Es ist soweit! Am 15. April gingen in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz. Über 50 Jahre Protest von Millionen Bürgerinnen und Bürgern gegen Atomenergie haben sich gelohnt.
Erneuerbare Energien sind jetzt endlich weltweit auf dem Vormarsch. Global wird weit mehr Geld in die Erneuerbaren investiert als in die alte fossil-atomare Energiewirtschaft. Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist in Deutschland am Ziel. Bürgerinitiativen und Umweltgruppen feiern diesen Sieg zurecht.
Es hat allerdings gedauert: Der Tschernobyl-Schock war nötig, dann der erste Ausstieg unter rot-grün, dann der Wiedereinstieg unter schwarz-gelb, dann der zweite Ausstieg nach Fukushima unter schwarz-gelb und nun der endgültige Ausstieg – zumindest in Deutschland.
Die Anti-AKW-Bewegung begann als kleine Minderheit und wurde erst nach Fukushima eine große Bürgerbewegung. Bis freilich ein Endlager für den strahlenden Atommüll gefunden ist, kann es bis zum Ende dieses Jahrhunderts dauern und das wird sehr, sehr teuer. Die Bilanz dieses teuren Irrwegs: Diese gefährliche Technologie hat vielleicht zwei Generationen ökonomische Vorteile gebracht, aber 33.000 Generationen müssen dafür bezahlen. Denn der nukleare Abfall strahlt circa eine Million Jahre. Das zeigt deutlich wie verantwortungslos und nicht nachhaltig wir heute wirtschaften.
Die Rechnung aus dem Atomzeitalter
Diese Rechnung ist die entscheidende Lehre aus dem Atomzeitalter. Einer der vielen Tricks, mit denen die Atom-Lobby die Öffentlichkeit getäuscht hat, hatte den Namen „Restrisiko“. Nach dem Tschernobyl-Desaster hatte ich den Atomphysiker Professor Wladimir Tschernousenko in der ARD interviewt. Diesen glühenden Anhänger der Atomkraft hatte Michail Gorbatschow zum Chef der Aufräumarbeiten in Tschernobyl berufen: Ihn habe ich gefragt, was „atomares Restrisiko“ bedeutet. Seine unvergessene Antwort: „Atomares Restrisiko ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann. Deshalb heißt es Restrisiko“.
Professor Tschernousenko wurde durch den Unfall selbst verstrahlt und starb an Krebs. In seinen letzten Lebensjahren wurde er zum Gegner der Atomenergie und hielt auf der ganzen Welt Vorträge gegen Atomkraft. Vor allem durch ihn wurde auch ich vom ursprünglichen Befürworter zum AKW-Gegner.
Deutschland steigt aus der Atomkraft aus, aber Frankreich setzt weiter auf AKWs und Polen will sogar neue AKWs bauen, obwohl Atomstrom schon heute mehr als doppelt so teuer ist als Strom aus erneuerbaren Energien. Von den Folgekosten ganz zu schweigen. Die alten AKWs werden immer störanfälliger und für sie steht immer weniger Kühlwasser zur Verfügung. In Frankreich laufen die Hälfte aller 56 AKW seit über 30 Jahren und ein Drittel sogar mehr als 40 Jahre. Muss in Frankreich erst ein großer Unfall passieren bis unsere Nachbarn aufwachen?
In Deutschland wird 2023 bereits die Hälfte allen Stroms erneuerbar gewonnen, in Frankreich etwa 30 Prozent. Unser nächstes Ziel: Ausstieg aus der Kohle spätestens 2030. Globale politische Hoffnungszeichen sind in den letzten Jahren die Abwahlen von Klimawandel-Leugnern wie Trump in den USA, Scott Morrison in Australien und zuletzt Jair Bolsonaro in Brasilien. Auch die letzte deutsche Bundestagswahl wäre ohne die Klimakrise und ihre unübersehbaren Auswirkungen wie im Ahrtal wohl anders ausgegangen.
Geschichte der Kernenergie
Als US-Präsident Eisenhower vor 70 Jahren die „friedliche Nutzung“ der Atomenergie ausrief, gab es eine weltweite Euphorie. Nach Tschernobyl, Fukushima, vielen Beinahe-Unfällen, der Zerstörung der Lebensgrundlagen indigener Völker durch Uran-Abbau sowie den unbezahlbaren Kosten für die Atommüll-Entsorgung hat sich die Euphorie in Luft aufgelöst.
Die Zukunft gehört den umweltfreundlichen, bezahlbaren und ewig vorhandenen erneuerbaren Energien.
— Der Autor Franz Alt ist Journalist, Buchautor und Fernsehmoderator. Er wurde bekannt durch das ARD-Magazin „Report“, das er bis 1992 leitete und moderierte. Bis 2003 leitete er die Zukunftsredaktion „Zeitsprung“ im SWR, seit 1997 das Magazin „Querdenker“ und ab 2000 das Magazin „Grenzenlos“ in 3sat. Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte auf www.sonnenseite.com. —
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Geschätzter Herr Alt
Sie fragen zu Recht „Muss in Frankreich erst ein großer Unfall passieren bis unsere Nachbarn aufwachen?“.
Meine Antwort darauf: Frankreich leidet – mit 75% Atomstromproduktion – am sogenannten Lock-in-Effekt. Wer so viel Atomstrom zu ersetzen hat, denkt, dass das wohl nur mit neuen AKW‘s möglich sein wird.
