Die Aussagen einiger Markteilnehmer zu Mengen an chinesischen Modulen in EU-Lagern, Niedrigstpreisen und vermuteten „Dumping“ werden immer extremer. Eine Einordnung über Zahlen der neuen Realitäten in einem 2022 und 2023 massiv gewachsen Photovoltaik-Markt weltweit und in der EU: In den Vergleichen nutze ich das vergangene Jahr vor den teilweise massiven Verwerfungen durch die Corona-Pandemie, die unter anderem zu massiven Kosten für Containerfrachten führte, und dem Beginn des globalen „Photovoltaik-Turbowachstums“.
Produktionskapazitäten in Gigawatt und Modulen weltweit
2019: 118 Gigawatt oder etwa 340 Millionen Module
2023: 380 Gigawatt oder etwa 844 Millionen Module
EU- Markt in Gigawatt und Modulen
2019: 16,7 Gigawatt respektive rund 48 Millionen Module jährlich oder 4 Millionen Module pro Monat
2023 ( optimistisches Szeanario): 80 Gigawatt beziehungsweise 178 Millionen Module jährlich oder 14,8 Millionen Module pro Monat
EU-Modullagerbestand „normal“ (2 Monate Durchlauf)
2019: 2,8 Gigawatt oder circa 8 Millionen Module (in Lagern)
2023: 13,3 Gigawatt oder circa 30 Millionen Module (in Lagern)
Lagerbestände im zweistelligen Gigawattbereich in der EU sind eher das neue „Normal“ eines immer größer werdenden Photovoltaik-Marktes. „Horrorszenarien“ von 120 Gigawatt in EU- Lagern bis zum Jahresende würden 290 Millionen Module in Lagern bedeuten.
Lagerwerte von Modulen (Basis 15 Cent/Wattpeak)
1 Gigawatt = 150 Millionen Euro
10 Gigawatt = 1,5 Milliarden Euro
120 Gigawatt = 18 Milliarden Euro (!)
„Horrorszenarien“ von 120 Gigawatt in EU-Lagern würden somit fast 18 Milliarden Euro an „totem“ Kapital erfordern. Wie soll das finanziert werden?
Das neue „Normal“ hat also einen Kapitalbedarf.
Im Markt genannte Einkaufspreise für Großprojekte in Deutschland:
2019/20: 16 bis19 Cent/Wattpeak
September 2023: 15 bis17 Cent/Wattpeak
Preissenkung nach grober Erwartung analog der „Photovoltaik- Lernkurve“:
2019 bis 2023: 4 bis 6 Cent/Wattpeak
Nach der (groben Betrachtung) der Photovoltaik-Lernkurve wären die zu erwartenden 2023er Preis bei etwa 10 bis 15 Cent/Wattpeak.
Behauptete Kosten Solarmodule nach aktuellem ESMC-Politikbrief (11.9.2023)
EU Bestand (Umfrage ESMC Brief): 33 Cent/Wattpreak
EU (laut Grafik 3 des ESMC Brief): 29,9 Cent/Wattpeak
China: 25,4 Cent/Wattpeak
Behauptete Kosten (ohne Margen) von einem ESMC-Mitglieds (Stand Ende 2022):
EU: 19,8 Cent/Wattpeak
China: 16,9 Cent/Wattpeak
Anteil des in China hergestellten Silizium aus Xinjiang (2023e):
rund 30 Prozent
Die für 2023 global bis zu erwarteten 380 Gigawatt an neuen Photovoltaik-Installationen könnten völlig ohne Silizium aus der umstrittenen Provinz Xinjiang produziert werden.
Variable Kosten für Silizium:
Globaler Durchschnitt: 8,20 US-Dollar/Kilogramm
Wacker Deutschland: 18 US-Dollar/Kilogramm
Erfolg für den Klimaschutz
Module 2019/20 waren meist noch bis circa 350 Watt und auf Mono-Perc-Basis. Aktuell werden monofaziale, monokristalline Perc-Module langsam zum Auslaufmodell, Photovoltaik-Technologien wie Topcon und Heterojunction übernehmen mit Modulleistungen bis 575 Wattpeak den Markt für Projekte.
Die chinesischen Modulanbieter sind seit 2019 x-fach gewachsen, um diesen beeindruckenden Weltmarkt zu beliefern. Und dabei ging die Lernkurve in der Produktion weiter – die Module sind viel effizienter und gerade läuft der Abschied von Perc zu Topcon und Heterojunction. Was für ein Erfolg für den globalen Klimaschutz, der mit dem bisherigen „Klein-Klein“ á la EU-Politik nicht erreichbar ist.
