Aurora-Studie: Einsparpotenzial von bis zu 700 Milliarden Euro im Stromsektor – Photovoltaik-Zubauziel auf 254 Gigawatt bis 2045 senken

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Das deutsche Ziel eines klimaneutralen Stromsektors bis 2040 lässt sich weit kostengünstiger erreichen als aus dem aktuellen Netzentwicklungsplan (NEP) hervorgeht, heißt es in einer neuen, von EnBW in Auftrag gegebenen Studie der Energiemarktanalysten von Aurora Energy Research. Bis zu 700 Milliarden Euro könnten eingespart werden, ohne Abstriche bei der Versorgungssicherheit machen zu müssen. Das bedeute eine jährliche Minderung der Systemkosten im Stromsektor um bis zu 32 Prozent. Die Investitionen könnten um bis zu 47 Prozent reduziert werden.

So halten es die Experten für möglich, das Energiesystem kleiner zu dimensionieren, weil der Strombedarf weniger stark steigen werde als im NEP zugrunde gelegt. Statt dem dort angesetzten Verbrauch von 1.150 Terawattstunden in 2045 halten die Analysten einen Verbrauch von 769 Terawattstunden für möglich, auch durch weit weniger Erzeugung von grünem Wasserstoff im Inland.

Das erlaube es, die Erneuerbaren-Ausbauziele für 2045 abzusenken – bei der Photovoltaik von 400 auf 254 Gigawatt. Das Ziel für die Offshore-Windenergie könne von 70 auf 45 bis 55 Gigawatt reduziert werden. Damit lasse sich unwirtschaftlicher Übertragungsnetzausbau vermeiden.

Wasserstoff: Viel Blau, weniger Grün

Zugleich setzen die Analysten auf den Import von blauem Wasserstoff – also Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird, aber trotzdem klimafreundlich sein soll, weil das dabei freigesetzte Kohlendioxid abgeschieden und unterirdisch entsorgt wird. Der Energieträger soll unter anderem in wasserstofffähigen Gaskraftwerken eingesetzt werden. Hier müssten 2045 Anlagen mit insgesamt 55 Gigawatt installiert sein. Der NEP geht von 35 Gigawatt aus. Derzeit beläuft sich die installierte Leistung der Gaskraftwerke auf rund 31 Gigawatt.

Mit den Importen von blauem sowie mehr Einfuhr von grünem Wasserstoff kann die heimische Erzeugung von grünem Wasserstoff reduziert werden, heißt es weiter in der Studie. Das sei sinnvoll, weil blauer Wasserstoff knapp 20 Prozent günstiger sein als grüner. Das Ausbauziele für Elektrolyseure lasse sich damit drastisch absenken – von 50 auf 10 Gigawatt. Das mache es möglich, auch auf Photovoltaik-Leistung zu verzichten. In der Folge sinke zudem der Investitionsbedarf bei den Netzen. Insgesamt 100 Milliarden Euro lasse sich durch den reduzierten Elektrolyseur- und Photovoltaik-Ausbau einsparen.

Dass die Aurora-Experten hier den Hebel bei der Photovoltaik und nicht bei der Windenergie an Land ansetzen, begründen sie damit, dass Wind bedarfssynchroner zur Verfügung steht.

Speicherzubau halbieren

Auch bei Batteriespeichern sehen die Fachleute von Aurora viel Einsparpotenzial. Die im NEP hinterlegte Speicherleistung von 141 Gigawatt in 2045 lasse sich etwa halbieren, ohne die Versorgung zu gefährden. An die Stelle treten Gas- beziehungsweise Wasserstoff-Kraftwerke – die ohnehin besser als Batteriespeicher in der Lage seien, Dunkelflauten zu überbrücken. Insgesamt 80 Milliarden Euro ließen sich einsparen, wenn die installierte Speicherleistung um 50 Prozent reduziert wird, heißt es in der Studie.

„Die EnBW setzt sich dafür ein, die Transformation des Energiesystems so sicher, klimafreundlich und bezahlbar wie möglich zu gestalten“, sagt EnBW-Vorstandsvorsitzender Georg Stamatelopoulos. Die Studie von Aurora Energy Research liefere konkrete Antworten auf die Frage, wie alle drei Aspekte in Einklang gebracht werden können. „Geringere Systemkosten entlasten die Volkswirtschaft, fördern die Elektrifizierung in allen Sektoren und können die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern.“

BEE hält Annahmen der Studie für falsch

In einer Stellungnahme zur Aurora-Studie kritisiert der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE), dass die Analysten den Strombedarf viel zu niedrig angesetzt hätten. Der BEE hatte Mitte März eine Studie vorgelegt, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Stromverbrauch von heute 510 Terawattstunden bis 2030 auf 700 Terawattstunden ansteigt. Das mache es unumgänglich, an den im EEG festgelegten Erneuerbaren-Ausbauzielen festzuhalten.

„Die Annahmen von Aurora Energy Research fußen auf der irrigen Annahme, dass die Elektrifizierung in den Bereichen Wärme und Mobilität nicht ausreichend schnell gelingt und zudem die Wirtschaftskrise in den nächsten Jahren nicht überwunden werden kann,“ erklärt BEE-Präsidentin Simone Peter. Das europäische Ausland und die globale Entwicklung zeige, dass Deutschland hier nachholende Effekte erleben werde.

Desweiteren kritisiert der BEE an der Aurora-Studie, dass die Möglichkeit der heimischen Erzeugung von grünem Wasserstoff sowie das rasante Anwachsen des Strombedarfs durch neue Daten- und Rechenzentren, gerade auch im KI-Sektor mit Bedarfen im Gigawattbereich, massiv unterschätzt.

Zudem würden geo- und sicherheitspolitische Aspekte ausgeblendet und neue Importabhängigkeiten riskiert, die den europäischen Resilienzbemühungen zuwiderlaufen, so BEE-Präsidentin Peter. „Diese Studie ist ungeeignet, um eine nach vorne gerichtete Wirtschafts- und Energiepolitik eines prosperierenden Industriestandorts zu gestalten”, erklärt sie. In Folge falscher Prämissen auch den Ausbau der Erneuerbaren Energien drosseln zu wollen, könne zu Energieknappheit und industriellen Verwerfungen bei Zulieferern und Herstellern auf allen Wertschöpfungsstufen führen.

Blauer Wasserstoff ist nach Einschätzung des BEE keine Alternative zu heimischem grünem Wasserstoff. Der starke Zubau von Wind- und Photovoltaik-Leistung führe zu deutlich wachsenden Produktionsspitzen, die mit wachsender Flexibilität, unter anderem durch die Wasserstoff-Produktion, system- und netzdienlich ausgeglichen werden können.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel am 3.4.25 um den Kommentar des BEE ergänzt.

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