Die europäischen Energiemärkte hatten Ende 2023 ein fragiles Umfeld zu umschiffen, das mit einer Reihe abwärtsorientierter fundamentaler Faktoren einherging. Hierzu zählten mildes und windiges Wetter, die Erholung der französischen Kernenergieproduktion, eine schwache gesamtwirtschaftliche Lage und die generelle Nachfrageschwäche. Bemerkenswerterweise waren es genau dieselben fundamentalen Faktoren, die vor nur einem Jahr in Europa zu einer der größten Energiekrisen der letzten Jahrzehnte beitrugen. Ein besonders deutlicher Beweis für die raschen Marktveränderungen ist der umfassende Wandel in Frankreich, das 2022 – zum ersten Mal seit über 40 Jahren – Netto-Stromimporteur war und 2023 wieder zum Netto-Exporteur wurde. Unterdessen wurde Deutschland erstmals seit 17 Jahren Netto-Stromimporteur. Vor dem Hintergrund dieser abwärtsorientierten fundamentalen Faktoren und üppiger Brennstoffvorräte gaben die Energiepreise erheblich nach und fielen gegenüber 2022 bisweilen um über 55Prozent. Zu beachten ist jedoch, dass die Energiepreise trotz dieser erheblichen Einbrüche verglichen mit dem Zeitraum vor 2021 auf relativ hohem Niveau verharrten.
Die Erholung der französischen Kernenergieproduktion mit einem Plus von 41 Terawattstunden gegenüber dem Vorjahr trug 2023 über weite Strecken maßgeblich dazu bei, den Anstieg der Strompreise zu begrenzen und die Gefahr einer plötzlichen Marktwende aufgrund von ungünstigen Witterungsbedingungen oder Unterbrechungen der Brennstoffversorgung zu verringern. Derartige Ereignisse würden die Widerstandsfähigkeit des europäischen Energiesystems einem Stresstest unterwerfen und höhere Energiepreise nach sich ziehen. Doch das vorherrschende milde und windige Wetter verursachte in Kombination mit dem Kapazitätsausbau bei erneuerbaren Energien eine rekordhohe Zahl negativer Strompreise auf nahezu dem gesamten Kontinent. So erreichten die Preise an bestimmten Märkten, einschließlich der Niederlande, Österreich, Deutschland und Finnland, die technische Preisuntergrenze von minus 500 Euro pro Megawattstunde. Ein weiterer maßgeblicher Faktor war der Nachfrageeinbruch, der sich 2023 im Zuge einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Lage trotz niedriger Preisniveaus fast das gesamte Jahr über fortsetzte. Zum Jahresende jedoch schwächte sich der Nachfragerückgang deutlich ab.
Auch die Brennstoffpreise befanden sich 2023 durchweg auf einem Abwärtspfad. Ursachen waren die weltweit eher warmen Winter, die intensive Erzeugung erneuerbarer Energien und die verhaltende Industrienachfrage. Aufgrund der letztgenannten Faktoren erreichten die Gasvorräte am Ende des letzten Winters einen außergewöhnlich hohen Stand, sodass im Sommer nur ein begrenzter Vorratsaufbau erforderlich war. Trotz der Probleme mit der Versorgung durch Pipelines aus Norwegen waren die Gasspeicher im Zuge eines hohen LNG-Angebots schon früh voll. 2024 wurde ein neuer Rekord für Januar erreicht, der teilweise auf den erneuten Export des in der Ukraine gelagerten Gases zurückzuführen war. Vor dem Hintergrund dieser trüben Marktstimmung war der Kohleverbrauch im europäischen Stromsektor stark rückläufig. Der Rückgang ermöglichte China und Vietnam nicht nur, ihre Kohleimporte zu erhöhen, sondern trug auch dazu bei, dass die Emissionen im Rahmen des Emissionshandelssystems der EU gegenüber dem Vorjahr um zehn bis zwölf Prozent sanken.
2024 dürfte ein entscheidendes Jahr für die Wiederherstellung eines Gleichgewichts auf den europäischen Energiemärkten werden. Europa sieht sich der Herausforderung gegenüber, weitere Einbußen beim Import russischen Gases über die Ukraine ausgleichen zu müssen, wenn die bestehende Vereinbarung Ende 2024 ausläuft. Gleichzeitig dürften die im Juni anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament die kurzfristige Marktstimmung und die langfristigen Fundamentaldaten beeinflussen. Wir rechnen insgesamt mit niedrigeren Brennstoff- und Kohlepreisen, einem robusten Kapazitätsausbau bei erneuerbaren Energien, der Schließung von thermischen Kraftwerken und einer leichten Erholung der Energienachfrage. Das dynamische Zusammenspiel dieser Faktoren wird das Tempo der Energiewende und der Dekarbonisierung bestimmen. Es wird sich aber auch auf die allgemeine Versorgungssicherheit auswirken.
— Der Autor Andy Sommer ist seit 1992 als Analyst in der Energiebranche aktiv und bewertet seit 2008 für Axpo die globalen Märkte. Seit einigen Jahren führt er das Team „Fundamental Analysis & Modeling“, mit dem er für interne und externe Kunden Einschätzungen zu den Energiemärkten in Europa und weltweit erstellt. Das Team konnte mit seinen Services im Jahr 2021 den Energy Risk Award für «Research in European Power» gewinnen. www.axpo.com —
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Die Überschrift enthält noch 2023, wahrscheinlich ist 2024 gemeint?
Danke für den Hinweis. Es ist geändert.
Herr Sommer,
Ihren Artikel und Ihre Meinung zur Entwicklung der Energiemärkete find ich ja ganz interessant, aber wenn Sie schon schreiben das die niedrigeren Energiepreise dazu geführt haben das China und Vietnam günstig Kohle einkaufen konnten, wäre es vielleicht auch nur sinnvoll zu schreiben in was für einen Umfang die selben Länder auch Ihre PV Installationen erhöht haben!
Vietnams neu installierte PV-Leistung befindet sich momentan auf einem Wachstumskurs den Deutschland vielleicht mal von 2008-2010 hatte!
Davon können wir ( Deutschland)heute nur träumen….
übrigens auch von den Wachstumsraten der gesamten Wirtschaft!
Dieses Land kann auf seine Entwicklung wirklich stolz sein, vor allem wenn mann bedenkt, das die USA eben dieses Land erst 1972 in die Steinzeit zurück gebombt haben!
Bei uns faselt Mann oder Frau lieber von 30 Stunden Woche, Work-life-Balance und 30 Tagen Urlaub….
Ich bin mir jedenfalls nicht sicher wer hier tatsächlich ein Entwicklungsland ist.
Ihr Kommentar ist in so vielerlei Hinsicht falsch und anmaßend, das es weh tut.
Optimistisch oder pessimistisch – ist halt alles eine Frage der Perspektive.
Aus Sicht von Energieproduzenten ist es nachvollziehbarerweise eher schlecht, wenn die Versorgungslage gut und die Preise tief sind.
Aus Sicht des Konsumenten und der Gesamtwirtschaft ist das eher gut.