Hydraulischer Schwungradspeicher zur Unterstützung von Photovoltaik-Einspeisung

Sonnenuntergang, Solarpark, Pixabay, AI generiert

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Energie in rotierenden Massen zu speichern, gehört zu einer der ältesten Formen der Energiespeicherung. Diese Energiespeicher – auch Schwungradspeicher genannt – erhöhen üblicherweise Ihre Drehzahl bei der Aufnahme von Energie und verringern sie bei der Energieabgabe. Das liegt daran, dass Sie herkömmlicherweise aus einem starren Material bestehen und daher ein unveränderliches Massenträgheitsmoment besitzen.

An der Hochschule in Flensburg entwickeln wir nun einen Schwungradspeicher, der über ein veränderliches Massenträgheitsmoment verfügt. Bei einem solchen Schwungrad kann bei der Ein- und Ausspeicherung von Energie die Drehzahl quasi konstant bleiben, während sich das Massenträgheitsmoment verändert. Dies eröffnet spannende Möglichkeiten, um die Netzstabilität zu erhöhen oder kurzfristig Erzeugungsschwankungen auszugleichen – dazu später mehr. Schwungräder mit variablem Massenträgheitsmoment hat es auch in der Vergangenheit schon gegeben, allerdings haben sich diese aufgrund ihrer Komplexität nicht in größerem Maßstab als Energiespeicher durchsetzen können.

Aufbau Schwungradspeicher
Bild 1: Aufbau des hydraulischen Schwungradspeichers (HYDRAD-Speicher) – Explosionsansicht

Quelle: Eigene Darstellung der Autoren

Schwungräder zeichnen sich generell dadurch aus, dass sie große Energiemengen für kurze Zeiträume –  üblicherweise wenige Sekunden oder Minuten – kostengünstig speichern und bereitstellen können. Mit besonders reibungsarmen Lagern und vakuumierten Kammern sind aber auch Speicherperioden von mehreren Stunden möglich. Im Rahmen der vom Bundesbildungsministerium lancierten Initiative „T!Raum – TransferRäume für die Zukunft von Regionen“ entwickeln wir an der Hochschule Flensburg im geförderten Forschungsprojekt „Innovationslabor: Speicher zur Nutzung erneuerbarer Energien im echten Norden“ innovative Lösungen für die Herausforderungen der Energiewende. Unter der Leitung von Clemens Jauch wird ein hydraulischer Schwungradspeicher mit variablem Massenträgheitsmoment – kurz HYDRAD-Speicher – konstruiert. Dieser Speicher kann Energie aufnehmen, ohne seine Rotationsgeschwindigkeit maßgeblich ändern zu müssen, was ihn von herkömmlichen Schwungradspeichern unterscheidet.

Speicherung von Solarstrom

Insbesondere der Stromertrag von Photovoltaik-Anlagen ist sehr volatil und nicht nur saisonalen, sondern auch tageszeitlichen Schwankungen unterworfen, die sich im Minutentakt ändern können. In Bild 2 ist die auf die Erdoberfläche eintreffende Solarstrahlung für den Standort Flensburg über die Dauer eines Jahres minutengenau dargestellt. Um diesen sprunghaften Ertrag an den Strombedarf anzupassen, werden Energiespeicher benötigt. Insbesondere die Speicherung vom Tag bis in die Abendstunden/Nacht ist hier entscheidend, um die Erzeugung an den Verbrauch anzupassen. Bereits 2016 konnte gezeigt werden, dass eine kostengünstige Tag-Nacht-Speicherung mit herkömmlichen Schwungrädern möglich ist und durchaus mit elektrochemischen Batteriespeichern konkurrieren kann.

Aber diese Technologien müssen nicht zwangsläufig konkurrieren, sondern auch eine Ergänzung von Batteriesystemen mit Schwungrädern kommt in der Praxis zur Anwendung. So können hohe Be- und Entladeleistungen begrenzt und damit die Lebensdauer der Batterien erhöht werden. Einen weiteren Anwendungsfall von Schwungradsystemen zur Speicherung von kurzfristigen Solarüberschüssen findet man im Outback von Australien. Schwungradspeichersysteme werden dort genutzt, um in kleinen Inselnetzen den Anteil von Photovoltaik-Strom zu erhöhen, und gleichzeitig ein häufiges Anlaufen von Dieselgeneratoren aufgrund vorbeiziehender Wolken zu vermeiden. So können große Mengen an Diesel eingespart werden. Der tageszeitliche Ausgleich von regenerativen Erzeugungsschwankungen stellt allerdings nur einen Teil der möglichen Einsatzgebiete des HYDRAD-Speichers dar.

