„Meine Damen und Herren, bleiben Sie stehen, dann bleibt man wach.“ Mit diesen Worten eröffnete der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer die Podiumsdiskussion: Der „World Energy Dialogue“ fand vom 21. bis 22. April im Rahmen der Hannover Messe statt. Ganz unkonventionell diskutierten Vertreter aus Wirtschaft und Politik stehenden Fußes vor rund 600 Besuchern über die Energieversorgung von morgen. Zur Ruhe kamen die Experten dabei nicht, denn sie sehen dringenden Handlungsbedarf, ein zukunftsfähiges Modell zu entwickeln. „Unser derzeitiges Energiesystem ist nicht nachhaltig. Die Erneuer-baren müssen das Wirtschaftssystem der Zukunft werden“, fordert Heinrich Tiemann, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Eine Schlüsselrolle beim weltweiten Ausbau der regenerativen Energien solle der IRENA, der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, zukommen, die am 26. Januar in Bonn gegründet wurde.
Den Energiemix der Zukunft diskutierten die Experten auch mit Blick auf die Situation in Deutschland. Während Vertreter aus der Branche der Erneuerbaren eine radikale Umstellung auf regenerative Energien forderten, äußerten andere Bedenken. Um den notwendigen Kraftwerkspark gemäß dem Energieprogramm der Bundesregierung bis zum Jahr 2020 zu betreiben, reiche es nicht, nur die Erneuerbaren auszubauen, meint Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena). „Wir brauchen zusätzlich 11,7 Gigawatt aus konventionellen Energien. Die Strompreise müssen günstig bleiben, damit Deutschland als Industriestandort attraktiv bleibt.“ Immerhin: Bis 2020 rechnet die Dena bundesweit mit einer installierten Photovoltaikleistung von rund 18 Gigawatt. Ende 2008 betrug die installierte Gesamtleistung laut Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) rund 5,3 Gigawatt. Andere ließen sich nicht davon abbringen, Ziele, die utopisch erscheinen mögen, vorzutragen. „Unser Energiemix besteht zu etwa 15 Prozent aus erneuerbaren und zu 85 Prozent aus fossilen Energieträgern. Eigentlich müsste es andersrum sein – das ist auch unser Ziel“, so Niels Bergh-Hansen, Executive Vice President von Dänemarks größtem Energieerzeuger Dong Energy.
Nichts geht ohne Förderung
Aus Sicht der Konferenzteilnehmer sind die regenerativen Energien ohne die Unterstützung der Politik noch nicht überlebensfähig. Das gelte nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt. „In Ländern ohne Fördersystem finanzieren wir keine Projekte in diesem Bereich. Das Gleiche gilt für Entwicklungsländer“, sagt Gunter Dunkel, Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Landesbank Nord/LB. Mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 3,4 Milliarden Euro gehört die Nord/LB weltweit zu den Top-Ten-Finanzierern des Sektors.
Wie abhängig die Wirtschaft von der politischen Förderung ist, betont Tomio Tamakoshi, Manager System Engineering vom japanischen Konzern NGK Insulators Ltd, der auf Energiespeicherung spezialisiert ist. In Japan wurden Photovoltaikanlagen im Privatbesitz bis 2005 durch Investitionszuschüsse gefördert. Der Staat übernahm bis zu 50 Prozent der Systemkosten. „Das hat Hersteller wie Sanyo, Sharp und Kyocera groß gemacht. Nachdem die Förderung aber eingestellt wurde und in Deutschland bessere Förderbedingungen herrschen, sind deutsche Hersteller vorn.“ Angesichts der Wirtschaftskrise habe die Bedeutung politischer Fördersysteme noch zugenommen, unterstreicht Dunkel. Die Banken würden Einspeisetarife als Plus bewerten, weil die Branche der Erneuerbaren so anderen Wirtschaftszweigen gegenüber im Vorteil sei: „Investitionen sind dadurch immun gegen konjunkturelle Einbrüche.“
In vielen Ländern der Welt hat die Förderung regenerativer Energien auch eine entwicklungspolitische Dimension. So lautet das Fazit eines Forums auf dem „World Energy Dialogue“, das sich mit der Sicherheit der Energieversorgung in Afrika beschäftigte. „Die Erneuerbaren können einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten und die regionale Wertschöpfung stärken“, sagt Dunkel. Grüne Energien könnten auch helfen, die Stromkrise in vielen afrikanischen Ländern zu bewältigen, meint Tiemann. Er fordert deutsche Unternehmen auf, in Afrika aktiv zu werden. Sogenannte Energiepartnerschaften seien strategisch günstig für alle Beteiligten. „Wir können nicht nur einen Anteil am Ressourcenreichtum der afrikanischen Länder haben, sondern gleichzeitig zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität beitragen“, sagt Tiemann zu den Vorteilen.
