Die Gegensätze liegen nahe beeinander. Vom 5. bis 8. Mai tagten 500 Experten im La Palm Royal Beach Hotel, einer der guten Adressen in Accra. Sie diskutierten, wie man den Menschen in Afrika endlich Licht bringen könne. Nur eine Stunde Fahrzeit entfernt von der Hauptstadt Ghanas konnte Patrick Avato das Problem besichtigen, das verhandelt wurde. Der Weltbank-Mitarbeiter nutzte die Reise zur Konferenz für einen kurzen Ausflug entlang der Küstenstraße – und erschrak, als er eine Entbindungsstation besuchte. Die Hebammen sitzen dort nachts im Dunkeln, da sie kein elektrisches Licht haben. „Es ist eine Tragödie, wenn eine Geburt nachts stattfindet“, sagt er. Sie behelfen sich mit Kerzen. Doch deren Licht ist düster und vor allem zu teuer.
Avato und seine Organisation sehen jetzt die Chance, das Problem zu lösen. Dazu haben sie gemeinsam mit dem International Financing Forum die Initia tive „Lighting Africa“ ins Leben gerufen und zu der Tagung geladen. Die Initiative verkündete dort die Gewinner ihrer Ausschreibung: 16 besonders erfolgsversprechende Projekte werden mit 200.000 US-Dollar unterstützt. Das Ziel: Bis 2030 will Lighting Africa 250 Millionen Menschen zu Licht verhelfen. „Photovoltaik ist dabei die wichtigste Technologie“, sagt Avato.
In wenigen Monaten amortisiert
Bisher verhinderte jedoch ein anderer Gegensatz, dass es zur Lösung kam: der zwischen Theorie und Praxis. Denn eigentlich ist offensichtlich, wie es geht. Eine typische Familie in den Regionen Afrikas, in denen es keine Elektrizität gibt, nutzt jeden Abend für drei bis vier Stunden ein oder zwei Petroleumlampen. Der Brennstoff kostet sie rund zehn US-Dollar pro Monat. „Die Familien geben 30 bis 50 Prozent des Einkommens dafür aus“, sagt Avato. Mit solarbetriebenen Lampen, die aus einem kleinen Modul, einem Akku und einer Leuchte bestehen, könnten sie billiger wegkommen. Sie sind schon ab 25 Dollar zu haben und amortisieren sich also in wenigen Monaten. Trotzdem haben sie sich noch nicht durchgesetzt.
Avato und seine Kollegen haben deshalb in den letzten vier Jahren mit Feldstudien die derzeitige Situation in den einzelnen Ländern Afrikas untersucht. Was sie gesehen haben, war schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatten. 500 Millionen Menschen südlich der Sahara müssen ohne elektrisches Licht auskommen, weltweit sind es sogar 1,7 Milliarden, das ist etwa jeder vierte Bewohner des Planeten.
Dazu kommt, dass in den Tropen im Sommer wie im Winter die Sonne nur rund zwölf Stunden scheint – um sechs Uhr ist es dort in der Regel schon dunkel. Die Menschen kochen mit Petroleumlicht, und die Schülerinnen und Schüler machen dabei ihre Hausaufgaben. Sie müssen sich so nahe an die dunklen Lampen setzen, dass sie die giftigen Dämpfe und Rußpartikel direkt einatmen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Brandgefahr durch das offene Feuer in Strohhütten. „Jeder, mit dem wir gesprochen haben, hat eine Geschichte parat von einem Haus, das gerade abgebrannt ist“, sagt Avato.
Solarlampen seit über 15 Jahren
Allerdings ist weder das Problem unbekannt noch ist die anvisierte Problemlösung ein neues Konzept. Als 1991 der damals frisch pensionierte Diplom-Ingenieur Rolf Martin aus München in Kenia weilte, kam ihm zum Beispiel die gleiche Idee. Er gründete den Verein Solux im bayerischen Taufkirchen und konnte die Ludwig-Bölkow-Stiftung gewinnen, sein Entwicklungshilfemodell zu unterstützen. Er entwarf eine Solarleuchte und lieferte sie als Bausatz in Entwicklungsländer. Er ließ sie dort montieren, um neben der Technik auch Know-how und Arbeit in die Zielländer zu bringen. Das technische Konzept sollte einfache Handfertigkeiten wie beispielsweise Löten, Stanzen, Biegen, Messen, Kleben und Sägen vermitteln und eine angepasste Lösung für Entwicklungsländer darstellen. Wenn eine Werkstatt eröffnet wurde, schickte der Senior Expert Service aus Bonn einen Solarexperten, der die Menschen vor Ort in einem zweiwöchigen Kurs schulte. Später kam der Verein auch noch mit einer bereits zusammengebauten Solarleuchte auf den Markt.
