Die Bundesnetzagentur hat ein Festlegungsverfahren für die Reform der Netzentgelte für die Industrie eröffnet. Dazu legte sie am Mittwoch ein Eckpunktepapier vor, wie die Regelungen künftig aussehen sollten. Die Behörde will einen Anreiz für stromintensive Betriebe schaffen, dynamisch auf die aktuelle Erzeugungssituation zu reagieren, die sich vor allem in den Börsenstrompreisen widerspiegelt. So sei vorgesehen, eine Stärkung des Marktsignals anhand der Netzentgelte vorzunehmen.
Eine Netzentgeltprivilegierung sei grundsätzlich für Unternehmen geplant, die in Zeiträumen besonders niedriger Preise ihre Abnahme im Vergleich zu ihrem individuellen Jahresdurchschnitt erheblich erhöhen und in Zeiten besonders hoher Preise die Abnahme analog erheblich senken, heißt es von der Bundesnetzagentur weiter. Die genaue Ausgestaltung des Anreizmechanismus hänge dabei auch von den technischen Möglichkeiten der Industrie ab, flexibel auf Mengen- und Preisentwicklungen reagieren zu können. „Dabei soll keine Überforderung der Letztverbraucher erfolgen, sondern das tatsächlich vorhandene und künftig erreichbare Flexibilitätspotential realisiert werden“, heißt es weiter.
Im Zuge der Reform will die Bundesnetzagentur auch entscheiden, ob und welche regionalen Ausnahmen geschaffen werden können. So gebe es Regionen mit geringer dezentraler Einspeisung aus Erneuerbaren-Anlagen, wo Netzengpässe eher lastbedingt entstehen. Demnach könnte eine Reaktion auf das Marktsignal teilweise noch engpassverschärfend wirken, so die Bundesnetzagentur. Regionale Ausnahmen könnten daher gelten, bis der Netzausbau auf einem Stand sei, der eine Stärkung des Marktsignals bundesweit ermögliche. Bestehende Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte sollen zudem nicht direkt abgeschafft werden, sondern für eine Übergangsfrist weiter gelten. Damit hätten die Unternehmen Zeit, die Produktion so umzustellen, um Flexibilitätspotenziale realisieren zu können.
Bislang enthalten die Stromnetzentgelte verschiedene Privilegierungstatbestände für Industrie und Gewerbe, die ein bestimmtes Verhalten anreizen. Bei der sogenannten atypischen Netznutzung zahlen industrielle und gewerbliche Letztverbraucher ein reduziertes Entgelt, wenn ihre Jahreshöchstlast von der Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus dem Netz abweicht. Damit sollte die erforderliche Netzdimensionierung begrenzt werden. Dagegen hat die Bandlast den Zweck, eine konstant gleichbleibende Grundlast stromintensiver Letztverbraucher anzureizen.
Aufgrund der Sondernetzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV erzielen rund 400 Bandlastkunden und rund 4200 atypische Netznutzer in Zuständigkeit der Bundesnetzagentur insgesamt Netzentgeltreduzierungen von über einer Milliarde Euro in diesem Jahr, wie die Behörde mitteilte. Die den Netzbetreibern dadurch entgehenden Erlöse werden durch eine Umlage an alle Netznutzer gewälzt, die in diesem Jahr 0,643 Cent pro Kilowattstunde beträgt.
„Die alten Netzentgeltrabatte entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist. Wir wollen zukünftig systemdienliches Verbrauchsverhalten der Industrie besonders anreizen“, erklärte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. „Wir schlagen einen Übergang von einem starren in ein flexibles System vor.“
Die Bundesnetzagentur stellt ihr Eckpunktepapier nun zur öffentlichen Konsultation. Stellungnahmen sind bis zum 18. September 2024 möglich. Die Neuregelung der Industrie-Netzentgelte soll zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.
„Prinzipiell halte ich die Novellierung der Netzentgelte für die Industrie für wichtig und überfällig. Dabei bietet es sich an, die Netznutzung zukünftig an das Dargebot erneuerbarer Energien anzupassen und die Bandlastprivilegierung abzuschaffen“, sagte Christof Wittwer, Geschäftsfeldleiter Systemintegration am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, in einer ersten Einschätzung. Die energieintensive Industrie könne sicher stark zur Flexibilisierung beitragen und es sei richtig, dafür Anreize zu schaffen. „Es sollte aber bei den Stromkosten insgesamt keine Belastung entstehen“, so Wittwer weiter. Aus seiner Perspektive sind lokale und regionale Anreize zu wenig in den Vorschlägen berücksichtigt, die die Stromleitungen weniger beanspruchen, indem weniger Energie durch sie hindurchgeleitet werden muss. „Ein Industrieunternehmen sollte Vorteile bei der Netznutzung bekommen und geringere Netzentgelte zahlen, wenn die Energie regional bezogen wird – zum Beispiel durch Photovoltaik, Wind, Speicher, oder Kraft-Wärme-Kopplung“, sagte Wittwer.
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Die Forderung nach Regionalität erscheint mir unrealistisch. Das bringt nur Vorteile, wenn ausschließlich Strom aus der Umgebung bezogen wird. Die meisten Verbraucher werden aber in der regionalen Dunkelflaute, die außerdem wesentlich öfter auftritt als eine deutschlandweite, darauf angewiesen sein, ihren gesamten Stromverbrauch von daher zu beziehen, von wo halt gerade etwas zu bekommen ist. Dafür muss das Netz ausreichend ausgebaut sein. Regionaler Strombezug erspart dann keinen Netzausbau, er reduziert nur die regelmäßige Netzauslastung, nicht aber die punktuelle.
Die ganzen Anreizsysteme setzen immer darauf, dass ein Verbraucher die Freiheit hat, seinen Stromverbrauch zu reduzieren, wenn er im Netzgebiet knapp ist, und ggf. auch mal Stromverbrauch vorzuziehen, wenn Strom reichlich vorhanden ist. Das ist aber erst ab einer bestimmten Größe sinnvoll. Die kleinen Verbraucher haben keine Lust, wegen ein paar Cent Ersparnis ständig die Entwicklung der Börsenstrompreise im Blick zu behalten. Anwendungen wie Wärmepumpe und E-Auto-Ladung sollten auch im Hintergrund laufen, ohne dass der Verbraucher sich Gedanken darüber machen muss. Hier sollte allenfalls der Verteilnetzbetreiber das Recht haben, Wallbox oder Wärmepumpe für ein paar Stunden in ihrer Leistung zu begrenzen. Aber auch das sollte eben immer nur wenige Stunden erlaubt sein, denn die Versorgungssicherheit ist ein hohes Gut. Die Idee, das über den Preis zu machen („nur wer bereit ist zu zahlen, bekommt es warm und sein Auto geladen“), ist im höchsten Maße unsozial und wäre nicht vermittelbar.