Die europäischen Energiemärkte erlebten im April eine Achterbahnfahrt, hauptsächlich bedingt durch abrupte Wetterveränderungen. Für die Jahreszeit ungewöhnlich warmes Wetter in der ersten Monatshälfte belastete die ohnehin bereits schwache Energienachfrage. In Kombination mit der anhaltend hohen Erzeugung erneuerbarer Energien führte dies erstmalig zu negativen Stundenpreisen am spanischen Day-Ahead-Markt. Zum Monatsende verzeichnete der spanische Markt über 100 Fälle von negativen Stundenpreisen. Ähnliche Situationen gab es auch auf vielen anderen europäischen Märkten. Dieser Trend unterstreicht die anhaltende Erosion des Tageswerts, verursacht durch den Ausbau der Photovoltaik-Kapazitäten. Eine Umkehr wird erst erfolgen, wenn flexiblere Batteriespeicher für die Nutzung profitabler Intraday-Preisschwankungen auf den Markt kommen. Bemerkenswert ist, dass Italien im vergangenen Jahr seinen höchsten Batteriezubau erzielte und seine Batteriekapazitäten nahezu verdoppelte. Die meisten Anlagen waren dabei mit Photovoltaik-Projekten verknüpft.
Unterdessen musste sowohl die spanischen als auch die französischen Kernkraftwerke ihre Produktion in Zeiten geringer Restlast erheblich drosseln. Die Produktion der französischen Kernkraft wurde innerhalb von nur einem Tag um 17 Gigawatt heruntergefahren und ermöglichte so nicht nur Frankreich, sondern ganz Westeuropa Flexibilität. Solche flexiblen Anpassungen im Kernkraftbereich dürften häufiger und intensiver werden, da immer mehr intermittierende erneuerbare Energien in das Netz eingespeist werden. Trotz der Intraday-Anpassung von Atomreaktoren erfolgten in Zeiten negativer Stundenpreise erhebliche Abregelungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Deutschland beispielsweise reduzierte 13 Gigawatt an Windproduktion innerhalb einer einzigen Stunde, während Grossbritannien seine Windproduktion aus ökonomischen Gründen um 6 Gigawatt reduzierte und den negativsten Day-Ahead-Preis seit vergangenem Juli erzielte.
Die Flexibilität in Zentraleuropa war zudem durch die grenzüberschreitenden Kapazitätsbeschränkungen an Frankreichs Ostgrenzen eingeschränkt. Diese galten seit Mitte März aus Gründen der Netzsicherheit und bedeuteten Aufwärtsrisiken für die Preisdifferenzen zwischen diesen Ländern. Zudem signalisierte der französische Netzbetreiber RTE potenzielle Sicherheitsprobleme zwischen August und Oktober, die das Aufwärtsrisiko für italienische Preise weiter erhöhen könnten.
In der zweiten Aprilhälfte führte eine Kältewelle zu einem Anstieg bei der Gas- und Stromnachfrage und zu ungewöhnlich späten Speicherentnahmen in ganz Europa. Diese Entnahmen waren auch aufgrund der reduzierten Versorgung erforderlich, bedingt durch Verluste russischer Lieferungen, die niederländische Produktion, den Beginn der norwegischen Frühjahrswartung und die LNG-Verknappung durch starke asiatische Nachfrage und fehlendes neues Angebotswachstum. Obwohl eine geringe LNG-Versorgung dank der hohen Vorräte kurzfristig kein Problem darstellt, kann die Gefahr bestehen, dass die Preise im Sommer zu schnell ansteigen. Dies könnte bei begrenzten Speichermöglichkeiten zu einem LNG-Überschuss in Europa führen und damit zu verschärften Preisabschlägen. Während die EUA-Preise einem ähnlichen Aufwärtstrend folgten wie die Gaspreise, wurde ihre Dynamik vor allem durch spekulative Short-Positionen getragen.
