Interview: Künstliche Intelligenz beobachtet die Lieferketten

Gebäude, Haupteingang mit Wasser, Fronius, Österreich

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Im Oktober beendete Fronius den Krisenmodus. Das Unternehmen zeigte seinen Partnern die neue, stark vergrößerte Produktion in Sattledt in Österreich und erläuterte seine Strategie (Artikel: „Fronius-CEO: „Gebt Europa nicht auf!“). Damit konnten die Lieferrückstände aufgeholt werden. Nun soll sie für weiteres Wachstum sorgen. Wir sprachen mit Thomas Herndler, Chief Operating Officer bei Fronius, über den Weg aus der Krise und darüber, wie eine europäische Fertigung gegen künftige Ereignisse resilienter gemacht werden kann. Martin Hackl, Global Director Marketing und Sales des Geschäftsbereichs Solarenergie gibt einen Ausblick auf die Produktentwicklung bei Fronius. Der Hersteller von Photovoltaik-Wechselrichtern setzt weiter auf hohe Effizienz und einfache Kompatibilität, ergänzt durch eine gute Reparierbarkeit und eine europäische Produktion für den europäischen Markt.

pv magazine: Was waren die größten Probleme, die in den letzten Jahren die Lieferketten beeinträchtigt haben?

Thomas Herndler: Es ist ein Mix aus verschiedenen Themen gewesen. Die Probleme haben mit der Corona-Krise begonnen und daraus ist dann die Chipkrise entstanden. Danach gab es den explosionsartigen Nachfrageanstieg. Auf diese verschiedenen Entwicklungen waren viele Industriezweige nicht vorbereitet. Hier mussten wir zunächst die Chipverfügbarkeit sicherstellen und auch Anpassungen an unseren Produkten vornehmen, um ein breiteres Spektrum an Chips einsetzen zu können. Wir haben auch neue Märkte für den Bezug von Halbleitern erschlossen. Was sich in dieser Zeit auch verschärft hat, zum Teil durch die neu aufgesetzten Investitionsprogramme der Regierungen, waren die Lieferzeiten für verschiedene Fertigungsmaschinen. Das heißt, selbst wenn wir noch mehr hätten investieren wollen, hätten wir das gar nicht alles realisieren können. Der dritte große Teil war der Fachkräftemangel in Europa, der sich in dieser Situation nochmal verschärft hat. Hier sind wir froh, dass wir viele Programme, die wir schon gestartet hatten, beschleunigen konnten. Aber das war eine große Aufgabe, viele Menschen, die neu zu Fronius kommen, zu trainieren und in unsere Kultur zu integrieren.

Wie haben sich die Lieferschwierigkeiten geschäftlich ausgewirkt?

Thomas Herndler, Chief Operating Officer, Fronius International

Foto: Fronius

Thomas Herndler: In dieser ersten Phase konnten wir sicherlich 10 bis 20 Prozent des Umsatzes nicht machen, den wir uns vorgenommen hatten. Wie sich das über die Zeit ausgewirkt hat, ist hinterher sehr schwierig festzustellen. Wir hatten ja eine voll ausgelastete Produktion. Die Nachfrage war aber um ein Vielfaches größer als unsere Fähigkeiten. Dramatischer waren für uns in dieser Zeit die hohen Kosten. Wir waren mit massiven Preissteigerungen konfrontiert und haben viel Geld in den Zukauf von Bauteilen aus Quellen gesteckt, für die wir ein Vielfaches zu bezahlen hatte. Für einen kleinen Prozessor, der normalerweise drei bis fünf Euro kostet, mussten wir zu dem Zeitpunkt teilweise das 15-fache bezahlen, um die Fertigung und aufrechterhalten und Kunden weiterhin beliefern zu können. Parallel haben wir viel Geld in Beschleunigungsmaßnahmen investiert und in die Forschung und Entwicklung für das Re-Design unserer Produkte, um andere Bauteile einsetzen zu können. Das waren natürlich Ressourcen, die eigentlich für andere Projekte reserviert waren. Das heißt, auf die Wirtschaftlichkeit hatte das einen sehr negativen Effekt.

Haben sie durch die langen Wartezeiten auch Installateure verloren?

Thomas Herndler: Ganz sicher sogar.

Wie haben Sie die Sicherheit der Lieferketten nun verbessert?