— Der Autor Karl- Heinz Remmers ist seit 1992 als Solarunternehmer tätig. Zu Beginn mit der Planung und Montage von Solaranlagen sowie der Produktion von Solarthermie-Kollektoren. Seit 1996 dann parallel unter dem Namen Solarpraxis mit eigenen Fachartikeln, Buch- und Zeitschriftenverlag und dem bis heute aktivem Solarpraxis Engineering. Zu den erfolgreichen Gründungen zählen auch die nun von namhaften Partnern gemachte pv- magazine Group und die Konferenzserie „Forum Neue Energiewelt“. Neben Solarpraxis Engineering sind heute Entwicklung, Planung, Errichtung und Betrieb von Solaranlagen als „IPP“ im Fokus der Aktivität. Zudem betreibt er aktive politische Arbeit im Rahmen des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (bne). Mehr hier: https://www.remmers.solar/ueber-mich/ —
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Eine europäische Energiewende ist ohne chinesische Zulieferer nicht mehr zu schaffen. Nicht in der gegebenen Zeit, nicht mit den erforderlichen Volumina und nicht zu annehmbaren Kosten. Das wissen alle Beteiligen und dem sollten wir uns stellen. Wer jetzt wieder Forderungen zum Schutz heimischer Produktion fordert, ignoriert diese Fakten bewusst und führt die Gemeinschaft zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit Europas in die Irre. Ich kann nur hoffen, dass wir nicht noch einmal den Fehler begehen, der schon vor 10 Jahren begangen wurde. Wir alle freuen uns auch über europäische Module, aber die allein retten uns nicht!
Danke Karl Heinz für diese Klarstellung. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Chinesen unter Marktpreis verkaufen. Die können mittlerweile so billig. Das unsere heimische PV-Industrie mittlerweile hoffnungslos abgehängt wurde, ist nicht die Schuld der Chinesen, sondern die Schuld der desaströsen deutschen Wirtschaftspolitik. Nun läuft man sich langsam warm für den Handelsboykott gegen China. Ob man dafür die Taiwan Krise aufbläst oder die „Dumpingpreise“ beklagt ist letztlich egal. Wie sonst sollte man die Energiewende noch hinauszögern, als mit einem Abwürgen der Lieferungen von billigen Solarmodulen aus China ?
Irgend jemand muss doch das letzte Fracking Gas aus Amerika noch kaufen.
Matthias Diehl schrieb:
„Irgend jemand muss doch das letzte Fracking Gas aus Amerika noch kaufen.“
Schön wäre es. Leider zeigen Schlagzeilen wie „Untersuchung: Erdgas-Importe aus Russland in die EU 40% höher als vor Kriegsbeginn“ ein ganz anderes Bild.
Zum Beispiel unser Gas-Robert scheint eine Erdgasversion des König Midas zu sein. Alles was er anfasst wird plötzlich mit Erdgas oder Erdgasprodukten betrieben.
Stimme Benedikt Ortmann grundsätzlich zu und hoffe nur, dass wir in Europa auch wieder eine nennenswerte Photovoltaik-Industrie auf die Beine stellen können. Das Thema Sonne zu Strom wird – wenn nicht was Besseres erfunden wird – ein Dauerbrenner und alle 20-40 Jahre werden alle installierten Module ausgetauscht werden. Eine Cradle-to-Cradle-PV-Industrie, welche hochautomatisiert ist, halte ich für sehr sinnvoll und auch wirtschaftlich darstellbar. Bis es soweit ist, habe ich überhaupt kein Problem damit, chinesische Waren zu verwenden. Boykotte, Zwangsmaßnahmen oder einfach nur abwarten bis Europa soweit ist, sind für mich keine guten Optionen. Nutzen wir die günstigen Einkaufskonditionen und machen das Beste draus.
Vielen Dank, Karl-Heinz Remmers für die detaillierte und datenbasierte Darstellung.
Ich würde gerne die Analyse einen Schritt weiterzuführen und die genannten Kapazitäten mit den Zubau-Zahlen beleuchten. Als Grundlage nehme ich Zubau-Daten aus dem letzten Global Market Outlook for Solar Power 2023 – 2027 by SolarPower Europe, 2023.
