Das zentrale Element der europäischen Klimapolitik ist der CO2-Emissionshandel, genannt EU Emission Trading System (EU ETS). Die Idee dahinter ist simpel. Es wird eine begrenzte Anzahl an Emissionszertifikaten an die im ETS regulierten Firmen ausgegeben. Übersteigt der CO2-Ausstoß einer Firma die Zertifikate, die sie hält, muss sie welche am Markt zukaufen. Firmen, die kostengünstig CO2-Emissionen vermeiden können, werden dies tun, und können so ihre überschüssigen Zertifikate am Markt verkaufen. Der Deckel an Emissionszertifikaten, die jedes Jahr in Umlauf gebracht werden, sinkt kontinuierlich, bis irgendwann der Emissionsausstoß auf null fällt. Schaubild 1 stellt die Wirkungsweise eines ETS schematisch im Zeitverlauf dar.
Aus ökonomischer Sicht handelt es sich hierbei um ein marktbasiertes Klimaschutzinstrument, weil der Preis für Emissionszertifikate regelt, welche Anstrengungen die Firmen für die Emissionsvermeidung unternehmen. Ist der Preis für Zertifikate hoch, lohnt es sich mehr, CO2 zu vermeiden. Letztendlich bestimmt aber die Anzahl der Zertifikate im Markt, wie viel CO2 in der EU ausgestoßen wird. Das EU ETS reguliert seit 2005 Emissionen aus der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie, seit 2012 auch die Binnenluftfahrt und seit 2024 auch die Binnenseefahrt. Nach der neoklassischen ökonomischen Theorie würden gewinnorientierte Firmen immer dann CO2 vermeiden, wenn dies für sie günstiger ist, als Zertifikate am Markt zu kaufen, was letztendlich zu kostengünstigster CO2-Vermeidung führt.
Laut ökonomischer Theorie sollte der Emissionshandel aber das einzige Instrument sein, das zur Anwendung kommt, da zusätzliche klimapolitische Instrumente die Wirkung des ETS nur verzerren würden. Komplementäre Klimaschutzmaßnahmen, wie beispielsweise die finanzielle Förderung erneuerbarer Energien, ein freiwilliger Verzicht auf nationale oder EU-Binnenflüge, oder die Installation von Photovoltaik-Anlagen auf dem eigenen Hausdach, führen in einem bestehenden ETS zu keiner zusätzlichen Emissionsminderung. Diese zusätzlichen Maßnahmen sind also wirkungslos und sparen kein CO2 ein. Eine formale Analyse dieses Problems findet sich in Herweg & Schmidt “How to regulate carbon emissions with climate-conscious consumers”, erschienen 2022 im “The Economic Journal”.
Veranstaltungshinweis: FAUinsights Vortragsreihe „Technologien für eine solare Welt“ vom 08.05. – 17.07.2024
Schaubild 2 zeigt, dass zusätzliche emissionsreduzierende Maßnahmen zwar die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten senken, aber die Emissionen aufgrund des starren Emissionsdeckels unverändert lassen. Beispielsweise führt die Förderung erneuerbarer Energien dazu, dass die Besitzer von thermischen Kraftwerken weniger CO2 ausstoßen und somit weniger CO2-Zertifikate benötigen, was den Zertifikatepreis sinken lässt – der Emissionsdeckel bleibt jedoch unberührt.
Förderungen für erneuerbare Energien können durchaus sinnvoll sein, um technologische Anreize zu setzen, beispielsweise um Fixkostensenkungen zu ermöglichen oder die Produktivität der Anlagen zu erhöhen, oder auch um standortspezifische industriepolitische Impulse zu liefern, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien. In einem bestehenden Emissionszertifikatehandel, wie im EU ETS, führen Förderungen für erneuerbare Energien jedoch zu keiner zusätzlichen Emissionsminderung. Die Politik muss diese Tatsache endlich anerkennen.
— Der Autor Mario Liebensteiner ist Juniorprofessor (Tenure Track auf W3) für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energiemärkte und Energiesystemanalyse, an der FAU Erlangen-Nürnberg und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees des Energie Campus Nürnberg. Seine Forschungsinteressen liegen in der Analyse und Regulierung von Energiemärkten und Umweltpolitik. Zuvor arbeitete Mario Liebensteiner als Postdoc- und Praedoc-Forscher an der Technischen Universität Kaiserslautern und der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Er absolvierte sein Doktorat in Economics an der WU Wien und sein Diplomstudium in Wirtschaftswissenschaften an der JKU Linz und der City University of Hong Kong. Mario Liebensteiner ist Mitglied des Expertengremiums „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) der deutschen Wissenschaftsakademien. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion@pv-magazine.com.
Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.
Die Analyse ist ja vollkommen korrekt. Die Frage ist, wie man mit dem Ergebnis umgeht.
Preisfrage: wie viele EE-Anlagen wurden weltweit durch FITs refinanziert, wie viele durch ETS? Mit 95 zu 5% läge man da bestimmt nicht falsch. Ebenso sieht es mit gekauften eAutos aus: wie viele wurden wegen Kaufprämien gekauft, wie viele wegen der THG-Quote?
