11:1 für Photovoltaik

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Wer eine Idee von der Solarzellenfabrik der Zukunft bekommen will, muss nach Freiburg fahren. Mit einer Kombination aus Photovoltaikanlage, einem Rapsöl-Blockheizkraftwerk und dem Ökostrom eines regionalen Energiedienstleisters stellt die Solar-Fabrik Solarmodule her, ohne dafür fossile Energieträger zu verwenden. Ließe sich diese Idee konsequent umsetzen, wären der solaren Energieversorgung kaum noch Grenzen gesetzt.
Doch ganz so weit ist es noch nicht. Wer nur die Herstellung betrachtet, vernachlässigt viele andere energieintensive Produktionsschritte. Etwa Förderung und Transport des Siliziums oder die Herstellung der zur Solarstromproduktion nötigen Wechselrichter und Montagegestelle.
Will man den tatsächlichen Energieaufwand und die sich daraus ergebende Umweltbilanz einschätzen, kommt man um Ökobilanzen zu diesem Thema nicht herum. Das ist kein Geheimnis. Politiker machen ihre Entscheidungen zu einem guten Teil von den entsprechenden Studien abhängig, die sich jedoch oft widersprechen und leider nicht sehr transparent sind. Verschiedene Ökobilanzen nutzen unterschiedliche Daten, und nicht einmal über die Frage, welche Herstellungsschritte berücksichtigt werden müssen, herrscht Klarheit. Manche nehmen beispielsweise an, dass Rahmen recycelt werden und dadurch an anderer Stelle Energie gespart wird, andere behandeln sie als Abfall. Trotz DIN-Normung sind die Studien nicht vergleichbar. Deshalb lohnt sich auch ein genauer Blick auf Ökobilanzen für polykristalline Siliziumsysteme.

Potential unterschätzt

Eine sehr umfangreiche Studie stammt aus dem Jahr 2004. Wissenschaftler vom Ins titut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart taten sich mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft zusammen und haben von der ersten Bewegung eines Förderbaggers für Silizium über den Verbrauch der Maschinen in den Produktionshallen bis hin zum Benzinverbrauch der Monteure für Installation und Wartung alle Prozessschritte bewertet, die letztendlich zur Stromproduktion in einem Photovoltaikkraftwerk nötig sind. Sie wollten umfangreiche Informationen zu verschiedenen Stromerzeugungstechniken bereitstellen, die 2010 als Optionen zur Verfügung stehen.
Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass ein dann gefertigtes Photovoltaikmodul im Laufe seines Lebens das Neunfache der Primärenergieträger ersetzen wird, die die Herstellung gekostet hat. Sprich: Der Erntefaktor ist neun. Das hört sich nicht schlecht an, doch ein Vergleich mit anderen Studien zeigt, dass es vermutlich noch viel besser kommen wird.

IERCrystal Clear
Lebensdauer der Wechselrichter5 Jahre15 Jahre
Lebensdauer der Module20 Jahre30 Jahre
Effizienz des Strommix33,7 %31 %
Spezifischer Jahresertrag900 kWh/kWp750 kWh/kWp
Die beiden Studien beruhen auf unterschiedlichen Annahmen. Für eine Abschätzung des Erntefaktors im Jahr 2017 sind die Zahlen der Crystal-Clear-Studie realistischer. IER: Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart.

Diese Untersuchung beruht nämlich auf veralteten Daten. Die Werte für den Energieaufwand der einzelnen Prozessschritte kommen zwar, wie in Ökobilanzen üblich, aus Datenbanken. Von deren Qualität aber hängt die Güte der Ökobilanz maßgeblich ab, und daran haperte es. Die Autoren, die vom photovoltaikkritischen Bundeswirtschaftsministerium unterstützt wurden, nutzten ein als „best case“ bezeichnetes Szenario. Es basiert auf einer 1995 erschienenen Studie der Niederländischen Energie- und Umweltagentur. Sie greift wiederum auf Prozesskettenanalysen aus dem Jahre 1992 zurück, die den technologischen Stand der späten 80er Jahre widerspiegeln. Davon, dass das der beste Fall ist, kann also keine Rede sein.

