Wacker sieht viel Bewegung in der politischen Diskussion: Bald mehr europäische Photovoltaik-Module?

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pv magazine: Die EU-Kommission hat im Vorschlag für den Net Zero Industry Act im März das Ziel formuliert, dass 2030 40 Prozent der Photovoltaik-Anlagen, die in Europa installiert sind, auch hier produziert werden. Was ist das größte Hindernis, um eine europäische Produktion entlang der Photovoltaik-Wertschöpfungskette aufzubauen?

Tobias Brandis (Foto): Das größte Hindernis ist, dass abgesehen von der Polysiliziumproduktion eine Solarwertschöpfungskette in Europa kaum noch existent ist und gleichzeitig in einem großen Umfang Kapazitäten in Asien aufgebaut worden sind. Wir müssten nun etwas im Wettbewerb zu einer Region aufbauen, in der die komplette Wertschöpfungskette schon in einem sehr großen Maßstab existiert.

Seit einem Jahr ist die Diskussion darüber deutlich ins Rollen gekommen. Dazu beigetragen hat der Inflation Reduction Act (IRA), mit dem die USA dortige Produktion fördern. Ist der Standortwettbewerb mit den USA inzwischen härter als mit China?

Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass der Wettbewerb zu den USA die Politik wachgerüttelt hat, gerade auch in Brüssel. Wichtiger ist allerdings der Blick auf uns und unsere Ziele in Europa statt des Blicks auf die anderen. Es geht darum, Europa für eine solche Industrie wieder wettbewerbsfähig zu machen und Grundlagen zu schaffen, die es ermöglichen, dass sich eine solche Industrie hier ansiedelt. Ich glaube, das sehen auch die Politiker so. Es gibt ja noch viele weitere Länder neben USA und China, die ihre lokale Solarindustrie fördern. Zum Beispiel hat Indien sein eigenes Programm aufgelegt und versucht, sehr stark zu investieren. Die Türkei macht das auch.

Nachhaltige Solarzellen aus Deutschland – Podiumsdiskussion mit dem BMWK und Branchenvertretern

Wir diskutieren am 28. April um 13:00 Uhr mit dem zuständigen Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Friedrich Gröteke, und Branchenvertretern, wie in Europa eine global wettbewerbsfähige Industrie mit nachhaltigen Produkten wieder aufgebaut werden kann und was die Erfolgsaussichten für mehr Zellen und Module „Made in Europe“ sind.

Diskussionsteilnehmer:

  • Friedrich Gröteke, Leiter des Referats IVE5 – Wind-, Solar- und Transformationsindustrien | Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
  • Christoph Podewils, Leiter Politik | Meyer Burger
  • Peter Fath, CEO RCT Solutions
  • Eicke Weber, Vice-Chair, European Solar Manufacturing Council ESMC, ehemals Direktor des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme ISE
  • Jochen Wermuth, Climate Impact Investor / Chair | Solar Foundry

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Sie haben sich bei einer Veranstaltung der European Solar PV Industry Alliance im Dezember so geäußert, dass die EU bis Mitte 2023 Zeit habe, auf den IRA zu reagieren. Unternehmen würden angesichts des IRA bis dahin Investitionsentscheidungen treffen. Viele Unternehmen würden in absehbarer Zeit nur einmal investieren, nämlich hier oder in den USA. Sehen Sie das immer noch so?

Ja. Nageln Sie mich aber nicht auf einen Monat fest. Mit Mitte des Jahres kann vielleicht auch noch September oder Oktober als Bandbreite gemeint sein. Sie kennen die ambitionierten Ausbauziele, die wir erreichen müssen, wenn wir in Europa wirklich vorankommen wollen. Solche Investitionen sind nicht nur teuer, sondern brauchen auch Zeit. Wir brauchen daher schnell die klaren Rahmenbedingungen, die Entscheidungen ermöglichen, sonst schaffen wir den Zeitplan in Europa nicht. Und außerdem möchten die USA auf Basis ihres ambitionierten Plans und der starken Förderung der Industrie in absehbarer Zeit Erfolge sehen.

Ich bin da nicht ganz so pessimistisch. Die EU hat sich bereits an vielen Stellen bewegt.

