und Umsetzung prognosebasierter Betriebsführungskonzepte, bietet Informationen zu ihrer Arbeit ebenfalls online an.
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Zunächst Dank an das Frauenhofer für die gute und interessante Analyse, vor allem der Vor-Ort-Systeme.
Wenn ich nun aber meiner Tochter, die 2 Häuser weiter wohnt, Strom aus meiner PV liefern möchte, müsste ich eine Energiegemeinschaft gründen – das wird, sofern nicht einfache Gesetze geschaffen werden, viele von ähnlichen Möglichkeiten abhalten.
Überlegen Sie mal, was Sie durch so eine Energiegemeinschaft sparen könnten: Nicht mehr, als Sie für Strom insgesamt zahlen und davon eher nur einen kleinen Prozentsatz, denn der selbst produzierte Strom ist nicht umsonst und ein Reststrombedarf bleibt. Und dann überlegen Sie, ob das den bürokratischen Aufwand der Erfassung der Stromflüsse zwischen Ihnen und Ihrer Tochter (da kommt es ja auf die Gleichzeitigkeit an) wert ist. Natürlich ist es nett, wenn man sich durch Kooperation mit Nachbarn gegenüber den Nicht-Kooperierenden einen kleinen Vorteil verschaffen kann. Man könnte sich aber auch daran freuen, mit einer sinnvollen Investition zum Allgemeinen Vorteil beizutragen, indem man den schönen PV-Strom zum Wohle aller vollständig ins Netz einspeist. Und dieses gute Gefühl kostet einen gar nicht viel.
Oft lese ich gerade vom Frauenhofer Institut „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ lohnt sich und erschließt neue Potenziale im MFH-Bereich. Leider ist das Gesetz so konzipiert, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit den Netzbetreibern und örtlichen Messstellenbetreibern derzeit nicht umsetzen lassen. Marktkommunikation, IT-Probleme, Zertifizierungen, komplexe Gemeinschaftsstromverträge mit Mietern und Eigentümern alle 2 Jahre neu bedenken usw… Ich kenne derzeit kein Modell in Deutschland, wo im nichtgewerblichen Bereich die reine GGV nach Solarpaket I Anwendung findet. Leider.
Mein Hausbesitzer weigert sich strikt, PV auf das Hausdach zu setzen ,weil er sich alß Hausbesitzer schon mit der jetzt anfallenden bürokratischen Last überfordert fühlt, und als ehemaliger Hausbesitzer kann ich da mitfühlen. Vielleicht kann ja CINES hierzu den Bürokraten im Justizministerium Vorschläge unterbreiten
Nun ja, „die Fraunhofers“ bringen „nichts Neues“ —
ausser einer gut gestalteten Zsammenfassung von längst Bekanntem –
? ODER ?
Alles Gute !
Wolfgang Gerlach Ingenieur 84 Jahre
Eigentlich finde ich die Idee bestechend. Weniger teurer Netzausbau und Netzbetrieb, der sogar europaweit gedacht werden muss, sondern so viel wie möglich lokale Stromerzeugung.
Aber was machen die Autoren dieser Studie daraus? Das Ergebnis ist unbefriedigend, denn vieles, was da zu lesen ist, können die meisten Leser dieser Webseite im Schlaf herunterbeten. Zu viel „können“ und „möglich“ im Text. Der Tank des Think Tank scheint recht klein geraten.
Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn die Bundesregierung es zuließe, dass verschiedene Modelle einfach ausprobiert werden. Dafür würden sich hoffentlich genug Neugierige finden. Dann würden wir verlässlich wissen, ob sich der Aufwand wirklich lohnt.
Im Original Papier werden die Vorteile dieser Lösung am Beispiel eines Sommertags erörtert. Warum muss das PV sein, wenn Thermosolar – bei zentraler Warmwasserversorgung – schon heute die Mieter mit Energie versorgen kann? Und das ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand!
