Anmerkungen zum „CCS-Denk“

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Die Ampel hat nicht durchgehalten. Will sie wenigstens etwas hinterlassen, was bleibt? Hat sie dafür den jahrzehntelangen Fortbestand der fossilen Energiewirtschaft auserkoren? Jedenfalls sieht es so aus, dass die Novellierung des CCS-Gesetzes zu den Vorhaben gehört, die vor den Neuwahlen noch unbedingt durchgezogen werden sollen.

Es gibt schon zu denken, dass ausgerechnet ein Projekt, das die Verabschiedung von jeglichem logischen und folgerichtigen Denken beinhaltet, Denkmal werden soll. Beim ersten Versuch, CCS einzuführen um das Jahr 2010 herum, wurde behauptet, ein umfassendes CCS-System wäre gegenüber der Umstellung der gesamten Energieversorgung auf Erneuerbare der bessere und billigere Klimaschutz. Heute bestreitet niemand mehr, dass es sich genau umgekehrt verhält.

Doch Fehlanzeige, wenn man meint, dass daraus die Konsequenz gezogen würde.

Lippenbekenntnisse, dass die Energiewende und die Vermeidung prozessbedingter CO2-Emissionen „prioritär“ seien, liest man zwar allenthalben, die Taten gehen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die CCS-Einführung, die in den 2010er Jahren scheiterte – heute wollen die Reste der Ampel-Regierung Nägel mit Köpfen machen.

Dass man sich damit ins „Land Absurdistan“ begibt, kümmert nicht. Die Bundesregierung selbst hat in ihrem CCS-Evaluierungsbericht erklärt, dass 70 Prozent der weltweit als „CCS“ bezeichneten Anlagen die unterirdische „Speicherung“ des CO2 nicht einmal intendieren. Vielmehr bezwecken sie die Effektivierung der Öl- und Gasförderung (Enhanced Oil/Gas Recovery,EOR/EGR). Durch die Verbrennung des zusätzlich geförderten Öls wird etwa doppelt so viel CO2 emittiert, als wenn die Abgase des Kraftwerks ohne jede Nachbehandlung in die Luft gehen würden. – Verdoppelung der CO2-Emission als Klimaschutz?

Bei den 30 Prozent der Anlagen, die die Speicherung des CO2 intendieren, haben wir folgende Situation: Meist werden ausgeförderte Gas- oder Öllagerstätten als geeignet angesehen. Da durch die Entnahme der fossilen Stoffe unterirdische Hohlräume entstehen, die großräumige Setzungserscheinungen verursachen, ist die Gas- oder Ölförderung stets mit Erdbeben verbunden. Hierbei entstehen Risse und Brüche im Gestein. Wenn in diesen bereits gestörten Untergrund CO2 mit extremem Druck gepresst wird, kommt das Gestein erneut in Bewegung. Weitere Spalten entstehen, durch die das CO2 nach oben entweichen kann. Die Bundesregierung lässt sich dadurch nicht von der Behauptung abhalten, dass das CO2 in solchem Untergrund für „geologische Zeiträume“ sicher eingeschlossen bleibe.

Grant Hauber hat in seiner Studie „Norway’s Sleipner and Snøhvit Carbon Capture and Storage: Industry Models or Cautionary Tales?“ (Norwegens Sleipner und Snøhvit: Kohlenstoffabscheidung und -speicherung: Industriemodelle oder abschreckende Beispiele?) aufgezeigt, dass bei dem bis dato als Musterbeispiel für das Funktionieren der CCS-Technik angeführten „Sleipner-Speicher“ die Vorgänge im Untergrund nicht verstanden werden. Das CO2 ist in eine höhere Schicht aufgestiegen, wo es nach den wissenschaftlichen Modellen keineswegs hätte sein dürfen.

Kürzlich räumte Sleipner-Betreiber Equinor ein, dass die Mengenangaben zum gespeicherten CO2 jahrelang um etwa 30 Prozent zu hoch angegeben wurden.

Die Bundesregierung setzt sich mit Haubers Studie nicht auseinander, sondern schweigt sie tot. Offensichtlich kann sie sich das leisten. Ja, sie kann sich noch mehr leisten. So ist nach dem bisherigen Gesetz eine stufenweise Einführung des CCS vorgesehen: Zunächst Forschungsprojekte mit weniger als 100.000 Tonnen Verpressung, dann Erprobung und schließlich Demonstration mit bis zu 1,3 Millionen Tonnen jährlich. Erst nach erfolgreicher Absolvierung dieser Vorstufen kann der industrielle Hochlauf beginnen.

Nun hat es nach der einmaligen Verpressung von 67.000 Tonnen in Ketzin keine weiteren CCS-Aktivitäten in Deutschland gegeben. Werden bei dem jetzt vorgesehenen industriellen Hochlauf die Vorstufen Erprobung und Demonstration also übergangen? Faktisch ja, auf dem Papier aber nicht!

