Dynamische Begrenzung der Einspeiseleistung statt harter Abregelung

Hans Urban

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pv magazine: Angesichts des großen Photovoltaik-Zubaus gibt es an sonnigen Tagen oft ein Überangebot an Solarstrom. Um Netzengpässe zu vermeiden, regeln viele Netzbetreiber Photovoltaik-Anlagen vorsorglich ab. Was ist dabei das Problem?

Hans Urban: Die Abregelung von Solarstrom zur Vermeidung von Netzengpässen ist leider in manchen Fällen notwendig und unvermeidbar. In Zukunft ist auch vermehrt damit zu rechnen. Ziel muss aber eine dynamische Begrenzung der Einspeiseleistung und nicht eine harte Abregelung der Wechselrichterleistung sein.

Warum?

Für die Netzengpässe ist lediglich die zum jeweiligen Zeitpunkt eingespeiste Solarstromleistung maßgeblich und nicht die vor Ort erzeugte. Aktuell wird aber in fast allen Fällen nicht die eingespeiste Leistung am Netzanschlusspunkt abgeregelt, sondern die an den Wechselrichtern der Photovoltaik-Anlage erzeugte Leistung. Dadurch werden die zum jeweiligen Zeitpunkt gerade aus der Photovoltaik-Anlage versorgten Verbraucher des Betriebes ebenfalls nicht mehr versorgt, sondern müssen wegen der Abregelung oft über Stunden mit teurem Netzstrom betrieben werden.

Dies bedeutet, dass die Betreiber der abgeregelten Anlagen den Solarstrom nicht einmal für die eigene Versorgung nutzen können und stattdessen Netzstrom beziehen müssen?

Genau so ist es. Der Bezug von Netzstrom ist für diese Betriebe in praktisch allen Fällen wesentlich teurer als die Eigenversorgung aus der Photovoltaik-Anlage. Neben den höheren Erzeugungskosten müssen beim Strombezug ja auch noch Netzentgelte bezahlt werden. Das Hauptproblem dabei ist, dass diese Ausgaben ja zusätzlich anfallen und die Refinanzierung der Photovoltaik-Anlagen ja trotzdem geleistet werden muss. Es liegt also dann für die Betriebe immer öfter eine Doppelbelastung vor.

Dabei sind doch gerade viele gewerbliche Photovoltaik-Anlagen gerade mit Blick auf den Eigenverbrauch gebaut worden.

Ja, gerade in den letzten Jahren wurden viele Solarstromanlagen primär zur Deckung des eigenen Strombedarfes von Betrieben gebaut und optimiert. Oft ergänzen auch Solarstromspeicher diese Eigenversorgungskonzepte. Ihre prognostizierte Wirtschaftlichkeit erreichen diese Anlagen nicht durch Einspeisung, sondern durch die Vermeidung von Strombezug. In vielen Fällen wurden auch große Anstrengungen unternommen, den gesamten Energiebedarf von Betrieben durch Speicherung und/oder Sektorkopplung auf dieses Solarstromangebot hin zu optimieren. In Großbäckereien wurden beispielsweise Backöfen von Gas auf Strom umgestellt und Fahrzeuge laden oft tagsüber Strom.

Kann das die Wirtschaftlichkeit von Betrieben ernsthaft beeinträchtigen?

Der wirtschaftliche Schaden von immer häufiger stattfindenden Abregelungen wäre für solche Betriebe vielleicht durchaus verkraftbar, wenn eine Abregelung der Einspeiseleistung am Netzanschlusspunkt erfolgen würde. Eine häufige Komplettabregelung der Photovoltaik-Anlage über Stunden kann aber echte wirtschaftliche Probleme hervorrufen. Hier werden gerade innovative Unternehmen bestraft, die sich in den letzten Jahren um eine Dekarbonisierung Ihrer Produktionsprozesse besonders bemüht haben.

Betrifft dies nur große gewerbliche oder auch kleinere private Photovoltaik-Anlagen?

Betroffen sind große Anlagen, die über den jeweiligen Vermarkter abgeregelt werden, aber auch kleine Anlagen, die beispielsweise über Funk-Rundsteuertechnik ebenfalls vom Netzbetreiber abgeregelt werden können. So wird vielleicht mancher Elektroauto-Fahrer bestraft, der eigentlich das sonnige Wochenende für die Ladung seines Autos nutzen wollte und auf einmal feststellen muss, dass er ja teuren Netzstrom bezogen hat. Installiert sind solche Begrenzungen in allen Anlagen ab 25 Kilowatt, teilweise sogar in noch kleineren Photovoltaik-Anlagen.