Zuvorderst gilt: Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung. Wir müssen bei der Energiewende schneller und kompromissloser werden. Schneller und preiswerter geht Solarenergie nicht auf Dächern, sondern auf der freien Fläche. Kompromisslos – wie ich aus Streitgründen gerne bin – möchte auch auf ein sehr fundamentales Problem von Solar auf Dächern hinweisen: Das Fundament einer Dachanlage ist das Dach. Das hält aber üblicherweise nicht länger als 50 Jahre. Insofern ist es kurzsichtig auf Dächern Solaranlagen zu installieren, wenn man das billiger, effizienter, mit weniger Personal, viel geringeren Wartungskosten und viel langlebiger auf der freien Fläche tun könnte. Langlebiger meint dabei: „EWIG“! Boden und Baugenehmigungen verschleissen nicht!
Fazit: Wenn man also nach 50 Jahren Dachlebensdauer nicht immer wieder von vorne anfangen möchte, dann kann man es auch gleich sein lassen. Natürlich darf sich jeder sein Solarmodul dahin hängen, wo er möchte, aber das ist doch offensichtlich viel teurer und kurzlebiger als Solarparks. Das ist keine Lösung für eine Industrienation, die preiswert, dauerhaft und schnell von den fossilen Energiequellen wegkommen möchte.
PS: Vor-Ort-Anlagen können auch Solarparks von Bürgerenergiegenossenschaften sein, die am lokalen Mittespannungsnetz und am besten mit einem Energiespeicher, der mindestens einen Tagesgang im Sommer puffern kann, betrieben werden. In jeder Kommune sollte – wenn möglich – mindestens 1 Prozent, besser 2 Prozent der verfügbaren Fläche dafür ausgewiesen werden. Wie wäre es mit einer kommunalen Angebotsplanung mit Bürgerbeteiligungsmodellen und dem Betrieb durch das lokale Stadtwerk?
Jeder Solarpark sollte dabei aber bitte nicht weniger als 10 Megawatt-Peak Leistung haben, damit er möglichst lange rentabel betrieben werden kann. Denn es gilt: „Energieerzeugungsanlagen werden solange betrieben, wie sie sich lohnen.“
Widerspruch, Herr Schnitzler
Wenn -wie üblich- SolarGarantie ab-gelaufen UND SolarWirkungsgrad (auch im Vergleich zu dann neuer Solartechnik) abgesoffen,
so lohnt es sich absolut, auf dem Dach eines Hauses, das bis etwa 30 Jahre alt, Solar zu installieren — wenn die Wirtschaftlichkeit „einigermassen rechenbar“ .
Oder ?!
Alles Gute !
Wolfgang Gerlach, Ingenieur, 84 Jahre
Natürlich kann sich das rechnen für den Hausbesitzer, aber nicht, wenn es um preiswerten Strom Gewerbekunden und alle anderen geht. Das schöne an Solarparks ist doch diese Story: Nach der Abschreibungsperiode von 20 Jahren ist alles, was ich dann mache, nur Ersatz von defekten Teilen, oder – wenn es sich rechnet – vollständiger Ersatz von vielen noch funktionsfähigen Teilen. Das ganze ohne die schon verausgaben Einmalkosten. Darum kann so ein Solarpark in Deutschland nach den ersten 20 Jahren dauerhaft rentabel seinen gründen Strom für unter 2 Cent pro Kilowattstunde anbieten. Das kann ein Dachanlagenbetreiber nicht zu diesem Preis. Er würde Verluste machen, die unweigerlich zum Konkurs führen würden, oder die ganze Solaranlage beim Finanzamt zur Liebhaberei machen.
Oder anders herum: Bitte beantworten Sie mir doch einfach diese Frage: Warum sollte ein Stromkäufer in der Zukunft denn mehr pro Kilowattstunde zahlen, als unbeding notwendig?
Es braucht in meinen Augen keine höhere EEG-Vergütung, als unbedingt notwendig, um den schnellen Ausbau an Photovoltaik mit Freiflächen-Photovoltaik zu meistern. Wenn man das so machte -was ich dringend empfehle – dann rechnen sich Dachanlagen natürlich immer noch für den Eigenverbrauch.