Solux verbreitete inzwischen 28.000 Lampen. Und blieb nicht der einzige Verein, der mit viel Engagement an das Problem heranging. „Die Projekte in der Vergangenheit waren unterschiedlich erfolgreich“, sagt Avato. Das ist auch die Erfahrung des International Financing Forums. Zwar gehen mehr als 84.000 Haus-Solaranlagen auf dessen Konto, doch „diese Projekte sind vom finanziellen Standpunkt weniger erfolgreich“, schreibt die Organisation in ihrem Bericht „Selling Solar“. Es sei nicht möglich gewesen, Märkte zu verändern und nachhaltige Geschäftsmodelle zu schaffen, wie es ursprünglich geplant gewesen sei.
„Zum einen hängt es im Entwicklungsbereich immer davon ab, wer an der Implementierung beteiligt ist, und da gab es am Anfang viel Pech“, erklärt Avato. Aber auch die Finanzierung war oft problema tischer als gedacht. Die Projekte nutzten meist eines von zwei unterschiedlichen Modellen. Zum einen Subventionen, die die Solaranlagen billiger machen. Doch es gibt keinen Topf, aus dem sie ständig weiter sprudeln, so dass damit keine groß angelegte Versorgung mit Licht zu stemmen ist. Eine Alternative sind Mikrokredite, mit denen sich die Menschen die Technologie leisten können, die langfristig billiger und sofort schon besser ist. Doch auch das funktionierte nicht immer. Die Solaranlagen waren immer noch so teuer, dass sich die Menschen in so hohe Schulden stürzten, dass sie Kredite oft nicht zurückzahlen konnten. Wenn das Solarlicht kaputtging, hörten sie dann auch oft auf zu zahlen.
Es ist allerdings auch nicht abzusehen, dass es eine andere Lösung gibt. Zwar hätte der Anschluss an das Stromnetz große Vorteile, doch dazu wird es wohl selbst bis zum Zieljahr 2030 kaum kommen. Der entsprechende Ausbau würde nach Schätzungen der Weltbank pro Jahr zirka 160 Milliarden Dollar kosten. Zurzeit liegen die Investitionen bei rund 80 Milliarden.
Lösung jetzt greifbar
Dafür zeichnet sich jetzt eine Lösung mit Solarlampen ab, so dass sich der neue Anlauf der Initiative Lighting Africa lohnen könnte. Das liegt an zwei Trends. „Energiesparlampen und Leuchtdioden haben sich weiterentwickelt“, erklärt Avato. Dadurch sinken die Kosten für Solarlampen. Gleichzeitig steigen die Petroleumkosten. Insofern wird es immer sinnvoller, auf das Photovoltaiklicht umzusteigen. Außerdem ist der Markt riesig: 17 Milliarden Dollar geben Afrikaner jedes Jahr allein für Lampenbrennstoff aus. Jetzt hofft Avato, dass das Motivation genug ist für Unternehmen, diesen Markt mit Solarlampen zu erobern. „Wir haben uns angeschaut, wie es Shampoofirmen in den letz ten zehn Jahren angestellt haben, in diese Märkte einzudringen.“ Sie haben die Packungsgröße so weit verkleinert, dass sich auch ärmere Afrikaner das Produkt leisten können. Übertragen auf die Solarlampen heißt das: Firmen müssen unter Ausnutzen der neuen Technologien die Solarlampen so weit verkleinern, dass sie in den Kaufkraftbereich der Zielgruppe kommen.
Segmentierung vorantreiben
„Doch obwohl es ein Riesenmarkt ist, gibt es eine ganze Reihe von Gründen, warum zum Beispiel Osram bisher nicht für den afrikanischen Markt produziert hat“, erklärt Avato. Unternehmen in Europa und den USA – ob groß oder klein – wissen nämlich oft gar nicht, dass in Afrika ein so großes Geschäftsvolumen lockt. Avatos Aufgabe ist es, sie darauf zu stoßen. Bei Osram hat das funktioniert. Die Firma bietet nun eine Art Solartankstellenkiosk mit zugehöriger akkubetriebener Solarlaterne an. Er ist zunächst für den Einsatz an einem See gedacht, an dem Nachtfischer bisher jeden Monat Hunderte von Dollar für Kerosin ausgeben.