Thomas Herndler: Zum einen konnten wir die bereits sehr gute Beziehung mit unseren vorwiegend europäischen Lieferanten nochmals intensivieren, auf der technischen Ebene und auf der Managementebene mit den verschiedenen Entscheidungsträgern der Unternehmen. Diese Multi-Level-Kommunikation war ganz eine entscheidende Veränderung. Unsere CEO, Elisabeth Strauss, und ich waren an vielen Tagen bei den Lieferanten und haben um Lösungen gekämpft und auch tatsächlich vieles erreichen können. Unter anderem wollten wir die Lieferanten für europäische Wertschöpfung sensibilisieren. Das war ein Aspekt. Das andere ist die Möglichkeit, in diesem Bereich Informationstechnologie intensiver zu nutzen, nicht nur als Unterstützungstool, sondern im Kernbusiness, um vorausschauend auf Ereignisse in der Lieferkette reagieren zu können. Wir setzen künstliche Intelligenz ein, um die Lieferketten zu überwachen. Dadurch erhalten wir nicht nur zufälligerweise eine Information über Ereignisse, die unsere Lieferkette betreffen, sondern sehr strukturiert. Die werden dann in unseren Managementsystemen und unseren täglichen und wöchentlichen Abstimmungsmeetings verarbeitet und berücksichtigt. So können wir den möglichen Produktionsausfall schon verhindern, bevor er eintritt. Die Technik hilft uns, viel früher über Veränderungen Bescheid zu wissen. Nachhaltig wirksam ist auch die Verbreiterung unserer Lieferkette. Wir haben für viele Bauteile mittlerweile eine zweite oder dritte Quelle. Wir haben neue Lieferanten aufgebaut und auch bei unseren Lieferanten, deren Lieferkette wiederum gestärkt. Das heißt, wir sind nicht nur an unsere Lieferanten herangetreten und haben sie gebeten, sich um Probleme zu kümmern, sondern haben mit unseren Experten geholfen, Unternehmensstrukturen so zu optimieren, dass sie resilienter werden. Das hilft natürlich enorm.

pv magazine Webinar

Inhalt:

  • Einstieg von Gewerbekunden in die Elektromobilität am Beispiel von Fronius
  • Lastmanagement im Ladepark mit einer cloudbasierten Software
  • Wachstum ohne Shut-Downs und ohne zusätzliche Hardware
  • Multi-Smart-Metering, Ladeprofile und Priorisierung, Monitoring und Reporting
  • Photovoltaik einbinden, Eigenverbrauch steigern
  • Kosten-Nutzen-Rechnung

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Verursachen mehrere Bezugsquellen nicht auch mehr Aufwand?

Thomas Herndler: Mittel- und langfristig hat die Multi-Sourcing-Strategie einen großen Einfluss auf die technische Architektur unserer Produkte. Es wird heute in Entwicklungsprozessen anders gearbeitet und bei der Auswahl von Bauteilen nach anderen Kriterien entschieden als früher. Aber das sind Methoden, die uns resilient machen für zukünftige Krisen, die man natürlich erwarten muss. Im Industriebereich gibt es ein breites Spektrum an Anbietern von Halbleitern verschiedener Technologien. Aber es gibt nicht nur die eine Strategie, Mengen zu verteilen, sondern es geht auch darum, Lieferanten danach zu beurteilen, wie diversifiziert sie organisiert sind. Hat der Lieferant genau eine Fabrik in Taiwan? Oder hat er schon eine Fabrik in Europa, eine in den USA und eine Fabrik in Asien. Kann er, wenn etwas passiert, die Wertschöpfung zwischen diesen Fabriken verteilen kann? Und vielleicht hat er auch noch zusätzliche Service Provider in seiner Supply Chain, die auch für und fertigen könnten. Es geht darum, die Lieferkette wirklich zu durchleuchten. Da haben wir durch unsere jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der Elektronikfertigung, des Designs von Elektronik und auch der eigenen Fertigung von Leiterplatten und Elektronik-Komponenten ein hochgradiges Erfahrungswissen, das wir nochmal intensiviert haben.

Sie haben die Produktion massiv aufgestockt, wie behalten sie die Flexibilität für Nachfragerückgänge?

Thomas Herndler: Über verschiedene Arbeitszeitmodelle sind wir flexibel aufgestellt, um auf Nachfrageschwankungen reagieren zu können. So ermöglichen wir in unserem Mehrschichtsystem Mehrarbeit mit Freizeitausgleich, Teilzeit-Schichtarbeit und Flexzeit-Arbeiten und kombinieren das mit qualifizierten Lieferanten, die in unserem Auftrag auch produzieren. Dazu gibt es ein sehr professionelles Prognosesystem, das wir weltweit mit allen unseren Tochtergesellschaften betreiben, um mittelfristig die Marktentwicklung im Blick zu haben, aber auch, um in einem wöchentlichen Rhythmus auf die nächsten vier bis fünf Wochen flexibel reagieren zu können. Über Lagerstrukturen und eine Leiharbeitsfirma können wir zusätzlich Schwankungen abfedern, das ist aber kein favorisierter Zugang.

