In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD ist unstrittig, dass im Fall der Regierungsbildung eine der ersten Maßnahmen die Novellierung des CCS-Gesetzes sein soll. Dass laut Bericht der Bundesregierung in 70 Prozent (nach anderen Quellen in 80 Prozent) des weltweiten CCS genannten Geschäftes die Speicherung gar nicht intendiert, sondern das CO2 zur Intensivierung der Öl- oder Gasförderung („Enhanced Oil Recovery“ EOR) eingesetzt wird, wobei sich die CO2-Emission nicht vermindert, sondern etwa verdoppelt, interessiert die führenden politischen Kräfte nicht. Sie haben entschieden, dass CCS dem Klimaschutz dient und zur Erreichung der Klimaziele notwendig ist. Und deshalb ist das so.
Erdgasindustrie verspricht sich zusätzliche Profitquellen
Einsam ist diese Entscheidung sicher nicht getroffen worden. Die eigentlichen Treiber stehen aber eher im Hintergrund. Jedoch nicht ganz. Kürzlich wurde bekannt, dass Firmen, die mit Erdgas, Pipelinebau und verwandten Tätigkeiten zu tun haben (SEFE, OGE, Gasunie, Uniper und Höegh Evi) sich zur Deutschen Carbon Management Initiative (DCMI) zusammengeschlossen haben. Sie verstehen sich als „zentrale Plattform für Unternehmen“, die an der „Entwicklung einer leistungsfähigen CO2-Wertschöpfungskette in Deutschland“ interessiert sind. In diesem Sinn wollen sie „politische Rahmenbedingungen mitgestalten“ und „gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Industrie“ die „Notwendigkeit von CCU/S“ kommunizieren.
Eine „leistungsfähige CO2-Wertschöpfungskette entwickeln“? – Sollte es denn nicht um Klimaschutz gehen? Ja, auch dieser kommt vor, als Floskel und nebenbei. Das Wollen und Begehren richtet sich aber auf die Wertschöpfung und nichts anderes. Sich vom CO2 nicht verabschieden, sondern es zur Profitquelle machen – da haben wir den Kern des ganzen CCS!
Die innere Widersprüchlichkeit ist eminent: CO2 wegschaffen, jedenfalls weg von der Atmosphäre, soll die Aufgabe sein. Doch um das – gewinnbringend – tun zu können, werden CO2-Quellen benötigt, aus denen es zuverlässig strömt.
Die hundertprozentige Energieversorgung durch Erneuerbare und der konsequente Umbau der Produktionssphäre auf klimafreundliche Verfahren wären das Todesurteil für eine CCS-Industrie. – Kein Wunder, dass die Branchen und Unternehmen, die von Vorfreude auf die in solcher Industrie entstehenden zusätzlichen Profitquellen schon ergriffen sind, mit allen Mitteln versuchen, die Energiewende zu stoppen.
CCS: „spekulative Zukunftstechnologie“, die ad acta zu legen ist
Dadurch dass die vermutlich nächste Bundesregierung dem CCS Tür und Tor öffnen will, kommt die Debatte wieder in Gang. Gerade äußerten sich zwei Wissenschaftler vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS), Stefan Schäfer und Tobias Haas, im „Tagesspiegel Background“ zu den „großen Unsicherheiten“, mit denen die Umsetzbarkeit von CCS behaftet ist. Ihr vernichtendes Fazit lautet: „CCS funktioniert zwar in den Modellwelten der Computersimulation, ob es aber auch in der Praxis in hinreichend großem Maßstab umsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.“
Sie stimmen mit William Lamb vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) überein: „Immer dann, wenn lieber auf spekulative Zukunftstechnologien vertraut wird, anstatt klare politische Entscheidungen zu treffen, droht es zu Verzögerungen bei der Emissionsreduktion zu kommen.“ Und weiter schreibt er: „Das Ziel, 2045 nur so viel Kohlendioxid zu emittieren, wie aus der Atmosphäre entfernt wird, kann nur mit klaren politischen Weichenstellungen erreicht werden. Will die zukünftige Bundesregierung entschlossenen Klimaschutz betreiben, müssten Verzögerungstaktiken wie das Verweisen auf spekulative Zukunftstechnologien ad acta gelegt werden.“
Wuppertal Institut empfiehlt Vorsicht und Einschränkungen
Das Wuppertal Institut hat „Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung von CCU, CCS und CDR“ ausgemacht und schlägt „Handlungsempfehlungen für die Carbon-Management-Strategie des Bundes“ vor.
