Die Lage ist dramatisch. Vielen Siliziumherstellern steht das Wasser bis zum Hals. Wo noch vor ein paar Jahren Mangel herrschte, hat das Überangebot an polykristallinem Silizium die Preise so weit in den Keller getrieben, dass für viele Produzenten nichts mehr zu holen ist. „Der Spotpreis ist von 400 Dollar Ende 2008 aktuell bis auf 55 Dollar pro Kilogramm gefallen, teilweise sogar bis auf 50 Dollar“, weiß Stefan de Haan, Analyst beim Beratungs- und Marktforschungsunternehmen iSuppli Deutschland in München. „Das hat viele Hersteller ziemlich hart erwischt, vor allem die Neuen, die noch eine schlechte Kostenstruktur haben.“ Deshalb erwarten die Marktforscher und Analysten, dass sich die Siliziumproduktion künftig weiter konzentriert und konsolidiert.
„Bei diesem Preisdruck können sich wirklich nur diejenigen Unternehmen am Markt halten, die eine exzellente Kostenstruktur haben, die eben trotzdem noch mit vernünftigen Margen produzieren können“, schätzt Matthias Fawer von der Bank Sarasin Basel die aktuelle Situation ein. „Eine goldene Nase kann man sich da nicht mehr verdienen, wie es viele mal glaubten. Und einige Neueinsteiger haben gemerkt, dass es eben nicht so einfach ist, Polysilizium herzustellen.“ Die großen etablierten Hersteller mit langjähriger Erfahrung wie Hemlock und Wacker profitieren von der Situation. Sie können immer noch gute Margen erwirtschaften. Vor allem viele kleine chinesische Hersteller dagegen müssen kämpfen. Meist sind sie kurz nach dem Höhenflug des Siliziumpreises eingestiegen, um sich bei der Modulproduktion unabhängiger zu machen.
Gros will wachsen
„Auch größere Waferhersteller wie LDK oder Renesola haben dadurch wirklich Probleme“, sagt de Haan. So ist LDK in diesem Jahr nicht mehr unter den Top Ten der Siliziumproduzenten. Im letzten Jahr sollte das Unternehmen mit 3.600 Tonnen immerhin Platz neun erreichen, bei sehr ambitionierten Zukunftsplänen, berichtet de Haan weiter. „Sie sind aber 2009 tatsächlich nur bei 180 Tonnen gelandet, der Ramp-Up hat sich stark verzögert.“ Mittlerweile hätten sie Teile der Siliziumproduktion verkauft und seien auf der Suche nach neuem Kapital. „Mit ihren Produktionskosten liegen sie wahrscheinlich höher als der aktuelle Marktpreis.“ Das Gros der Hersteller setzt weiter stark auf Wachstum und will seine Marktanteile ausbauen. Die Nachfrage wird aber zumindest bis 2013 nicht in dem Maß steigen, prognostiziert de Haan. „Wir sehen neue Marktteilnehmer. Es gibt russische Projekte mit 10.000 Tonnen, die ab 2013 kommen sollen. Und die Bank von Bahrain möchte beispielsweise ein 7.500-Tonnen-Werk in Saudi-Arabien finanzieren. Also im Moment sieht es nicht so aus, als würden die Kapazitäten knapp werden.“ Wenn allein die Top Drei der Siliziumhersteller ihre Expansionspläne umsetzten, könnten sie in drei Jahren über 80 Prozent des weltweiten Bedarfs decken.
Gute Langzeitverträge
Die Siliziumherstellung ist der kapitalintensivste Bereich in der Herstellungskette bis zum fertigen Modul. Der Produktionsprozess ist schwer zu beherrschen, und es gibt keine Turnkey-Lösungen wie im Modulbereich. „Viele, die als Neueinsteiger gehandelt wurden, haben es bisher nicht geschafft“, so Christian Rath, Analyst bei der HSBC Trinkaus in Düsseldorf. Somit sei dieser Bereich bis jetzt am besten gegen neue Mitbewerber geschützt, sagt Rath. „Dies spiegelt sich auch in den Margen wider. Wacker erzielte im Jahr 2009 immer noch über 50 Prozent EBITA-Marge.“ Diese Prozentzahl gibt den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen im Verhältnis zum Umsatz an. Im Wafer-, Zell- und Modulbereich sind die Margen niedriger.
Hemlock und Wacker stehen größenmäßig mit Abstand an der Spitze. Sie haben ihr Siliziumgeschäft massiv ausgeweitet und produzieren zu niedrigen Kosten. Hemlock Semiconductor konnte seinen ersten Platz noch ausbauen, der Abstand zur Nummer zwei ist größer geworden. „Sie haben sich gut über Langfristverträge abgesichert“, sagt Dirk Morbitzer, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Renewable Analytics in San Francisco, „und auch aufgrund der Vorauszahlungen, die von den Kunden gefordert und bezahlt wurden, sind sie solide finanziert.“ Hemlock kann seine jahrzehntelange Erfahrung aus dem Halbleiterbereich mit einbringen und Synergien nutzen. „Und wenn es in der einen Branche kriselt, haben sie außerdem in der anderen Ausweichmöglichkeiten“, so Fawer. Nach eigenen Angaben will der Hersteller seine Kapazität schon im Jahr 2012 auf 60.000 Tonnen erweitern.