Partnerschaften bestehen beispielsweise zwischen der Afrikanischen Union (AU) und der Europäischen Union (EU) sowie zwischen Deutschland und Nigeria. Die politischen Rahmenbedingungen für die Nutzung regenerativer Energien auf dem afrikanischen Kontinent sind jedoch bisher eher dürftig. Bislang beschränkt sich die Förderung in vielen Ländern auf Machbarkeitsstudien. Dabei liegt die Anwendung regenerativer Energien in den ärmsten Regionen der Welt nah, so die Podiumsteilnehmer. Tiemann: „Erneuerbare Energien bieten eine dezentrale, kostengünstige und einfach zu verwaltende Infrastruktur.“
Stromnetze zügig anpassen
Auf der anderen Seite stellt die Branche der Erneuerbaren die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen derzeit noch vor große Herausforderungen, so die Experten. „Mit dem Ausbau der grünen Energien müssen sich auch die Stromnetze ändern. Während bislang Lastflüsse von oben nach unten – von den zentralen Großkraftwerken zu den Verbrauchern – charakteristisch waren, stehen wir nun vor der Herausforderung, dass der Strom nun auch von unten nach oben ins Netz eingespeist wird“, sagt Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Darauf müssten die Stromnetze umgestellt werden. Hilfreich dafür könnten intelligente Netze – sogenannte Smart Grids – sein, bei denen Stromzähler zum Einsatz kommen, die Informationen liefern und Steuerungsfunktionen übernehmen.
Eine weitere Herausforderung sei es, die Vorhersehbarkeit der Energieproduktion durch die Erneuerbaren zu optimieren. „Überproduktionen zu Schwachlastzeiten müssen durch innovative Speichertechnologien aufgefangen werden“, sagt Stephan Kohler von der Dena. Während derzeit viele Branchen angesichts der Wirtschaftskrise Unterstützung von der Politik fordern, geben sich die Vertreter aus der Energie- und Erneuerbarenbranche selbstbewusst. Zumindest in Deutschland könne man die Herausforderungen, die der Ausbau regenerativer Energien mit sich bringe, allein meistern. „Wir machen in diesem Bereich unser eigenes privatwirtschaftliches Konjunkturprogramm“, sagt Müller. Die Experten halten es dennoch für nötig, die Förderung durch das Erneuerbare-Energien- Gesetz beizubehalten. Nur auf dieser Grundlage könnten die Unternehmen bei Forschung und Entwicklung Fortschritte machen.
Energieeffizienz – Luft nach oben
Was die Industrie allein schaffen kann – etwa im Bereich Energieeffizienz –, wurde an Hand einzelner Fallbeispiele deutlich. Werner Brinker, Vorstandsvorsitzender des norddeutschen Energieversorgers EWE, präsentierte auf dem „World Energy Dialogue“ das Cuxhavener Modellprojekt „eTelligence“, das Maßnahmen für die Industrie und Privathaushalte umfasst. In Kühlhäusern der Cuxhavener Fischindustrie können beispielsweise bei einer Stromüberproduktion Kühlreserven angelegt und bei zu geringer Stromproduktion wieder verbraucht werden, indem die Temperatur erhöht wird. Brinker: „Dabei wird der Verbrauch mit Hilfe moderner IT- und Telekommunikationstechnologien intelligent auf die Stromerzeugung aus dezentralen Quellen abgestimmt.“
Besonders innovative Projekte, die die Energieeffizienz in industriellen Prozessen steigern, prämierten die Dena und die Deutsche Messe am ersten Tag der Veranstaltung. Platz eins der „Energy Efficiency Awards“ ging an den Ventilatoren- und Motorenhersteller EBM-Papst Mulfingen. Das Unternehmen deckt den Wärmebedarf seines neuen Werkes mit vorhandenen Wärmelasten. Zur Beheizung wird die Abwärme aus der Produktion genutzt. So konnten die Kosten für Heizung, Kühlung und Lüftung um 91 Prozent gesenkt werden.
Abgesehen von den technologischen Entwicklungen, die im Bereich Energieeffizienz und beim Ausbau der Erneuerbaren noch anstehen, gibt es aber schon verblüffend einfache Lösungen, um Treibhausgase zu reduzieren. Das betrifft insbesondere das Einsparen von Energie. „Durch bewusstes Verhalten im Alltag können Privathaushalte 20 Prozent ihres Verbrauchs einsparen“, erklärt Brinker. Dies sei das Ergebnis des Cuxhavener Projekts, an dem rund 400 private Haushalte beteiligt sind. Das Beispiel legt nicht nur nahe, wie viel die Politik durch Energiesparkampagnen bewirken könnte. Auch steigen bei abnehmendem Energieverbrauch die Chancen der Erneuerbaren, einen größeren Beitrag zur Lösung der Energieproblematik leisten zu können.
Gesucht: Modell der Zukunft
Soweit die Erkenntnisse der Podiumsteilnehmer, die buchstäblich stehend k. o. waren. Zwar sprang auf der Konferenz so manch zündender Gedanke über – doch das Versorgungsmodell der Zukunft wurde nicht gefunden. Diese Herausforderung dürfte ehrgeizigen Wissenschaftlern und Jungpolitikern noch einige schlaflose Nächte bereiten.
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