Erntefaktor elf bereits erreicht

Die Ergebnisse müssen sich an der europäischen Crystal-Clear-Studie messen lassen, die ein Team um Erik Alsema und Mariska de Wild-Scholten vom Energy Research Centre of the Netherlands nur ein Jahr später veröffentlicht hat und die immer noch aktuell ist. Elf Firmen aus der Photovoltaikbranche aus Europa und den USA haben dazu alle Details über Materialien und Verarbeitungsschritte der gesamten Produktionskette erfasst. Das Ergebnis war eindeutig. Schon für das Jahr 2004 stellten sie einen Erntefaktor von elf fest. Da zu erwarten ist, dass der technologische Fortschritt zwischen 2004 und 2010 den Erntefaktor weiter verbessern wird, ist das Ergebnis für die Photovoltaik deutlich besser als in der vorangegangenen Studie.
Doch welche ist realistischer? Nach der Datenlage ist eindeutig die neuere besser, da sie die den tatsächlichen Stand im Produktionsprozess berücksichtigt. Nicht so eindeutig verhält es sich aber bei den weiteren Annahmen, die in die Ökobilanz einfließen (siehe Tabelle). So nehmen die Stuttgarter eine Lebensdauer für Wechselrichter von nur fünf Jahren an. Alle fünf Jahre wird also ein zusätzlicher Energieaufwand fällig, weil das Bauteil erneuert werden muss. Die Niederländer rechnen dagegen mit einer Lebensdauer von 15 Jahren. Beide Annahmen haben ihre Berechtigung. Die pessimistischere orientiert sich an den Garantieleistungen der Hersteller, die optimistischere nach eigenen Angaben an aktuellen Untersuchungen. Das ist zwar nicht sehr transparent, da Unternehmen mit den Lebensdauerdaten ihrer Produkte sehr restriktiv umgehen. Da Geräte in der Regel nicht nach Ablauf der Garantiezeit kaputtgehen, taugen die optimistischen Zahlen trotzdem besser für eine realistische Prognose.
Der Erntefaktor von elf für Photovoltaikstrom für das Jahr 2004 ist also plausibler als der geringere Wert der Studie, welche vom Wirtschaftsministerium unterstützt wurde. Das ist aus Sicht der Solarbranche ein erfreuliches Ergebnis und beweist ein weiteres Mal, was eigentlich Allgemeinwissen sein sollte: Solarzellen rentieren sich auch in Deutschland energetisch. Nach dieser Studie sogar vergleichsweise schnell: innerhalb von 2,2 Jahren.
Allerdings darf die Entwicklung dabei nicht stehen bleiben, wenn Sonnenstrom ökologisch mit den anderen regenerativen Energiequellen mithalten soll. Windstrom kommt zum Beispiel schon heute auf einen Erntefaktor von 40. Experten aus der Industrie und bekannter internationaler Forschungsinstitute wie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme und des Brookhaven National Laboratory erwarten allerdings auch, dass die Photovoltaik nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch aufholen wird.

Plausibles Szenario

So arbeiten die Siliziumproduzenten weltweit daran, den Rohstoff mit weniger Energieeinsatz zu reinigen, bis er deutlich weniger als ein Promille Verschmutzungen enthält. Bis zu 75 Prozent Energieeinsparung sind hier nach einer Untersuchung von Nils Jungbluth vom Schweizer Ecoinvent-Institut möglich. Auch die Zellenproduzenten, die zurzeit noch auf das hochreine Silizium angewiesen sind, optimieren weiter. Sie experimentieren bereits damit, Solarzellen mit weniger sauberem Silizium herzustellen und so Energie zu sparen. Außerdem wollen sie die Wafer dünner machen und Abfälle im Herstellungsprozess recyceln, was weiter Rohstoff einsparen und durch zusätzliche Wärmerückgewinnung die Fabriken effizienter machen würde.
Rechnet man außerdem die Entwicklung der Wirkungsgrade in die Zukunft hoch, ist gleichzeitig damit zu rechnen, dass die polykristallinen Module mehr Ertrag bringen werden. Bis 2017 könnte die Effizienz absolut um etwa drei Prozentpunkte steigen. Module, die heute 14 Prozent Wirkungsgrad haben, hätten dann 17 Prozent. Das ist über ein Fünftel mehr und steigert damit den Energieertrag der Photovoltaikkraftwerke und ihren Erntefaktor entsprechend.
Eine Prognose, die all diese Verbesserungen berücksichtigt, kommt für das Jahr 2017 auf eine weitere deutliche Steigerung des Erntefaktors: polykristalline Solarzellen werden dann das 20-Fache der zu ihrer Herstellung nötigen Energie erwirtschaften.
Und das wird noch lange nicht das Ende des Möglichen sein. In dieser Zahl steckt nämlich noch die Annahme, dass für jede Kilowattstunde des in der Produktion verbrauchten Stromes mehr als das Dreifache an Primärenergie, also Kohle, Öl, Gas oder Uran, aufgewendet werden muss. Das liegt unter anderem an den ineffektiven zentralen Kraftwerken, die maßgeblich zum Strommix in Deutschland beitragen. Doch die Zukunft der Photovoltaik liegt weniger im Vergleich mit konventionellen, fossilen Kraftwerken, sondern in der Entkoppelung vom zentralen Energiesystem hin zu sauberer Selbstversorgung. Wohin diese Reise gehen kann, zeigt zum Beispiel besagte Freiburger Solar-Fabrik. Zwar steckt auch in ihren Solarzellen Primärenergie, aber deutlich weniger. Sie amortisieren sich – ökologisch betrachtet – also viel schneller.

Stefan Stadler ist Mitarbeiter der Solarpraxis AG und hat das Thema für die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin untersucht.

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