Minutenscharfe Solareinstrahlung auf die Erdoberfläche in Flensburg über die Dauer eines Jahres und Vergrößerung eines Tages
Bild 2: Minutenscharfe Solareinstrahlung auf die Erdoberfläche in Flensburg über die Dauer eines Jahres und Vergrößerung eines Tages

Quelle: Eigene Darstellung der Autoren

Der wesentliche Vorteil des HYDRAD-Speichers gegenüber den bislang eingesetzten herkömmlichen Schwungradspeichern ist die konstante Drehzahl. Dadurch werden keine Frequenzumrichter benötigt. Ohne Frequenzumrichter und aufgrund eines vergleichsweise geringen Anlaufdrehmoments kann der HYDRAD-Speicher auch problemlos mit bereits bestehenden rotierenden elektrischen Maschinen (Generatoren/Motoren) gekoppelt werden. Dank dieser direkten Verbindung mit dem Stromnetz kann der HYDRAD-Speicher, neben der Energiespeicherung, weitere wichtige Systemdienstleistungen übernehmen. Beispielsweise trägt so seine rotierende Masse dazu bei, das Stromnetz resilienter gegenüber Laständerungen zu gestalten – Stichwort Momentanreserve –, wodurch die Frequenzhaltung erleichtert wird. Auch ein Betrieb des HYDRAD-Speichers als Phasenschieber, zur Regelung des Phasenwinkels zwischen Strom und Spannung und damit der im Netz vorhandenen Blindleistung, ist denkbar. Ferner könnte der HYDRAD-Speicher Wirkleistung mit dem Netz austauschen, wenn die Frequenz gewisse Grenzen unter- oder überschritten hat. Mit anderen Worten, er könnte Primärregelleistung bereitstellen. Weiterhin könnte der HYDRAD-Speicher in einem PV-Inselnetz bei einem kurzfristigen Ausfall des Photovoltaik-Wechselrichters dafür sorgen, dass Spannung und Frequenz aufrechterhalten und die Verbraucher versorgt werden, was dem Wechselrichter Zeit verschafft, sich wieder auf die Netzspannung zu synchronisieren.

Funktionsweise

Der HYDRAD-Speicher besteht aus zwei ineinander gesteckten Zylindern, welche gemeinsam einen Hohl- und einen Zentralzylinder bilden. Der Hohl- und der Zentralzylinder sind im unteren Bereich durch einen doppelten Boden offen miteinander verbunden und zu Teilen mit einem Fluid gefüllt. Wird der HYDRAD-Speicher nun durch ein äußeres Drehmoment angetrieben, wird dessen Drehzahl erhöht, wodurch das Fluid durch einen steigenden Zentrifugaldruck weiter in den Hohlzylinder, nach außen – hin zu größeren Radien – gedrückt wird. Das Rotationsträgheitsmoment des Speichers wird erhöht. So wird Energie nicht nur in der Drehzahlerhöhung, sondern primär in der Erhöhung des Trägheitsmoments gespeichert. Die Drehzahl bleibt dabei quasi konstant. Wird die Drehzahl des HYDRAD-Speichers nun leicht reduziert, verringert sich auch die Zentrifugalbeschleunigung, und das Fluid fließt zurück in den Zentralzylinder. Wo zuvor ein Drehmoment notwendig war, um das Trägheitsmoment zu erhöhen, entsteht nun durch die Verringerung des Trägheitsmoments ein antreibendes Drehmoment. Durch dieses zugrundeliegende physikalische Funktionsprinzip kann Rotationsenergie in den HYDRAD-Speicher ein- und ausgespeichert werden, indem durch die Fluidverschiebung die Trägheit des Schwungrads variiert wird, aber die Drehzahl nahezu konstant bleibt. Dieses Prinzip kann auch mit einer Eiskunstläuferin veranschaulicht werden, die während einer Pirouette Ihre Arme ausbreitet, nur dass die Eiskunstläuferin ein geschlossenes System darstellt, wohingegen beim HYDRAD-Speicher Energie in Form von Drehmoment mit anderen Maschinen ausgetauscht wird.