Für die Abregelung ihrer Anlagen erhalten die Betreiber ja Entschädigung. Kompensiert dies den Bezug von Netzstrom?

Eine Entschädigung für den sogenannte Redispatch ist normalerweise vorgesehen. Da sie sich aber nur auf den Wert der Einspeisung bezieht, deckt sie den wirtschaftlichen Schaden durch solche vermehrte Strombezugsstunden auch nicht annähernd ab. In vielen Fällen ist die Höhe der Entschädigungszahlung auch für betroffene Betreiber vollkommen intransparent und nicht nachvollziehbar. So schrieb ein Netzbetreiber an seinen Kunden wortwörtlich: eine Vergütung der abgeregelten Leistung kann leider nicht erfolgen. Da es sich bei den Arbeiten um notwendige Wartungsarbeiten in der vorgelagerten Netzebene gehandelt hat, werden diese nach EnWG nicht vergütet.

Wie könnten diese Abregelungen vermieden werden? Muss der Rechtsrahmen geändert werden?

Viele Netzbetreiber verweisen derzeit darauf, dass die gesetzlich geregelte Abregelung die Leistung der Wechselrichter betreffen müsste und nicht die Netzeinspeiseleistung. Grundsätzlich ist deswegen zunächst der Rechtsrahmen eindeutig zu formulieren: Statt der Abregelung der Wechselrichter-Leistung muss bei Eigenverbrauchsanlagen eine Abregelung der Einspeiseleistung als Alternative zugelassen werden. Dies gilt sowohl für Anlagen im EEG mit Leistungsregelung per Rundsteuerempfänger oder ähnlichem als auch für Eigenverbrauchsanlagen in der Direktvermarktung.

Gibt es technische Lösungen, um dem Problem zu begegnen?

Technisch ist derzeit nicht jede Anlage in der Lage, die Einspeiseleistung statt der Wechselrichter-Leistung zu begrenzen. In manchen Fällen müssten die Anlagen dazu mit einem zusätzlichen Zähler samt Wandlermessschrank und einem Einspeisemanagement nachgerüstet werden. Viele Anlagen haben aber sogar – oft wegen begrenzter Anschlussleistungen – schon ein solches Einspeisemanagement. Das könnte man dazu jederzeit nutzen. Manche Anlagen mit hohem Eigenverbrauch wurden sogar oft in Absprache mit dem jeweiligen Netzbetreiber als „Nulleinspeise-Anlagen“ errichtet. Grundsätzlich werden die Anlagenbetreiber aber gerne bereit sein, Ihre Anlagen entsprechend nachzurüsten, wenn dadurch der Vorteil der Eigenversorgung auch während  der Abregelungszeiten erhalten bleibt.

Kann diese Problematik auch für Großanlagen oder Freilandanlagen relevant werden?

Primär sind Freilandanlagen zumeist noch als reine Einspeiseanlagen konzipiert. Das wird sich aber schon bald ändern, wenn solche Anlagen in Zukunft zum Beispiel mit Speichern oder auch Elektrolyseanlagen erweitert werden oder vielleicht parallel Ladeparks direkt versorgen. Hier muss die gleiche Systematik wie bei den gewerblichen Anlagen gelten, die aber derzeit ebenfalls noch nicht gesetzlich verankert ist. Zunächst muss es möglich sein, die Netzanschlussleistung vor Ort auch voll auszunutzen, man spricht auch von „Überbauung der Netzanschlussleistung“. Eine Photovoltaik-Anlage nutzt die Leistung eines Netzanschlusses derzeit im Mittel nur zu 10 Prozent aus, das ist eine sehr schlechte ökonomische Optimierung. Ein parallel am selben Netzanschluss errichteter Speicher könnte etwa über ein Energiemanagement die freie Leistung sozusagen nutzen. Und auch hier ist es dann im zweiten Schritt wichtig und sinnvoll, dass im Zeitraum eines Redispatch nicht die Photovoltaik-Anlage (hart) abgeregelt wird, sondern nur (dynamisch) die Leistung am Netzanschlusspunkt.  Nur dann kann die Photovoltaik-Energie sinnvoll innerhalb der Anlage weiterhin genutzt werden, etwa in dem sie zwischengespeichert und zeitversetzt ins Netz eingespeist wird.

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