Elisabeth Strauss-Engelbrechtsmüller sagte, Sie wachsen organisch und machen sich nicht abhängig von Banken. Wie haben Sie das schnelle Wachstum im letzten Jahr finanziert? Erhalten Sie Subventionen?

Thomas Herndler: Wir bekommen in Österreich für den Aufbau der Fertigung keine besonderen Subventionen, nicht mehr als viele andere Industriebetriebe. Fronius hat schon immer sehr nachhaltig agiert und wir haben in guten Zeiten gespart für später. Das mag konservativ klingen, hilft uns aber, um in Zeiten wie aktuell, wo wir massiv wachsen müssen und viel Geldmittel aufbringen müssen, das auch tatsächlich aus eigener Kraft finanzieren zu können. So gesehen sind wir völlig unabhängig von den Banken und frei in unseren Entscheidungen.

Sie produzieren hauptsächlich in Österreich mit österreichischen Mitarbeitern. Wie sind sie kostenseitig konkurrenzfähig mit chinesischen Produkten?

Martin Hackl, Global Director Marketing und Sales des Geschäftsbereichs Solarenergie, Fronius

Foto: Fronius

Martin Hackl: Wir haben uns über Jahre auf Aufdachanlagen fokussiert und auf die Sektorenintegration mit einem Plug-and-use-Ansatz. Wir haben bei unseren Hybrid-Wechselrichtern auf höchste Effizienz gesetzt und auf der Grundlage über viele Jahre hinweg immer Top-Platzierungen in der Speicherinspektion der HTW Berlin erreicht. Ich denke, über die gesamte Lebensdauer können wir mit unseren Reparaturkonzepten und unserer hohen Roundtrip-Effizienz beim Beladen und Entladen der Batterien gegen jeden Wettbewerber antreten. Es macht einen Unterschied, ob ich bei jedem Laden- und Entladen zehn Prozent Energie verliere. Da könnte ich mir eigentlich eine um zehn Prozent kleinere Batterie kaufen. Wenn man die gesamte Lebensdauer betrachtet, ist der Anfangspreis nicht so entscheidend. Wir investieren am Anfang viel und sparen dann über die Lebensdauer. Nur ist es oft so, dass man beim chinesischen Wechselrichter am Anfang spart und über die Lebensdauer viel investiert. Denn die chinesischen Hersteller bauen ja nicht per Definition günstige Produkte, sondern sie sind auch Meister im Einsparen von Dingen.

Was sind die Entwicklungsthemen, die Sie noch angehen, gerade bei den Hybrid-Wechselrichtern?

Martin Hackl: Beim intelligenten Steuern von Energie sind wir meiner Meinung nach erst in den Anfängen in der Branche. Den Bereich sehe ich stark wachsen. Das Steuern von Energieflüssen unter Berücksichtigung von verschiedenen Faktoren, den Energiepreise, der Wettervorhersage, den Bedürfnisse von den verschiedenen Verbrauchern in Bezug auf Elektroauto und die Warmwasserbereitung, das wird zunehmend herausfordernd. Wir müssen noch mehr Intelligenz hineinbringen, weil die Komplexität zunimmt. Wir haben immer versucht, eine sehr einfache Plug-and-use-Lösung zu entwickeln, die es ohne Programmieraufwand ermöglicht, ein Auto intelligent zu beladen oder eine intelligente Warmwasserbereitung mit Photovoltaik zu machen. Das möchten wir ausbauen. Das Produktportfolio in diesem Bereich ist sehr spannend. Wenn wir über Hybrid-Wechselrichter reden, reden wir in Zukunft auch über Hybride, die die Autobatterie benutzen und mit dem Haushalt verbinden oder mit dem Netz verbinden. Das wird ein großes Betätigungsfeld, wo es auch von uns Lösungen zu sehen geben wird.

Wird es auch größere Hybrid-Wechselrichter von Fronius geben?

Martin Hackl: Natürlich ist das ein Thema durch den Trend zu größeren Photovoltaik-Anlagen und bessere Modulwirkungsgrade. Wir bekommen eine neue Produktfamilie im kleinen Gewerbebereich und die werden wir dazu benutzen, eine Hybridisierung über zehn Kilowatt umzusetzen.