Grundsätzlich wird der CCS-Einsatz befürwortet, doch empfiehlt das Institut Einschränkungen:
- „Generell ausgeschlossen werden sollte … der Einsatz von CCS im Energiesektor und somit auch für Gaskraftwerke, da hier keine Notwendigkeit für CCS besteht.“
- „Die Anwendung von CCS sollte – mit wenigen Ausnahmen – auf unvermeidbare Emissionen limitiert werden. CCS sollte für schwer vermeidbare Emissionen nur dann zur Anwendung kommen, wenn alle denkbaren Alternativen durch eine ganzheitliche (multidimensionale) Bewertung auf deren Vor- und Nachteile hin evaluiert wurden.“
- Das Institut macht darauf aufmerksam, dass in angegebenen Abscheideraten von 90 bis 95 Prozent bei Kraftwerken Emissionen in den Vorketten, erheblicher Mehrverbrauch von Brennstoffen und weitere Faktoren nicht berücksichtigt sind. Werden diese einbezogen, ergeben sich Raten von 59 bis 87 Prozent.
- Im Kontext von CCU muss die Dauer der Kohlenstoff-Festlegung in einem nutzbaren Produkt beachtet und bewertet werden.
- Für den Transport muss das CO2 möglichst rein sein. Störstoffe können auch in geringer Menge unvorhersehbare Auswirkungen haben.
- In Pipelines ist mit „innerer Korrosion“, sowie mit unkontrollierten chemischen Reaktionen zu rechnen.
- Auch die Möglichkeit von Leckagen wird angesprochen und die damit verbundene Haftungsfrage.
- Bei Angaben zum Aufnahmevermögen der sogenannten Speicher werden in der Regel theoretisch ermittelte optimistische Werte in Umlauf gebracht. Für die Praxis muss mit deutlich geringeren Kapazitäten gerechnet werden.
- Dies gilt auch für das Speicherpotenzial in der deutschen Nordsee. Hier wird unterschieden zwischen dem „statischen“ Potenzial, das theoretisch ermittelt wird und der tatsächlich nutzbaren Kapazität, die auch „dynamisches“ oder „praktisches“ Potenzial genannt wird und sich daraus ergibt, dass „die AWZ bereits jetzt stark genutzt wird, für Windparks, Schifffahrtsrouten, militärische Anwendungen sowie Kabel und Pipelines.“
- Die CO2-Speicher stellen „das eigentlich kritische Element der gesamten CCS-Kette“ dar, „das schlussendlich die Verfügbarkeit und Umsetzung von CCS bestimmen dürfte.“
- „Die potenziellen Speicher müssen alle einzeln exploriert und getestet werden, da jeder Speicher andere geologische Gegebenheiten hat.“
- Hier bezieht sich das Institut auf Grant Hauber und dessen berühmte – von CCS-Befürwortern sonst konsequent totgeschwiegene – Studie „Norway’s Sleipner and Snøhvit CCS: Industry models or cautionary tales?“ (Norwegens Sleipner und Snøhvit CCS: Industriemodelle oder warnende Beispiele?)
- Weitere kritische Faktoren werden angesprochen und konkrete Fehlleistungen benannt: „Projekte wie Gorgon, Sleipner und Snøhvit zeigen, dass bei der CO2-Speicherung mit unvorhergesehenen Entwicklungen gerechnet werden muss – und deshalb ab Injektionsstart Verzögerungen eingeplant werden sollten.“
Die ökonomischen Interessen der Erdgaswirtschaft nicht mitgedacht
Das grundlegende Problem wird vom Wuppertal Institut allerdings übergangen. Das sind die ökonomischen Interessen der in der ganzen Sache weitgehend federführenden Erdgaswirtschaft. Diese wird mit Sicherheit Mittel und Wege finden, die vom Institut vorgeschlagenen
Vorsichtsmaßnahmen beiseitezuräumen. Sie würden die Profitaussichten nämlich erheblich schmälern. Wenn tatsächlich die fossile Energiewirtschaft ausgeschlossen würde und lediglich „unvermeidbare“ Industrieemissionen zur CCS-Behandlung zugelassen wären – und auch das nur, solange sie nicht durch neue Techniken vermieden werden können – würde sich der Aufbau einer CCS-Infrastruktur nicht rechnen. – Doch auch wenn die Anmerkungen des Wuppertal Instituts umgesetzt würden, bliebe CCS ein Verfahren, das Probleme nicht löst, sondern verdrängt und dadurch verschlimmert.