Auch in Europa hat sich einiges getan. Die EU-Kommission hat den Net Zero Industry Act vorgeschlagen. Davor hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein Eckpunktepapier vorgelegt. Das enthält relativ viel zur Industrieförderung für Photovoltaik. Es enthält aber auch, dass jetzt erst einmal eine Studie gemacht wird, um die Realisierbarkeit zu untersuchen. Das sieht für mich nicht so aus, dass der Zeitplan bis September zu halten ist.

Ich bin da nicht ganz so pessimistisch. Die EU hat sich bereits an vielen Stellen bewegt. Sie haben den Net Zero Act schon erwähnt, er ist Teil der Repower-Europe-Initiative. Danach hat die Kommission einen Entwurf für den Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) veröffentlicht. Das ist die Erweiterung des Krisenfonds in Richtung Transformation hin zu einer klimaneutralen Industrie. Darin findet sich viel Positives. Sie haben recht, einiges ist noch aufgeschoben und nicht konkret genug. Der European Sovereignty Fund, der für den Aufbau einer solaren Wertschöpfungskette in Europa eine große Rolle spielen kann, soll erst im Sommer diskutiert werden. Tatsächlich fehlt uns noch Einiges, um wirklich erfolgreich zu sein. Die EU und die nationalen Regierungen sind jetzt am Zug, die Grundlage dafür zu schaffen, dass der Wiederaufbau einer Solarindustrie in Europa gelingen kann. Firmen brauchen konkrete, nachvollziehbare und belastbare Voraussetzungen, um unternehmerische Entscheidungen treffen zu können. Das fehlt aktuell noch.

Ist es überhaupt möglich, mit den Strompreisen in Deutschland und Europa eine wettbewerbsfähige Produktion aufzubauen?

Energie war hierzulande im internationalen Vergleich noch nie billig, aber wir hatten über lange Jahre in Deutschland und Europa relativ stabile Strompreise. Sie waren viel niedriger als das Niveau, das wir nun sehen, seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Wir haben jetzt Strompreise, die von einem vernünftigen Weltmarktniveau um den Faktor drei bis fünf entfernt sind. Unter diesen Voraussetzungen ist es praktisch nicht möglich, die ersten Stufen der Wertschöpfungskette betriebswirtschaftlich sinnvoll zu betreiben. Das gilt für die Polysiliziumproduktion und das Ziehen der Kristalle. Diese Prozesse sind relativ energieintensiv. Bei den gegenwärtigen Strompreisen werden wir auf diesen Wertschöpfungsstufen keine Investitionen in Europa sehen.

Wie hoch darf ein Industriestrompreis sein?

In China liegt der Strompreis zwischen 20 und 30 Euro pro Megawattstunde (2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde, die Red.), in den USA liegt er unter 40 Euro pro Megawattstunde. Wir bei Wacker trauen uns aufgrund unserer hocheffizienten Technologie zu, auch mit 40 Euro wettbewerbsfähig zu arbeiten. Wir fordern daher schon seit Jahren immer wieder, dass wir einen Industriestrompreis von ungefähr 40 Euro pro Megawattstunde brauchen. Das zweite Thema ist neben dem hohen Preisniveau auch die Volatilität im Strompreis, die jetzt sehr viel größer geworden ist. Bei den Kapazitätszielen, wie sie sich die EU oder Deutschland vorstellen, sprechen wir von Milliardeninvestitionen. Dafür brauchen Industrieunternehmen Planungssicherheit. Wenn eine der wesentlichen Kostenkomponenten so hochvolatil ist, ist es sehr schwer, solche Investitionsentscheidungen zu treffen.

Lange Zeit hat sich die EU mit den Beihilferegeln ein Korsett gegeben, das Subventionen sehr schwierig macht. Haben sich die Beihilferegeln schon entsprechend geändert, dass Deutschland nun den Strompreis subventionieren könnte?