Das Konzept von Lighting Africa lautet: Erfolg durch Segmentierung. Die Nachtfischer brauchen ein anderes Produkt als die bäuerliche Familie, ein anderes als Entbindungsstationen oder Straßenverkäufer, die zurzeit noch im Dunkeln stehen. Selbst in den afrikanischen Metropolen gibt es noch Verkäufer in Straßenzügen, die vom Stromnetz abgeschnitten sind. „Wir standen bei einem Straßenverkäufer, der Schuhe verkauft hat, und die sahen alle braun-gelblich aus“, erzählt Avato. Er hat ihm eine Leuchtdiodenlampe hingelegt, und plötzlich erkannten die Umstehenden die Farben. „Er wollte uns die Lampe gleich abkaufen, weil es seinen Umsatz steigern würde, wenn die Leute sehen, was sie kaufen.“ Informationskampagnen sind deshalb ein weiteres Mittel, den Markt zu schaffen. Denn auch potenzielle Kunden wissen oft nichts von den Vorteilen der neuen Technik.
Das mag auch daran liegen, dass es viele Lampen gibt, die unter den tropischen Bedingungen nicht lange halten. Das Problem ist jedoch lösbar. Eine aktuelle Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit zeigt etwa, dass ein System mit billigen Leuchtdioden zwar innerhalb von nur 200 Stunden die Hälfte seiner Beleuchtungsstärke einbüßt, dass Hochleistungsleuchtdioden aber selbst nach 1.000 Betriebsstunden bei 80 bis 100 Prozent liegen. Weitere neuralgische Punkte, bei denen große Unterschiede bestehen, sind Verarbeitung, die elektronische Schaltung und dass Module und Akkus nicht den Spezifikati onen entsprechen. Avato schwebt deshalb vor, eine Art Stiftung Warentest für die Solarlampen in Afrika zu entwickeln, um Vertrauen zu schaffen. Das ist eine Voraussetzung für einen funktionierenden Markt.
Auch die Entwickler von Solux setzen auf Haltbarkeit. Tägliches Laden und Entladen der Akkus, hohe Staub- und Temperaturbelastung, mechanische Belastungen und hohe Luftfeuchtigkeit beanspruchen Solarleuchten ungewöhnlich stark. Die Akkus halten etwa drei bis fünf Jahre lang, während die Module selbst unverwüstlich sind. Allerdings können hier einfache Dinge wie gebrochene Ladestecker, defekte Ladekabel etc. eine Solarleuchte schnell außer Gefecht setzen. Umso bedeutender wird die Notwendigkeit, für einmal verkaufte Solarleuchten dauerhaft Ersatzteile, Wartung und Instandsetzung vor Ort anzubieten, was Solux über seine Werkstätten erreicht.
Begeisterungsfähigkeit nutzen
Nach Ansicht von Vorstand Ekkehard Barchewitz ist allerdings noch ein weiterer Faktor sehr wichtig: „Die bedeutende Frage ist, wie man die Konsumenten über diese neue Technik aufklärt und ihr Konsumverhalten ändert, welches so über Jahrhunderte erlernt wurde.“ Der Siegeszug des Mobiltelefons, das ja auch nicht umsonst zu haben ist, stimmt ihn deshalb optimistisch. In diese Richtung zielt nun die Solux-Initiative „One Child One Solarlight“. Sie soll die „offensichtliche Benachteiligung von Schulkindern in netzfernen Regionen vermindern und deren Begeisterungsfähigkeit zur Änderung des Konsumverhaltens der Familien nutzen“.
Solux will die solaren Leuchten an Schulkinder in nicht elektrifizierten Gebieten verteilen. Die örtlichen Lehrkräfte fungieren als Schlüsselstellen. Ihre Vorbildfunktion soll die Kinder und ihre Familien motivieren, solare Beleuchtung anstelle anderer Lichtquellen zu nutzen. Außerdem garantieren sie eine langjährige Begleitung, vor allem wenn sie ab und zu nachfragen, ob sie noch funktionieren. Solux baut jetzt in Ghana eine Firma zur Verbreitung der Lampen auf, die mit Bildungsprogrammen an Schulen Kinder und Eltern über die Vorzüge von Solarleuchten informiert und diese dann mit Unterstützung von Mikrokrediten an die Familien verkauft. „Wir glauben, dass die Einführung von gutem Licht für Schulkinder wichtiger ist als die Einführung eines Laptops für jedes Kind“, sagt Barchewitz.
Das hat die Lighting-Africa-Experten überzeugt: One Child One Solarlight ist eines der Gewinnerprojekte.
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