Etablierte und Verfolger
Wacker kann ebenfalls Synergien zu anderen Sparten nutzen, besonders aus dem Chemiebereich. Auch sie sind dank ihrer Erfahrung und der Skaleneffekte trotz der gesunkenen Preise immer noch profitabel, „weil sie nicht zu 80 oder gar 100 Dollar pro Kilo produzieren müssen wie manche der Neueinsteiger“, weiß de Haan. „Wir schätzen, dass die führenden Hersteller bei 25 bis 30 Dollar liegen.“ Wacker kann seine Anlagen trotz des Überangebots voll auslasten und liegt mit seiner tatsächlichen Produktion nur knapp unter den gemeldeten Produktionskapazitäten. De Haan prognostiziert: „Sie werden die Phase jetzt nutzen können, um weitere Marktanteile zu gewinnen.“
Die OCI Company, ehemals DC Chemical, ist den Etablierten am dichtesten auf den Fersen. OCI bringt ebenfalls Erfahrungen aus der Chemie mit. „Sie hatten ursprünglich ihre Pläne zum Ausbau im Jahr 2009 zurückgestellt“, berichtet Rath. „Diese haben sie für 2010 jedoch wieder aufgenommen. Schon Anfang nächsten Jahres will OCI eine Produktionskapazität von 27.000 Tonnen haben.“ Wie viel die Koreaner dann wirklich liefern, wird sich zeigen. Der chinesische Neueinsteiger GCL Solar gehört ebenfalls zu den nahen Verfolgern der Etablierten. „Der spannendste Newcomer“, urteilt Morbitzer wegen der starken Expansion. „Jetzt auch noch der Einstieg ins Wafergeschäft mit dem Aufbau eigener Kapazitäten, das ist also ein Unternehmen mit einer sehr guten Wachtumsstory, das jetzt auch noch beginnt, eine vertikale Integration voranzutreiben.“
Bemerkenswerte Ausnahme
Von den Herstellungsverfahren her nimmt REC Silicon mit dem FBR-Verfahren eine Sonderstellung ein, und die hat dem Unternehmen noch nicht allzu viel Glück gebracht. „Mit ihrem Fließbettreaktor gab es Verzögerungen und Stopps, das ging alles nicht so flüssig, wie man es erwartet hatte“, resümiert Fawer. Es kam deshalb zu Umsatzeinbrüchen, und der Börsenwert des Unternehmens hat gelitten. Fawer ist trotzdem optimistisch und glaubt, dank seiner Größe bekomme REC das hin. Und wenn es erst einmal optimal laufe, liege REC von den Kosten her sehr günstig. „Aber sie müssen natürlich erst mal beweisen, dass sie das im Griff haben.“
Besonders erwähnenswert unter den Top Ten der Hersteller von polykristallinem Silizium ist der japanische Hersteller Tokuyama, weil die Firma antizyklisch wächst. Sie baut ihre Kapazitäten im Unterschied zu vielen nicht in der Phase des Überangebots aus, sondern plant für 2013 eine Erweiterung auf 14.000 Tonnen. Zu einer Zeit also, wo der Markt wieder freundlicher aussehen könnte.
Auch Mitsubishi hält sich mit Erweiterungsankündigungen zurück. Der etablierte japanische Hersteller hat die Kosten im Griff, wird als integrierter Hersteller künftig aber wohl eher die Modulproduktion und den Downstream-Bereich vorantreiben, als die Siliziumproduktion zu erweitern. Der japanische Produzent M. Setek dagegen will beim Siliziumgeschäft drastisch expandieren und bis 2012 auf 30.000 Tonnen Produktionskapazität erweitern. Ob das Unternehmen bei dem weiter zu erwartenden Überangebot wirklich eine Chance hat, unter den Großen mitzuspielen und damit Skaleneffekte zu nutzen, bleibt abzuwarten. Daqo New Energy gehört zu den chinesischen Newcomern, die sich dauerhaft unter den Siliziumherstellern etablieren könnten.
Paralleler Ausbau
Die Waferherstellung ist kein so komplexer Prozess wie die Siliziumproduktion. Es fallen nicht so hohe Investitionskosten an. Auf der anderen Seite locken auch nicht ähnlich hohe Margen. Als alleiniges Geschäft verliert die Waferherstellung daher immer mehr an Bedeutung. „Wir erwarten langfristig eine Konsolidierung“, sagt iSuppli-Analyst de Haan, „das Segment wird zunehmend von den Siliziumherstellern einerseits und den Modulherstellern andererseits übernommen.“ Und die bauen die Waferkapazitäten in der Regel parallel zu ihren anderen Produktionskapazitäten aus.
