Bis zum Jahr 2050 werden laut IRENA im europäischen Markt mehrere Millionen Tonnen Abfall aus ausgedienten Modulen erwartet. Ohne funktionierende Ressourcenkreisläufe werden viele Module minderwertig recycelt oder auf Deponien landen. Das ist sicher nicht im Sinne der Erfinder der Nachhaltigkeit. Für richtiges Recycling oder eine passende Zweitverwendung benötigt man aber Informationen. Was wäre, wenn Produktinformationen für Module per „Knopfdruck“ verfügbar wären? Welche Stakeholder in der Photovoltaik-Wertschöpfungskette könnten davon profitieren? Um das umzusetzen, bräuchte man zunächst einen Marktstandard, um die Informationen gesammelt darzustellen. Viele Stakeholder haben sich auf den Weg gemacht, eigene Datenbanken zu etablieren, doch ein marktweiter Standard konnte sich bislang nicht durchsetzen – zu komplex, zu teuer. So leben im Markt heute Einzelkämpfer, die mit großem Aufwand versuchen, Informationen zu sammeln, um ihr eigenes Geschäft effizienter zu machen. Der Mehrwert endet an der Unternehmensgrenze – das ist nachvollziehbar.
Wir haben einen Blick in die Wertschöpfungskette gewagt und Erkenntnisse aus Sicht der Digitalisierung gewonnen.
Im Sommer 2023 hatten wir von SAP Vertreter der Photovoltaik-Branche eingeladen, um mit uns zu diskutieren, wie digitale Lösungen zum Gelingen der nachhaltigen Transformation beitragen können. Die zentralen Fragen waren:
Wie können digitale Lösungen helfen …
- Skalierung bei der Installation zu erreichen und zeitgleich?
- Kreislaufwirtschaft einzuführen?
20 Vertreter der gesamten Wertschöpfungskette, von Herstellung, Handel, Planung, Installation, Netzanschluss, Betrieb bis zum Recycling, sind dem Ruf der SAP gefolgt und erfassten die größten Herausforderungen für den nächsten Entwicklungsschritt der Branche. „Wir stehen vor der Aufgabe, die Lebenszyklen von Photovoltaik-Modulen zu verlängern und ressourcenschonende Lösungen zu entwickeln“, sagt Stefan Wippich, Geschäftsführer der SecondSol GmbH. Mit dem Handel von gebrauchten Photovoltaik-Komponenten hat er mit seinem Unternehmen langjährige Erfahrung. Dennoch steckt der Markt noch in den Kinderschuhen. „Wir stehen an einem Punkt, an dem Weichen gestellt werden, die darüber entscheiden, welchen Weg die Photovoltaik in Bezug auf Kreislaufwirtschaft und Re-use geht“ stellt Wippich fest.
Was braucht der Markt?
Um im geforderten Maße skalieren zu können, sind Standards notwendig. Damit kennt sich die SAP aus – seit Jahrzehnten begleitet das Unternehmen mit seinen digitalen Lösungen 25 Industrien auf ihrem Wachstumskurs. Wie sieht es in der Photovoltaik-Branche aus? Seit über 20 Jahren agiert die Branche im Start-up-Modus, an Standards mangelt es – da waren sich alle Vertreter einig. Der Markt braucht klare Standards, Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Marktplätze, an denen Gebrauchtteile und Rohstoffe gehandelt werden können. Damit die Kreislaufwirtschaft gelingt, müssen Informationen für alle Beteiligten über die gesamte Wertschöpfungskette zugänglich sein. Kreislaufwirtschaft geht nicht allein, sondern verlangt nach klaren Schnittstellen zwischen den Beteiligten, um den Datenaustausch reibungslos zu ermöglichen.
Auf dem Weg zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sehen wir vier Meilensteine. Der erste und entscheidende Schritt ist die Standardisierung – denn ohne verbindliche Standards sind weder Datentransparenz noch Nachvollziehbarkeit im Lebenszyklus der einzelnen Teile möglich. Kein einfaches Unterfangen, denn Standardisieren heißt Verzicht auf Individualität. Es gilt, das richtige Verhältnis zu finden. Dabei ist es hilfreich, eine Zukunftsvision zu entwickeln. Funktionierende Marktplätze brauchen Informationen über die Zusammensetzung der Komponenten. Welche Rohstoffe sind verbaut? Mit welchen anderen Komponenten oder Recyclingverfahren sind sie kompatibel? Dies sind nur zwei Fragen, die der Handel im Kreislauf benötigt. Ohne derartige Informationen lassen sich Geschäftsmodelle über den ersten Lebenszyklus hinaus nur aufwendig erarbeiten. Die Folge: kommt ein marktgetriebener Kreislauf nicht in Schwung – muss der Gesetzgeber eingreifen. Regulatorik erfordert erfahrungsgemäß viel Zeit und führt zu Frust bei allen Beteiligten. Es geht aber auch anders. In einem erwachsenen Markt spielen die Akteure zusammen, tauschen Daten miteinander aus und profitieren von den sich ergebenden Effizienzen.
