„The Solarblitz“: Wie das krisengeschüttelte Pakistan dem Rest der Welt den „Solar-Marsch“ bläst

Modulexporte aus China nach Pakistan und Deutschland, Grafik Ember

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Als „The Blitz“ werden im englischen Sprachgebrauch die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien 1940/41 bezeichnet. Darüber hinaus hat das damalige deutsche Wort „Blitz“ im Zuge der Rezeption des Begriffs „Blitzkrieg“ bis heute breiten Eingang in die englischsprachige Terminologie gefunden.

Inzwischen gibt es den „Solarblitz“ als Bezeichnung für einen „blitzartigen“ Ausbau der Photovoltaik in Pakistan.  Das Nachrichtenmagazin „Fokus“ bezeichnete diese Entwicklung als „den extremsten Ausbau jemals“. Bleibt man in der militärisch angehauchten Sprache, „bläst Pakistan dem Rest der Welt den Solar-Marsch“.

Wie bitte?

Pakistan wird in Deutschland leider meist nur mit Armut und Terror verknüpft. Wie in vielen anderen Regionen ist das ein sehr verzerrtes Bild. Das „arme“ Pakistan hat 2024 so viel Photovoltaik-Leistung neu installiert wie das reiche Deutschland? Über 16 Gigawatt? Im Ernst, fragen sich viele.  Zum ersten Mal berichten branchenfremde Medien über eine extreme solare Marktentwicklung, bevor diese in der Branche breiter diskutiert und analysiert wird.

Doch worauf beziehen sich die Medienberichte? Nun, die Branchenanalystin Jenny Chase von BloombergNEF hatte in einem TED-Talk unter anderem über die Entwicklung in Pakistan berichtet. Das Video ist sehr sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=BsVhgta2WAo

Denn Jenny Chase berichtet darin nicht nur über die (bekanntlich sehr unpräzisen) Exportzahlen von Solarmodulen aus China nach Pakistan in den vergangenen Jahren, sondern vor allem über ihre Auswertungen von Satellitenbildern, um den Solarausbau zu überprüfen. Und siehe da: Plötzlich wimmelt es in Pakistan nur so von Photovoltaik-Anlagen. Bei allen noch bestehenden Unsicherheiten, fehlenden Daten und Ungenauigkeiten: Es gibt einen massiven solaren Zubau.

Die lokale und globale Branche staunt, fragt sich, was nun wirklich passiert und wie bessere Daten erhoben werden können. Und gleichzeitig könnte Pakistan ein Vorbote für ähnlich massive Entwicklungen in Ländern sein, von denen man es bisher nicht erwartet hätte. Oder auch den ewig jammernden Bremsern in Ländern wie Deutschland zeigen, was sogenannte Entwicklungsländer können.

„Anarchie im Netz“, „das geht doch mit deren Netz gar nicht“, „wo haben die das Geld her?“, „die haben doch gar keine Fachkräfte dafür“ – so oder so ähnlich ertönt das Lamento der Bremser und Verhinderer solcher Entwicklungen.

Ein krisengeschütteltes „armes“ Land, Atommacht und gleichzeitig oft dysfunktional, von Terror geplagt. Ein schwaches Stromnetz, Blackouts als Norm, extreme Dürre- und Hitzewellen als direkte Folge des Klimawandels, die zu weiteren Blackouts führen. Denn der Strombedarf für die Kühlung steigt rasant, während konventionelle Kraftwerke nicht mehr genügend Kühlwasser erhalten.

Pakistan ist mit 250 Millionen Menschen einwohnerbezogen das fünftgrößte Land der Erde. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 338 Milliarden US-Dollar liegt es auf Platz 46, etwa vergleichbar mit dem Bruttoinlandsprodukt von Hessen mit seinen 6,4 Millionen Einwohnern.

Die netzgebundene Stromproduktion und der Stromverbrauch Pakistans werden für 2024 mit etwa 110 Terawattstunden angegeben, scheinen aber gegenüber 2023 rückläufig zu sein, was den Erwartungen eines steigenden Bedarfs widerspricht, aber ein Zeichen für den massiven Ausbau der Solarenergie sein könnte.

