Er hat die Faxen dicke: Der hessische SPD-Bundestagsabgeordnete und Eurosolar-Präsident Hermann Scheer fordert ein schnelles Ende der Subventionierung von Atomstrom. Der streitbare Politiker will,, dass die Landesregierung in Wiesbaden handelt und im Bundesrat eine entsprechende Gesetzesinitiative ergreift.
Eine generelle gesetzliche Neuregelung der bisherigen Rückstellungs- und Haftungspraxis sei dringend erforderlich, betont Scheer. Schon allein wegen der rechtskräftig und zeitnah anstehenden Stilllegung der Atomreaktoren Biblis A und Biblis B in 2009 und 2013 und den besonders von älteren Reaktoren ausge henden überdurchschnittlichen Schadensgefahren, sei das überfällig, sagt er.
EU-Kommission mahnt
Laut Scheer gibt es auch einen unmittelbaren formalen Anlass für eine solche Initiative: Die jüngste Mitteilung der EU-Kommission an den Rat vom 17. Dezember 2007. In ihr würden schwer wiegende Bedenken gegen die derzeitige deutsche Rückstellungspraxis für die atomare Entsorgung erhoben. Der EU-Binnenmarkt werde durch sie verzerrt, heißt es in der Begründung. Damit bestätige die Kommission die Kritik, die er seit vielen Jahren an der deutschen Praxis der steuerfreien Rückstellungen für die Atomentsorgung geäußert habe, sagt Scheer.
Ein weiterer Anlass sei die in diesem Halbjahr im Bundestag anstehende Änderung des Atomhaftungsrechts. Darin werde jedoch – dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung zufolge – die Kernfrage der gegenwärtigen Atomhaftungsregelungen nicht berücksichtigt, beklagt der Politiker. Für ihn sei der springende Punkt die Höhe der von den Atomkraftwerksbetreibern zu leistenden Deckungsvorsorge, sagt er.
„Die steuerfreien Rückstellungen für die atomare Entsorgung, die die Atomkraftwerksbetreiber bilden dürfen, liegen bei einem Gesamtvolumen von gegenwärtig knapp 30 Milliarden Euro. Diese Mittel dürfen über lange Zeiträume – bis zum Eintritt des jeweiligen Rückstellungszwecks – operativ von den Stromkonzernen frei für beliebige Investitionen verwendet werden“, kritisiert Scheer. Sie hätten damit die Funktion „steuerfreier Gewinne“, mit denen die Atomkraftwerkbetreiber einzigartige Wettbewerbsvorteile in der Hand hätten – besonders gegenüber den Stadtwerken.
Nicht zuletzt mit diesen Gewinnen sei der Konzentrationsprozess der deutschen Stromwirtschaft vorangetrieben worden. „Das ist eine der Hauptursachen der weit überdimensionierten Preissteigerungen, von denen die Verbraucher laufend heimgesucht würden“, betont Scheer. „Der aus der gegenwärtigen Rückstellungsregelung abgeleitete operative Vorteil ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum diese Stromkonzerne unbedingt am Betrieb von Atomkraftwerken festhalten wollen“, sagt er.
Zinsfreies Darlehen
„Die Rückstellungsmilliarden sind eine indirekte Subvention der großen Stromkonzerne. Hinzu kommt: Es ist nicht sichergestellt, dass die zurückgestellten Milliardenbeträge im Bedarfsfall auch unmittelbar abrufbereit sind. Denn sie sind in anderweitigen Investitionen und Unternehmen gebunden und somit auch Kurs- und Konkursrisiken ausgesetzt“, warnt Scheer.
Dieses Steuerprivileg belaufe sich auf mindestens 175 Millionen Euro pro Jahr und Reaktor. Über einen Zeitraum von 32 Jahren – also dem nach dem Atomausstiegsgesetz geltenden durchschnittlichen Zeitraum der Laufzeit eines Reaktors – summiere sich dies auf einen Betrag von 5,6 Milliarden Euro. Dieser Betrag müsse ab dem Beginn der atomaren Endlagerung und dem Rückbau des Atomkraftwerks zur Verfügung stehen. Damit würden die Rückstellungen bundesweit im Nachhinein zu einem jahrzehntelang wirkenden zinsfreien Darlehen, betont er.
Deal mit Atomindustrie
„Die einzige Möglichkeit, diesem marktwirtschaftswidrigen Vorteil Abhilfe zu verschaffen, ist die Bildung eines öffentlich-rechtlichen Fonds auf gesetzlicher Grundlage, in dem die Rückstellungen jährlich einfließen und von den einzahlenden Atomkraftwerkbetreibern nur für die tatsächlichen Rückstellungszwecke abgerufen und verwendet werden dürfen“, erläutert Scheer.
Eine diesbezügliche Gesetzesinitiative habe er bereits im Januar 1999 in Form eines Gruppenantrags eingeleitet. Sie sei jedoch seinerzeit nicht zum Zuge gekommen. Die Nichtbefassung mit dieser Frage sei eine politische Voraussetzung für den Konsens zwischen der seinerzeitigen rot-grünen Bundesregierung und den Kernkraftwerksbetreibern zum Atomausstieg gewesen, erklärt er. „Dieser vereinbarte Konsens wurde dann die Grundlage für das 2001 verabschiedete und unverändert geltende Gesetz für die Beendigung der Atomenergienutzung“, sagt Scheer.
Konsens praktisch gekündigt
Inzwischen könne aber von einem Konsens keine Rede mehr sein. „Er ist von den Atomkraftwerksbetreibern inzwischen praktisch aufgekündigt worden, da sie vehement für eine Verlängerung der Laufzeiten eintreten. Dabei habe die Atomlobby die CDU und die FDP als politische Verbündete. Und auch aus den eigenen Reihen muss Scheer Störfeuer ertragen: Ex-Bundeswirtschaftsminister Clement, inzwischen für den Stromkonzern RWE tätig, wetterte heftig gegen die Energiepolitik der SPD in Hessen.
Über Jahre hinweg haben deshalb die Atomkraftwerksbetreiber ihre Wettbewerbsvorteile weiter nutzen können für einen sogar beschleunigten Konzentrationsprozess“, sagt Scheer. „Wer immer diese Rückstellungspraxis weiter unverändert schwelen lässt, kann nicht ernsthaft vorgeben, im Interesse der Stromverbraucher gegen die Stromkartelle vorzugehen. Deshalb ist jetzt diese Gesetzesinitiative für den Rückstellungsfonds überfällig!“
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