Viel Kapital verbrannt
In der Spitzengruppe der Waferproduzenten, nach Größe gewichtet, bleibt LDK Solar wie im Vorjahr die Nummer eins. Nach den Berechnungen von iSuppli hat das Unternehmen 2009 als Erstes die Schallmauer von einem Gigawatt Waferproduktion durchbrochen. Ursprünglich wollte LDK schon im vergangenen Jahr mit 2.000 Gigawatt Kapazität aufwarten. Sie bleiben zwar auch in diesem Jahr darunter, können damit im Mengenranking dennoch das Siegerpodest verteidigen. Nach ihrem Siliziumabenteuer waren sie finanziell jedoch in eine angespannte Lage geraten. „Das hat enorm Kapital gekostet“, berichtet Fawer. „Man hört sogar Stimmen, die sagen, wenn LDK nicht in China säßen, wären sie im vergangenen Jahr bankrott gewesen. Sie hatten enorme Unterstützung von der chinesischen Regierung.“ Es sieht im Moment so aus, als würde LDK sich wieder klar auf das Kerngeschäft Wafer konzentrieren. „Zur Qualität gibt es immer mal wieder gemischte Aussagen“, formuliert es Dirk Morbitzer. „Auf die Qualität zu achten, wird die große Herausforderung für LDK in diesem Jahr sein.“ Die Nummer zwei, REC Wafer, will ihre Produktion stärker ausbauen als REC Silicon im Siliziumbereich. Denn mit der Waferproduktion hat REC lange Zeit gut verdient, es war die Cashcow des Unternehmens mit Margen um die 40 Prozent. Trotz Produktionskürzungen 2009 hält das Unternehmen an seinen Ausbauplänen fest und will 2013 seine Kapazitäten bis 2,4 Gigawatt erweitern – und damit dicht zu LDK aufschließen. REC ist einer der wenigen voll integrierten Hersteller, die auf allen Wertschöpfungsebenen mit großen Kapazitäten präsent sind.
Höhere Margen
MEMC Electronic Materials erweitert seine Kapazitäten in diesem Jahr nicht. Morbitzer gibt zu bedenken, dass der US-Hersteller stärker als andere von Spotmarktgeschäften abhängig sei und wie die sich entwickelten, wisse derzeit niemand. Mit der Übernahme von Sun Edison richtet MEMC seinen Fokus jetzt auch auf das Downstream-Geschäft, auf die Installation, einen Bereich der Wertschöpfungskette mit potenziell attraktiveren Margen, aber völlig anderen Geschäftsprozessen. Das Unternehmen konnte seine Lagerbestände wieder reduzieren, ein Indikator für die Gesundung einer Firma.
Solarworld auf Platz vier ist ein profitabler, voll integrierter Konzern, der im Modul- und Installationsgeschäft sehr stark ist, jedoch mit deutlichem Fokus auf die Waferproduktion. „Bis 2012 wollen sie bei 1,3 Gigawatt sein und überholen damit nach aktuellen Planungen MEMC“, so de Haan. Er hält die Expansionspläne von Solarworld für realistisch. Obwohl der deutsche Hersteller unter dem starken Euro ächzte, ist das vergangene Jahr für Solarworld gut gelaufen. Unter den europäischen Herstellern gehören die Bonner zu den profitabelsten. Daher scheinen die ambitionierten Expansionspläne auch realistisch zu sein.
Renesola hat ein schweres Jahr hinter sich. Ähnlich LDK hat die Siliziumproduktion das Unternehmen viel Geld gekostet. Im Gegensatz zu den meisten Firmen hat Renesola keine Expansionspläne mehr angekündigt. „Das ist natürlich auch ein Indikator dafür, dass sie gezwungen sind, etwas vorsichtiger zu sein“, sagt Analyst de Haan. Yingli gehört zu den Konzernen, die parallel vom Ingot bis zum fertigen Modul die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Das Unternehmen verfolgt die Strategie, alle Stufen gleichzeitig auszubauen. In der Konsequenz kommt es in keiner Stufe unter die Top Five.
Dazu wären die Investitionen zu hoch. Auf der anderen Seite konnte Yingli sich als Marke weiter etablieren; der Name steht für zuverlässige Qualität.
Wie Yingli fährt auch die Jinglong Group, zu der der Modulproduzent JA Solar gehört, die Kapazitäten parallel hoch. Trina Solar hat eine günstige Kostenstruktur und einen niedrigen Lagerbestand. Auch dort nutzt man die Vorteile der Integration vom Wafer bis zum Modul. Pillar ist ein ukrainischer Hersteller, der den spanischen Waferproduzenten Silicio Solar gekauft hat und sich ambitioniert auf die Waferherstellung konzentriert. Der Trend geht jedoch weiter in Richtung Integration wie beim japanischen Hersteller Kyocera. Hoch spezialisierte Waferhersteller werden auf die Dauer sicher die Ausnahme bleiben.
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