Nein, sie haben sich tatsächlich noch nicht geändert. Im Entwurf des TCTF gibt es jetzt die so genannte Matching-Klausel. Man erlaubt Staaten, bei Subventionen, die in anderen Regionen zur Verfügung stehen, gleichzuziehen, um den Wettbewerb auf eine Stufe zu bringen. Es gibt jedoch unterschiedliche Auslegungen, wie das zu verstehen ist. Man kann gegebenenfalls darunter verstehen, dass auch eine Unterstützung bei Betriebskosten in einem gewissen Rahmen möglich ist. Aus unserer Sicht ist das allerdings so, wie es jetzt formuliert ist, noch nicht hinreichend klar. Hinzu kommt, wie oft in der europäischen Politik, das Thema Kohäsion. Die EU möchte Investitionen insbesondere in Regionen fördern, die aus ihrer Sicht Nachholbedarf in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung haben. Dort hat man dann mehr Möglichkeiten für Förderungen. Das trifft für unsere Produktionsstandorte, die in Deutschland liegen, nicht zu.

Was spricht gegen die Forderung nach Kohäsion?

Ich sehe darin ein großes Manko. Denn als Chemieunternehmen investieren wir an Standorten, an denen wir wirklich nachhaltig produzieren können. Wir brauchen die Möglichkeit, Polysilizium im Verbund mit anderen Produkten herzustellen, um möglichst wenig Abfälle zu haben, Nebenanfälle als Ausgangsstoffe für weitere Produkte zu nutzen und Hilfsstoffe im Kreislauf zu bewegen. Das ist auch für die Kostenseite wichtig. Nachhaltigkeit müsste für eine solche Matching-Klausel ein wichtiges Kriterium sein, wenn man wirklich die Industrie zurückholen möchte, mindestens so wichtig wie das Thema Kohäsion. Solche Aspekte vermisse ich bislang noch bei einer Überarbeitung der Beihilferegeln. Außerdem muss man bedenken, dass komplexe Chemieanlagen nicht einfach an einem beliebigen Standort ohne passende Infrastruktur aufgebaut werden können und existierende Anlagen mit einen Zeithorizont von Jahrzehnten gebaut und betrieben werden.

Dann müssen Photovoltaik und Windkraft dafür sorgen, dass die Strompreise bei uns global gesehen wettbewerbsfähig sind.

Die Herausforderung ist, wie man mit Förderung eine Industrie aufbaut, die hinterher aber trotzdem global wettbewerbsfähig ist. Das haben Sie in der Vergangenheit auch schon öfter betont. Wir haben neulich darüber berichtet, dass die Industrie, etwa Meyer Burger, nicht nur nach Unterstützung bei der Finanzierung der Investition, sondern auch nach einem Betriebskosten-Zuschuss fragt. Was kann man tun, damit eine Industrie nach einigen Jahren ohne Subventionen wettbewerbsfähig ist?

Das ist zunächst ein absolut richtiger Punkt: Wir können hierzulande nicht eine Solarindustrie aufbauen, die nur funktioniert, wenn sie auf Dauer hoch subventioniert wird. Das ist kein tragfähiges Geschäftsmodell. Wir brauchen eine Solarindustrie, die aus sich heraus wettbewerbsfähig ist. Nehmen wir das Thema Strompreis. Es gibt im Moment weltweit gesehen nur eine wirklich billige Stromquelle, das sind die regenerativen Technologien, also Photovoltaik und Wind. Wir müssen eine Phase überbrücken, in der Strom bei uns sehr teuer ist, weil die fossilen Brennstoffe, die zur Verfügung stehen, bei uns sehr teuer sind. Wir müssen sie so lange überbrücken, bis wir genug erneuerbare Energien aufgebaut haben, um damit günstig Strom zu produzieren. Wir gehen davon aus, dass die Dauer dieser Übergangsphase wahrscheinlich in der Größenordnung von ungefähr zehn Jahren liegen wird. Dann müssen Photovoltaik und Windkraft dafür sorgen, dass die Strompreise bei uns global gesehen wettbewerbsfähig sind. Länger darf das nicht dauern. Sonst kommen wir in eine Dauersubventionsspirale und der Wettbewerb mit den USA und China findet nicht mehr über unsere Technologie und die Qualität unserer Produkte statt, sondern über die Frage, wie großzügig die staatlichen Subventionen fließen. Deshalb sprechen wir von einem zeitlich begrenzten Transformationsstrompreis.

Für unsere Leser vielleicht wichtig zu wissen: Die Energieintensität der Prozesse ist wirklich enorm. Allein Wacker hat einen Anteil von 0,8 Prozent am Stromverbrauch in Deutschland.