Leider sieht die Realität anders aus, fast zwei Drittel der Bevölkerung waren gegen das Abschalten der letzten AKWs. Die Abschaltung war nur ein Erfolg für die Anti Atomkraft Bewegung, der Klimaschutz und die Demokratie bleibt auf der Strecke. Vielleicht würden uns mehr direkte Demokratie wie in der Schweiz gut tun.
Weil die Erneuerbaren viel zu langsam ausgebaut wurden wird die Stromproduktion der AKWs jetzt durch Kohle und Frackinggas aus Übersee kompensiert…
@ Tobias.
Wenn Sie schon von Realität schreiben, erlaube ich mir Ihnen die „Physikalische“ Realität darzustellen. Wir haben gegenwärtig etwa 40% EE Strom vorrangig in den Netzen.
Und dann können Sie folgende Schlagzeilen lesen.
https://www.bild.de/geld/wirtschaft/politik-inland/energie-irrsinn-belgier-daenen-und-oesis-kriegen-unseren-strom-geschenkt-82412206.bild.html
„Unser Strom wird ins Ausland verschenkt“
Strom aus Sonne und Wind kann es „Physikalisch“ nicht sein, der da verschenkt werden muss. Denn der wird dezentral übers Land verteilt erzeugt, und kommt „physikalisch“ nicht weiter als zum nächsten Verbraucher um der Ecke. Also kann es nur Strom aus AKW und Kohlekraftwerke sein, die seit 2010 nicht mehr den Erneuerbaren angepasst werden müssen, und deshalb als Überschuss anfallen. Lesen Sie dazu meine folgenden Kommentare.
https://www.pv-magazine.de/2023/01/04/co%e2%82%82-emissionen-2022-in-deutschland-kaum-gesunken/
Die Mehrheit von der Sie schreiben, wird leider nur mit hohen Stompreisen und der AKW Abschaltung berieselt. Dass die Strompreise gar nicht so hoch wären, wenn die EE auch vorrangig verbraucht würden, bleibt für dieser Mehrheit verborgen. Da kann kein anderes Ergebnis bei raus kommen.
@ Hans Diehl:
Eine wirklich hervorragende Darstellung der „Physikalischen“ Realität.
Dann werden wir jetzt künftig Braunkohlestrom ins Ausland verschenken! Die älteren Kohlekraftwerke lassen sich nicht viel besser regeln als AKW´s. Ist das jetzt aus ihrer siecht ein schritt in die richtige Richtung?
Sie schreiben ja selbst, das etwa 40% des Stroms erneuerbar ist. Was ist mit den restlichen 60 % ???
Aus meiner Sicht währe der richtige Weg folgender gewesen:
Mit Volldampf die Erneuerbaren und Speicher ausbauen.
Zuerst die Braunkohle, dann die Steinkohle und erst dann die Atomkraft vom Netz nehmen.
@ Tobias.
Der Schritt in die richtige Richtung ist der, dass die Erneuerbaren wieder „Physisch“ vorrangig im Lande verbraucht werden müssen Dann wären die 40% EE erst einmal im Sinne der Energiewende gesichert, und könnten nicht „Virtuell“ missbraucht werden.
Lesen Sie dazu meine folgenden Kommentare.
https://www.pv-magazine.de/2023/01/04/co%e2%82%82-emissionen-2022-in-deutschland-kaum-gesunken/
Besonders den vom 06 Jan. um 21.49 Uhr, wo ich versuche deutlich zu machen, wie unsere Strompreise durch den Merit Order Effekt, den Sonne und Wind auslösen, von P1 nach P2 sinken würden.
@Marc
Frankreich baut seit 17 Jahren an einem neuen AKW . Das einzige im Bau dort!Soviel zum Thema ersetzen durch neue AKW.
@ Tobias
Es wurde durch Wahl und Mehrheit das Ende der Atomkraft beschlossen.
Welche Wahl mit 2/3 haben Sie denn da im Sinn ?
@ Jochen Schulze Pröbsting:
Ich das ist richtig. Die Mehrheit der demokratisch gewählten Abgeordneten haben für den Ausstieg gestimmt. Habe ich das Gegenteil behauptet?
Ich habe nur angemerkt, dass aktuell die Mehrheit der Bevölkerung die Abschaltung nicht so cool findet. Die Ursache könnten die Verwerfungen auf dem Energiemarkt sein. Und die Tatsache, dass LNG Gas eine viel schlechtere CO2 Bilanz hat als Pipeline Gas, wo wir doch alle so für den Klimaschutz sind…
Schwierige Argumentationslogik. Deswegen ist „direkte Demokratie“ auch nicht so super-klasse, wie man es beim Stammtisch hört.
Die CO2 Bilanz von LNG ist übrigens im Vergleich zum Gesamtlebenszyklus eines AKW gar nicht unbedingt schlechter. Problematisch daran ist, dass die Berechnungen dazu derart unseriös auseinanderweichen (keiner kann ein Endlager korrekt kalkulieren bis heute – bedenken Sie, dass ein „Endlager“ niemals das „Ende“ bedeutet. Da passiert noch einiges die nächsten 30.000 Generationen). Es ist dermaßen CO2-teuer – man kann es nicht berechnen, also lässt man diesen Teil einfach unter Tisch fallen, weil jede Zahl dahinter sowieso völlig sinnlos wäre).
Ich gratuliere! > 6 GW mehr Importstrom, Selbstversorgung nur noch am Wochenende, mehr CO2-Emissionen!
1 Satz Brennelemente und parallel EE-Ausbau mit Ausbau von Speichertechniken (Elektrolyse, Pumpspeicher, Batterien) wäre die richtige Antwort gewesen, aber das hat der grüne Dogmatismus leider zu verhindern gewusst…