Der Markt braucht Kollaboration und einen Orchestrator für Zero-Waste
SAP betrachtet das Feld der dezentralen Energieerzeugung von vielen Blickwinkeln. Manchmal sind es Batterien, das andere Mal Photovoltaik-Module, Windkraftanlagen oder elektronische Bauteile. Die Prozesse ähneln sich im Kern. Die Effizienzpotenziale sind signifikant. Eine Plattform für die gesamte Wertschöpfungskette dezentraler Energieerzeugung hilft, den Ausbau ebendieser Technologien zu skalieren und zeitgleich Kreislaufprozesse einzuführen. Unternehmen, die Zero-Waste bis 2040 (das ist in 15 Jahren) anstreben, müssen sich auf den Weg machen, denn 2040 liegt bereits im Korridor des Produktlebenszyklus.
SAP betreibt als Experte für Skalierung das größte Businessnetzwerk der Welt und verbindet Unternehmungen und Industrien seit vielen Jahrzehnten. Wir haben in der Photovoltaik-Initiative gelernt, dass die Reise mit den richtigen Standards beginnt. Deshalb haben wir begonnen, die Prozesse zu beschreiben. Geholfen haben uns dabei der Markt und unsere langjährige Expertise. Soweit es möglich war, haben wir bestehende Abläufe aus anderen Industrien wiederverwendet. SAP Best Practices bietet den Ausgangspunkt, um für die Wertschöpfungskette der Photovoltaik ein eigenes ganzheitliches Prozessbild zu erzeugen und kontinuierlich zu optimieren.
Die dargestellten Ergebnisse werden dem Markt über SAP Signavio im Rahmen unserer Value-Accelerator-Pakete zur Verfügung gestellt und können als Startpunkt für Standardisierungsprojekte genutzt werden. Im bewährten Fit-to-Standard Projektvorgehen lassen sich kundeneigene Prozesse erarbeiten, die über Unternehmensgrenzen hinweg funktionieren. Ein erster Schritt zum Erwachsenenwerden auf dem Weg einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.
Was wäre, wenn Produktdaten auf Knopfdruck verfügbar wären?
Im Sinne einer funktionierenden Plattformökonomie würden Dienste, die Product-Data-as-a-Service bereitstellen, allen Akteuren in der Wertschöpfungskette nutzen. Wir wagen einen kurzen Blick auf die Abläufe und einige Verbesserungspotenziale.
Die BoM (Bill of Material) der Hersteller von Photovoltaik-Komponenten entsteht während der Produktentwicklung. Sie ist eine wesentliche Grundlage für die Folgeprozesse im Kreislauf. Eine vollständige Digitalisierung ist die Grundlage für eine Plattform, welche Produktinformationen auf Knopfdruck bereitstellt. Hersteller können durch die zentrale Datenhaltung und Lebenszyklusanalyse Effizienzpotenziale beim Verkauf und bei den verpflichteten Rücknahmeprozessen heben. Im lukrativen Ersatzteilmarkt ist die Produktplatzierung einfacher.
Bei Repowering-Vorhaben können Projektierer mit einfach verfügbaren Rohstoffinformationen bereits vor der Demontage den Wert der Altkomponenten bestimmen und Entscheidungen über Recycling oder Second Life direkt treffen. Recycler und Händler können damit schnell und unkompliziert Angebote unterbreiten, damit Produkte in den für sie passenden Markt kommen. Wir sind davon überzeugt, dass eine moderne Anwendung mit intelligenten Vorschlägen hier für alle Beteiligten enorme Beiträge zur Effizienzsteigerung leisten kann.
„Die Standardisierung und eine Produktdatenbank sind der Startschuss für die Digitalisierung in der Photovoltaik“, sagt Stefan Wippich. „Der Hebel für die Branche ist enorm.“ Vor allem in Bezug auf einen potenziellen Re-use von Photovoltaik-Modulen könnten wir mit diesen Tools eine Menge wertvoller Informationen über Photovoltaik-Module im Feld sammeln. Von erwachsenen Märkten sprechen wir, wenn Plattformen in Businessnetzwerken funktionieren – für Industrien, Länder und über deren Grenzen hinaus. Product-Data-as-a-Service als digitale Plattform für Europa muss das Ziel sein, damit die europäische Photovoltaik-Branche Vorreiter für Kreislaufwirtschaft werden kann.
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Die Europäische Batterieverordnung (den Batteriepass) als „Blaupause“ nehmen.