ETS sind bürokratische Ungetüme mit hone Verwaltungskosten. Da die Preise schwanken, bieten sie keine gesicherte Planungsgrundlage. Daraus folgt zwingend (und das sollte auch ein Volkswirt wissen), dass die Finanzierungskosten steigen. Zudem steigen ebenso die Renditeanforderungen der Unternehmen. Deswegen scheitern ETS in der Praxis weitgehend.
Es wäre an der Zeit, diese unsinnigen und ineffizienten ETS-Systeme weitgehend abzuschaffen. Viel effizienter wären einfache Steuern auf CO2-Emissionen von Brennstoffen.
Wer es bisher schon wußte, wurde hier nochmals analytisch bestätigt – der THG-Zertifikate-Handel ist und war sowohl hinsichtlich Klimaschutz, als auch ökonomisch destruktiv. Denn die großzügigen Zuteilungen von kostenlosen THG-Zertifikaten an energieintensive Konzerne sind nicht nur kontraproduktive wettbewerbsverzerrende Subventionen, sondern ermöglicht fossilen Umweltzerstörern, wie z.B. der Zementindustrie sogar Zusatzgewinne in Milliardenhöhe durch Verkauf „ungenutzter“ kostenloser THG-Zertifikate. So wird eben keine einzige Tonne CO2 eingespart und stattdessen der Einsatz von Recyclingbeton hierdurch weiterhin be- und verhindert, genauso wie die Umstellung von fossiler Energie auf grünen Wasserstoff. Um endlich eine Energiewende zum Klimaschutz zu erreichen, ist es notwendig, die CO2-Bepreisung äquivalent zu erhöhen und klimaschädliche Subventionen schrittweise abzubauen sowie gleichzeitig endlich ein angemessenes Klimageld an alle Bürger auszuzahlen und einen Ausgleich an diejenigen Betriebe zu leisten, die konkrete Maßnahmen zur CO2-Einsparung durchführen.
Die Frage , die sich mir stellt, wenn ich den Bericht so lese ist:
„Wie schaffen wir es einen schnellst möglichen und akzeptabelen Weg zu finden unsere CO² Emmisionen deutlich zu senken (auf 0) und damit für uns und unseren Planeten langfristig dienliche Lebensformen zu erzielen?!“
Neoliberale und volkswirtschaftliche Sichtweisen haben aus meiner Lebenserfahrung nicht immer zu guten Lösungen geführt!
Niemand der die Welt verschmutzt, darf reicher werden, als der der die Welt verschont!
Beispiel: FCKW wurde richtigerweise mitte der 90èr Jahre weltweit verboten–> damit hat sich die OZON -Schicht wieder stabilisiert! Eine neoliberale und Volkswirtschaftliche Sicht hat dabei nicht geholfen
Das ist eine sehr statische Sicht auf ein dynamisches Problem. Die Aussage ist nämlich nur dann richtig, wenn die CO2-Obergrenze konstant bliebe. Würde man sie entsprechend des Zubaus der EE verändern, sprich absenken, dann hätte es nämlich sehr wohl einen CO2-senkenden-Effekt.
Und das ist die Krux mit Volkswirten: lieber erklären sie den Naturwissenschaftlern, dass ihre Schlussfolgerungen keinen Effekt haben, bevor sie sich mit ihren eigenen unzureichenden Modellen beschäftigen?!
Nun, ja. Eine Studie der FAU war ja auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Atomausstieg angeblich zu höheren Strompreisen führen würde?! 12 Monate später wissen wir es besser!
Die Herausgabe von kostenlosen CO2 Zertifikaten ist doch eine horrende Förderung der fossilen Industrie. So lange die Zertifikate nicht alle gekauft werden müssen und die Reduktionskurve der Zertifikatsausgabe nicht realistisch an die Pariser Klimaziele angepasst wird (Forschung empfiehlt 4% pro Jahr anstatt den aktuellen 2,2%), muss man zwangsweise nebenher auch Erneuerbare fördern.
Aktuell wird damit doch absoluter Schmu mit getrieben. Kohlekraftwerke werden durch Gaskraftwerke ersetzt, deren Vorkette jedoch komplett ignoriert wird. Förderung, LNG Herstellung, Transport werden alle nicht dem Kraftwerk angerechnet, und das meiste davon passiert außerhalb Europas und wird somit gar nicht bepreist.
Die einfache Verbrennung von Erdgas produziert 200g/KWh, mit Vorkette sind es 800g/KWh und damit auf Steinkohleniveau.
