„Mantelerlass“ soll neuen Schub für Photovoltaik in der Schweiz bringen – Volksabstimmung dazu wahrscheinlich

Schweizer Solarpreis 2022, Photovoltaik, Gebäude

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Ende September verabschiedete das Schweizer Parlament nach zweijähriger Beratung das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien». Angesichts des Umfangs und der Komplexität der Vorlage ist das für hiesige Verhältnisse ein hohes Tempo, angetrieben durch den enormen Handlungsbedarf im Bereich Versorgungssicherheit. Weil gleichzeitig sowohl das Energie- als auch das Stromversorgungsgesetz in der Vorlage behandelt wurden, spricht man hierzulande vom «Mantelerlass».

Bei den Beratungen zum «Mantelerlass» haben die beiden Kammern des Parlaments viele Ecken und Kanten entfernt, um möglichst keinen Anlass für ein Referendum zu geben. Was im Parlament glückte: Die Vorlage wurde angenommen, keine Partei hat ein Referendum angekündigt. Allerdings haben nun verschiedene Einzelpersonen und Windkraftgegner angekündigt, dass sie das Referendum ergreifen werden.

In der Schweiz kann gegen Gesetzesvorlagen das Referendum ergriffen werden. Wer innerhalb von drei Monaten 50.000 Unterschriften sammelt, erzwingt eine Volksabstimmung. Gerade bei komplexen Vorlagen können Beschlüsse des Parlaments an der Urne durchaus scheitern, können doch die Gegner und Gegnerinnen nach Belieben eine Regelung, die ihnen nicht passt, herausgreifen und im Abstimmungskampf breitschlagen.

Bisher gibt es in der Schweiz kaum Photovoltaik-Freiflächenanlagen und es sind gerade mal 41 Windturbinen in Betrieb – weitere 141 sind, oft schon seit vielen Jahren, im Bewilligungsverfahren blockiert. Deshalb steht eine breite Allianz aller Parteien, der Elektrizitätswirtschaft und der Umweltverbände hinter der Vorlage, sodass ein Inkrafttreten auf Anfang 2025 weiterhin realistisch ist.

Bis 2035 soll jährlich sechsmal mehr Solarstrom produziert werden

Aus Sicht der Solarenergie ist das Gesetzespaket ein grosser Fortschritt. Das Ausbauziel für die jährliche Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (außer Wasserkraft) liegt bei 35 Terawattstunden (2035) respektive 45 Terawattstunden (2050). Für das Zieljahr 2035 bedeutet dies eine Steigerung um den Faktor 6 gegenüber heute. Klar ist, dass der Großteil, nämlich rund 30 Terawattstunden, aus Photovoltaik-Anlagen kommen muss. Um dies zu erreichen, muss der jährliche Photovoltaik-Zubau auf über 2 Gigawatt gesteigert werden – 2023 dürften es rund 1.3 Gigawatt werden und damit immerhin 20 Prozent mehr als im Vorjahr. In den beiden Jahren zuvor betrug das jährliche Marktwachstum bereits rund 50 Prozent.

Mit dem «Mantelerlass» sollen nun endlich gewichtige Hindernisse für den weiteren Ausbau behoben werden. Dazu gehört etwa die uneinheitliche Vergütung der rund 620 (!) Verteilnetzbetreiber für eingespeister Solarstrom. Neu soll dafür einheitlich der vierteljährlich gemittelte Marktpreis bestimmend sein, mit einer garantierten Untergrenze für Anlagen unter 150 Kilowatt Leistung. Größere Anlagen können hingegen, wie sonst in Europa üblich, die Förderung neu mittels einer gleitenden Marktprämie beanspruchen. Die Marktprämie soll die bisher übliche Einmalvergütung ersetzen. Die Nachfrage nach Solarstrom seitens der Verteilnetzbetreiber dürfte zudem steigen, müssen sie doch in ihrem Standardprodukt gemäß «Mantelerlass» im nicht liberalisierten Markt primär erneuerbare einheimische Energien anbieten.

