Redispatch reduzieren: Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft schlägt neue Marktregeln vor

Historische Aufnahme vom Bau einer neuen Stromleitung in Norwegen

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Die Kosten für Redispatch- und andere netzstützende Maßnahmen – also Maßnahmen für das Engpassmanagement im Stromnetz, etwa das Abregeln von Windrädern im Norden und das parallele Hochfahren fossiler Kraftwerke im Süden – sind in den letzten Jahren massiv gestiegen: Lagen sie 2019 noch bei 1,18 Milliarden Euro, so waren es 2022 bereits 4,2 Milliarden Euro.

Das liegt daran, dass immer mehr dezentrale, erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten zugebaut werden – zugleich aber Anreize fehlen, den Strom aus diesen Anlagen in Nähe zum Erzeugungsort zu verbrauchen. Dazu kommen der schleppende Netzausbau und die regional ungleichmäßige Verteilung der Erneuerbare-Anlagen.

Wie lässt sich einem weiteren Anstieg der Kosten für das Engpassmanagement begegnen? Dazu hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) jetzt im Auftrag des Stromversorgers EWS Elektrizitätswerke Schönau eG eine Studie vorgelegt. Das Fazit: Da der Netzausbau nicht in der notwendigen Schnelligkeit vorangehe, sei es notwendig, die Marktregeln so anzupassen, dass sie die physikalische Realität des Strommarktes besser abbilden. Hier könnten sowohl regulatorische als auch marktbasierte Ansätze einen wesentlichen Beitrag leisten.

Netzentgeltsystematik reformieren

Konkret schlagen die Experten unter anderem vor, beim Zubau von Erneuerbare-Anlagen Anreize für eine netzdienliche Standortwahl zu setzen, etwa durch eine Aufteilung der einheitlichen Strompreiszone in mehrere kleine Gebotszonen. Das könnte nicht nur den Bau von Erneuerbare-Anlagen in Süddeutschland anreizen, sondern auch zu einer verstärkten Nutzung von Flexibilitätsoptionen animieren. Der Transportbedarf von Strom im Fernleitungsnetz würde damit abnehmen und die Großhandelsstrompreise die regionalen Gegebenheiten realer abbilden.

Um weitere Anreize zur optimalen Nutzung der Netzkapazitäten zu setzen und zudem die Kosten des Systems fair zu verteilen, sei eine Weiterentwicklung des Netzentgeltsystematik notwendig. So sollte etwa eine überregionale Vereinheitlichung der Redispatch-Kosten untersucht werden, um der regionalen Ungleichheit der höheren Netzentgelte in Gebieten mit viel Erneuerbaren Ausbau entgegenzuwirken. Auch eine Vereinheitlichung der Verteilnetzentgelte könne hier sinnvoll sein.

Nicht zuletzt müssten die Flexibilitäten privater und industrieller Verbraucher stärker genutzt werden. Bisher fehlten jedoch teilweise technische Voraussetzungen sowie Marktanreize, damit sie ihren Stromverbrauch flexibilisieren. Mit den Plänen der Bundesnetzagentur zur Reform des §14a EnWG für steuerbare Verbrauchseinrichtungen wie E-Autos und Wärmepumpen zeichne sich hier nun ein erster Schritt in die richtige Richtung ab.

„Die Studie verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Anpassung des aktuellen Strommarktdesigns“, erklärt EWS-Vorstand Sebastian Sladek. Ein „weiter wie bisher“ zementiere nicht nur soziale und ökologische Missstände, sondern werde das System über kurz oder lang implodieren lassen, da Markt und Physik immer weiter auseinanderlaufen. „Es braucht schnell konkrete Maßnahmen für eine faire Kostenverteilung und effiziente Preissignale für den dezentralen, lastnahen Ausbau der Erneuerbaren Energien“, so Sladek.

Elektrolyseure können Preisdifferenz dämpfen

Eine von der FÖS vorgeschlagene Teilung der Strompreiszone wird von Politik und Energiewirtschaft schon seit längerem heiß diskutiert. Aurora Energy Research hat nun in einer Studie untersucht, wie sich ein Split in eine Nord- und eine Südzone preislich auswirken würde. Die Experten kommen zu dem Ergebnis, dass eine Megawattstunde im Jahr 2030 im Süden fünf Euro mehr kosten würde als im Norden; bis 2045 würde dieser Preisunterschied auf neun Euro ansteigen. Dabei bleiben Unsicherheiten, vor allem der Netzausbau: Verzögert sich dieser deutlich, könnte der Preisunterschied pro Megawattstunde zwischen Nord und Süd auf 13 Euro im Jahr 2030 und 24 Euro im Jahr 2045 ansteigen.

Andererseits könnte ein stärkerer Ausbau von Elektrolyseuren im Norden die Preisdifferenz langfristig dämpfen: Wenn vier Gigawatt Elektrolyseurleistung statt im Süden im Norden angesiedelt werden, lägen im Jahr 2045 nur noch sechs Euro zwischen den Großhandelsstrompreisen. Der Anreiz dafür wäre gegeben, denn: „Am meisten profitieren von einem Preiszonensplit die flexiblen Verbraucher, wie etwa Elektrolyseure im Norden, da die Preise dort nicht nur durchschnittlich niedriger wären, sondern auch häufiger Niedrigpreisstunden auftreten würden“, sagt Claudia Günther, Leiterin des deutschen Forschungsteams von Aurora Energy Research. „Da in der Nordzone zudem der Anteil der Erneuerbaren am Strommix sehr hoch wäre, könnten Elektrolyseure viel früher mit Netzstrom grünen Wasserstoff erzeugen als es als bei einer einheitlichen Strompreiszone möglich wäre.“ Dadurch würde sich auch die Wettbewerbsfähigkeit dieses grünen Wasserstoffs um bis zu einem Drittel erhöhen. Wird die innerdeutsche Pipelineinfrastruktur entsprechend schnell ausgebaut, profitierten davon auch industrielle Verbraucher im Süden.

Die Stromkunden würden die Folgen des Preiszonensplits unterschiedlich spüren: Für private Haushalte wäre der Effekt vernachlässigbar – die energieintensive Industrie im Süden dagegen müsste im Vergleich zur aktuellen einheitlichen Preiszone mit um drei bis sieben Prozent höheren Strompreisen rechnen. Im Vergleich zu den Strompreisen im Norden würde das Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Der Preiszonensplit könnte zudem für industrielle Stromverbraucher den Stromeinkauf schwieriger machen: Terminmärkte in kleineren Preiszonen sind weniger liquide, außerdem ist der Abschluss von PPAs über Zonengrenzen hinweg komplexer.

Für Studienautor Nicolas Leicht, Energiemarktexperte von Aurora Energy Research, ist eines dennoch klar: „Um die Akzeptanz der Energiewende und das Tempo des Umbaus der Energiesysteme marktbasiert zu erhöhen, brauchen wir regionale und lokale Preissignale. Wie unsere Berechnungen zeigen, würde die Aufteilung der deutschen Preiszone diese Preissignale bewirken. Sie ist aber nur einer von verschiedenen gangbaren Wegen.“

 

 

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