Zuerst zu unserem Stromverbrauch: Polysilizium ist das reinste Produkt, das von Menschenhand hergestellt wird. Dazu werden Moleküle sozusagen auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Ohne einen enormen Einsatz von Energie lassen sich die Bindungen der Moleküle nicht lösen. Das ist schlicht ein Naturgesetz. Neben dem Strompreis gibt es aber noch weitere Punkte, die deutlich machen, dass es um eine zeitlich begrenzte Transformationsphase geht. Eine der größten Hürden ist tatsächlich, dass es eine solare Wertschöpfungskette großen Maßstabs in Europa heute nicht gibt. In dieser Industrie spielen Skaleneffekte aber eine entscheidende Rolle. Für eine wettbewerbsfähige Produktion braucht es große Volumina. Aber wenn die notwendigen Größenordnungen erreicht sind, muss eine europäische Solarindustrie aufgrund ihrer guten Technologie, aufgrund hoher Automatisierungsgrade, aber auch aufgrund der Qualität, die sie in der Lage ist zu liefern, ohne Förderungen im Wettbewerb bestehen können.

Wacker hat auf seiner Wertschöpfungsstufe ja noch relativ große Weltmarktanteile und eine signifikante Größe. Aber wenn wir bei der Zell- und Modulproduktion schauen, ist das in Europa anders.  Das neue Ziel der EU sind 40 Prozent der Photovoltaik-Installation entlang der Wertschöpfungskette bis 2030 hier zu produzieren. Das sind vielleicht 30 bis 60 Gigawatt. Das ist ein Volumen, das heute, sieben Jahre vorher, ein chinesischer Hersteller in einem Jahr alleine zubaut. Kann das EU-Ziel ausreichen, um die nötigen Skaleneffekte zu erreichen?

Es ist richtig, dass in China Kapazitäten in großem Maßstab erweitert werden. Auf der anderen Seite sind die Skalen auch dort endlich. Die Werke entstehen nicht alle an einem Standort, sondern die großen Hersteller bauen ihre Produktionsanlagen inzwischen in Stufen von 20 bis 50 Gigawatt. Das kann auch in Europa funktionieren. Unter 5 Gigawatt für eine Produktionsstufe zu planen, ist vermutlich zu kleinteilig, realistischer wären 5 Gigawatt bis 20 Gigawatt. Bei Polysilizium müssen wir in Stufen von 25.000 bis 50.000 Tonnen denken. 25.000 Tonnen entsprechen dann zukünftig ungefähr 10 Gigawatt. Wenn Europa es wirklich schafft, 50 Gigawatt oder 60 Gigawatt durchintegriert aufzubauen, kann das eine absolut wettbewerbsfähige Wertschöpfungskette sein.

Für eine gewisse Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit müssen wir auch bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen.

Sowohl ein Transformationsstrompreis als auch Förderung bei Investitionen kosten die Allgemeinheit Geld. Wie kann ich meinem Nachbarn erklären, dass es sinnvoll ist, jetzt dieses Geld auszugeben? Bleibt für die Gesellschaft am Schluss mehr übrig, als es kostet?

Das muss selbstverständlich das Ziel sein, und davon bin ich auch absolut überzeugt. Zunächst einmal profitiert die Gesellschaft von einer europäischen Solarindustrie in Form von gut bezahlten Arbeitsplätzen und von Technologieentwicklung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist eine gewisse Unabhängigkeit. Wohin eine zu große Abhängigkeit führen kann, sehen wir bei Gas und Öl durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Ich glaube, das Bewusstsein dafür, dass wir die Risiken, die aus Abhängigkeiten entstehen, verringern müssen, ist in der Gesellschaft gewachsen: Für eine gewisse Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit müssen wir auch bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen. Ein entscheidender Aspekt ist auch die Nachhaltigkeit in der Produktion. Wenn wir Polysilizium in Deutschland herstellen, dann sind wir beim CO2-Ausstoß um bis zu 50 Prozent besser als unsere Wettbewerber in Fernost. Das gilt natürlich für viele Produktionsstufen in der solaren Wertschöpfungskette. Für den Klimaschutz ist es wichtig, dass wir auf Nachhaltigkeit in der Produktion achten. Und auch diese verbessern wir durch den Aufbau einer Solarindustrie in Europa.

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