Der Speicher in Ketzin wird einfach zu einer Art Hybridprojekt erklärt. Er sei nicht nur Forschungs-, sondern gleichzeitig auch Demonstrationsprojekt. In den Eckpunkten zur Carbon Management-Strategie liest man: „Das Forschungsprojekt in Ketzin … hat allerdings im Demonstrationsmaßstab gezeigt, dass die Speicherung an Land … sicher und verlässlich … umgesetzt werden kann“. In einer Rechtsberatung wurde gefragt, ob es zulässig ist zu behaupten, dass ein „Forschungsprojekt“ gleichzeitig ein „Demonstrationsprojekt“ ist, dass also der Erkenntnisgewinn, der durch einmalige Verpressung von 67.000 Tonnen erlangt wird, gleichzeitig den Erfahrungsgehalt von Demonstrationsprojekten mit 1,3 Million Tonnen jährlich vermittelt? „Leider ja“ lautete die lapidare Antwort.

Im Kontext von CCS befinden wir uns also in einem Raum absoluter Beliebigkeit. Hier kann ein Rappen gleichzeitig Schimmel sein und die Zahl 5 sowohl ungerade als auch gerade – sofern es nur dazu beiträgt, dem CCS Tür und Tor zu öffnen.

Auf solchem Terrain sind neben CDU und FDP auch die Grünen im Umwelt- und Agrarausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags unterwegs. In einer Beschlussempfehlung fordern sie den Landtag auf: „Die Carbon-Management-Strategie des Bundes konstruktiv [zu] begleiten“.

In der Empfehlung heißt es beispielsweise, dass der „konsequente Ausbau erneuerbarer Energien … vor einer möglichen Anwendung von CCS weiterhin höchste Priorität“ hat. Wie bitte? Die Unterstützung der CCS-Einführung wird beantragt und gleichzeitig, dass der Ausbau der Erneuerbaren höchste Priorität haben muss. Wird hier die „coincidentia oppositorum“, die Auflösung der Widersprüche, bemüht, die in der mittelalterlichen Theologie von Bedeutung war?

Den CCS-Gegnern werden weitere scheinbare Bonbons verabreicht. So soll die CO2-Verpressung nicht im Küstenmeer zugelassen werden und zu Schutzgebieten, wie dem Wattenmeer einen 8 Kilometer breiten „Pufferstreifen“ einhalten. Auch sollen CCS-Anwendungen nicht subventioniert werden. Diese (und weitere) „Zugeständnisse“ dürften in praktischer Hinsicht zu vernachlässigen sein. Angesichts eines möglichen Ausbreitungsradius von 50 Kilometern ist ein Pufferstreifen von 8 Kilometern bedeutungslos, und dass die Schaffung einer CO2-Transport- und Pipelineinfrastruktur als „sinnvoll und unterstützenswert“ bezeichnet wird, bedeutet doch wohl, dass diese auch subventioniert werden soll.

Mit scheinbaren Zugeständnissen versucht man, das Konfliktpotenzial niedrig zu halten. Vor 15 Jahren war die Front klar. Dies hatte zur Folge, dass CCS hinsichtlich Klimaschutz als kontraproduktiv erkannt wurde. Heute versucht man es daher mit Verwischung der Gegensätze: „Wir brauchen doch beides, erneuerbare Energien und CCS“! Das Ziel dabei ist aber knallhart wie eh und je die Jahrzehnte umfassende Zukunftssicherung für die fossile Wirtschaft und entsprechende Bremsung der Energiewende.

Eine Untersuchung des US-Kongresses zum Thema „Klima-Desinformation“ deckte interne Kommunikationen zwischen Lobbyisten und Mitarbeitern von Shell, Chevron und Exxon Mobil auf. Darin machen Mitarbeiter sich über Klimawandel und Klimaschutz lustig und stellen klar, dass die Bedeutung des CCS darin liegt, dem fossilen Geschäftsmodell die Zukunft zu sichern. Darüber soll aber Stillschweigen gewahrt werden. Ein leitender Shell-Angestellter: „Wir wollen darauf achten, dass wir nicht darüber sprechen, dass CCUS dazu dient, die Lebensdauer von Öl, Gas oder fossilen Brennstoffen im Allgemeinen zu verlängern.“  (Charlotte Elton: Shell, BP, Exxon: Seized emails reveal ‚deceptive‘ climate tactics and greenwashing)

Vielen ist das alles klar. Hoffentlich ergreift ein Sich-Schütteln auch den Rest der Gesellschaft – und insbesondere die Menschen im Bundestag! Die alptraumartigen Lähmungen, die uns hindern, das zu tun, was richtig und nötig ist, müssen abgeschüttelt werden. Sauberes und folgerichtiges Denken, das uns entwendet wurde, muss zurückgeholt werden!

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —

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