Die jährliche globale Sonneneinstrahlung in Pakistan beträgt das 1,5- bis 2,5-fache der deutschen Werte. Mit dem möglichen Photovoltaik-Zubau von 17 Gigawatt im Jahr 2024 beziehungsweise etwa 26 Gigawatt in den zwei Jahren 2023/24 könnten je nach Lage im Land durchaus 30 bis 50 Terawattstunden im Jahr Solarstrom produziert werden.

Wie bitte – das wären mindestens 30 Prozent des gesamten Stromverbrauchs, und der soll innerhalb von nur maximal zwei Jahren „solarisiert“ worden sein?

Das ist durchaus denkbar und machbar:

Wenn es die Regulatoren/Netzbetreiber nicht schaffen, kann man mit Solarenergie auch XXL-Strom selbst machen.

Jeder kann mit anpacken, die Technik verzeiht viele Fehler und ist im Großen und Ganzen „plug and play“. Die Pakistaner sind es zudem gewohnt, ihre Netzprobleme mit Dieselgeneratoren oder Batterien aller Art zu überbrücken, und nun sind sowohl Solarmodule als auch Batterien billiger denn je und massenhaft verfügbar. Dank der guten Beziehungen zu China stehen der Nutzung der günstigen Preise in Pakistan keine Zölle im Wege. Man legt einfach los, Module aufs Dach, aufs Feld oder wo auch immer. Fallen sie um oder herunter, installiert man sie einfach wieder. Endlich dauerhaft und günstig Strom zu haben ist ein extrem guter Motivation und, wie schon beschrieben, es kann jeder mit anpacken, denn Solar geht bekanntlich von ganz klein bis Atomgröße.

Man sieht, wie schnell ein „Supernetz“ im Grunde obsolet wird, wenn man dezentral an x-tausenden Stellen Erzeugung und Verbrauch zusammenführt. Wenn die Batterie oder der Generator sowieso da sind, gibt es auch keine Diskussion über Dunkelflaute oder ähnliches. Beeindruckend.

Und ja:

Wenn das ein armes Land kann – dann machen es sicher viele andere nach.

Und für unsere (von Ängsten geprägten) Diskussionen in Deutschland kann Pakistan wieder einmal ein globales Beispiel dafür sein, was alles möglich ist, wenn man es nur wirklich will. Oder die Bürger es einfach machen. Auch in Deutschland und der EU sind beispielsweise Netze nur so lange angesagt, wie die Energiezeugung nicht dezentral (meist ohnehin redundant) deutlich billiger eine 24/7-Versorgung an 365 Tagen übernehmen kann.

Das Thema ist in China schon heute Realität: Photovoltaik-Windkraft-Speicherhybride im Gigawattmaßstab ohne Netzanschluss, denn ihr Produkt ist Wasserstoff und nicht sauberer Strom. Sowas geht auch im Kleinen nun überall und Pakistan scheint es den Weg mit „Warp-Speed“ und XXL zu zeigen.

Ich bin gespannt, was wir in Pakistan noch über die Details erfahren und wie groß der „Solarblitz“ wirklich ist. Schon jetzt ist es für mich eine der spannendsten und inspirierendsten Geschichten in meinen 33 Jahren als Solarunternehmer. Ich wünsche den Menschen in Pakistan, dass sie diese großartige Entwicklung zu ihrem Wohle weiter gestalten können und bin ein wenig neidisch wegen dieser „Einfach machen, Papierkram später“-Mentalität.

— Der Autor Karl- Heinz Remmers ist seit 1992 als Solarunternehmer tätig. Zu Beginn mit der Planung und Montage von Solaranlagen sowie der Produktion von Solarthermie-Kollektoren. Seit 1996 dann parallel unter dem Namen Solarpraxis mit eigenen Fachartikeln, Buch- und Zeitschriftenverlag und dem bis heute aktivem Solarpraxis Engineering. Zu den erfolgreichen Gründungen zählen auch die nun von namhaften Partnern gemachte pv- magazine Group und die Konferenzserie „Forum Solar Plus“. Neben Solarpraxis Engineering sind heute Entwicklung, Planung, Errichtung und Betrieb von Solaranlagen als „IPP“ im Fokus der Aktivität. Zudem betreibt er aktive politische Arbeit im Rahmen des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (bne). Mehr hier: https://www.remmers.solar/ueber-mich/ —

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