Die Blätter begannen zu fallen, als im vergangenen Herbst die ersten Bewohner in das neue Quartier „Kokoni One“ im Berliner Stadtteil Pankow einzogen. Noch ist das Quartier nicht komplett, aktuell sind etwa die Hälfte der geplanten 84 Doppelhaushälften und Reihenhäuser gebaut. Doch schon jetzt fallen Passanten neben den großzügigen Freiflächen und den hölzernen Fassaden die dachintegrierten Solarmodule ins Auge.
„Die Bewohner beziehen Strom und Wärme komplett fossilfrei“, sagt Sarah Debor, Geschäftsfeldleiterin Urbanes Wohnen & Gewerbe bei Naturstrom. In diesem Segment sind Konzepte zur Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr noch eher rar gesät, weshalb unsere Jury das Projekt als spotlight auszeichnete. Naturstrom setzt den Bau und das Energiekonzept gemeinsam mit dem Projektentwickler Incept um. Zentral dabei sei das Wärmenetz, für dessen Machbarkeitsstudie sowie Installation Gelder aus dem Förderprogramm „Wärmenetz 4.0“ flossen.
Für die Wärmeversorgung entziehen in etwa 100 Metern Tiefe insgesamt 68 Erdwärmesonden der Umgebung auf konstantem Temperaturniveau von fünf Grad Celsius Wärmeenergie. Diese gelangt über gedämmte Rohrleitungen in die Energiezentrale. Dort heben zwei zentrale Solar-Wasser-Wärmepumpen die Temperatur auf 40 Grad Celsius und verteilen die Heizenergie schließlich über das 1,2 Kilometer lange Nahwärmenetz an die Haushalte, wie es von Naturstrom zum Konzept heißt.
Die Wärmepumpen werden dabei auch mit Solarstrom gespeist. Die dachintegrierten Photovoltaik-Anlagen werden nach der Fertigstellung des kompletten Quartiers eine Gesamtleistung von rund 300 Kilowatt haben (siehe pv magazine September 2022, Seite 6). „Technisch und energiewirtschaftlich haben wir die Photovoltaik-Dachanlagen in einer Kundenanlage zusammengefasst“, erklärt Debor. Den Solarstrom verkauft Naturstrom als Mieterstrom an die Bewohner, die ihn für den Haushaltsstrom und für die Wallboxen benötigen.
Highlights und spotlights
Das sagt die Jury:
Naturstrom: Quartier Kokoni One – über ein Haus hinausgedacht
84 Doppelhaushälften und Reihenhäuser, die eine gemeinsame Strom- und Wärmeversorgung teilen. Das ist das Quartier Kokoni One im Norden Berlins. Dachintegrierte Photovoltaik-Anlagen liefern einen Teil der Energie, zentrale Wärmepumpen beliefern ein Nahwärmenetz, so dass keine Lüftergeräusche Nachbarn verärgern. Es ist ein Beispiel für sinnvolle Konzepte, die über das einzelne Haus hinausgeben. Ein Projekt, das einen Blick wert ist, meint die Jury und verleiht ein pv magazine spotlight.
Die Juroren: Volker Quaschning ist Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Hans Urban ist langjähriger Experte und Consultant für Photovoltaik, Speicher und E-Mobilität. Winfried Wahl leitet das Produktmanagement bei Longi Solar in Deutschland.
Mehr Infos, bisherige Preisträger (seit 2014) und alles zur Bewerbung unter: www.pv-magazine.de/highlights
Einsendeschluss für die nächste Runde: 31. Juli 2024
Der Mieterstromtarif, den die Bewohner auch für den Solarstrom von ihrem Dach zahlen müssen, liegt dabei wie nach dem EEG vorgeschrieben mindestens zehn Prozent unter dem örtlichen Grundversorgertarif. Genauere Angaben macht Naturstrom nicht. Der Energieanbieter übernimmt auch die Reststrom-Lieferung mit Ökostrom sowie die Wärmeversorgung. Die Preise für die Wärme lägen dabei auf marktüblichem Niveau. Alle Neubauten entsprechen dem Baustandard BEG 55 und könnten so bereits mit „lauwarmen“ Temperaturen versorgt werden, wie Debor sagt. Als zusätzliche Entlastung für das Heizsystem erfolgt die Trinkwasserbereitung dezentral und über elektronische Durchlauferhitzer. „Die ganzen Kreisläufe können in den Sommermonaten zur Kühlung umgekehrt werden“, erklärt sie. Auch die überschüssige Wärme werde dann den Gebäuden entzogen und ins Erdreich zurückgeführt. „Die Autarkiequote liegt bei dem Projekt bei etwa 30 Prozent“, sagt Debor.
Die Photovoltaik-Leistung für „Kokoni One“ hätte auch noch größer ausfallen können, richtete sich aber nach der Grenze von 300 Kilowatt, die im EEG 2021 für Dachanlagen ohne Ausschreibungen festgeschrieben war. Mit dem nun verabschiedeten „Solarpaket 1“ könnte künftig auch auf das neu eingeführte Konzept der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung gesetzt werden und die Photovoltaik-Anlagen deutlich größer ausfallen.
Für zwei Nachfolgeprojekte mit Sektorenkopplung – beide in Berlin – haben die Planungen bereits begonnen. „Wir werden bei jedem Projekt individuell schauen und angepasst an die Gegebenheiten entscheiden“, sagt Debor. „Im Fokus steht für uns das Wärmenetz“, so Debor. Ob es dann wieder dachintegrierte oder Aufdach-Photovoltaik-Anlagen werden, wird sich zeigen. Die Entscheidung darüber liegt beim Projektentwickler. Zumindest im Neubau seien die Kostenunterschiede zu Aufdachanlagen nicht so eklatant, erklärt Debor.
Der Testlauf für das Konzept hat schon mal funktioniert – der erste Winter ist vorbei. Nun muss das Quartier in Französisch Buchholz fertiggestellt werden. Ende nächsten Jahres werden dann auch die letzten Häuser bezugsbereit sein.
Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.
Den Architekten sollte man die Ohren lang ziehen für die fensterarmen Frontflächen zu dem zentralen Platz. Sieht scheußlich aus, die Zimmer sind dunkler als nötig und den Hausbewohnern entgeht der Blick nach draußen mit etwas mehr freier Sichtlänge. Wahrscheinlich wurde da zu sehr auf die Kosten geschaut zu Lasten der Lebensqualität. Wir leben doch dafür, dass wir es schön haben.
Ansonsten geht das Projekt in die richtige Richtung. Wäre natürlich noch schön, wenn auch die Solarthermie eine Rolle spielen würde, und einen Wärmespeicher könnte man auch integrieren. Damit könnte der Grad der Eigenversorgung nochmal deutlich erhöht werden. Aber sehr schön, dass es schon mal ein Nahwärmenetz gibt. Darauf lässt sich aufbauen. Solchen Projekten gehört die Zukunft.
Das Nahwärmekonzept wird seitens der Deutschen Reihenhaus AG schon jahrelang so gebaut und betrieben!
Das mag ja alles schön und toll klingen.
Nachhaltigkeit und Energieeffizienz schön und gut, aber, wenn man die Homepage dieser „Kokoni One“ Häuser betrachtet, schlackert man mit den Ohren.
Die günstigste Wohnung 700.000€ für 95m²
Das sind 7300€ für den m²
Wer soll sich sowas leisten können?
M.E. wäre Solarthermie für jedes Haus günstiger gewesen. Ein solches Projekt passt eher zur ‚Umrüstung ‚ von Bestandsquartieren