Der genannten weltweiten (ww) Produktionskapazität in 2023 von 380 GW steht ein ww Zubau von 341 GW entgegen.
In Europa beträgt der Zubau in 2023 ca 75 GW (22%). China baut 136 GW zu, was 40% der ww 2023 Zubau-Zahl entspricht.
Betrachtet man die übers Jahr gemittelten Werte, so scheinen sich der ww Bedarf (Zubau) sowie die Produktionskapazitäten die Waage zu halten. Allerdings muss man sich die derzeit sehr starke Dynamik vor Augen halten. Die aktuellen Zubauzahlen hatten 2019 einen Wert von lediglich 140 GW; 2022 betrugen sie schon 239 GW und dieses Jahr sind die genannten 341 GW erwartet. Das bedeutet zurzeit monatliche Steigerungen des ww Bedarfs von 3%, die es schwierig machen, hier ein aktuelles Gleichgewicht zwischen Bedarf und Produktionsvolumen zu erreichen.
Insbesondere haben die Marktteilnehmer in einem stark wachsenden Markt die Tendenz der Überreaktion, um jeweils eigene Marktanteile auszubauen. Auch finden der Ausbau der verschiedenen Wertschöpfungs-Stufen wie Roh-Silizium, Wafer und Module mit verschiedenen Zeitkonstanten statt. Anfangs war z.B. der Engpass beim Poly-Silizium, was dort zu sehr hohen Preisen geführt hat.
Es ist sicherlich möglich, verschiedene Wellen zu identifizieren, die die Kapazitätserweiterungen der verschiedenen Wertschöpfungsstadien repräsentieren. Sind die Kapazitäten erst einmal installiert, so wird auch zunächst damit produziert – insbesondere auch, um den Invest und eine eventuelle staatliche Subventionierung zu rechtfertigen. Zusätzlich werden insbesondere die chinesischen Hersteller darauf hinarbeiten, dass produzierte Ware baldmöglichst exportiert wird, um die Zahlen der Produktionsstätte zu schönen – auch wenn sich die Ware danach noch in einem Lager der ausländischen Vertriebsgesellschaft befindet.
Die Marktkräfte sollten dieses Ungleichgewicht allerdings über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren korrigieren, da es sich kein Betrieb leisten kann, auf Dauer eine Überkapazität bereitzuhalten bzw. Milliarden Euro auf Lager zu halten. Bis dahin kann es allerdings zumindest zeitweise zu Preisverwerfungen kommen.
Wie groß ist das europäische Lager der chinesischen Modul-Hersteller zurzeit? Der Artikel von Rystad: (https://www.pv-magazine.de/2023/07/19/rystad-40-gigawatt-solarmodule-aus-china-im-wert-von-7-milliarden-euro-in-europaeischen-lagern/) (pv-magazine.de) spricht am Ende des ersten Halbjahrs 2023 von einem Lagerbestand von 40 GW in Europa. Das ist berechnet aus den Lieferungen und dem Zubau. Die Zahlen des Zubaus bei Rystad sind vermutlich etwas zu niedrig angegeben. Für 2022 ist von Rystad ein Zubau von unter 40 GW angegeben, wogegen SolarPower Europe hier 50 GW angibt. Eine noch größere Diskrepanz ist für 2023 in den Zahlen zu sehen: Rystad gibt hier knapp 60 GW an, wobei der Zubau jetzt schon mindestens 75 GW anstrebt.
40 GW Lagerbestand repräsentieren damit einen Bedarf von 6 Monaten in Europa. Es ist irreführend, diesen Bestand mit der Zubau-Zahl von 2022 zu vergleichen wie es Rystad macht, da es hier um den zukünftigen Zubau geht, der weiterhin mit mindestens 20% pro Jahr wachsen wird.
Trotzdem ist ein Lager mit einer Reichweite von 6 Monaten zu viel! Ein vernünftiger Lagerbestand sollte die gesamte Produktionszykluszeit (lead-time) repräsentieren, die ich zu 3 Monaten schätze. Damit gibt es derzeit doppelt so viel Lager als notwendig, was schnell zu Abverkäufen führen kann, sobald eine Technologie-Verbesserung auf den Markt kommt. Dies schadet einerseits den Eigentümern des Lagers aber verwirft auch die Preisfindung am Markt.