Im Mai, geprägt von zahlreichen Feiertagen in ganz Europa, erwarten wir nun eine stark ansteigende Erzeugung aus Photovoltaik-Anlagen, die mehr Niedrigpreisstunden ermöglichen dürfte. Allerdings zählen zu den Aufwärtsrisiken ein eventuell hoher Kühlbedarf, eine potenziell geringe Wasserkraftverfügbarkeit und höhere Flusstemperaturen, die Herausforderungen darstellen können, die über die Solarspitzenproduktion hinausgehen. Bemerkenswert ist, dass die italienische Aufsichtsbehörde, nachdem in den vergangenen Jahren vermehrt Kraftwerke aufgrund von fehlendem Kühlwasser abgeschaltet werden mussten, kürzlich Änderungen des Kapazitätsmarkts genehmigte, und von Kraftwerken die Änderung ihrer Kühlsysteme zur Verringerung ihrer Wasserabhängigkeit fordert. Wir werden all die genannten Risiken weiterhin beobachten und die Auswirkungen der Konflikte in der Ukraine und im Mittleren Osten evaluieren, da sowohl die Marktpreise für Gas als auch für Strom und CO2-Zertifikaten von diesen Faktoren abhängen.
— Der Autor Andy Sommer ist seit 1992 als Analyst in der Energiebranche aktiv und bewertet seit 2008 für Axpo die globalen Märkte. Seit einigen Jahren führt er das Team „Fundamental Analysis & Modeling“, mit dem er für interne und externe Kunden Einschätzungen zu den Energiemärkten in Europa und weltweit erstellt. Das Team konnte mit seinen Services im Jahr 2021 den Energy Risk Award für „Research in European Power“ gewinnen. www.axpo.com —
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Andy Sommer schrieb:
„Die Produktion der französischen Kernkraft wurde innerhalb von nur einem Tag um 17 Gigawatt heruntergefahren und ermöglichte so nicht nur Frankreich, sondern ganz Westeuropa Flexibilität.“
Natürlich wurde die französische Kernkraft nicht um 17GW heruntergefahren, was unmöglich ist, ohne die Gesetze der Physik zu ändern oder aber uns bisher unbekannte zu entdecken.
Der Großteil der 17GW (bzw. die entsprechende thermische Primärenergie, anzunehmend im Bereich von 30GW) wurde nur einfach in Gewässer gepumpt.
@Dirk Schiller: Sehe das wie Sie. Allerdings dürfte der Primärleistungs-Bedarf eher in der Gegend von 50 GW liegen, da ein AKW nur etwa 1/3 Wirkungsgrad hat. Das heisst, zu den 17 GW elektrische Leistung fallen im Normalfall etwa 34 GW thermische Abwärmeleistung an.
Das bedeutet, dass im geschilderten Intraday-Fall die ganzen rund 50 GW „den Bach runter“ gingen.
Zitat: „kann die Gefahr bestehen, dass die Preise im Sommer zu schnell ansteigen. Dies könnte bei begrenzten Speichermöglichkeiten zu einem LNG-Überschuss in Europa führen und damit zu verschärften Preisabschlägen.“
Verkürzt: steigende Preise können zu verschärften Preisabschlägen führen. Ja so ist das, Herr Sommer. Ökonomen nennen das auch salopp einen „Schweinezyklus“. Der entsteht immer dann, wenn Angebot und Nachfrage durch Preissignale in Übereinstimmung gebracht werden sollen, zwischen Preissignal und Anpassungsreaktion aber eine Verzögerung entsteht, weil Tanker umgeleitet werden müssen, oder Schweine eine Weile brauchen, um sich zu vermehren.
Sie hätten natürlich gerne stabile Preise. Das geht nur, wenn der Mengenausgleich von einer zentralen Behörde reguliert wird, was dann von den Marktwirtschaftlern gerne als „Planwirtschaft“ diffamiert wird. Das Optimum liegt irgendwo in der Mitte, bei dem Behörden mit behutsamen Markteingriffen in Form von Vorratsbewirtschaftung und Konzessionen die Ausschläge in transparenter Weise dämpfen.
Bei Gummibärchen kann man ruhig den freien Markt seine Ausschläge produzieren lassen, aber bei Gütern, die der Daseinsvorsorge dienen, ist das fahrlässig. Nach meinem Eindruck sind die Hobbyökonomen in den Medien und der Politik noch nicht so weit, die Zusammenhänge zu durchschauen und geeignete Marktstrukturen zu etablieren. Da werden seit hunderten von Jahren immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Jede Generation scheint wieder von vorne anzufangen, mit nur marginalen Verbesserungen.
Biomasseanlagen müssen flexibilisiert werden und dürfen keine 20 jährige feste Vergütung mehr erhalten und 24h / 7 Tage die Woche durchlaufen.
Das selbe auch für Wasserkraft.