pv magazine: Die bayerische Regierung hat angekündigt, das Stromnetzbaurecht auf den Beschleuigungsprüfstand zu stellen. Was halten Sie davon?
Martin Stümpfig: Dieses Aufwachen kommt zehn Jahre zu spät. Leider hat die bayrische Staatsregierung seit 2014 massiv den Stromnetzausbau blockiert. Die beiden HGÜ Leitungen „Südlink“ und „Südostlink“ wären heute schon fertig, wenn sie nicht komplett auf Erdkabel hätten umgeplant werden müssen. Und die Ankündigung ist leider typisch Markus Söder: große Schlagzeile, aber wenig dahinter. Konkrete Maßnahmen wurden nicht angekündigt.
Die Regierung sagt auch, Sie will den Ausbau des Netzes weiter beschleunigen? Bei ihnen klingt es aber eher danach, dass der Bau neuer Leitungen bisher verschlafen wurde.
Die Proteste in der Bevölkerung entlang den Trassen waren in Bayern sehr hoch und sind es teilweise noch immer. Geschürt auch durch die CSU und Freien Wählern, die Bezeichnungen wie Monstertrassen prägten. Erst so langsam setzt bei Staatsregierung ein Wandel ein, obwohl wir in Bayern 2024 rund ein Drittel unseres Strombedarfs importieren mussten. Da die Notwendigkeit der Leitungen zu hinterfragen, ist für mich nicht verständlich.
In Bayern liegt der Schwerpunkt des Photovoltaik-Ausbaus in Deutschland. Inwiefern belastet dies die bestehenden Netze zusätzlich?
Wir haben in Bayern rund 26 Gigawatt installierte Photovoltaik-Leistung. Bei 100 Gigawatt deutschlandweit ist das ein Viertel. Bayern hat aber auch ein Fünftel der Fläche Deutschlands. Bei Photovoltaik ist Bayern also sehr gut dabei. Leider haben wir nur 2,7 Gigawatt Wind. Der Zubau war 2024 auch zu 99 Prozent PV. Diese Einseitigkeit erzeugt mittlerweile große Probleme, da die Netzeinspeisepunkte belegt sind durch Photovoltaik und die Netze die Stunden mit hoher Solarstromerzeugung nur teilweise aufnehmen können. Mehr Wind sollte das Motto sein. Aber hier tut sich CSU und Freie Wähler noch immer schwer. So wurde bis heute die „10H-Regel“, die einen kompletten Einbruch verursachte, nicht abgeschafft. Dank Wind-an-Land-Gesetz des Bundeswirtschaftsministeriums weht aber jetzt auch in Bayern ein laues Lüftchen, das langsam stärker wird.
Bereits jetzt werden bestehende Photovoltaik-Anlagen abgeregelt, um Netze zu entlasten. Wird sich dieses Problem aus ihrer Sicht künftig noch verschärfen?
Wir hatten vergangenes Jahr vier Gigawatt Photovoltaik Zubau in Bayern. Also ein Viertel des bundesweiten Zubaus mit 16 Gigawatt. Bei der N-Ergie, dem zweitgrößten Verteilnetzbetreiber in Bayern, haben wir heute beispielsweise rund 3000 Megawatt installierte Photovoltaik-Leistung. Die maximale Last beträgt jedoch 1100 Megawatt. Leider wurde versäumt, sich frühzeitig um Netzkuppler zum übergelagerten Tennet-Netz zu kümmern. Deshalb wird sich hier die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen, bis die Abregelungen dann mit Speichern, Ertüchtigungen des Verteilnetzes und Netzkupplern reduziert werden können.
Die Grünen fordern einen Masterplan der Regierung zur Entlastung der Netze. Was sollte dieser enthalten?
Im Übertragungsnetz hat die Bundesregierung die richtigen Weichen gestellt. Wir brauchen in Bayern einen Masterplan für den Ausbau des Verteilnetzes. Wichtige Bausteine wären hier die schnelle und vollständige Beantragung der nötigen Netzkuppler für das Zielnetz, der Einsatz von modernen Techniken zur besseren Auslastung des bestehenden Netzes – Einsatz von regelbaren Ortsnetztrafos und Temperaturseilmonitoring -, ein Förderprogramm für die Nachrüstung von Heimspeichern zur Herstellung einer Netzdienlichkeit, die Kontrolle der Ansteuerbarkeit der größeren Anlagen und der schnelle Rollout von Smart Metern um flexible Stromtarife zu ermöglichen.