Das ist aber eine stark verkürzte Theorie, die die Praxis völlig außen vor lässt. Der erste Fehler liegt darin, dass große Teile der CO2-Emissionen gar nicht erfasst werden und deshalb nicht dem Zertifikatehandel unterliegen. Der zweite Fehler liegt darin, dass die Politik erheblichen Einfluss auf die Menge der ausgegebenen Zertifikate nimmt. In der Angst, ein Mangel an Zertifikaten könnte zu einer schrumpfenden Wirtschaft führen, werden viel zu viele Zertifikate ausgegeben. Sie sind deshalb zu billig und die CO2-emittierenden Unternehmen haben keinen finanziellen Anreiz, diese Emissionen zu reduzieren. Als weiteres Phänomen haben wir gesehen, dass die existierenden Unternehmen völlig unwillig sind, ihre Arbeitsweisen umzustellen. Lieber nehmen sie Umsatzverluste in Kauf, als sich um Alternativen zu den CO2-behafteten Techniken zu bemühen. Das fängt erst jetzt ganz langsam an sich zu ändern. Die Reibungsverluste, die durch diesen Niedergang der alten Unternehmen und den Aufstieg neuer entstehen, lösen erhebliche Ängste in der Bevölkerung und bei Politikern aus, so dass zusammen mit intensiver Lobbyarbeit der alten, die das Geld haben, die Politik völlig zahnlos bleibt.
In einem stabilen Markt könnte es funktionieren, so wie es in der Theorie beschrieben ist. Wir haben aber keinen stabilen Markt, und wollen das auch gar nicht haben, sondern wir sind mittendrin in einem Umbau der Energieversorgung, in dem jeden Tag, auch dank der Sprunghaftigkeit der Politik, die Karten neu gemischt werden. Deshalb geht es nicht ohne weitere Förderinstrumente.
Wobei der Herr Liebensteiner noch sagen sollte, ob er sauber zwischen Förderung und Subvention unterscheidet, und was er für Subvention hält. Viele behaupten ja, das EEG-Konto wäre eine Subvention. Ich bin dagegen der Meinung, es ist nur ein Finanzierungsinstrument zur Förederung der Erneuerbaren Energien, das an die Bedürfnisse des Strommarkts angepasst ist und für eine Kostenminimierung für die Stromkunden sorgt, denen andererseits ihre Versorgungssicherheit das höchste Gut ist, wichtiger noch als der Preis und die Umweltverträglichkeit.
Die Unsicherheit darüber, ob das EEG-Konto jetzt einen Subventionsmechanismus darstellt, oder ein sinnvolles Finanzierungsinstrument ist, ist daraus entstanden, dass es als das erstere angefangen hat. Inzwischen ist aber kaum noch Subvention dabei, nur die alten Verpflichtungen aus den vergangenen 20 Jahren müssen noch abgetragen werden. Auf Dauer sollte das EEG-Konto so geführt werden, dass der Steuerzahler nichts dazu beitragen muss. Auch die dann wiedereinzuführende EEG-Umlage wird sich dann auf niedrigem Niveau stabilisieren. Dass sie nicht Null wird, ist vor allem dem durchaus förderwürdigen Wunsch nach 100%iger Versorgungssicherheit geschuldet.
Ein Beispiel für die Unfähigkeit des ETS die Emissionen in der knappen restlichen Zeit auf Null zu senken, liefert Herr Liebensteiner gleich mit: Die Luftfahrt.
Aktuell hat der Autor völlig Recht, der Verzicht auf einen Binnenflug in der EU spart kein CO2 ein, selbst wenn auf grund dieser Entscheidung das Flugzeug tatsächlich nicht fliegen würde, denn die Emissionen werden schlich an anderer Stelle, dann vmtl. zu einem etwas geringeren Zertifikatepreis, anfallen.
Umgekehrt können sich die Fluggesellschaften mit Zertifikaten anderer Sektoren eindecken, wenn das Wachstum des Luftverkehrs mal wieder das Senken der Emissionen schwierig macht. Und da diese Kosten bisher nicht allzu hoch waren und einfach auf die Ticketpreise aufgeschlagen werden konnten, hat bisher niemand etwas getan, um den Flugverkehr zu dekarbonisieren (außer ein bisschen Greenwashing mit Kerosin aus Frittenfett….).
Jetzt kommt das Problem: Flugzeuge zu entwickeln braucht Jahrzehnte, insbesondere, wenn neue Antriebstechnologien verwendet werden sollen. Die entwickelten Flugzeuge dann zu bauen und die Bestandsflotte zu abzulösen benötigt nochmals Jahre bis Jahrzehnte. Bis 2045 wird die Flugzeugflotte daher weitestgehend genauso aussehen wie die aktuelle, also aus Maschinen, die ohne fossiles Kerosin am Boden bleiben. Und genau das wird passieren, wenn man nicht rechtzeitig vorausschauend investiert und alternativen entwickelt und deren Markthochlauf finanziert.
Alternativ kann man natürlich auch dann, wenn der ETS wirklich anfängt weh zu tun Lobbyisten nach Brüssel schicken und das ganze verschieben oder absagen, denn die Folgen wären ja für die Wirtschaft und die Menschen unzumutbar.
Der ETS ist ein Schönwettermechanismus, der nur in der Theorie alleine funktioniert. In der Realität muss er durch andere, zielgerichtete Instrumente ergänzt werden. Die „unsichtbare Hand des ETS“ weiß nämlich nicht, wo vorne und wo hinten ist. Das ist teurer, ja, aber völlig alternativlos, denn der ETS allein führt in den meisten Sektoren entweder in die Energiearmut auf Grund fehlender Alternativen, oder (das halte ich für wahrscheinlicher), wird abgeschafft, wenn es ernst wird.