Insgesamt birgt es die Gefahr, dass kleinere Player nicht mehr mithalten können. Dies wurde sehr drastisch im Interview mit BloombergNEF und Aurora Energy Research gesagt: https://www.pv-magazine.com/2023/09/12/impact-of-overcapacity-on-solar-stocks/
Was kann hier Europa machen, um trotzdem im Solarmarkt mitzuhalten? Es ist sicherlich schwierig bei einer Plankapazität in Europa von lediglich 10% der ww Produktionskapazität auf demselben Level zu spielen, wie es die Massenhersteller aus China tun. Aufgabe der lokalen Industrie ist es aber auch, die geographisch speziellen Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Noch immer findet der meiste Zubau im Bereich der Dachbelegung statt, die vielfach nach angepassten Lösungen verlangt. Auch wünschen sich die Kunden Lösungen, die solaren Wärmepumpenbetrieb und Autoladen beinhalten. In naher Zukunft wird sicherlich auch eine Nachbarschaftsvernetzung interessant. Insgesamt sollte es eine Aufgabe der lokalen Anbieter sein, die Anwendungsschwellen zu erniedrigen.
Anmerkung:
Wir erscheinen auch die Zahlen von Rystad (40 GWp) wesentlich zu hoch.
Hier wurde auch keine Basis der Ermittlung genannt (wie auch bei den anderen Behauptungen nicht).
Hatte daher über andere Relationen gerechnet.
Bei Produktionskosten von 15 Cent/Wp wäre es totes Kapital in Höhe von 6 Milliarden Euro.
… das tut auch in China sehr weh.
Was bei Spekulationen über Preisdumping nicht erwähnt wird: in China dürften die Hauptindustrieen ihren billigen EEn – Strom selbst herstellen, und damit konkurrenzlos billige Produkte herstellen.
Danke für die Zahlen und Einschätzungen.
Ich teile die Einschätzung, dass die Chance eine relevante PV-Produktion in Deutschland und Europa aufzubauen vertan ist. Zumal deutsche Hersteller nicht nur preislich, sondern auch leistungstechnisch inzwischen hinter den Chinesen liegen. Wenn einzelne Firmen in China Wachstumspläne von 40 GWp und mehr in den nächsten 2 Jahren haben, ist klar, dass die anvisierten 30 GWp in Deutschland keinen Umschwung bringen werden. Zumal die Chinesen im Anlagenbau, in der Produktions- und Prozesstechnik und in der Zelltechnik inzwischen so viel Ressourcen und Know-how aufgebaut haben, dass ich nicht sehe, wie Deutschland/Europa da gleichziehen könnte.
Möglicherweise hätte Deutschland und Europa mit einem komplett neuen Zellkonzept, mit entsprechend neuer Zelltechnik und neuem Produktionslayout eine Chance das Feld von hinten aufzurollen. Immerhin sind die derzeitigen Produzenten erstmal gezwungen, ihre aufgebauten Produktionsanlagen zu nutzen und die nächsten Jahre darauf fixiert. Ob Perowskit und Co aber tatsächlich in den nächsten Jahren den Sprung in die Massenproduktion in Deutschland/Europa schaffen und eben nicht in China, scheint mir ein sehr optimistischer Gedanke.
Klimaschutz und Co,: alles Quark mit Sosse, wenn man nur ein bisschen tiefer reinschaut; China setzt voll auf Kohle, billiger Strom für die dortige Industrie, einschliesslich Produktion von Solarmodulen. (https://www.tagesschau.de/ausland/china-kohlekraftwerke-100.html)
Machen wir und doch nichts vor: Wenn Deutschland „clean“ wird, ist das ein Furz im Weltgeschehen.
Weltweit werden jährlich rund 8 Milliarden Tonnen Kohle gefördert, für jeden Einwohner eine Tonne, und natürlich verbrannt. Wenn dort nicht dran gedreht wird , ist alles andere Pipikram, ganz ehrlich. (https://de.statista.com/infografik/11773/entwicklung-der-weltweiten-kohlefoerderung/)
Wie wollen Sie denn aus zwei Artikeln ein gutes Bild der Gesamtsituation bekommen, wenn die nur einen Teil des weltweiten Energieverbrauchs separtiert vom Rest betrachten? Schauen Sie sich lieber das hier an:
https://ourworldindata.org/grapher/electricity-prod-source-stacked?facet=metric
Das was sie da bei Solar und Wind sehen, das ist ein exponentielles Wachstum, und damit können ein paar neue Kohlekraftwerke in China nicht lange mithalten, auch wenn aktuell die Kohle noch weit vorne liegt.