In der EU steigen langsam die Anforderungen in Bezug auf saubere Lieferketten, den CO2-Fußabdruck und die Reparierbarkeit von Produkten. Sie sagen, Fronius ist da im Vergleich zu anderen Herstellern schon weit vorangekommen. Können Sie davon im Segment der kleinen Anlagen profitieren, wenn die erhöhten Anforderungen doch oft zuerst für Großprojekte gelten?

Thomas Herndler: Aus unserer Erfahrung machte es überhaupt keinen Unterschied, welches Segment bedient wird. Die Gesetzeslage wird für alle gleich sein. Aus unserer Sicht sind das willkommene und sinnvolle Einstiegshürden in den in den europäischen Markt. Es gibt auch nicht sinnvolle Einstiegshürden, wie zum Beispiel einen Zolltarif. Aber dort, wo tatsächlich Nachhaltigkeit entstehen kann, ergibt es für uns Sinn. Der Endkunde profitiert von der Reparaturfähigkeit, davon dass das Produkt über die gesamte Lieferkette unter fairen Bedingungen hergestellt worden ist und davon, dass es nachgewiesen für die Umwelt einen Vorteil hat. Das ist ein Verkaufsargument. Das ist nicht Greenwashing, sondern wahre Nachhaltigkeit und ein weiteres Puzzleteil, bei dem man sich differenzieren kann. Es dauert Jahre, um in einem Unternehmen dieses Mindset zu entwickeln, von der Produktentwicklung, im Engineering, beim Einkauf, bei anderen Kollegen im Unternehmen bis zu unseren Logistikern, die für die Lieferungen verantwortlich sind. Das ist eine Kompetenz, die ein Unternehmen hat und die ist nicht leicht kopierbar.

Ein Problem hat Elisabeth Strauss angesprochen, nämlich die Datensouveränität. Haben Sie Befürchtungen, dass China die Verbindung zu europäischen Wechselrichtern ausnutzen könnte?

Thomas Herndler: Ich glaube das ist ein generelles Thema. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass wir mit den Daten eines Photovoltaik-Systems in der heutigen Zeit vorsichtig umgehen müssen. Aus den verknüpften Daten lässt sich sehr leicht das gesamte Nutzungsprofil eines Menschen verstehen. Ich könnte ihnen aus den Daten erklären, wann Sie am Morgen aufgestanden sind, wann Sie kochen, welchen Arbeitsrhythmus Sie haben oder ob sie Kinder haben. Ich denke, dass man solche privaten und sensiblen Daten in die Hände von jemandem legen sollte, dem man grundsätzlich vertraut und der diese Daten so vorhält, dass es den richtigerweise hohen normativen, datenschutzrechtlichen Anforderungen entspricht. Das ist gewährleistet für die Datenhaltung in einer Cloud hier in Europa und das ist alles nicht gewährleistet außerhalb Europas. Es ist uns wichtig, dass hier eine andere Sensibilität entsteht, weil wir nicht von ein bisschen Unterhaltungselektronik sprechen, sondern von kritischer Infrastruktur. Wenn wir an Wechselrichter im Verbund denken, an virtuelle power plants, dann ist das für die Netze in der Zukunft ein relevantes Thema.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen, um die europäische Industrie zu stärken?

Thomas Herndler: Wir wünschen uns ein gemeinsames strategisches Vorgehen. Wir sollten Themen nicht getrennt voneinander in Sektoren, Ministerien, auf Länderebene und auf kommunaler Ebene diskutieren, sondern als eine gemeinsame Aufgabe. Wir können nicht einen European Chip Act diskutieren und an einer anderen Stelle über Energiepolitik und Green Deal sprechen und die Dinge isoliert voneinander vorwärtstreiben, sondern wir brauchen ein europäisches Gesamtverständnis, strategisch und wirtschaftspolitisch. Ohne eine lokale europäische Halbleiterindustrie werden wir keine Unabhängigkeit erreichen, ohne Unabhängigkeit werden wir keinen Green Deal schaffen, ohne Green Deal werden wir die energiepolitischen Probleme von Europa nicht lösen, ohne energiepolitische Lösungen werden wir ins industrielle Steinzeitalter zurückfallen. Wenn diese Zusammenhänge in der politischen Alltagsdiskussion spürbar werden, dann hat sich ein großer Wunsch erfüllt.

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