Bereits seit fünf Jahren, seit der Abstimmung über die «Energiestrategie 2050», sind sogenannte «Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch» (ZEV) möglich, die primär in Mehrfamilienhäusern und neuen Überbauungen zum Einsatz kommen, da das öffentliche Stromnetz bisher nicht genutzt werden darf. Neu soll die Möglichkeit für «Lokale Elektrizitätsgemeinschaften» (LEG) hinzukommen. Diese sollen das öffentliche Netz zu einem reduzierten Tarif nutzen dürfen, und zwar im gleichen Netzgebiet und auf der gleichen Netzebene, jedoch maximal innerhalb einer Gemeinde. Das österreichische Modell war hier ein Vorbild. LEG dürften der lokalen Abstimmung von Produktion und Verbrauch massiven Schub geben und zugleich mithelfen, den notwendigen Netzausbau zu reduzieren. Wenn die Netze überlastet sind, dürfen die Netzbetreiber die Produktion notfalls abregeln. Zugleich wird geregelt, dass die Flexibilität den Endverbrauchern, Erzeugern und Speicherbetreibern gehört und vergütet werden muss.

Bessere Bedingungen für Speicher, Fassaden- und Großanlagen

Neu sollen alle Speicher ohne Endverbrauch vom Netznutzungsentgelt befreit werden, was heute nur für die Pumpspeicherwerke gilt. Speicher mit Endverbrauch erhalten eine Rückerstattung des Netznutzungsentgelts für die Elektrizitätsmenge, die nach dem Bezug aus dem Netz und nach der Speicherung zurückgespeist wird. Eine analoge Regelung ist für Power-to-Gas-Anlagen vorgesehen. Die Branche verspricht sich starke Anreize für die Kombination von Photovoltaik mit bidirektional geladenen Elektrofahrzeugen.

Schon heute gilt ein vereinfachtes Meldeverfahren für «genügend angepasste» Solaranlagen auf Dächern außerhalb von Schutzzonen. Neu soll dies auch für Photovoltaik-Anlagen an Fassaden gelten. Leider bleibt die Bewilligungsfähigkeit für Agri-Photovoltaik-Anlagen sehr restriktiv: Diese dürfen landwirtschaftliche Interessen nicht beeinträchtigen und müssen zugleich Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken.

Zugleich werden die Kantone verpflichtet, in ihrem Richtplan Flächen für Photovoltaik-Anlagen von nationaler Bedeutung festzulegen, die einem vereinfachten Bewilligungsverfahren unterstellt sind. Damit will man die aktuellen Bestrebungen zum Bau großer alpiner Solarparks langfristig unterstützen. Bisher gibt es dafür nur ein befristetes Gesetz, wonach solche Anlagen bis 2030 fertiggestellt sein müssen. Zudem müssen sie bis Ende 2025 mindestens 10 Prozent der gesamthaft erwarteten Produktion oder 10 Gigawattstunden Strom ins Netz einspeisen.

Keine Mehrheit fand eine Solarpflicht bei Umbauten und bei Parkplatz-Überdachungen. Es bleibt bei der Pflicht für Neubauten ab einer Grundfläche von 300 Quadratmetern. Allerdings haben die meisten Kantone bereits weitergehende Regeln, beispielsweise in Form einer Eigenstromerzeugungspflicht, eingeführt.

Nun bleibt abzuwarten, ob genügend Unterschriften für eine Referendum zusammenkommen. Falls ja, wird die Volksabstimmung wahrscheinlich im Juni 2024 stattfinden. Unterdessen arbeitet die Verwaltung bereits an den Ausführungsbestimmungen, was ohnehin noch zu einigen Knacknüssen führen wird.

— Der Autor David Stickelberger ist seit Mai 2023 Leiter Markt und Politik beim Schweizer Solar-Branchenverband Swissolar. Zuvor führte er den Verband während 25 Jahren und hat dabei den zähen Aufstieg der Solarenergie in der Schweiz hautnah miterlebt, begleitet und mitgeformt. —

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