Das Institut betont verschiedentlich, dass die CCS-Infrastruktur auch im Hinblick auf künftige CO2-Entnahme aus der Luft konzipiert werden muss und betrachtet es als selbstverständlich, dass diese kommen wird. Auf die das Vorstellungsvermögen schier übersteigenden Probleme hinsichtlich Energie- und Strukturbedarf einer klimarelevanten Entnahmemenge geht das Institut mit keiner Silbe ein. Diesbezüglich gelten also weiterhin die Erhellungen von Bernhard Weßling, die unter anderem im pv magazine unter dem Titel „Alles andere als nachhaltig: CCS und CCU erfordern gigantische Energiemengen“ veröffentlicht wurden.
Eine Bevölkerung aus uninformierten Angsthasen?
Großes Gewicht wird auch auf das Thema „Akzeptanz“ gelegt. Der in den Jahren um 2010 misslungene Versuch einer CCS-Implantation liegt dem Wuppertal-Institut offenbar immer noch auf dem Magen. Folgende Lehre soll daraus gezogen werden:
„Wissens- und Meinungsbildung in der Gesellschaft anstoßen: Für eine robuste Wissens- und Meinungsbildung in der Gesellschaft bedarf es spezifischer institutionalisierter Verantwortlichkeiten, die im Rahmen der CMS festgelegt werden müssen. Denn erst auf Basis einer robusten Meinungsbildung in der Gesellschaft können die mit der Technologie verbundenen Ängste und Sorgen, insbesondere auf lokaler Ebene, hinreichend und langfristig adressiert werden.“
Nun, unter einem „robusten“ Einsatz etwa der Polizei kann ich mir etwas vorstellen. Was aber wird mit „robuster Wissens- und Meinungsbildung“ gemeint? Das sollte doch erläutert werden!
Eines wissenschaftlichen Instituts unwürdig ist die ohne jeden Begründungsversuch aufgestellte Behauptung, dass die mangelnde CCS-Akzeptanz auf „Ängsten und Sorgen“ der Bevölkerung beruht. Die Defizite des CCS, die das Institut selbst auflistet, sind Teil auch der Argumentation der Bevölkerung. Sie entstammen nicht Ängsten und Sorgen, sondern einer Wissens- und Meinungsbildung, die die Bevölkerung in Kommunikation mit der Wissenschaft autonom betrieben hat.
Statt nach Methoden zu sinnen, wie die Bevölkerung zum „rechten Glauben“ zu bekehren wäre, sollte das Wuppertal Institut vielleicht besser einmal erwägen, ob nicht auch aus seinen eigenen Kritikpunkten hervorgeht, dass CCS für die ökonomischen Interessen der Erdgaswirtschaft erfunden wurde und nicht für den Klimaschutz.
— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —
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herzlichsten dank für die gut belegte, klare stellungnahme !
aber warum nennt man „die im dunkeln“,
diejenigen hersteller, befürworter, unterstützer,
die zum offensichtlichen schaden aller am geschäfte machen sind-
und unbeirrt weiter an/mit einer üblen, schädlichen technologie erfolg-reicher werden wollen
denn nicht auch -wenigstens beispielsweise- beim namen ?!
Dank Herr Lenz, das fällt in die gleiche Sparte wie das Verschieben des „Verbrenner AUS“ und die „nutzbringende“ Wiederverwendung der alten Meiler. Es sind alles NUR geschäftliche Interessen. Das Klima interessiert da keinen.