Weitere Anwendungsbereiche

In Stromnetzen schwankt die Netzfrequenz, wenn ein Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch vorliegt. Es wird nur eine geringe Abweichung toleriert, um die Netzstabilität zu gewährleisten und am Netz angeschlossene Geräte zu schützen. Die rotierenden Massen von konventionellen Turbinen dämpfen schnelle Frequenzschwankungen, da sie aufgrund ihrer Trägheit der Netzfrequenz nur verzögert folgen können. Diese Fähigkeit, durch den Austausch von kinetischer Energie auf Frequenzänderungen zu reagieren, nennt man Momentanreserve. Da im Zuge der Energiewende die konventionellen Kraftwerke durch regenerative Erzeuger wie Photovoltaik (PV)- und Windparks ersetzt werden, die über Wechselrichter an das Stromnetz angeschlossen sind, verliert das Netz an Stabilität. So hat die Momentanreserve des europäischen Verbundnetzes von 1996 bis 2016 bereits um etwa 20 Prozent abgenommen.

Eine Möglichkeit die abhanden gekommene Momentanreserve zu kompensieren, stellt der HYDRAD-Speicher dar. Wird das Schwungrad mechanisch mit einer rotierenden elektrischen Maschine gekoppelt, die ihrerseits ohne Frequenzumrichter mit dem Netz verbunden ist, können damit die Abweichungen der Netzfrequenz vom Sollwert ausgeglichen werden. Da der HYDRAD-Speicher intrinsisch versucht, seine Drehzahl konstant zu halten, indem er sein Trägheitsmoment variiert, liefert er dem Netz bei Unterfrequenz zusätzliche Energie oder nimmt diese bei Überfrequenz auf. Konventionelle Schwungräder werden bereits heute dazu eingesetzt, um zusätzliche Trägheit in Netzen mit einem hohen Anteil an regenerativen Energien bereitzustellen. Der Vorteil des HYDRAD-Speichers liegt darin, dass er dem Stromnetz bereits bei kleinen Frequenzabweichungen deutlich größere Energiemengen (Trägheit) bereitstellen kann, weil die Drehzahl, bei welcher der HYDRAD-Speicher entladen wird, frei und unabhängig von der Netzfrequenz gewählt werden kann.

Um den störungsfreien Betrieb von kritischer Infrastruktur wie Krankenhäusern, Rechenzentren oder Leitstellen zu garantieren, ist eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) notwendig. Diese garantiert eine normale Weiterversorgung der kritischen Last bei Stromausfällen, aber auch bei starken Frequenz- oder Spannungssprüngen oder verschafft Zeit, um Maschinen und Server ordnungsgemäß herunterzufahren. Insbesondere kommen bei Lasten, für die Notstromversorgung über mehrere Stunden oder Tage garantiert werden muss, Dieselgeneratoren zum Einsatz. Um die Zeit zu überbrücken, bis die Dieselgeneratoren vollständig einsatzbereit sind, könnte die Versorgung übergangsweise durch den HYDRAD-Speicher sichergestellt werden. Der Vorteil vom HYDRAD-Speicher besteht auch in diesem Anwendungsfall darin, dass weder ein Frequenzumrichter noch eine besondere Regelung nötig sind. Der HYDRAD-Speicher muss zu diesem Zweck nur über eine rotierende elektrische Maschine synchron mit dem Netz verbunden sein. Darüber hinaus sind viele weitere Anwendungsgebiete, etwa im Verkehrssektor, vorhanden.

Über  die Autoren
Arne Rettig, Hochschule FlensburgArne Rettig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wind Energy Technology Institute im Fachbereich Energy and Life Science der Hochschule Flensburg
Clemens Jauch ist Professor am Wind Energy Technology Institute im Fachbereich Energy and Life Science der Hochschule FlensburgClemens Jauch, Hochschule Flensburg

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