Viel Hoffnung wird auch in Speicher gesetzt, wenn es um die Entlastung der Netze geht. Wie bewerten Sie das?
Speicher spielen eine zentrale Rolle. Ich freue mich, dass Batteriespeicher zunehmend in Regionen mit hohen Anteilen Erneuerbare von privaten Betreibern in Betrieb genommen werden. Diese sind marktdienlich ausgerichtet. Optimal wäre es, wenn sie in kritischen Stunden netzdienlich arbeiten würden und die Betreiber entgangene Gewinne dann vergütet bekommen.
Zusätzlich könnte noch das Potenzial der Batterien aus Elektroautos gehoben werden. Wie bewerten Sie den Stand beim bidirektionalen Laden?
Die mobilen Speicher übertreffen die stationären bei weitem. Das wäre eine tolle Verbesserung für das Netz und auch für die Besitzer. Robert Habeck hat im Herbst zum zweiten Gipfel für bidirektionales Laden eingeladen. Leider wurde dann von der FDP sozusagen der Stecker gezogen. Dringend nötig wäre eine Beseitigung der rechtlichen Hürden und eine generelle Einführung im Jahr 2025. 2025 werden erstmal deutlich mehr Modelle auf den Markt kommen.
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Wenn Robert Habeck sich den Stecker auch einmal bei Gasprojekten ziehen lassen hätte …
Richtig ist, es gibt viel zu tun, weil viel verschlafen wurde. Wenn Martin Stümpfig sich einmal anschauen könnte, was z.B. Octopus Energy in Großbritannien leistet und dieser Firma dann entsprechende Möglichkeiten in Deutschland eingeräumt würden …
Wobei natürlich auch andere Firmen nicht ausgebremst werden sollten, wenn sie denn aus dem Dornröschenschlaf aufwachen.
Die Technik existiert längst, der Gesetzgeber muss nur noch eines Tages die Bremsen lösen und nicht nur den Bremsdruck leicht verringern.
In Bayern wurde einiges verschlafen. Aber viel schlimmer, in Berlin wurde die Bürgerenergie, Sektorenkopplung und Energy Sharing über 3 Jahre böswillig blockiert.
Frage: Wenn in Bayern der Netzausbau so verschlafen wurde – warum erhalten dann die Bayernwerke den höchsten Betrag (20 %) bei der „Verteilung von Mehrkosten in Netzen aus der Integration von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien“ (Wälzung)?
Die hohe Wälzung für die Bayernwerke ergibt sich direkt aus der Berechnung der Erneuerbare-Energien-Kennzahl (EKZ), die das Verhältnis von installierter EE-Leistung zur jährlichen Spitzenlast des Verbrauchs angibt. Da Bayern einen hohen PV-Zubau hat, fällt die EKZ hoch aus – und damit auch der Wälzungsbetrag.
Eine hohe prozentuale Wälzung bedeutet jedoch nicht automatisch, dass der Netzausbau ausreichend schnell vorankommt. Eine diversifiziertere Erzeugungsstruktur mit mehr Windkraft sowie eine beschleunigte Netzausbauplanung wären dringend erforderlich, um langfristig die Netzengpässe zu reduzieren und die Abregelung erneuerbarer Energien zu minimieren.
S. „Festlegung zur Verteilung von Mehrkosten in Netzen aus der Integration von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energie“ der BNetzA für mehr Informationen.
eine übersichtliche Einordnung zur Erneuerbare-Energien-Kennzahl (EKZ) durch den BEE
‚https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/bee-stellungnahme-zum-eckpunktepapier-der-bnetza-zur-gerechteren-verteilung-von-ee-bedingten-netzkosten‘
Für die Einordnung aus Stromverbrauchersicht (in der Größenordnung für Haushaltstromkunden und Gewerbe) sollte man auch weitere Quellen einbeziehen.
BEE:
„Der Bundesverband Erneuerbare Energie e. V. (BEE) ist der Dach- und Lobbyverband der Erneuerbare-Energien-Branche in Deutschland. Er wurde 1991 gegründet und vereint Fachverbände und Landesorganisationen, Unternehmen und Vereine aller Sparten und Anwendungsbereiche der erneuerbaren Energien in Deutschland. Sein langfristiges Ziel ist es, die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland zu erreichen. Die Geschäftsstelle befindet sich seit Januar 2021 in Berlin-Schöneberg auf dem EUREF-Campus.
Bei seiner inhaltlichen Arbeit deckt der BEE Themen rund um die Energieerzeugung, die Übertragung über Netz-Infrastrukturen, den Energieverbrauch sowie das Strommarktdesign ab.“